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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 497

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 260/09, Beschluss v. 15.03.2011, HRRS 2011 Nr. 497


BGH 1 StR 260/09 - Beschluss vom 15. März 2011 (LG Mannheim)

Verlesung des Anklagesatzes bei einer Vielzahl gleichgelagerter Vermögensstraftaten; Strafmilderung nach Ablauf eines Anfrageverfahrens oder Vorlageverfahrens (rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung; Verfahrensdauer; Kompensation).

§ 132 GVG; Art. 6 EMRK; Art. 13 EMRK; § 46 StGB; § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Durchführung eines Anfrage- und Vorlageverfahrens nach § 132 GVG ist keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, wenn sie ein Jahr und vier Monate in Anspruch nimmt. Sie ist nicht in Anwendung der Vollstreckungslösung zu kompensieren. Gleichwohl können die zuvor bemessenen Einzelstrafen in einem solchen Fall keinen Bestand haben. Der Umstand, dass nach Erlass des tatrichterlichen Urteils ein nicht unerheblicher Zeitraum verstrichen ist, muss vorliegend zu Gunsten der Angeklagten strafmildernd Berücksichtigung finden, da sie dies nicht zu vertreten haben (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 187, 188). Die seit den Taten vergangene Zeit und die aus der Verfahrensdauer resultierende Belastung für den Angeklagten stellen grundsätzlich einen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar. Sie sind nunmehr ergänzend festzustellen und in wertender Betrachtung bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen mildernd zu berücksichtigen.

2. In Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tateinzelakte, die durch eine gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet sind, ist dem Erfordernis der Verlesung des Anklagesatzes i.S.d. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO Genüge getan, wenn dieser insoweit wörtlich vorgelesen wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten der Gesamtschaden bestimmt sind. Einer Verlesung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte bedarf es in diesem Fall nicht.

3. Demnach muss der konkrete Anklagesatz in den einschlägigen Verfahren einerseits die Schilderung der gleichartigen Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, die Bezifferung der Gesamtzahl der Taten, die Bestimmung des Tatzeitraums sowie bei Vermögensdelikten die Bezifferung des Gesamtschadens umfassen. Andererseits sind auch die Auflistung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder - namentlich in Fällen der Bewertungseinheit oder der uneigentlichen Organisationsdelikte - die Auflistung der Einzelakte der Taten Teil des Anklagesatzes. Eine Ausgliederung der letztgenannten Auflistungen der Tatdetails in das Wesentliche Ergebnis der Ermittlungen oder an andere Stelle der Anklage ist demnach mit § 200 Abs. 1 Satz 1, § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht vereinbar. Auf der Grundlage der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen brauchen diese Auflistungen, die regelmäßig in tabellarischer Form die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und - bei Vermögensdelikten - die jeweiligen Einzelschäden bestimmen und dadurch die Einzeltaten näher individualisieren, jedoch nicht in der Hauptverhandlung verlesen zu werden. Vorzulesen ist lediglich die - regelmäßig in Fließtext abgefasste - allgemeine Schilderung der gleichartigen Tatausführung, in der die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands dargelegt werden, die für alle Einzeltaten einheitlich gegeben sind.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten K. und M. wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Dezember 2008

a) aufgehoben, soweit der Angeklagte M. in den Fällen C. IV. in Verbindung mit den Tat-Nummern 211 bis 216 und 287 der Tabelle 7 der Urteilsgründe wegen Betruges verurteilt wurde, insoweit wird das Verfahren eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Angeklagten M. der Staatskasse zur Last;

b) im Schuldspruch im Hinblick auf den Angeklagten M. dahingehend geändert, dass der Angeklagte M. des Betruges in 362 Fällen schuldig ist;

c) hinsichtlich dieser beiden Angeklagten im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten K. und M. werden verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und den Angeklagten M. wegen Betruges in 369 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung des beschlagnahmten Servers der Marke D. (Ass. XV.12) angeordnet. Hiergegen wenden sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Revisionen haben den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen sind sie unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Soweit der Angeklagte M. in den Fällen C. IV. in Verbindung mit den Tat-Nummern 211 bis 216 und 287 der Tabelle 7 der Urteilsgründe verurteilt wurde, ist die Verurteilung aufzuheben und das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, da es insoweit an einer wirksamen Anklageerhebung fehlt.

a) Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

In der unverändert zugelassenen Anklage wurden den Angeklagten K. und M. sowie drei weiteren Mitangeklagten insgesamt etwa 1.400 Einzeltaten bzw. Teilakte von Einzeltaten im Zusammenhang mit der betrügerischen Akquisition von Werbeanzeigen zur Last gelegt. Der Anklagesatz schildert den Aufbau einer im Wesentlichen vom Angeklagten K. gesteuerten Firmenstruktur sowie die generelle Begehungsweise der Taten. Aufgeteilt nach den verschiedenen Angeklagten enthält der Anklagesatz Ausführungen zur "generellen Vorgehensweise bei den Betrugstaten", zur Gesamtzahl der den Angeklagten jeweils vorgeworfenen Taten und der ihnen jeweils zuzurechnenden Gesamtschäden. Außerdem ist der jeweilige Zeitrahmen genannt, in dem die Taten begangen wurden. Hinsichtlich sämtlicher anderer Einzelheiten ist unter der Überschrift "Einzeltaten und Schaden" auf (insgesamt neun) sog. "Anlagen zum wesentlichen Ermittlungsergebnis" verwiesen, die diese Angaben in Tabellenform enthalten, wobei die einzelnen Anlagen teilweise aufeinander Bezug nehmen.

Die dem Angeklagten M. zur Last liegenden Taten werden in der Anlage 3 angeführt, wobei eine Konkretisierung durch Verweis auf die Anlagen 1.1 bis 1.3 erfolgt. In der Anlage 1.3 fehlen insgesamt vier Seiten (Seiten 33 und 63 bis 65) mit genaueren Angaben zu 52 Einzeltaten, von denen sechs den Angeklagten M. betreffen.

In der Hauptverhandlung wurde der Anklagesatz verlesen, eine beabsichtigte Einführung der Anlagen im Selbstleseverfahren (§ 249 StPO) wurde nur teilweise durchgeführt.

b) Die Fälle C. IV. in Verbindung mit den Tat-Nummern 211 bis 216 der Tabelle 7 der Urteilsgründe (= Fälle 439, 441 bis 445 der Anlage 1.3 der Anklageschrift), wegen derer der Angeklagte M. unter anderem verurteilt wurde, waren nicht von der Anklage und daher auch nicht vom Eröffnungsbeschluss umfasst. Bei diesen Taten handelt es sich um solche, die auf der in der Anklage nicht enthaltenen Seite 33 der Anlage 1.3 aufgeführt waren. Der Verweis in der Anlage 3 der Anklageschrift betreffend den Angeklagten M. ging daher ins Leere. Eine hinreichende Konkretisierung dieser Taten erfolgte somit nicht. Diese Fälle sind daher nicht angeklagt.

Darüber hinaus wurde der Angeklagte M. im Fall C. IV. in Verbindung mit der Tat-Nummer 287 der Tabelle 7 der Urteilsgründe verurteilt. Diese Tat war in der Anlage 1.3 der Anklageschrift unter der Nummer 662 aufgeführt. In der Anlage 3 wird indes nicht auf die Nummer 662 der Anlage 1.3 verwiesen. Auch insoweit fehlt es an einer wirksamen Anklage.

2. Demgegenüber erfasst die Anklage hinsichtlich des Angeklagten K. auch die in der Anlage 1.3 auf Seite 33 und den Seiten 63 bis 65 näher konkretisierten 52 Einzeltaten, wenngleich diese Seiten weder in der Anklage enthalten, noch Gegenstand des Eröffnungsbeschlusses waren.

a) Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht bei dem Angeklagten K. - anders als noch die Anklage und der Eröffnungsbeschluss, die dem Angeklagten K. 1.335 vollendete und 63 versuchte jeweils i.S.v. § 53 StGB materiellrechtlich selbständige Betrugstaten zur Last gelegt haben - zu Recht unter dem Gesichtspunkt des uneigentlichen Organisationsdelikts die Verwirklichung von lediglich zwei Betrugstaten angenommen und den Angeklagten demgemäß verurteilt. Die einzelnen betrügerischen Vertragsabschlüsse, die durch die Mitarbeiter der Firmen des Angeklagten K. akquiriert worden waren, stellen insoweit lediglich unselbständige Teilakte der beiden Betrugstaten dar und waren Teil der insoweit angeklagten Lebenssachverhalte (§ 264 StPO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 342 f.). Sie waren daher von der Anklage umfasst, unabhängig davon, ob die Teilakte in der Anklageschrift ausdrücklich wiedergegeben waren. Demgemäß waren sie auch, ohne dass es einer ausdrücklichen Benennung bedurfte, vom Eröffnungsbeschluss erfasst.

b) Die durch die Teilakte verursachten Schäden konnten mithin auch zur Bestimmung des Schuldumfangs herangezogen werden. Dass ein - insoweit in entsprechender Anwendung von § 265 Abs. 1 und 4 StPO gebotener - Hinweis unterblieben sei, wird nicht gerügt. Auf einem Verstoß gegen die Hinweispflicht würde das Urteil auch nicht beruhen. Es kann ausgeschlossen werden, dass sich der Angeklagte, der die Vertragsabschlüsse in objektiver Hinsicht eingeräumt hat, anders als geschehen verteidigt hätte. Ohnehin wurden Blatt 63 bis 65 der Anlage 1.3 (= Nr. 882 bis 921 der Straftatenliste) in die Hauptverhandlung eingeführt und den Angeklagten und den Verteidigern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (Strafakten Band IV Blatt 59 f. und Blatt 80 f.).

II.

Auf der Grundlage des vorstehend unter I. 1. a) geschilderten Verfahrensgeschehens machen die Angeklagten mit ihren identischen Verfahrensrügen geltend, dass durch den allein verlesenen Anklagesatz (§ 243 Abs. 3 Satz 1 StPO) die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit mangels Konkretisierung der Einzeltaten nicht hinlänglich über den Verfahrensgegenstand informiert worden seien. Dieser Mangel sei hinsichtlich der Verfahrensbeteiligten, etwa der Schöffen, auch nicht durch ein ordnungsgemäßes Selbstleseverfahren kompensiert worden. Diese Rüge greift nicht durch.

1. Die Frage, ob der Anklagesatz den Anforderungen des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 StPO genügt, wenn einem Angeklagten eine große Zahl von Vermögensdelikten zur Last gelegt wird, die einem einheitlichen modus operandi folgen und im Anklagesatz, der allein in der Hauptverhandlung zu verlesen ist, neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt, die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie der Gesamtschaden bezeichnet werden und die Einzelheiten der Taten, d.h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und die jeweiligen Einzelschäden, ergänzend in einem anderen, nicht zu verlesenden Teil der Anklageschrift detailliert beschrieben sind, hat der Senat gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG - nach Anfrage bei den übrigen Strafsenaten (§ 132 Abs. 3 GVG) - dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zur Entscheidung vorgelegt.

Dieser hat mit Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10 - wie folgt entschieden:

"In Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tateinzelakte, die durch eine gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet sind, ist dem Erfordernis der Verlesung des Anklagesatzes i.S.d. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO Genüge getan, wenn dieser insoweit wörtlich vorgelesen wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten der Gesamtschaden bestimmt sind. Einer Verlesung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte bedarf es in diesem Fall nicht."

Demnach muss der konkrete Anklagesatz in den einschlägigen Verfahren einerseits die Schilderung der gleichartigen Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, die Bezifferung der Gesamtzahl der Taten, die Bestimmung des Tatzeitraums sowie bei Vermögensdelikten die Bezifferung des Gesamtschadens umfassen. Andererseits sind - nach wie vor - auch die Auflistung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder - namentlich in Fällen der Bewertungseinheit oder der uneigentlichen Organisationsdelikte - die Auflistung der Einzelakte der Taten Teil des Anklagesatzes. Eine Ausgliederung der letztgenannten Auflistungen der Tatdetails in das Wesentliche Ergebnis der Ermittlungen oder an andere Stelle der Anklage ist demnach mit § 200 Abs. 1 Satz 1, § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht vereinbar. Auf der Grundlage der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen brauchen diese Auflistungen, die regelmäßig in tabellarischer Form die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und - bei Vermögensdelikten - die jeweiligen Einzelschäden bestimmen und dadurch die Einzeltaten näher individualisieren, jedoch nicht in der Hauptverhandlung verlesen zu werden. Vorzulesen ist lediglich die - regelmäßig in Fließtext abgefasste - allgemeine Schilderung der gleichartigen Tatausführung, in der die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands dargelegt werden, die für alle Einzeltaten einheitlich gegeben sind.

2. Danach erweist sich die Rüge eines Verstoßes gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO als unbegründet. Der vom Großen Senat für Strafsachen für unerlässlich gehaltene Teil des Anklagesatzes wurde in der Hauptverhandlung verlesen.

Den Angeklagten lag eine Vielzahl gleichförmiger Taten bzw. Tateinzelakte zur Last, die durch eine gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet sind. Insoweit waren die Voraussetzungen gegeben, die nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen eine Beschränkung des in der Hauptverhandlung vorzulesenden Anklagesatzes auf die Schilderung der gleichartigen Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten der Gesamtschaden bestimmt sind, ermöglichte. Der in der Hauptverhandlung vorgelesene Anklagesatz genügte diesen Anforderungen.

3. Der Umstand, dass die näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte in Tabellen enthalten waren, die zwar Teil der Anklageschrift, aber nicht Teil des Anklagesatzes i.S.v. § 243 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 200 Abs. 1 StPO waren, stellt keinen Verfahrensfehler dar, auf 18 dem das Urteil beruht. Insoweit kann der Senat offen lassen, ob dieser Fehler (zulässig) gerügt ist.

a) Die unvollständige Fassung des Anklagesatzes stellt keinen Fehler dar, der dazu führen würde, dass die Umgrenzungsfunktion der Anklage nicht gewährleistet wäre. Auch wenn der Anklagesatz lückenhaft ist, erfüllt die Anklage die Umgrenzungsfunktion doch hinreichend, wenn der Angeklagte die einzelnen Tatvorwürfe dem Wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnehmen kann (BGH, Urteil vom 28. April 2006 - 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649). Dies ist hier durch die Bezugnahmen im Wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen auf die fraglichen Anlagen der Fall. Davon gehen auch die Revisionen aus.

b) Aufgrund der oben genannten Gründe waren diese näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte nicht in der Hauptverhandlung zu verlesen. Die Informationsfunktion, die der Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung zukommt, wird daher durch die unvollständige Fassung des Anklagesatzes bereits nicht berührt.

Darüber hinaus entfaltet die Anklage ihre Informationsfunktion gegenüber dem Angeklagten und seinem Verteidiger im Wesentlichen dadurch, dass sie vollumfänglich dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger alsbald nach Eingang durch den Vorsitzenden des Gerichts mitzuteilen ist (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO; vgl. BGH [GS], Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10 Rn. 25). Auch insoweit wirkt sich die vorliegende Fassung des Anklagesatzes nicht zum Nachteil der Angeklagten aus. Wenngleich die Einzeltaten nicht Gegenstand des Anklagesatzes waren, sondern in Tabellen aufgeführt wurden, die sich an anderer Stelle in der Anklage befanden, wurden die Angeklagten durch die Anklageschrift in ihrer Gesamtheit über die Einzelheiten des Anklagevorwurfs so ausreichend unterrichtet, dass Gelegenheit bestand, das Prozessverhalten hierauf einzustellen.

III.

Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten M. in den Fällen C. IV. in Verbindung mit den Tat-Nummern 211 bis 216 und 287 der Tabelle 7 der Urteilsgründe und die diesbezügliche Einstellung des Verfahrens nach § 206a Abs. 1 StPO bringt den Wegfall der für diese Taten verhängten Einzelstrafen mit sich. Darüber hinaus sind die weiteren gegen den Angeklagten M. verhängten Einzelstrafen sowie die gegen den Angeklagten K. verhängten Einzelstrafen aufzuheben. Diese wurden zwar durch das Landgericht rechtsfehlerfrei bemessen; indes bedingt der seit Erlass des landgerichtlichen Urteils verstrichene Zeitraum eine neue Strafzumessung.

Seit Verkündung des landgerichtlichen Urteils sind zwischenzeitlich mehr als zwei Jahre und drei Monate vergangen. Etwas mehr als fünf Monate entfielen dabei auf die Absetzung und Zustellung des Urteils sowie auf die Abfassung der Revisionsbegründungen, der diesbezüglichen Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft und der Antragsschriften des Generalbundesanwalts. Die Durchführung des Anfrage- und Vorlageverfahrens nach § 132 GVG nahm gut ein Jahr und vier Monate in Anspruch. Seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen mit Beschluss vom 12. Januar 2011 sind weitere zwei Monate vergangen, innerhalb derer der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen zugestellt und den Angeklagten die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wurde.

1. Vor diesem Hintergrund ist keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gegeben, die in Anwendung der Grundsätze der Vollstreckungslösung, durch Bestimmung eines als vollstreckt geltenden Teils der Gesamtfreiheitsstrafe zu kompensieren wäre (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124).

a) Die außerhalb des Anfrage- und Vorlageverfahrens verstrichenen Zeiträume resultieren im Wesentlichen aus gesetzlich vorgesehenen Fristen und den Verfahrensabläufen eines Revisionsverfahrens. Sie erweisen sich insoweit nicht als beanstandungswürdig (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 - 1 StR 445/03, NStZ 2004, 504, 505).

b) Daneben kann die Durchführung eines Vorlageverfahrens zum Großen Senat des Bundesgerichtshofs für Strafsachen nach § 132 GVG als solche regelmäßig eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht begründen. Wegen der großen Bedeutung der dem Großen Senat des Bundesgerichtshofs für Strafsachen vorgelegten Rechtsfragen und ihrer Schwierigkeit erfordert das vorausgehende Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG ebenso wie das Vorlageverfahren selbst eine eingehende und zeitintensive Befassung zunächst sämtlicher Strafsenate des Bundesgerichtshofs und sodann des Großen Senats des Bundesgerichtshofs für Strafsachen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 3 StR 61/02, NStZ-RR 2007 [bei Becker], 293).

2. Gleichwohl können die - an sich rechtsfehlerfrei bemessenen - Einzelstrafen keinen Bestand haben. Der Umstand, dass nach Erlass des tatrichterlichen Urteils ein nicht unerheblicher Zeitraum verstrichen ist, muss vorliegend zu Gunsten der Angeklagten strafmildernd Berücksichtigung finden, da sie dies nicht zu vertreten haben (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2006 - 3 StR 415/02, NStZ-RR 2006, 187, 188). Die seit den Taten vergangene Zeit und die aus der Verfahrensdauer resultierende Belastung für den Angeklagten stellen grundsätzlich einen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar. Diese Umstände konnte das Landgericht bei der Bemessung der Strafen nicht im gebotenen Umfang berücksichtigen, da sie zum Teil erst nach Erlass des tatrichterlichen Urteils entstanden sind. Sie sind nunmehr ergänzend festzustellen und in wertender Betrachtung bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen mildernd zu berücksichtigen (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 Rn. 55).

3. Die Feststellung dieser Umstände und deren Bewertung obliegt dem neuen Tatgericht. Eine in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1a StPO erfolgende Herabsetzung der Einzelstrafen durch den Senat scheidet vorliegend aus. In Anbetracht der von den Angeklagten vorgetragenen, aus der Zeit nach Erlass des tatgerichtlichen Urteils resultierenden Umstände, die im vorgenannten Sinne für die Bemessung der Strafe bedeutsam sein könnten, würde ein solches Vorgehen mit Blick auf das insoweit zu beachtende Verfahren (vgl. BVerfG NJW 2007, 2977, 2980 f.) im Vergleich zur Aufhebung und Zurückverweisung keine Beschleunigung darstellen.

4. Die Aufhebung der Einzelstrafen führt zum Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafen.

Einer Aufhebung der insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf es nicht. Diese sind unter Berücksichtigung der nunmehr zusätzlich zu treffenden Feststellungen durch das neue Tatgericht erneut zu werten.

IV.

Aufgrund der Teilaufhebung und Zurückverweisung erweist sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten K. gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung als gegenstandslos.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 497

Externe Fundstellen: NStZ 2011, 420

Bearbeiter: Karsten Gaede