HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 65
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: EGMR, Nr. 19359/04, Urteil v. 17.12.2009, HRRS 2010 Nr. 65
6. Der 1957 geborene Beschwerdeführer befindet sich derzeit in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt.
7. Seit Erreichen der Strafmündigkeit wurde der Beschwerdeführer mindestens sieben Mal verurteilt und verbrachte nur wenige Wochen in Freiheit.
8. Zwischen 1971 und 1975 wurde er wiederholt wegen gemeinschaftlichen Diebstahls und Einbruchs verurteilt. Er flüchtete vier Mal aus der Haft.
9. Am 5. Oktober 1977 verurteilte das Landgericht Kassel den Beschwerdeführer unter Anwendung des Jugendstrafrechts wegen versuchten Mordes, gemeinschaftlichen Raubes, gefährlicher Körperverletzung und räuberischer Erpressung zu sechs Jahren Jugendstrafe. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer etwa eine Woche nach seiner Haftentlassung gemeinsam mit einem Mittäter einen seiner Bekannten verletzt und ausgeraubt sowie sein Opfer - ein Homosexueller - gezwungen habe, einen Schuldschein zu unterschreiben. Des Weiteren habe er das Opfer einen Tag später verletzt und versucht, es umzubringen, als er erfahren habe, dass sein Opfer den Raub polizeilich angezeigt hatte. Unter Bezugnahme auf ein Gutachten der Sachverständigen D. befand das Gericht, dass der Beschwerdeführer an einer krankhaften seelischen Störung leide und demnach vermindert schuldfähig sei (§ 21 StGB).
10. Am 8. März 1979 verurteilte das Landgericht Wiesbaden den Beschwerdeführer wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und ordnete nach § 63 StGB seine anschließende Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an (siehe Rdnr. 47). Der Beschwerdeführer habe einen Vollzugsbeamten verletzt, indem er ihm einen schweren Metallkasten an den Kopf geworfen und mit einem Schraubenzieher auf ihn eingestochen habe, nachdem er verwarnt worden sei. Wie die Sachverständige D. bestätigt habe, leide der Beschwerdeführer an einer schweren krankhaften seelischen Störung, so dass er vermindert schuldfähig sei.
11. Am 9. Januar 1981 verurteilte das Landgericht Marburg den Beschwerdeführer im Berufungsrechtszug, weil er einen behinderten Mithäftling nach einer Diskussion darüber, ob das Zellenfenster geöffnet bleiben solle, tätlich angegriffen habe. Das Gericht verurteilte ihn unter Einbeziehung der vom Landgericht Wiesbaden am 8. März 1979 verhängten Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Des Weiteren erhielt es die Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus aufrecht. In dem Verfahren befand eine Sachverständige, dass es nicht länger Hinweise dafür gebe, dass der Beschwerdeführer an einer krankhaften Geistesstörung leide.
12. Am 17. November 1986 verurteilte das Landgericht Marburg den Beschwerdeführer wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Raub zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Außerdem ordnete es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB an (siehe Rdnrn. 49-50). Das Gericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Vollzugserleichterungen während seiner seit Oktober 1984 andauernden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die Frau, die sich bereit erklärt hatte, am 26. Juli 1985 ehrenamtlich einen Tag außerhalb des Krankenhauses in der Stadt mit ihm zu verbringen, ausgeraubt habe und versucht habe, sie zu ermorden. In Hinblick auf das Gutachten des neurologischen und psychiatrischen Sachverständigen W. befand das Gericht, dass der Beschwerdeführer zwar noch unter einer schweren seelischen Störung leide, diese aber keinen Krankheitswert mehr habe und nicht behandlungsbedürftig sei. Er habe daher nicht bei verminderter Schuldfähigkeit gehandelt und die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB lägen nicht mehr vor. Er weise jedoch eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen auf, die seine Opfer körperlich schwer schädigten. Es sei zu erwarten, dass sich derartige spontane Gewaltausbrüche wiederholten und der Beschwerdeführer gefährlich für die Allgemeinheit sei. Daher sei die Sicherungsverwahrung notwendig.
13. Seit dem 18. August 1991 befindet sich der Beschwerdeführer nach Verbüßung seiner gesamten Freiheitsstrafe in Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt.
14. Am 14. Januar 1992 lehnte das Landgericht Gießen es ab, die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung und im psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung auszusetzen. Es bezog sich dabei auf ein Gutachten des Sachverständigen M.-I., der zu dem Ergebnis gekommen war, dass es wahrscheinlich sei, dass der Beschwerdeführer weitere hangbedingte Straftaten i. S. des § 66 StGB begehen werde, während es nicht sehr wahrscheinlich sei, dass er zustandsbedingte Straftaten i. S. des § 63 StGB begehen werde.
15. Am 26. Oktober 1995 nutzte der Beschwerdeführer einen Tagesausgang zur Flucht, stellte sich jedoch am 17. November 1995 der Polizei.
16. Am 17. November 1998 lehnte es das Landgericht Marburg - wie zuvor am 20. September 1994 und am 13. November 1996 - ab, die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung und in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung auszusetzen. Es berücksichtigte dabei, dass der Beschwerdeführer, der sich zu jener Zeit zur Skinheadszene bekannte, in der Zwischenzeit einen Mithäftling angegriffen und ihm das Nasenbein gebrochen und den Leiter der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt massiv beleidigt hatte.
17. Am 10. April 2001 lehnte das Landgericht Marburg die Anträge des Beschwerdeführers ab, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die es am 17. November 1986 bzw. am 9. Januar 1981 angeordnet hatte, zur Bewährung auszusetzen. Unter Anwendung von § 67e Abs. 3 StGB (siehe Rdnr. 56) erklärte das Gericht es für unzulässig, vor Ablauf von 2 Jahren einen Antrag auf erneute Prüfung zu stellen.
18. In Anbetracht der früheren Verurteilungen des Beschwerdeführers und seines Verhaltens in Haft befand das Landgericht, dass nicht zu erwarten sei, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Freilassung keine weiteren erheblichen Straftaten mehr begehen werde (§ 67d Abs. 2 StGB, siehe Rdnr. 53). Das Gericht habe den Beschwerdeführer, der von einem Pflichtverteidiger vertreten wurde, persönlich angehört. Außerdem seien Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt und der Staatsanwaltschaft Marburg eingeholt worden, die sich beide dagegen ausgesprochen hätten, die Unterbringungen des Beschwerdeführers zur Bewährung auszusetzen. Das Gericht stimmte dem Gutachten des externen Sachverständigen für forensische Psychiatrie K. zu. Der Sachverständige sei der Ansicht gewesen, dass der Beschwerdeführer, der an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leide und einen hochgradigen Empathiemangel aufweise, was jedoch nicht als psychopathische Erkrankung angesehen werden könne, über mehrere Jahre beobachtet werden müsse, bevor angenommen werden könne, dass er für die Allgemeinheit nicht mehr gefährlich sei.
19. Das Landgericht erklärte, dass es die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung auch über den 8. September 2001 hinaus, wenn (nach Abzug der Zeit, die der Beschwerdeführer nach seiner Flucht in Freiheit verbracht hatte) zehn Jahre der Sicherungsverwahrung vollstreckt sein würden, anordne.
Die Verfassung stehe einer solchen Entscheidung nicht entgegen. Nach Auffassung des Gerichts sei die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 3 StGB in der Fassung von 1998 zulässig (siehe Rdnr. 53). Nach § 1a Abs. 3 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) in der Fassung von 1998 finde diese Bestimmung auch auf Gefangene Anwendung, deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vor der Gesetzesänderung angeordnet worden sei (siehe Rdnr. 54). Das Bundesverfassungsgericht habe eine Verfassungsbeschwerde, die diese Gesetzesänderung mittelbar betraf, nicht angenommen. Wegen der Schwere der begangenen und drohenden Delikte des Beschwerdeführers sei die weitere Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht unverhältnismäßig.
20. Was die Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus angehe, so sei sein Antrag verfrüht, da er momentan nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sei und eine Unterbringung auch nicht unmittelbar bevorstehe.
21. Am 26. Oktober 2001 änderte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Beschluss des Landgerichts Marburg ab und hob die am 9. Januar 1981 erfolgte Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus auf. Im Übrigen erhielt es den Beschluss des Landgerichts aufrecht, indem es entschied, die mit Urteil des Landgerichts Marburg vom 17. November 1986 angeordnete Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung nicht zur Bewährung auszusetzen, und ihre Vollstreckung auch nach Ablauf von zehn Jahren, über den 8. September 2001 hinaus anordnete. Das Gericht bestätigte, dass ein Antrag auf erneute Prüfung vor Ablauf von zwei Jahren unzulässig sei.
22. Das Oberlandesgericht befand, dass es für die Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einer psychiatrischen Klinik keinen Grund gebe. In Anbetracht der Sachverständigengutachten, die den Strafgerichten seit 1985 vorgelegt worden seien und eines neuen Gutachtens des Sachverständigen K., das vom Gericht selbst in Auftrag gegeben worden sei, sei es eindeutig, dass der Beschwerdeführer nicht mehr unter einer schweren seelischen Störung leide, die als krankhaft angesehen werden müsse.
23. In Bezug auf die Sicherungsverwahrung des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers schloss sich das Oberlandesgericht der Begründung des Landgerichts an und befand, dass die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers die weitere Unterbringung erfordere. Angesichts der von ihm begangenen und im Falle seiner Entlassung zu erwartenden Straftaten sei sein Verbleib in der Sicherungsverwahrung verhältnismäßig.
Mit einer wesentlichen Änderung der für die Unterbringung maßgeblichen Umstände sei vor Ablauf von zwei Jahren nicht zu rechnen (§ 67e Abs. 3 StGB).
24. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sei § 67d Abs. 3 StGB in der Fassung von 1998 verfassungsgemäß. Das Oberlandesgericht räumte zwar ein, dass sich die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt ihrer Anordnung spätestens nach einer zehnjährigen Vollstreckung erledigt hätte. § 2 Abs. 6 StGB (siehe Rdnr. 48) lasse die rückwirkende Verschlechterung der Situation des Beschwerdeführers jedoch insoweit zu, als Maßregeln der Besserung und Sicherung wie etwa die Sicherungsverwahrung betroffen seien. Solche Maßregeln seien nicht als Strafen anzusehen, sondern als Präventionsmaßnahmen und fielen daher nicht unter das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG (siehe Rdnr. 61).
25. Ebenso stehe das sich aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip ergebende allgemeine Rückwirkungsverbot der Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers nicht entgegen. Gewichtige Gründe des Gemeinwohls, nämlich der Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern, rechtfertigten im vorliegenden Fall die Annahme solcher rückwirkender Bestimmungen durch den Gesetzgeber.
26. Am 26. November 2001 erhob der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen die Beschlüsse, die seine weitere Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch nach Ablauf von zehn Jahren anordneten. Er brachte insbesondere vor, dass diese Beschlüsse auf § 67d Abs. 3 StGB in der Fassung von 1998 beruhten, durch den die Dauer der ersten Sicherungsverwahrung eines Verurteilten rückwirkend von maximal zehn Jahren auf eine unbefristete Zeitspanne verlängert werden könne. Damit verletze diese Bestimmung das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Verbot der rückwirkenden Bestrafung, das im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte allgemeine Rückwirkungsverbot, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und sein Recht auf Freiheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (siehe Rdnr. 57). Die angegriffene Bestimmung habe außerdem dazu geführt, dass ihm Vollzugslockerungen verweigert würden, durch die er eine positive Prognose hinsichtlich der Fortdauer seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit erlangen könnte. Folglich führe dies für ihn zu lebenslanger Haft ohne Aussicht auf Entlassung.
27. Am 5. Februar 2004 wies ein aus acht Richtern bestehender Senat des Bundesverfassungsgerichts nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch psychiatrische Sachverständige und die Leiter verschiedener Justizvollzugsanstalten angehört wurden, die Verfassungsbeschwerde (2 BvR 2029/01) des Beschwerdeführers als unbegründet zurück. In seinem ausführlich begründeten (84 Seiten langen) Leiturteil befand er, dass § 67d Abs. 3 StGB in Verbindung mit Art. 1a Abs. 3 EGStGB in der Fassung von 1998 mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
28. Das Bundesverfassungsgericht befand, dass die auf § 67d Abs. 3 beruhende Sicherungsverwahrung das Recht auf Freiheit nach Art. 2 Abs. 2 GG verhältnismäßig einschränke.
29. Das Gericht betonte, je länger eine Person in der Sicherungsverwahrung untergebracht sei, umso strenger seien die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Voraussetzungen für diesen Freiheitsentzug. § 67d Abs. 3 StGB trage jedoch der verstärkten Geltung des Freiheitsanspruchs nach zehnjähriger Verwahrdauer Rechnung. Die Bestimmung stelle erhöhte Anforderungen bezüglich des bedrohten Rechtsguts (Schutz nur vor Bedrohungen der seelischen oder körperlichen Unversehrtheit der Opfer) und des Nachweises der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers (belegt durch ein hinreichend substantiiertes Gutachten eines erfahrenen externen psychiatrischen Sachverständigen).
Sie mache außerdem die Erledigung der Unterbringung zur Regel, und die Verlängerung zur Ausnahme als letztmögliche Maßnahme. Des Weiteren sähen die Verfahrensvorschriften zur Sicherungsverwahrung (§§ 67c Abs. 1, 67d Abs. 2 und 3 und § 67e StGB) eine regelmäßige Überprüfung vor, ob die Unterbringung ausgesetzt oder beendet werden könne. Wegen der besonderen Bedeutung der Vollzugslockerungen für die Prognose der zukünftigen Gefährlichkeit dürfe das Vollstreckungsgericht es nicht akzeptieren, dass die Vollzugsbehörden ohne hinreichenden Grund die Gewährung von Vollzugslockerungen verweigerten, die die Erledigung einer Sicherungsverwahrung vorbereiten könnten.
30. Die Sicherungsverwahrung diene nicht der Vergeltung zurückliegender, sondern der Verhinderung zukünftiger Straftaten. Daher müssten die Länder sicherstellen, dass ein Sicherungsverwahrter die Möglichkeiten der Besserstellung im Vollzug soweit ausschöpfen könne, wie sich dies mit den Erfordernissen der Justizvollzugsanstalt vertrage.
31. Das Bundesverfassungsgericht befand weiter, dass § 67d Abs. 3 StGB in Verbindung mit Art. 1a Abs. 3 EGStGB nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße. Das in diesem Artikel enthaltene absolute Verbot der rückwirkenden Anwendung von Strafgesetzen umfasse nicht die im StGB vorgesehenen Maßregeln der Besserung und Sicherung, wie etwa die Sicherungsverwahrung.
32. Das Bundesverfassungsgericht legte die Begriffe "bestraft" und "Strafbarkeit" aus Art. 103 Abs. 2 GG so aus, dass der Artikel sich nur auf staatliche Maßnahmen erstrecke, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellten und mit der Verhängung einer Strafe zum Schuldausgleich einhergingen. In Anbetracht der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und des Zwecks von Art. 103 Abs. 2 gelte diese Bestimmung nicht für andere staatliche Maßnahmen, die in die Rechte einer Person eingriffen.
33. Insbesondere erstrecke sich Art. 103 Abs. 2 GG nicht auf die Maßregeln der Besserung und, Sicherung die immer schon als sich von der Strafe unterscheidende Maßnahmen im dualistischen System von Strafe und Maßregel des Strafgesetzbuchs verstanden worden seien. Die Tatsache, dass eine Maßnahme im Zusammenhang mit gesetzeswidrigem Verhalten stehe oder einen erheblichen Eingriff in das Recht auf Freiheit darstelle, reiche nicht aus. Im Gegensatz zur Strafe diene die Sicherungsverwahrung nicht dem Zweck, strafrechtliche Schuld zu sühnen, sondern sei eine reine Präventionsmaßnahme, die die Allgemeinheit vor einem gefährlichen Täter schütze. Daher unterfalle die Sicherungsverwahrung nicht dem Art. 103 Abs. 2, auch wenn sie im direkten Zusammenhang mit der Anlasstat stehe.
34. Das Bundesverfassungsgericht befand des Weiteren, in dieser Frage mit sechs zu zwei Stimmen, dass der Wegfall der Höchstfrist für eine erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung und die Anwendbarkeit der einschlägigen Vorschrift (§ 67d Abs. 3 StGB i. V. m. § 1a Abs. 3 EGStGB) auf Straftäter, bei denen die Sicherungsverwahrung vor Verkündigung und Inkrafttreten der Novelle angeordnet und noch nicht erledigt war, mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot im Einklang stünden (Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG, siehe Rdnr. 59).
35. Das Gericht betonte, dass § 67d Abs. 3 StGB in der geänderten Fassung die an die Tat anknüpfenden Rechtsfolgen, wie sie durch das erkennende Gericht im endgültigen Urteil festgelegt worden seien, nicht nachträglich ändere. Für die Entscheidung darüber, ob und wie lange eine verurteilte Person in der Sicherungsverwahrung verbleibe, seien schon immer die Vollstreckungsgerichte zuständig gewesen.
36. Durch die Höchstdauer einer erstmalig verhängten Sicherungsverwahrung, wie sie in der alten Fassung des § 67d Abs. 1 und 3 StGB vorgesehen war, hätten die Sicherungsverwahrten jedoch Grund zur Annahme gehabt, nach zehn Jahren entlassen zu werden. Nach § 2 Abs. 6 StGB (siehe Rdnr. 48) habe die Zehnjahresfrist aber wie alle anderen Regelungen über Maßregeln der Besserung und Sicherung von Anfang an unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Änderung gestanden.
37. Nach Abwägung der betroffenen Interessen schlussfolgerte das Bundesverfassungsgericht, dass die Pflicht des Gesetzgebers, die Allgemeinheit vor Eingriffen in Leben, Gesundheit und sexuelle Integrität zu schützen, schwerer wiege als das Vertrauen des Sicherungsverwahrten auf den Fortbestand der Zehnjahresfrist.
Da § 67d Abs. 3 StGB als Regel-Ausnahmevorschrift konzipiert sei, und angesichts der flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien, sei die rückwirkende Anwendung nicht unverhältnismäßig.
38. Des Weiteren befand das Bundesverfassungsgericht, dass aus der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Menschenwürde kein verfassungsrechtliches Gebot folge, eine Höchstfrist für den Vollzug der Sicherungsverwahrung festzusetzen. Die Würde der betreffenden Person werde auch durch eine langdauernde Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht verletzt, wenn diese wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Untergebrachten notwendig sei. Das Ziel der Sicherungsverwahrung müsse jedoch die Resozialisierung der Sicherungsverwahrten und die Schaffung der Voraussetzungen für ein verantwortliches Leben in Freiheit sein. Die Menschenwürde erfordere Gesetze und Vollzugsprogramme, die den Sicherungsverwahrten konkrete Aussicht darauf gäben, die Freiheit wieder zu erlangen.
39. Die Sicherungsverwahrung genüge diesen Anforderungen in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung.
Die Vollstreckungsgerichte müssten insbesondere vor Ablauf der Haftstrafe einer verurteilten Person (§ 67c Abs. 1 StGB) und anschließend mindestens alle zwei Jahre (§ 67e Abs. 2 StGB) untersuchen, ob die Maßnahme ausgesetzt werden könne. Seien zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärten die Gerichte die Maßregel nach § 67d Abs. 3 StGB für erledigt, sofern nicht die qualifizierte Gefahr fortbestehe. In der Praxis würden Sicherungsverwahrte entlassen, nachdem sie eine gewisse Zeit in der Vollzugsanstalt verbracht hätten.
40. Das Bundesverfassungsgericht stellte abschließend fest, dass das in Art. 101 Abs. 1 GG (siehe Rdnr. 60) enthaltene Verbot, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, keine Anwendung finde. § 67d Abs. 3 StGB mache eine alle Umstände des betreffenden Falls berücksichtigende gerichtliche Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nicht überflüssig.
41. In der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt sind Sicherungsverwahrte wie der Beschwerdeführer in einem von den Strafgefangenen getrennten Gebäude untergebracht. Im Vergleich zu Strafgefangenen genießen sie gewisse Privilegien. Beispielsweise sind sie berechtigt ihre eigene Kleidung zu tragen und zu waschen und erhalten ein erhöhtes Taschengeld. Sie können in getrennten Sporträumen Sport treiben und dürfen sich täglich mehrere Stunden im Hof aufhalten. Des Weiteren dürfen sie ihre - komfortableren - Zellen noch mit zusätzlichem Mobiliar und Geräten ausstatten und haben längere Besuchszeiten.
42. Bezüglich der Maßnahmen zur gesellschaftlichen Wiedereingliederung können die Sicherungsverwahrten der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt so wie die anderer Justizvollzugsanstalten an einer wöchentlichen Gesprächsgruppe teilnehmen, in der sie Anregungen für ihre Freizeitgestaltung und die Strukturierung ihres täglichen Lebens erhalten. Ferner werden persönliche Gespräche, die die Eingliederung des Sicherungsverwahrten in die Gruppe verbessern sollen, und 14-tägig ein Wohngruppenabend angeboten, der unter anderem dazu beitragen soll, die Sicherungsverwahrten dazu zu motivieren, die angebotenen Maßnahmen anzunehmen. Wenn es angezeigt ist, werden den Sicherungsverwahrten einzeltherapeutische Gespräche mit externen Therapeuten oder Gruppentherapien in der sozialtherapeutischen Einrichtung einer anderen Justizvollzugsanstalt angeboten. Die Sicherungsverwahrten dürfen sich auch an den zuständigen Psychologen oder Sozialarbeiter wenden, um Hilfe im Umgang mit Krisensituationen zu erhalten.
43. Der Beschwerdeführer erhielt seit seiner Unterbringung in Sicherungsverwahrung therapeutische Behandlung. Seit Anfang 1993 führte er Therapiegespräche mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt. Von September 2000 bis März 2003 führte er auch regelmäßige Therapiegespräche mit einem externen Psychologen. Eine Fortsetzung der abgeschlossenen Therapie wurde zu dem Zeitpunkt als nicht mehr angezeigt befunden. Des Weiteren wurde der Beschwerdeführer in regelmäßigen Abständen von Psychiatern untersucht, um seine Gefährlichkeit zu beurteilen und - soweit angemessen - Vollzugslockerungen zu gewähren. Im Rahmen der Vollzugslockerungen sind dem Beschwerdeführer derzeit einige Male im Jahr Ausführungen gestattet. Außerdem erhält er regelmäßige Besuche (durchschnittlich drei Mal pro Monat) von seiner Lebensgefährtin, mit der er seit 2005 verlobt ist.
Von einer kurzen Unterbrechung abgesehen, hat er in der Justizvollzugsanstalt stets gearbeitet und ist derzeit in der Metallwerkstatt der Justizvollzugsanstalt beschäftigt, wodurch er sich ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 350,- bis 543,- EUR erwirbt.
44. Laut eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und eines zusätzlichen psychologischen Gutachtens vom September 2006 habe der Beschwerdeführer wichtige Schritte in Richtung der gesellschaftlichen Wiedereingliederung gemacht, indem er sich von seiner kriminellen Identität, die er seit seiner Kindheit entwickelt hatte, abgewendet habe und versuche, erst zu denken und dann zu handeln. Die neue Beziehung zu seiner Verlobten könne zudem als weitere positive Entwicklung interpretiert werden, die auch seinen sozialen Empfangsraum im Falle einer Entlassung verbessern würde. Diese Tendenz sei allerdings noch nicht stabilisiert und sein Mangel an Loyalität und Empathie gegenüber anderen sowie seine gefährliche Impulsivität, die sich erneut gezeigt habe, als er einen Mithäftling 2005 nach einem Streit über eine Backform ins Gesicht geschlagen habe, seien nach wie vor vorhanden. Der Sachverständige empfahl, die aktuellen Vollzugslockerungsmaßnahmen beizubehalten und vorsichtig auszuweiten.
45. Das deutsche Strafgesetzbuch unterscheidet zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung, die als Reaktion auf rechtswidrige Handlungen verhängt werden. Dieses zweispurige Sanktionensystem, dessen Schaffung seit Ende des 19. Jahrhunderts in Betracht gezogen und diskutiert wurde, ist mit dem Gesetz vom 24. November 1933 gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung ("das Gewohnheitsverbrechergesetz") in das Strafgesetzbuch eingeführt worden. Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind im Wesentlichen ohne Änderung nach 1945 in Kraft geblieben und haben seit 1969 mehrere vom Gesetzgeber verabschiedete Reformen erfahren.
46. Die Strafen (§ 38 ff. StGB) umfassen insbesondere Freiheitsstrafen und Geldstrafen. Sie werden entsprechend der Schuld des Angeklagten zugemessen (§ 46 Abs. 1 StGB).
47. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 ff. StGB) umfassen grundsätzlich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB), die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) oder in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB). Diese Maßregeln sollen gefährliche Straftäter wieder eingliedern oder die Allgemeinheit vor ihnen schützen. Sie können zusätzlich zur Strafe gegen Straftäter verhängt werden (vgl. § 63 ff. StGB). Sie müssen jedoch im Verhältnis zur Schwere sowie der Gefährlichkeit der von den Angeklagten begangenen oder zu erwartenden Straftaten stehen (§ 62 StGB).
48. Die zeitliche Anwendbarkeit der Bestimmungen des Strafgesetzbuches ist unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um Strafen oder Maßregeln der Besserung und Sicherung handelt. Die Strafe bestimmt sich nach dem im Zeitpunkt der Begehung der Tat geltenden Gesetz (§ 2 Abs. 1 StGB); wird das bei Beendigung der Tat geltende Gesetz geändert, bevor die gerichtliche Entscheidung ergeht, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden (§ 2 Abs. 3). Hingegen ist über Maßregeln der Besserung und Sicherung, wenn gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt (§ 2 Abs. 6).
49. Bei der Verurteilung des Täters kann das erkennende Gericht in bestimmten Fällen dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung neben der Freiheitsstrafe anordnen, wenn diese Person sich als gefährlich für die Allgemeinheit herausgestellt hat (§ 66 StGB).
50. Das erkennende Gericht ordnet insbesondere dann zusätzlich zur Strafe die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an, wenn jemand wegen vorsätzlicher Straftaten zu mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, und wenn die folgenden Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind. Erstens muss der Täter wegen früherer vorsätzlicher Straftaten schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sein.
Zweitens muss der Täter für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer Maßregel der Besserung und Sicherung befunden haben;
Drittens muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge seines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 1).
51. In § 67c StGB ist die Unterbringung von Verurteilten in der Sicherungsverwahrung geregelt, wenn sie nicht unmittelbar nach Rechtskraft des Urteils vollstreckt wird, mit dem sie angeordnet wird. Absatz 1 dieser Bestimmung sieht vor, dass das Strafvollstreckungsgericht (d.h. eine spezielle Kammer des Landgerichts bestehend aus drei Berufsrichtern - §§ 78a und 78b Abs. 1 Nr. 1 Gerichtsverfassungsgesetz), wenn eine Freiheitsstrafe vor einer zugleich angeordneten Unterbringung in Sicherungsverwahrung vollzogen wird, vor dem Ende des Vollzugs dieser Strafe zu prüfen hat, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist dies nicht der Fall, so setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
52. Zu der Zeit, als der Beschwerdeführer die fragliche Tat beging und verurteilt wurde, lauteten die einschlägigen Passagen des § 67d StGB wie folgt:
"(1) Es dürfen nicht übersteigen die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwei Jahre und die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zehn Jahre. (...)
(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, sobald verantwortet werden kann zu erproben, ob der Untergebrachte [außerhalb des Maßregelvollzugs] keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
(3) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt."
53. § 67d StGB ist während der ersten Unterbringung des Beschwerdeführers in Sicherungsverwahrung durch das Gesetz vom 26. Januar 1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, in Kraft getreten am 31. Januar 1998, geändert worden. Die einschlägigen Passagen der neuen Bestimmung lauten wie folgt:
"(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. (...)
(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Erledigung tritt Führungsaufsicht ein."
54. Die einschlägigen Passagen des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch betreffend die Anwendbarkeit ratione temporis des § 67d StGB in seiner geänderten Fassung lauten wie folgt:
"(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung."
55. Was die nach § 67d Abs. 3 StGB erforderliche gerichtliche Überprüfung und die späteren Entscheidungen, die in § 67d Abs. 2 angesprochen werden, anbelangt, so verpflichtet § 463 Abs. 3 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten die Strafvollstreckungskammer, das Gutachten eines Sachverständigen zu der Frage einzuholen, ob von dem Verurteilten nach seiner Entlassung erhebliche Straftaten zu erwarten sind, sowie ihm einen Verteidiger zu bestellen.
56. Neben den §§ 67c Abs. 1 und 67d Abs. 2 und 3 StGB sieht § 67e StGB die Überprüfung der Unterbringung eines Verurteilten in Sicherungsverwahrung vor. Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen ist. Es muss dies vor Ablauf bestimmter Fristen prüfen (§ 67e Abs. 1). Diese Frist beträgt bei Sicherungsverwahrten zwei Jahre (§ 67e Abs. 2). Das Gericht kann diese Fristen kürzen, aber im Rahmen der gesetzlichen Prüfungsfristen auch Fristen festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag auf Prüfung unzulässig ist (§ 67e Abs. 3).
57. Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG bestimmt, dass die Freiheit der Person unverletzlich ist.
58. Nach Artikel 20 Abs. 3 GG ist die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden, während die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind.
59. Der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge schützt Artikel 2 Abs. 2 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG die berechtigen Erwartungen in einem Rechtsstaat. Ein Gesetz kann, ohne rechtliche Wirkung zu entfalten, solange es noch nicht verkündet ist, rückwirkend gelten, insofern als seine Definition Sachverhalte erfasst, die vor seiner Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind (die nach deutschen Recht sogenannte unechte Rückwirkung; siehe die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band 74, S. 242, und Band 105 S. 17 ff. und 37 ff.). Im Falle solcher rückwirkenden Gesetze überwiegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Schutzes der berechtigten Erwartungen nicht die Absicht des Gesetzgebers, die bestehende Rechtsordnung als Reaktion auf veränderte Gegebenheiten zu ändern. Der Gesetzgeber kann solche rückwirkenden Gesetze verabschieden, wenn ihre Bedeutung für das Gemeinwohl das Interesse am Schutz der berechtigten Erwartungen überwiegt (siehe das im vorliegenden Fall durch das Bundesverfassungsgericht ergangene Urteil, S. 70-73, mit zahlreichen Hinweisen auf seine Rechtsprechung).
60. Nach Artikel 101 Abs. 1 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
61. Nach Artikel 103 Abs. 2 GG darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
62. Das (Bundes)gesetz über den Vollzug der Strafen (Strafvollzugsgesetz) enthält die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafen und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 1 des Gesetzes). Dieses Gesetz fand bis zum 31. Dezember 2007 in allen Bundesländern Anwendung; seitdem sind diese befugt, diesen Bereich gesetzlich zu regeln. Soweit sie bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, unterscheiden sich die von den Ländern im Bereich der Vollstreckung der Anordnungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausgearbeiteten Bestimmungen nicht wesentlich von den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes.
63. § 2 StVollzG bezieht sich auf das durch den Vollzug der Freiheitsstrafe angestrebte Ziel. Im Vollzug soll der Gefangene fähig werden, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel; Satz 1). Der Vollzug einer solchen Strafe soll auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dienen (Satz 2).
64. Die §§ 129 bis 135 des Gesetzes beinhalten die besonderen Vorschriften über den Vollzug der angeordneten Sicherungsverwahrung. § 129 bestimmt, dass Sicherungsverwahrte zum Schutz der Allgemeinheit sicher untergebracht werden sollen (Satz 1). Diesen Personen soll geholfen werden, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern (Satz 2). Sofern nichts anderes bestimmt ist (in den §§ 131 bis 135 des Gesetzes), sind die Bestimmungen über den Vollzug der Freiheitsstrafen entsprechend auf die Sicherungsverwahrung anzuwenden (§ 130 des Gesetzes).
65. Nach § 131 des Gesetzes sollen die Ausstattung der Anstalten, in denen die Sicherungsverwahrten untergebracht sind, namentlich die Hafträume, und besondere zur Sicherstellung ihres Wohlbefindens getroffene Maßnahmen, den Untergebrachten helfen, ihr Leben in der Anstalt sinnvoll zu gestalten und sie vor den negativen Auswirkungen eines langen Freiheitsentzuges zu bewahren. Ihren persönlichen Bedürfnissen ist nach Möglichkeit Rechnung zu tragen. § 132 des Gesetzes bestimmt, dass die Untergebrachten eigene Kleidung tragen, eigene Wäsche und eigenes Bettzeug benutzen dürfen, wenn Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen und vorausgesetzt, dass sie für Reinigung, Instandsetzung und Wechsel auf eigene Kosten sorgen. Ferner wird den Untergebrachten nach § 133 des Gesetzes gestattet, sich gegen Entgelt selbst zu beschäftigen, wenn dies dazu dient, die für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung erforderlichen Fähigkeiten zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. Diese Untergebrachten erhalten auch Taschengeld. Nach § 134 des Gesetzes kann der Vollzug gelockert und Sonderurlaub bis zu einem Monat gewährt werden, um die Entlassung des Untergebrachten zu erproben und vorzubereiten.
66. § 140 Abs. 1 des Gesetzes bestimmt, dass die Sicherungsverwahrung entweder in getrennten Anstalten oder in getrennten Abteilungen einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Vollzugsanstalt vollzogen wird.
67. Laut der von der Regierung zur Verfügung gestellten Statistiken, die der Beschwerdeführer nicht bestritten hat, haben die erkennenden deutschen Gerichte im Jahr 2005 insgesamt 75 Unterbringungen in der Sicherungsverwahrung angeordnet, wobei es sich in 42 Fällen um Sexualstraftäter handelte. 415 Personen waren am 31. März 2007 insgesamt in Deutschland in der Sicherungsverwahrung untergebracht. Im Jahr 2002 betrug die durchschnittliche Dauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung je nach Bundesland zwischen zwei Jahren und drei Monaten und sieben Jahren. 261 erstmalig in Sicherungsverwahrung untergebrachte Personen waren ebenfalls im Jahr 2002 von dem Wegfall der Höchstfrist von zehn Jahren nach § 67d Abs. 3 StGB in der Fassung von 1998 in Verbindung mit § 1a Abs. 3 EGStGB betroffen. 2008 waren noch 70 Personen von dieser Gesetzesänderung betroffen und befanden sich seit mehr als zehn Jahren in Sicherungsverwahrung.
68. Den von der Regierung bereitgestellten Statistiken zufolge, die der Beschwerdeführer nicht bestritten hat, kamen 2006 in Deutschland 95 Gefangene auf 100.000 Einwohner, während es in Estland beispielsweise 333 pro 100.000 Einwohner, 185 in der Tschechischen Republik, 149 in Spanien, 148 in England und Wales, 85 in Frankreich, 83 in der Schweiz, 77 in Dänemark und 66 in Norwegen waren. Ferner betrug laut den Jahresstrafstatistiken des Europarates, Umfrage 2006 (Dok. PC-CP (2007) 9 prov.2 vom 12. Dezember 2007, S. 47 ), die Gesamtzahl der zu Freiheitsstrafen zwischen zehn Jahren und lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen am 1. September 2006 in Deutschland 2.907, in Estland 402, in der Tschechischen Republik 1.435, in Spanien 3.568, in England und Wales 12.049, in Frankreich 8.620, in Dänemark 172 und in Norwegen 184.
69. Den Informationen und Materialien des Gerichtshofs zufolge haben die Mitgliedstaaten des Europarates unterschiedliche Wege gewählt, um die Bevölkerung vor verurteilten Straftätern zu schützen, die zum Zeitpunkt der Begehung der Straftaten strafrechtlich voll verantwortlich waren (wie der Beschwerdeführer) und bei denen die Gefahr besteht, dass sie nach ihrer Haftentlassung weitere schwere Straftaten begehen und somit eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen.
70. Neben Deutschland haben mindestens sieben weitere Vertragsstaaten der Konvention Sicherungsverwahrungssysteme für verurteilte Straftäter vorgesehen, die nicht als psychisch krank gelten, d.h. Straftäter, die bei Begehung der Straftaten strafrechtlich voll verantwortlich waren und aufgrund der Rückfallneigung als gefährlich für die Allgemeinheit erachtet werden. Bei diesen Staaten handelt es sich um Österreich (siehe §§ 23 ff. und 47 ff. des österreichischen Strafgesetzbuches sowie §§ 435 ff. der österreichischen Strafprozessordnung), Dänemark (Artikel 70 ff. des dänischen Strafgesetzbuches), Italien (Artikel 199 ff. des italienischen Strafgesetzbuches), Liechtenstein (§§ 23 ff. und § 47 des liechtensteinischen Strafgesetzbuches und §§ 345 ff. der liechtensteinischen Strafprozessordung), San Marino (Artikel 121 ff. des san-marinesischen Strafgesetzbuches), die Slowakei (§§ 81 und 82 des slowakischen Strafgesetzbuches) und die Schweiz (Artikel 56 ff. des schweizerischen Strafgesetzbuches). In diesen Staaten wird die Sicherungsverwahrung in der Regel von den erkennenden Gerichten angeordnet und im Allgemeinen vollstreckt, wenn die betroffenen Personen ihre Freiheitsstrafe verbüßt haben (mit Ausnahme Dänemarks, wo die Sicherungsverwahrung anstelle einer Freiheitsstrafe angeordnet wird). Die Gefährlichkeit der Gefangenen wird in regelmäßigen Zeitabständen überprüft und sie werden unter der Bedingung auf freien Fuß gesetzt, dass sie für die Allgemeinheit keine Gefahr mehr darstellen.
71. Im Hinblick auf den Ort und die Dauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung werden die betroffenen Personen in Österreich (§ 23 des österreichischen Strafgesetzbuches), in Liechtenstein (§ 23 des liechtensteinischen Strafgesetzbuches), in San Marino (Artikel 121 ff. des san-marinesischen Strafgesetzbuches), in der Slowakei (§ 81 des slowakischen Strafgesetzbuches) und in der Schweiz (Artikel 64 des schweizerischen Strafgesetzbuches) in speziellen Anstalten untergebracht. Zwar ist die Sicherungsverwahrung auch nach italienischem Recht in speziellen Anstalten zu verbüßen (s. Artikel 215 ff. des italienischen Strafgesetzbuches), die Praxis zeigt aber, dass es derartige Einrichtungen nicht mehr gibt und die betroffenen Personen im Rahmen einer speziellen Haftregelung in regulären Gefängnissen untergebracht werden. In Dänemark werden sicherungsverwahrte gefährliche Straftäter ebenfalls in regulären Gefängnissen im Rahmen einer speziellen Haftregelung untergebracht. In Dänemark, Italien, San Marino, der Slowakei (s. die ausdrücklichen Bestimmungen des § 82 Abs. 2 des slowakischen Strafgesetzbuches) sowie der Schweiz sehen die anwendbaren Bestimmungen keine Begrenzung der Dauer der Sicherungsverwahrung vor. Dagegen darf diese Art der Unterbringung in Österreich und Liechtenstein nicht länger als zehn Jahre dauern (§ 25 Abs. 1 des österreichischen und liechtensteinischen Strafgesetzbuches).
72. Im Hinblick auf die zeitliche Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung ist zu bemerken, dass sie nach dem Wortlaut der geltenden Bestimmungen in einigen der betroffenen Staaten rückwirkend sein kann. Daher müssen aufgrund von Artikel 200 des italienischen Strafgesetzbuches Entscheidungen, mit denen Sicherungsmaßregeln angeordnet werden, auf den zum Zeitpunkt der Vollstreckung der Maßregeln geltenden Rechtsvorschriften beruhen und nach § 2 Abs. 3 des slowakischen Strafgesetzbuches müssen solche Maßregeln auf dem Recht beruhen, das zu dem Zeitpunkt gilt, zu dem sie angeordnet werden. Nach Artikel 4 Abs. 1 des dänischen Strafgesetzbuches wird die Frage, ob eine Straftat Sicherungsverwahrung nach sich ziehen soll, durch die Anwendung des Rechts entschieden, das zu dem Zeitpunkt gilt, zu dem das Urteil in dem Strafverfahren ergeht. Auch das san-marinesische Strafgesetzbuch untersagt eine rückwirkende Anwendung der Sicherungsmaßregeln nicht. Dagegen scheint eine rückwirkende Anwendung im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung sowohl von den §§ 23 Abs. 1 ff. des österreichischen und liechtensteinischen Strafgesetzbuches als auch nach schweizerischem Recht untersagt zu sein.
73. In zahlreichen weiteren Vertragsstaaten der Konvention gibt es keine Sicherungsverwahrungssysteme und die Gefährlichkeit der Straftäter wird sowohl bei der Bemessung der Strafe als auch bei deren Vollstreckung bewertet. Einerseits werden die Freiheitsstrafen je nach Gefährlichkeit der Straftäter insbesondere bei Rückfalltätern erhöht. Hierzu ist zu bemerken, dass die erkennenden Gerichte im Vereinigten Königreich im Gegensatz zu der Praxis der Gerichte in den meisten Vertragsstaaten ausdrücklich zwischen dem strafenden und dem präventiven Teil einer lebenslangen Strafe unterscheiden. Die im Hinblick auf die Vergeltung festgelegte Zeitspanne ("tariff") spiegelt die Bestrafung des Straftäters wider. Nach Verbüßung des auf die Vergeltung bezogenen Teils der Strafe gilt, dass ein Gefangener den präventiven Teil seiner Strafe verbüßt; er kann unter der Bedingung auf Bewährung freigelassen werden, dass er keine Bedrohung für die Gesellschaft darstellt (s. u.a. die Artikel 269 und 277 des Gesetzes von 2003 über die Strafjustiz (Criminal Justice Act) und Artikel 28 des Gesetzes über Strafurteile (Crime (Sentences) Act) von 1997). Andererseits beeinflusst die Gefährlichkeit der Straftäter in aller Regel ihre Haftbedingungen sowie ihre Aussichten, in den Genuss einer Herabsetzung ihrer Strafe oder einer Haftentlassung auf Bewährung zu kommen.
74. Im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Strafen und Sicherungsmaßregeln in den Vertragsstaaten der Konvention sowie der Folgen, die sich aus der Einstufung der in Rede stehenden Sanktion ergeben, ist zu bemerken, dass ein und derselbe Maßregeltyp in einem Staat als zusätzliche Strafe und in einem anderen Staat als Sicherungsmaßregel eingestuft werden kann. Die Überwachung der Führung einer Person nach ihrer Entlassung gilt beispielweise nach den Artikeln 131-36-1 ff. des französischen Strafgesetzbuches als eine zusätzliche Strafe und nach den Artikeln 215 und 228 des italienischen Strafgesetzbuches als eine Sicherungsmaßregel.
75. Zudem hat das Gesetz vom 25. Februar 2008 über die Sicherungsverwahrung und die Erklärung der Strafunmündigkeit wegen psychischer Störung die Sicherungsverwahrung in das französische Recht eingeführt. Aufgrund von Artikel 706-53-13 der französischen Strafprozessordnung kann diese Maßregel gegenüber besonders gefährlichen Straftätern angeordnet werden, die eine sehr hohe Rückfallwahrscheinlichkeit aufweisen, da sie unter schweren Persönlichkeitsstörungen leiden. In seiner Entscheidung vom 21. Februar 2008 (Nr. 2008-562 DC, Journal officiel vom 26. Februar 2008, S. 3272) hat der französische Verfassungsrat entschieden, dass die Sicherungsverwahrung nicht auf der Schuld der verurteilten Person beruht, sondern das Ziel hat, die Täter daran zu hindern, rückfällig zu werden, und dass diese Maßregel somit keine Strafe darstellt (Rdnr. 9 der Entscheidung). Er hat sich daher insoweit genau dem Standpunkt angeschlossen, den das deutsche Bundesverfassungsgericht zur Sicherungsverwahrung vertritt (siehe Rdnrn. 31-33). Gleichwohl vertrat der französische Verfassungsrat die Auffassung, dass die Sicherungsverwahrung im Anschluss an die Verbüßung der Freiheitsstrafe im Hinblick auf ihre freiheitsentziehende Art, die Dauer des Freiheitsentzugs, die Möglichkeit, sie unbegrenzt zu verlängern, und die Tatsache, dass sie im Anschluss an eine Verurteilung durch ein Gericht ausgesprochen wird, nicht rückwirkend auf Personen angewandt werden dürfe, die wegen Straftaten verurteilt wurden, die vor der Veröffentlichung des Gesetzes begangen wurden (Rdnr. 10 der Entscheidung). In diesem Punkt weicht seine Schlussfolgerung von der des Bundesverfassungsgerichts ab (siehe Rdnrn. 31-33 und 34-37).
76. In seinem Bericht über seinen Besuch in Deutschland vom 9. bis zum 11. und vom 15. bis zum 18. Oktober 2006 (CommDH (2007) 14 vom 11. Juli 2007) hat der Menschenrechtskommissar des Europarats, Herr Thomas Hammarberg, Folgendes zur Sicherungsverwahrung erklärt:
203. Während seines Besuchs hat der Kommissar das Thema der Sicherungsverwahrung mit mehreren Länderbehörden, Richtern und Medizinexperten diskutiert. Der Kommissar ist sich des öffentlichen Drucks bewusst, dem Richter und Ärzte ausgesetzt sind, wenn sie Entscheidungen über die Freilassung einer Person treffen, die möglicherweise ein schweres Verbrechen begehen könnte. Es kann unmöglich mit hundertprozentiger Sicherheit vorhergesagt werden, ob eine Person tatsächlich rückfällig wird. Eine inhaftierte Person, die sich außerhalb der Gefängnismauern möglicherweise anders verhalten kann als während der Haft, wird regelmäßig von Psychiatern beurteilt. Außerdem ist es schwierig, im Vorfeld alle Bedingungen abzusehen, mit denen der Straftäter außerhalb der Haftanstalt konfrontiert sein wird.
204. Der Kommissar ruft zu einer äußerst besonnenen Anwendung der Sicherungsverwahrung auf. Bevor auf die Sicherungsverwahrung zurückgegriffen wird, sollen auch alternative Maßnahmen geprüft werden. Der Kommissar ist besorgt über die steigende Zahl von Personen, denen im Rahmen der Sicherungsverwahrung die Freiheit entzogen wird. Er ermuntert die deutschen Behörden, unabhängige Studien über die Implementierung der Sicherungsverwahrung in Auftrag zu geben, um diese Maßnahme unter dem Aspekt des Schutzes der Allgemeinheit und der Auswirkung der Maßnahme auf die inhaftierte Person zu bewerten. (...)
206. Ferner wurde der Kommissar darüber unterrichtet, dass in Sicherungsverwahrung befindliche Personen immer wieder ihre Zukunftsperspektive verlieren und sich selbst aufgeben. Daraus erwächst der Ruf nach psychologischer oder psychiatrischer Betreuung. Die Meinungen der Mediziner können zwar gelegentlich hinsichtlich der Effizienz der Betreuung von Personen in Sicherungsverwahrung auseinander gehen, doch die Möglichkeit ihrer eventuellen Rehabilitierung und Freilassung darf nicht ausgeschlossen werden. Folglich soll den in Sicherungsverwahrung befindlichen Personen eine angemessene medizinische Behandlung oder sonstige Betreuung, die ihrer besonderen Situation gerecht wird, zur Verfügung stehen. "
77. In seinem Bericht an die deutsche Regierung über seinen Besuch in Deutschland vom 20. November bis zum 2. Dezember 2005 (CPT (CPT/Inf (2007) 18 vom 18. April 2007) hat der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (der CPT) nachstehende Schlussfolgerungen über die Sicherungsverwahrungsabteilung in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel dargelegt:
"94. Die materiellen Bedingungen in der Abteilung hatten einen hohen oder sogar sehr hohen Standard, wobei einige Dinge besonders positiv waren: gut ausgestattete Einzelhafträume mit Sanitärbereich, ein heller und verhältnismäßig geräumiger Gemeinschaftsbereich, eine kleine Küche, die so ausgestattet war, dass sich die Häftlinge heiße Getränke und kleine Gerichte zubereiten konnten, und einen Bereich, in dem Wäsche gewaschen, getrocknet und gebügelt werden konnte.
95. Prinzipiell hatten die Gefangenen dieselben Betätigungsmöglichkeiten wie normale Gefangene (in Bezug auf Arbeit, Weiterbildung etc.) Außerdem genossen die Gefangenen gemäß der einschlägigen Rechtsvorschriften eine Reihe besonderer Privilegien. Insbesondere waren die Zellentüren den ganzen Tag über geöffnet und den Häftlingen wurden zusätzliche Besuchszeiten (zwei Stunden anstatt einer Stunde pro Monat), Bewegung im Freien (vier Stunden anstatt eine Stunde an Nicht-Werktagen), Zustellung von Pakete (sechs anstatt drei pro Jahr) und Taschengeld (wenn es keine Arbeit gab) gewährt. Es ist auch erwähnenswert, dass die Gefangenen das Telefon unbegrenzt benutzen konnten.
96. Zumindest in der Theorie bot die Abteilung Möglichkeiten für eine positive Haftumgebung. Es waren jedoch nicht alle Gefangenen in der Lage, diese Möglichkeiten voll zu nutzen, was auch nicht verwunderlich war, wenn man in Betracht zieht, dass laut medizinischem Personal die meisten, wenn nicht alle Gefangenen an multipler Persönlichkeitsstörung litten. Die große Mehrheit der Gefangenen war vollkommen demotiviert, nur zwei bewegten sich im Freien, drei arbeiteten Vollzeit und einer Teilzeit. Zwölf Gefangenen wurde Arbeit angeboten, die sie jedoch ablehnten. Deshalb verbrachten die meisten Gefangenen ihre Zeit träge und alleine in ihren Zellen und beschäftigten sich mit Fernsehen oder Videospielen.
Selbst die Häftlinge, die anscheinend die Verantwortung für ihren Alltag in der Abteilung übernahmen und damit umgehen konnten, betrachteten die Betätigungen als Strategie zum Zeitvertreib, ohne eigentlichen Zweck. Erwartungsgemäß schien dies im Zusammenhang mit ihrer unbegrenzten Sicherungsverwahrung zu stehen. Mehrere Gefangene erklärten im Gespräch deutlich, dass sie glaubten, nie mehr freizukommen, und einer sagte, er könne sich nur noch auf den Tod vorbereiten.
97. Laut Anstaltsleitung hielt sich das Personal an besondere Behandlungskriterien, mit dem Ziel der Entlassung des Einzelnen aus der Sicherungsverwahrung; der Schwerpunkt liege darauf, das Risiko für die Allgemeinheit zu minimieren, sowie sich mit den physischen und psychologischen Auswirkungen der Langzeithaft zu befassen. Die Delegation konnte jedoch beobachten, dass das Personal (einschließlich des Sozialarbeiters) in dieser Abteilung in der Praxis eher durch Abwesenheit auffiel, so dass der Kontakt zwischen Personal und Gefangenen minimal war. (...)
99. Auch in Bezug auf die anderen Häftlinge, die mit ihrer Situation offenbar besser zurechtkamen, war das mangelnde Engagement des Personals in der Abteilung nicht zu rechtfertigen. Den Gefangenen Verantwortung zu übertragen und einen gewissen Grad an Unabhängigkeit zu gewähren, bedeutet nicht, dass das Personal die Häftlinge sich selbst überlassen sollte. Die Fürsorgepflicht kann nicht ignoriert werden, insbesondere bei einer so besonderen Häftlingsgruppe. Die Delegation hatte den deutlichen Eindruck, dass dem Personal selbst nicht klar war, wie es seine Arbeit mit diesen Gefangenen angehen sollte. Neben der Notwendigkeit, die Gefangenen zu befähigen, ihr Leben in der Haft selbst in die Hand zu nehmen, muss ihnen auch andauernde Unterstützung im Umgang mit der unbegrenzten Haft sowie eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen ihrer schwerwiegenden Vergangenheit, die von abscheulichem Verhalten und offensichtlichen psychischen Problemen geprägt war, zuteil werden. Die psychologische Betreuung und Unterstützung schien äußerst unzureichend zu sein; der CPT empfiehlt, Sofortmaßnahmen einzuleiten, um dieses Defizit zu beheben.
100. Die schwierige Frage, wie eine humane und kohärente Behandlungstrategie für Personen in der Sicherungsverwahrung in der Praxis umgesetzt werden kann, muss auf höchster Ebene und mit hoher Dringlichkeit behandelt werden. Die Arbeit mit dieser Häftlingsgruppe ist zwangsläufig eine der schwierigsten Herausforderungen für das Vollzugspersonal.
Aufgrund des potentiell unbegrenzten Aufenthalts der geringen (aber zunehmenden) Anzahl von Sicherungsverwahrten muss eine besonders klare Vorstellung davon bestehen, was die Ziele in dieser Abteilung sind und wie sie realistischerweise erreicht werden können. Dieser Ansatz erfordert ein hohes Maß an Betreuung durch ein multidisziplinäres Team sowie intensive und individuelle Arbeit mit den Gefangenen (durch unverzüglich zu erstellende individuelle Pläne). Dies muss in einem kohärenten Rahmen stattfinden, der Fortschritte in Richtung Entlassung ermöglicht, wobei die Entlassung eine realistische Möglichkeit sein sollte. Das System sollte es auch ermöglichen, familiäre Kontakte aufrecht zu erhalten, wenn dies angemessen ist.
Der CPT empfiehlt den deutschen Behörden, eine umgehende Überprüfung des Vorgehens bei der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Tegel und ggf. in anderen deutschen Einrichtungen, in denen in Sicherheitsverwahrung genommene Personen untergebracht sind, im Lichte der obigen Bemerkungen einzuleiten."
78. In seinen bei seiner Tagung vom 7. bis 25. Juli 2008 verabschiedeten Schlussbemerkungen über den von Frankreich nach Artikel 40 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR, CCPR/C/FRA/CO/4 vom 31. Juli 2008) vorgelegten Bericht hat der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen erklärt:
"16. Der Ausschuss ist darüber besorgt, dass die Vertragspartei aufgrund des Gesetzes Nr. 2008/174 (25. Februar 2008) befugt ist, strafrechtlich verurteilte Personen aufgrund ihrer "Gefährlichkeit" nach Verbüßung der ursprünglich ausgesprochenen Gefängnisstrafe über einen jeweils um ein Jahr verlängerbaren Zeitraum in Sicherungsverwahrung (rétention de sureté) unterzubringen. Auch wenn der Verfassungsrat die rückwirkende Anwendung dieser Bestimmung untersagt hat und der Richter, der eine Person verurteilt, die einer Straftat beschuldigt wird, die Möglichkeit ins Auge fasst, die zukünftige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zum Zeitpunkt der Aburteilung der Sache anzuordnen, ist der Ausschuss gleichwohl der Auffassung, dass die Praxis weiterhin Probleme im Hinblick auf die Artikel 9, 14 und 15 des Paktes aufwerfen könnte."
79. Der Beschwerdeführer rügte, dass die Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung über die zehn Jahre hinaus, die nach den zur Tat- und Urteilszeit geltenden Rechtsvorschriften die Höchstdauer einer solchen Haft darstellten, Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verletze, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:
"Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a) rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht; ...
c) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern; ...
e) rechtmäßige Freiheitsentziehung mit dem Ziel, die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;"
80. Dies wurde von der Regierung bestritten.
81. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass seine Sicherungsverwahrung nicht unter Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a der Konvention falle. Zwischen der Fortdauer seiner Freiheitsentziehung nach zehn Jahren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und seiner Verurteilung im Jahre 1986 bestehe kein hinreichender Kausalzusammenhang. Als das Landgericht Marburg 1986 seine Sicherungsverwahrung angeordnet habe, habe diese Art der Freiheitsentziehung nach den anwendbaren Rechtsvorschriften höchstens zehn Jahre dauern dürfen.
Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht Marburg seine Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hätte, wenn es gewusst hätte, dass diese Maßnahme mehr als zehn Jahre in Kraft bleiben könnte. Die Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung nach Ablauf von zehn Jahren beruhe daher allein auf der Gesetzesänderung im Jahre 1998, mit der die Höchstdauer der erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgehoben worden sei, und nicht mehr auf seiner Verurteilung im Jahre 1986. Hätte es keine Gesetzesänderung gegeben, wäre er 2001 automatisch entlassen worden, und das Vollstreckungsgericht wäre nicht befugt gewesen, die Verlängerung seiner Sicherungswahrung anzuordnen. In Anbetracht der zum Zeitpunkt seiner Verurteilung gesetzlich festgelegten absoluten Befristung der erstmaligen Sicherungsverwahrung werfe die Gesetzesänderung, mit der die Höchstdauer aufgehoben worden sei, die Frage auf, ob die Sicherungsverwahrung überhaupt Anwendung finden solle, und betreffe nicht nur die Regelungen für ihre Vollstreckung, so dass der ursächliche Zusammenhang zwischen seiner Verurteilung und seiner Sicherungsverwahrung nach zehn Jahren Unterbringung nicht mehr gegeben sei.
82. Der Beschwerdeführer vertrat weiter die Ansicht, dass seine Freiheitsentziehung entgegen den Erfordernissen aus Artikel 5 Abs. 1 weder "rechtmäßig" noch "auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise" erfolgt sei. Im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht hielten viele Rechtswissenschaftler die Sicherungsverwahrung und die Aufhebung ihrer Befristung auf höchstens zehn Jahre bei erstmaliger Anordnung für verfassungswidrig.
Die Höchstdauer einer erstmaligen Sicherungsverwahrung sei gesetzlich festgelegt gewesen. Als er seine Straftat begangen habe, habe er nicht vorhersehen können, dass diese Höchstdauer zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich bereits in Sicherungsverwahrung befunden habe, mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden würde und dass er für einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden könnte. Sein Recht auf rechtmäßige Freiheitsentziehung könne nicht gegen Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit abgewogen werden.
83. Die Regierung vertrat die Ansicht, dass die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a der Konvention entspreche. Die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers nach Ablauf von zehn Jahren sei "nach Verurteilung" erfolgt, da es immer noch einen hinreichenden Kausalzusammenhang zwischen seiner ursprünglichen Verurteilung und der Freiheitsentziehung gebe. In seinem Urteil vom 17. November 1986 habe das Landgericht Marburg den Beschwerdeführer zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und ohne Bezugnahme auf eine Höchstfrist Sicherungsverwahrung gegen ihn angeordnet. Nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs habe das Landgericht Marburg bei seinem Urteil darüber zu entscheiden gehabt, ob eine Maßregel der Sicherung angeordnet werden solle oder nicht, aber das für die Strafvollstreckung zuständige Landgericht sei für die Entscheidung über die Vollstreckung dieser Maßregel, insbesondere über die Dauer der Sicherungsverwahrung einer verurteilten Person, zuständig gewesen. Daher seien sowohl das erkennende Gericht als auch das Vollstreckungsgericht an der "Verurteilung" des Beschwerdeführers "durch ein zuständiges Gericht" beteiligt gewesen. Nach § 2 Abs. 6 StGB (siehe Rdnr. 48) habe es dem Gesetzgeber immer freigestanden, die Sicherungsverwahrung ohne Befristung mit sofortiger Wirkung erneut einzuführen. In Anbetracht dessen sei der Kausalzusammenhang zwischen der ursprünglichen Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahre 1986 und der Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung nicht durch die nachfolgende Aufhebung der Befristung der erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durchbrochen worden.
84. Die Regierung vertrat weiter die Ansicht, dass die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, wie in Artikel 5 Abs. 1 vorgeschrieben, "rechtmäßig" und "auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise" erfolgt sei. Die innerstaatlichen Gerichte hätten die Übereinstimmung der weiteren Haft des Beschwerdeführers mit dem innerstaatlichem Recht bestätigt. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers beruhe seine Sicherungsverwahrung nicht ausschließlich auf der Änderung von § 67d StGB, sondern sei vom Landgericht Marburg im April 2001 gemäß dem in der Strafprozessordnung festgelegten Verfahren angeordnet worden. Sie erfülle auch das Kriterium der Vorhersehbarkeit. Die Befristung einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung müsse zum Zeitpunkt der Begehung der Tat nicht vorhersehbar sein, da die Gefährlichkeit eines Täters nicht notwendigerweise nach einem bestimmten Zeitraum ende. Auch habe der Beschwerdeführer nicht die berechtigte Erwartung haben können, dass die Befristung einer erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht aufgehoben werden würde, nicht zuletzt deshalb, weil dem Schutz der Gesellschaft stärkeres Gewicht zuzumessen sei als einer solchen Erwartung. Nach § 6 Abs. 2 StGB sei über Maßregeln der Besserung und Sicherung nach den Vorschriften zu entscheiden gewesen, die zur Zeit der Entscheidung (sowohl der Entscheidung des erkennenden Gerichts als auch der Entscheidungen der Vollstreckungsgerichte) gegolten hätten, und nicht nach den Vorschriften, die zur Zeit der Begehung der Tat anwendbar gewesen seien. Daher sei klar gewesen, dass der Gesetzgeber die Gerichte jederzeit ermächtigen könne, die Sicherungsverwahrung für einen unbestimmten Zeitraum anzuordnen. Darüber hinaus habe es zahlreiche Bemühungen gegeben, die erst 1975 eingeführte Befristung einer erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wieder aufzuheben.
85. Darüber hinaus brachte die Regierung vor, die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers sei nicht willkürlich, denn die Anordnung einer zehn Jahre überschreitenden Sicherungsverwahrung durch die Vollstreckungsgerichte erfolge nur als Ausnahme von der Regel, dass die Maßnahme dann beendet sei, und auf der Grundlage, dass ihre Verlängerung nur möglich sei, wenn die Gefahr bestehe, dass der Betroffene schwere Sexual- oder Gewaltstraftaten begehen werde.
86. Eine erschöpfende Liste zulässiger Gründe für die Freiheitsentziehung ist in Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a bis f enthalten, und eine Freiheitsentziehung kann nur rechtmäßig sein, wenn sie von einem dieser Gründe erfasst wird (siehe u. a. Guzzardi ./. Italien, 6. November 1980, Rdnr. 96, Serie A Band 39; Witold Litwa ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 26629/95, Rdnr. 49, ECHR 2000-III; und Saadi ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 13299/03, Rdnr. 43, ECHR 2008-...). Die Anwendbarkeit eines Grundes schließt jedoch nicht notwendigerweise die eines anderen aus; eine Freiheitsentziehung kann je nach den Umständen nach mehr als einem der Buchstaben gerechtfertigt sein (siehe u. a. Eriksen ./. Norwegen, 27. Mai 1997, Rdnr. 76, Urteils- und Entscheidungssammlung 1997-III, Erkalo ./. Niederlande, 2. September 1998, Rdnr. 50, Reports 1998-VI; und Witold Litwa, a.a.O., Rdnr. 49).
87. Im Sinne von § 5 Abs. 1 Buchst. a ist der Begriff "Verurteilung" (englisch: "conviction") unter Berücksichtigung des französischen Textes ("condamnation") so zu verstehen, dass er sowohl eine Schuldfeststellung bezeichnet, nachdem das Vorliegen einer Straftat in der gesetzlich vorgesehenen Weise festgestellt wurde (s. Guzzardi, a.a.O., Rdnr. 100), als auch die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme (siehe van Droogenbroeck ./. Belgien, 24. Juni 1982, Rdnr. 35, Serie A Band 50).
88. Darüber hinaus bedeutet das Wort "nach" in Buchstabe a nicht einfach, dass die "Freiheitsentziehung" zeitlich auf die Verurteilung folgen muss. Zusätzlich muss die "Freiheitsentziehung" sich aus dieser "Verurteilung" ergeben, ihr folgen und von ihr abhängen oder kraft dieser "Verurteilung" angeordnet werden (siehe van Droogenbroeck, a.a.O., Rdnr. 35). Kurz gefasst muss zwischen der Verurteilung und der in Rede stehenden Freiheitsentziehung ein hinreichender Kausalzusammenhang bestehen (siehe Weeks ./. Vereinigtes Königreich, 2. März 1987, Rdnr. 42, Serie A Band 114; Stafford ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 46295/99, Rdnr. 64, ECHR 2002-IV; Waite ./. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde Nr. 53236/99, Rdnr. 65, 10. Dezember 2002; und Kafkaris ./. Zypern [GK], Individualbeschwerde Nr. 21906/04, Rdnr. 117, ECHR 2008-...). Jedoch wird die Verbindung zwischen der ursprünglichen Verurteilung und einer weiteren Freiheitsentziehung mit zunehmenden Zeitablauf allmählich schwächer (vgl. van Droogenbroeck, a.a.O., Rdnr. 40, und Eriksen, a.a.O., Rdnr. 78). Der nach Buchstabe a erforderliche Kausalzusammenhang könnte schließlich durchbrochen werden, wenn ein Position erreicht würde, in der die Entscheidung, keine Freilassung bzw. eine neue Haft anzuordnen, sich auf Gründe stützte, die mit den Zielen der ursprünglichen Entscheidung (durch ein erkennendes Gericht) unvereinbar wären, oder auf eine Einschätzung, die im Hinblick auf diese Ziele unangemessen wäre. Unter diesen Umstände würde sich eine Freiheitsentziehung, die zu Beginn rechtmäßig war, in eine willkürliche Freiheitsentziehung verwandeln, die folglich mit Art. 5 nicht vereinbar wäre (vgl. van Droogenbroeck, a.a.O., Rdnr. 40; Eriksen, a.a.O., Rdnr. 78; und Weeks, a.a.O., Rdnr. 49).
89. Darüber hinaus kann die Freiheitsentziehung einer Person nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c gerechtfertigt sein, "wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat zu hindern". Dieser Haftgrund ist jedoch nicht an einer generalpräventiven Vorgehensweise orientiert, die sich gegen einen Einzelnen oder eine Gruppe von Personen richtet, die aufgrund ihres fortbestehenden Hangs zu Straftaten eine Gefahr darstellen. Er bietet den Vertragsstaaten lediglich ein Mittel zur Verhütung einer konkreten und spezifischen Straftat (siehe Guzzardi, a.a.O., Rdnr. 102, vgl. auch Eriksen, a.a.O, Rdnr. 86). Dies ergibt sich sowohl aus dem Gebrauch des Singulars ("einer Straftat") als auch aus dem Ziel von Artikel 5, nämlich sicherzustellen, dass niemandem willkürlich die Freiheit entzogen wird (siehe Guzzardi, a.a.O.).
90. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a bis f muss jede Freiheitsentziehung unter eine der Ausnahmen nach diesen Bestimmungen fallen und darüber hinaus "rechtmäßig" sein. Wo es um die "Rechtmäßigkeit" der Freiheitsentziehung geht, was auch die Frage beinhaltet, ob sie "auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise" erfolgt ist, verweist die Konvention im Wesentlichen auf das innerstaatliche Recht und erlegt die Verpflichtung auf, dessen materiell- und verfahrensrechtliche Bestimmungen einzuhalten (siehe u.v.a. Erkalo, a.a.O., Rdnr. 52; Saadi ./. Vereinigtes Königreich, a.a.O., Rdnr. 67, und Kafkaris, a.a.O., Rdnr. 116). Dies bedeutet in erster Linie, dass jede Festnahme oder Freiheitsentziehung eine gesetzliche Grundlage im innerstaatlichen Recht haben muss, betrifft aber auch die Qualität des Gesetzes, die rechtsstaatlichen Anforderungen genügen muss, einer Leitidee, die in allen Konventionsartikeln verankert ist (s. Stafford, a.a.O.., Rdnr. 63, und Kafkaris, a.a.O., Rdnr. 116) . "Qualität des Gesetzes" bedeutet in diesem Sinne, dass das Gesetz in den Fällen, in denen die Freiheitsentziehung nach innerstaatlichem Recht zulässig ist, hinreichend zugänglich sein muss und präzise und vorhersehbar anzuwenden ist, um jegliche Gefahr der Willkür zu vermeiden (siehe Amuur ./. Frankreich, 25. Juni 1996, Rdnr. 50, Reports 1996-III; Nasrulloyev ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 656/06, Rdnr. 71, 11. Oktober 2007; und Mooren ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 11364/03, Rdnr. 76, 9. Juli 2009). Der von der Konvention gesetzte Maßstab hinsichtlich der "Rechtmäßigkeit" besagt, dass alle Rechtsvorschriften hinreichend präzise sein müssen, so dass eine Person - nötigenfalls mit entsprechender Beratung - in einem Maß, das unter den jeweiligen Umständen angemessen ist, voraussehen kann, welche Folgen eine bestimmte Handlung nach sich ziehen kann (siehe Steel u.a. ./. Vereinigtes Königreich, 23. September 1998, Rdnr. 54, Reports 1998-VII, und Baranowski ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 28358/95, Rdnr. 52, ECHR 2000-III).
91. Die Einhaltung des innerstaatlichen Rechts reicht jedoch nicht aus: Artikel 5 Abs. 1 verlangt auch, dass jede Freiheitsentziehung mit der Absicht, den Einzelnen vor Willkür zu schützen, vereinbar sein sollte (siehe u.v.a. Winterwerp ./. Niederlande, 24. Oktober 1979, Rdnr. 37, Serie A Band 33; Saadi ./. Vereinigtes Königreich, a.a.O., Rdnr. 67, und Mooren, a.a.O., Rdnr. 72).
92. Der Gerichtshof ist aufgefordert, darüber zu entscheiden, ob dem Beschwerdeführer während seiner die Dauer von zehn Jahren überschreitenden Sicherheitsverwahrung die Freiheit gemäß einem der Buchstaben a bis f von Artikel 5 Abs. 1 rechtmäßig entzogen war. Er wird zunächst prüfen, ob die ursprüngliche Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers als solche unter einen der in Artikel 5 Abs. 1 aufgelisteten zulässigen Haftgründe fällt. Ist dies nicht der Fall, braucht die konkretere Frage, ob sich die Aufhebung der Zehnjahresfrist für die erstmalige Sicherungsverwahrung auf die Vereinbarkeit der nach Ablauf dieser Frist fortdauernden Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers mit Artikel 5 Abs. 1 auswirkte, nicht beantwortet zu werden.
93. Die Regierung brachte vor, die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers sei nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a gerechtfertigt. Tatsächlich trifft es zu, dass die Kommission wiederholt festgestellt hat, dass die von einem erkennenden Gericht zusätzlich oder anstatt einer Freiheitsstrafe angeordnete Sicherungsverwahrung grundsätzlich als "Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zusätzliches Gericht" im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a der Konvention gerechtfertigt sei (zur Sicherungsverwahrung nach Artikel 66 StGB siehe X. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 4324/69, Kommissionsentscheidung vom 4. Februar 1981, und Dax ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 19969/92, Kommissionsentscheidung vom 7. Juli 1992 mit weiteren Verweisen; hinsichtlich der Unterbringung "zur Verfügung der Regierung" in den Niederlanden, einer ähnlichen Maßnahme, die Personen mit bestimmten geistigen Störungen betrifft, siehe X. ./. Niederlande, Individualbeschwerde Nr. 6591/74, Kommissionsentscheidung vom 26. Mai 1975, Decisions and Reports (DR) 3, S. 90; zur Sicherungsverwahrung in Norwegen, einer ähnlichen Maßnahme, die bei Personen angewandt wird, deren geistige Zurechnungsfähigkeit eingeschränkt ist, siehe X. ./. Norwegen, Individualbeschwerde Nr. 4210/69, Kommissionsentscheidung vom 24. Juli 1970, Collection 35, S. 1 ff mit weiteren Verweisen; und, hinsichtlich der Inhaftierung von Personen mit bestimmten geistigen Störungen in speziellen Hafteinrichtungen in Dänemark, siehe X. ./. Dänemark, Individualbeschwerde Nr. 2518/65, Kommissionsentscheidung vom 14. Dezember 1965, Collection 18, S. 4 ff.).
94. Der Gerichtshof selbst hat bestätigt, dass beispielsweise das belgische System, nach dem Rückfalltäter und Hangtäter "zur Verfügung der Regierung gestellt" werden können, was zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe angeordnet wird, eine Freiheitsentziehung "nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht" im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a darstellt (siehe Van Droogenbroeck, a.a.O., Rdnrn. 33-42). Ebenso war er der Auffassung, dass das norwegische System der Sicherungsverwahrung, die als Sicherungsmaßnahme gegen Personen mit unterentwickelter oder eingeschränkter geistiger Zurechnungsfähigkeit angewandt wird, im Prinzip unter Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a fällt (siehe Eriksen, a.a.O., Rdnr. 78).
95. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass "Verurteilung" nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a die Schuldfeststellung wegen einer Straftat und die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet (siehe Rdnr. 87 oben). Er stellt fest, dass die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers durch das Urteil des Landgerichts Marburg vom 17. November 1986 (dem erkennenden Gericht) angeordnet wurde, das ihn u. a. des verursachten Mordes für schuldig befand (siehe Rdnr. 12). Nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe befindet sich der Beschwerdeführer seit August 1991 in Sicherungsverwahrung, da die Vollstreckungsgerichte es ablehnten, die angeordnete Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen (siehe Rdnrn. 13 f.).
96. Der Gerichtshof ist überzeugt, dass sich die ursprüngliche Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers aus seiner "Verurteilung" durch das erkennende Gericht im Jahre 1986 ergab. Das Gericht sprach ihn des versuchten Mordes schuldig und ordnete seine Sicherungsverwahrung, eine Strafe oder andere freiheitsentziehende Maßnahme, an. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Sicherungsverwahrung nach Ansicht der Regierung nicht im Hinblick auf die persönliche Schuld des Täters festgelegt wird, sondern im Hinblick auf die Gefahr, die er für die Allgemeinheit darstellt (siehe Rdnr. 113). Er ist der Auffassung, dass die Anordnung einer Sicherungsverwahrung nach Artikel 66 Abs. 1 StGB dennoch immer von der gerichtlichen Feststellung der Schuld des Betroffenen an einer Straftat abhängt und mit dieser zusammen erfolgt (siehe Rdnrn. 49-50 oben).
Die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung war daher anfangs von Artikel 5 Abs. 1 erfasst. Der Gerichtshof möchte jedoch hinzufügen, dass die Entscheidungen der Vollstreckungsgerichte, den Beschwerdeführer weiter in Haft zu halten, das Erfordernis der "Verurteilung" im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a nicht erfüllen, da sie keine Schuldfeststellung mehr beinhalten.
97. Um festzustellen, ob die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers über die Zehnjahresfrist hinaus nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a gerechtfertigt war, muss der Gerichtshof prüfen, ob diese Freiheitsentziehung noch "nach Verurteilung" erfolgte, ob, anders ausgedrückt, noch ein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das erkennende Gericht im Jahre 1986 und der Fortdauer seiner Freiheitsentziehung nach dem 8. September 2001 bestand.
98. Der Gerichtshof nimmt zur Kenntnis, dass die Regierung der Auffassung ist, dass das erkennende Gericht die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers ohne Bezugnahme auf eine Befristung angeordnet habe und dass es Aufgabe der Vollstreckungsgerichte gewesen sei, die Dauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers festzulegen. Da § 2 Abs. 6 StGB die Aufhebung der Befristung einer erstmaligen Sicherungsverwahrung mit sofortiger Wirkung erlaube, seien die Vollstreckungsgerichte nach der Gesetzesänderung im Jahre 1998 befugt, die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschwerdeführers auch nach Ablauf der Zehnjahresfrist anzuordnen. Die Regierung brachte daher vor, dass der Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und der Fortdauer seiner Haft durch die Änderung von § 67d StGB nicht durchbrochen worden sei.
99. Dieses Argument überzeugt den Gerichtshof nicht. Zwar trifft es zu, dass das erkennende Gericht im Jahre 1986 die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers anordnete, ohne deren Dauer festzusetzen. Nach den anwendbaren Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (§ 66 und § 67c-e StGB) legen die erkennenden Gericht die Dauer jedoch nie fest; wie die Regierung selbst vorgebracht hat, haben die erkennenden Gerichte nur darüber zu entscheiden, ob gegen einen Straftäter die Sicherungsverwahrung als solche angeordnet wird oder nicht. Die Vollstreckungsgerichte sind dann aufgefordert, über die Einzelheiten der Vollstreckung der Anordnung zu entscheiden, wozu auch die genaue Dauer der Sicherungsverwahrung des Straftäters gehört. Die Vollstreckungsgerichte durften die Dauer der Sicherungsverwahrung jedoch nur innerhalb des durch die Anordnung des erkennenden Gerichts vorgegebenen Rahmens im Lichte der zur maßgeblichen Zeit geltenden Rechtsvorschriften festlegen.
100. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers im Jahre 1986 durch das erkennende Gericht erfolgte. Zu dieser Zeit bedeutete eine solche gerichtliche Anordnung in Verbindung mit § 67d Abs. 1 StGB in der damals geltenden Fassung (siehe Rdnr. 52), dass der Beschwerdeführer, gegen den erstmals die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, für eine Dauer von höchstens zehn Jahren in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden konnte. Hätte es die Änderung von § 67d StGB im Jahre 1998 (siehe Rdnr. 53) nicht gegeben, die auch auf bereits vor Inkrafttreten der geänderten Bestimmung ergangene Anordnungen der Sicherungsverwahrung - wie die gegen den Beschwerdeführer - für anwendbar erklärt wurde (Art. 1a Abs. 3 EGStGB; siehe Rdnr. 54), wäre der Beschwerdeführer nach Ablauf von zehn Jahren in der Sicherungsverwahrung entlassen worden, unabhängig davon, ob er noch als für die Allgemeinheit gefährlich angesehen wurde. Ohne diese Gesetzesänderung wären die Vollstreckungsgerichte nicht befugt gewesen, die Dauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers zu verlängern. Daher stellt der Gerichtshof fest, dass kein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das erkennende Gericht im Jahre 1986 und der Fortdauer seiner Freiheitsentziehung nach Ablauf der zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung bestand, die nur durch die nachfolgende Gesetzesänderung im Jahre 1998 möglich wurde.
101. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die vorliegende Rechtssache von der Rechtssache Kafkaris (a.a.O.) unterschieden werden muss. In der Rechtssache Kafkaris stellte er fest, dass es zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und der Fortdauer seiner Haft nach Verbüßung von zwanzig Jahren Freiheitsstrafe einen hinreichenden Kausalzusammenhang gab.
Die Fortdauer der Haft von Herrn Kafkaris nach Ablauf der zwanzig Jahre stand im Einklang mit dem Urteil des erkennenden Gerichts, das eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt und ausdrücklich festgestellt hatte, dass der Beschwerdeführer zu Freiheitsstrafe für den Rest seines Lebens verurteilt worden sei, wie im Strafgesetzbuch vorgesehen, und nicht für einen Zeitraum von zwanzig Jahren, wie in der Gefängnisverordnung, einer damals geltenden nachrangigen Rechtsvorschrift, festgelegt (a.a.O., Rdnrn. 118-21). Im Gegensatz dazu wurde die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers über die Zehnjahresfrist hinaus nicht im Urteil des erkennenden Gerichts in Verbindung mit den zum Urteilszeitpunkt anwendbaren Bestimmungen des Strafgesetzbuchs angeordnet.
102. Weiterhin hat der Gerichtshof zu prüfen, ob die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers nach Überschreitung der Zehnjahresfrist nach einem der anderen Buchstaben von Artikel 5 Abs. 1 gerechtfertigt war. Er stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die innerstaatlichen Gerichte auf diesen Punkt nicht eingingen, da sie nach den Bestimmungen des Grundgesetzes dazu nicht verpflichtet waren. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Buchstaben b, d und f eindeutig nicht einschlägig sind. Nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c, zweite Alternative, kann die Haft einer Person gerechtfertigt sein, "wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat zu hindern". In dem vorliegenden Fall wurde die Fortdauer der Haft des Beschwerdeführers durch die Vollstreckungsgerichte unter Bezugnahme auf das Risiko gerechtfertigt, der Beschwerdeführer könne im Falle seiner Freilassung weitere schwere Straftaten begehen, ähnlich denen, derentwegen er zuvor verurteilt worden war (siehe Rdnrn. 18 und 23). Diese potentiellen weiteren Straftaten sind jedoch nicht, wie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erforderlich (siehe insbesondere Guzzardi, a.a.O., Rdnr. 102), hinreichend konkret und spezifisch, insbesondere hinsichtlich des Orts und der Zeit ihrer Begehung und ihrer Opfer, und fallen daher nicht unter Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c. Eine Auslegung von Absatz 1 Buchst. c im Lichte von Artikel 5 als Ganzem bekräftigt diese Feststellung. Nach Artikel 5 Abs. 3 ist jede Person, die nach Absatz 1 Buchst. c von Freiheitsentziehung betroffen ist, unverzüglich einem Richter vorzuführen und hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens. Personen, die in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind, werden jedoch nicht wegen potentieller künftiger Straftaten unverzüglich einem Richter vorgeführt und vor Gericht gestellt. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass die kriminologische Erfahrung zeigt, dass bei wiederholt verurteilten Strafgefangenen oft eine Rückfallgefahr besteht, unabhängig davon, ob sie zu Sicherungsverwahrung verurteilt wurden (siehe auch Rdnr. 203 des Berichts des Kommissars für Menschenrechte des Europarats vom 11. Juli 2007, Rdnr. 76).
103. Der Gerichtshof hat weiterhin geprüft, ob der Beschwerdeführer nach § 5 Abs. 1 Buchst. e als "psychisch Kranker" über September 2001 hinaus in der Sicherungsverwahrung hätte untergebracht werden können. Zwar schließt er die Möglichkeit nicht aus, dass die Sicherungsverwahrung bestimmter Straftäter die Bedingungen für das Vorliegen dieses Haftgrundes erfüllen kann, stellt jedoch fest, dass der Beschwerdeführer gemäß der in der vorliegenden Rechtssache ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt nicht mehr an einer schweren seelischen Störung litt (siehe Rdnr. 22). In jedem Fall begründeten die innerstaatlichen Gerichte ihre Entscheidungen, den Beschwerdeführer weiter unterzubringen, nicht damit, er sei psychisch krank. Daher kann seine Freiheitsentziehung auch nicht nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e gerechtfertigt werden.
104. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass die vorliegende Individualbeschwerde eine Frage hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Haft des Beschwerdeführers aufwirft. Er stellt erneut fest, dass das innerstaatliche Recht eine gewisse Qualität aufweisen und vorsehbar anzuwenden sein muss, um jegliche Gefahr der Willkür zu vermeiden (siehe Rdnr. 90). Er hat ernstliche Zweifel daran, ob der Beschwerdeführer zur maßgeblichen Zeit in einem unter den Umständen angemessenen Maß hätte vorhersehen können, dass seine Straftat dazu führen könnte, für unbegrenzte Zeit in der Sicherungsverwahrung untergebracht zu werden. Insbesondere bezweifelt der Gerichtshof, dass er hätte vorhersehen können, dass die anwendbaren Rechtsvorschriften mit sofortiger Wirkung geändert werden würden, nachdem er seine Straftat begangen hatte. In Anbetracht der obigen Feststellung, dass die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers über die Zehnjahresfrist hinaus nach keinem der Buchstaben von Artikel 5 Abs. 1 gerechtfertigt war, ist es nicht erforderlich, über diese Frage zu entscheiden.
105. Folglich ist Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verletzt worden.
106. Der Beschwerdeführer rügte ferner, dass eine rückwirkende Verlängerung seiner Sicherungsverwahrung vom Höchstmaß von zehn Jahren auf unbegrenzte Zeit sein Recht verletzt habe, nicht zu einer schwereren als der zur Tatzeit angedrohten Strafe verurteilt zu werden. Er berief sich auf Artikel 7 Abs. 1 der Konvention, der wie folgt lautet:
(1) Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden.
107. Die Regierung bestritt diese Behauptung.
108. Dem Beschwerdeführer zufolge ist durch die Entscheidung, seine Sicherungsverwahrung nach zehn Jahren der Unterbringung zu verlängern, eine schwerere als zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe unter Missachtung des Artikels 7 Abs. 1 Satz 2 der Konvention rückwirkend gegen ihn verhängt worden. Die Sicherungsverwahrung stelle im Sinne dieses Artikels eine "Strafe" dar. Er behauptete, dass der Standpunkt der innerstaatlichen Gerichte, demzufolge die Sicherungsverwahrung seit ihrer Einführung in das deutsche Strafrecht nie als "Strafe" angesehen wurde und daher rückwirkend angewendet werden darf, umso weniger Gewicht habe, als diese Maßnahme durch das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933, d.h. unter dem Naziregime, geschaffen worden sei. § 129 des Strafvollzugsgesetzes (siehe Rdnr. 64) habe diese nach einer Straftat und von Strafgerichten verhängte Sanktion genau das gleiche Ziel wie eine Freiheitsstrafe (siehe § 2 des Strafvollzugsgesetzes - Rdnr. 63), d.h. nicht nur die Allgemeinheit vor dem Sicherungsverwahrten zu schützen (Prävention), sondern auch diesem zu helfen, sich nach seiner Entlassung in das Leben in der Gesellschaft wieder einzugliedern (Resozialisierung).
109. Dem Beschwerdeführer zufolge stellt die Sicherungsverwahrung ihrer Natur nach auch eine Strafe dar. Dies belege die Tatsache, dass diese Maßnahme von den Strafgerichten im Zusammenhang mit einer Straftat angeordnet werde und die Vorschriften, die sie regelten, in dem Gesetz über den Vollzug der "Strafen" enthalten seien. Die Sicherungsverwahrung sei an die Schuld des Täters gebunden, nicht zuletzt deshalb, weil sie nur bei Vorliegen bestimmter früherer Straftaten verhängt und nicht gegen eine strafrechtlich nicht verantwortliche Person angeordnet werden dürfe.
110. Der Beschwerdeführer betonte weiterhin, dass es in Deutschland keine besonderen Anstalten für Sicherungsverwahrte gebe. Diese Personen seien in normalen Haftanstalten untergebracht und hätten im Vergleich zu anderen Inhaftierten, die in den gleichen Haftanstalten ihre Freiheitsstrafe verbüßten, minimale Privilegien (siehe §§ 131 - 135 StVollzG - Rdnrn. 64-65), wie beispielsweise das Recht, ihre eigene Kleidung zu tragen. Selbst wenn jedoch diese Privilegien konkret Anwendung fänden, ändere dies nichts an der Tatsache, dass der Vollzug der angeordneten Sicherungsverwahrung sich nicht grundlegend vom Vollzug einer Freiheitsstrafe unterscheide. Als Sicherungsverwahrter erfahre er in Wirklichkeit weniger Vollzugslockerungen als die Strafgefangenen. Darüber hinaus seien neben den Maßnahmen für Strafgefangene keine besonderen Maßnahmen vorgesehen, um Sicherungsverwahrten zu helfen, sich auf ein verantwortliches Leben in Freiheit vorzubereiten. Seine Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt würden sich nicht von denjenigen unterscheiden, die er kennengelernt habe, als er dort den größten Teil seiner Freiheitsstrafe verbüßt habe. Er arbeite, wie er es bereits getan habe, als er seine Freiheitsstrafe verbüßt habe, und abgesehen von einigen kurzen begleiteten Ausführungen werde nichts unternommen, um ihn auf das Leben in Freiheit vorzubereiten; er habe auch nicht die Möglichkeit, sich therapieren zu lassen. Der tatsächlichen Situation der Gefangenen als vielmehr dem Wortlaut des Strafgesetzbuches nach zu urteilen, gebe es daher keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug der Sicherungsverwahrung.
111. Außerdem werde die Schwere einer unbegrenzten Sicherungsverwahrung, die im Anschluss an und zusätzlich zu seiner Freiheitsstrafe von nur fünf Jahren vollstreckt würde, dadurch veranschaulicht, dass ihm hierdurch - allein auf der Grundlage der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung - bereits seit nahezu achtzehn Jahren die Freiheit entzogen werde. Er behauptete daher, dass er infolgedessen während eines Zeitraums inhaftiert gewesen sei, der viel länger als derjenige sei, den verurteilte Täter in der Regel verbüßen, die im Gegensatz zu ihm tatsächlich jemanden getötet hätten und lediglich zu einer Freiheitsstrafe ohne Sicherungsverwahrung verurteilt worden seien. Da er sich seit bereits mehr als zweiundzwanzig Jahren nach seiner Verurteilung im Jahr 1986 in Haft befinde, beweise die Tatsache, dass er nur an zwei Zwischenfällen viele Jahre zuvor innerhalb eines Hochsicherheitstraktes beteiligt gewesen sei, dass er gelernt habe, seine Gefühle zu kontrollieren, und die Fortdauer seiner Haft nicht gerechtfertigt sei.
112. Der Beschwerdeführer behauptete, dass daher die rückwirkende Verlängerung seiner Sicherungsverwahrung, d.h. einer Strafe, die im Zeitpunkt der Begehung der Tat durch Gesetz eindeutig auf eine Höchstdauer von zehn Jahren festgesetzt gewesen sei, eine Verletzung des Legalitätsprinzips in Bezug auf Strafen (nulla poena sine lege) nach Artikel 7 bedeute.
113. Nach Ansicht der Regierung verletzt die Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich seit mehr als zehn Jahren in Sicherungsverwahrung befindet, nicht das Verbot des Artikels 7 Abs. 1, eine Strafe rückwirkend zu erhöhen, denn die Sicherungsverwahrung stelle keine "Strafe" im Sinne dieser Bestimmung dar. Das deutsche Strafrecht umfasse ein zweispuriges Sanktionensystem, das strikt zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung wie die der Sicherungsverwahrung unterscheide. Strafen hätten Strafcharakter und würden entsprechend der persönlichen Schuld des Täters festgesetzt. Maßregeln der Besserung und Sicherung hingegen hätten vorbeugenden Charakter und würden aufgrund der vom Täter ausgehenden Gefahr unabhängig von seiner Schuld angeordnet. Dieses 1933 geschaffene zweispurige System sei seit Ende des Zweiten Weltkriegs mehrfach vom demokratisch gewählten Gesetzgeber geprüft und bestätigt worden. Die Sicherungsverwahrung werde nur als letztmögliche Maßnahme angeordnet und ziele einzig auf den Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren ab, die von den gefährlichsten Kriminellen ausgingen; dies zeigten die restriktiven Bedingungen im Strafgesetzbuch im Hinblick auf die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und die Verlängerung dieser Unterbringung (Rdnrn. 47 und 49-56) ebenso wie ihre restriktive Anwendung durch die innerstaatlichen Gerichte. Im Gegensatz zu einer Strafe könne die Sicherungsverwahrung jederzeit zur Bewährung ausgesetzt werden, vorausgesetzt, man könne davon ausgehen, der Gefangene begehe nach seiner Entlassung keine weiteren schweren Straftaten mehr. Wie vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil in der vorliegenden Rechtssache bestätigt werde, sei die Sicherungsverwahrung daher keine Strafe, auf die das Verbot der rückwirkenden Bestrafung Anwendung finde.
114. Nach Auffassung der Regierung unterscheidet sich der Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erheblich vom Vollzug der Freiheitsstrafen sowohl im Hinblick auf die Rechtsvorschriften (siehe insbesondere §§ 129 bis 135 des Strafvollzugsgesetzes - Rdnrn. 64-65) als auch die Praxis. Zwar gebe es in den Bundesländern aus wirtschaftlichen Gründen sowie wegen des für die Behandlung erforderlichen umfangreichen Spektrums an Ausstattung und Personal keine besonderen Anstalten für die Sicherungsverwahrung. Wenn jedoch in Deutschland eine zentrale Anstalt für die Aufnahme aller sicherungsverwahrten Personen geschaffen würde, wären die wünschenswerten Besuche von Angehörigen oder von Personen, die an der Resozialisierung der Gefangenen beteiligt sind, unmöglich. Daher würden Sicherungsverwahrte in gesonderten Abteilungen der Justizvollzugsanstalten untergebracht. Im Vergleich zu Strafgefangenen verfügten sie jedoch über bestimmte Privilegien: Sie hätten das Recht, ihre eigene Kleidung zu tragen und länger - mindestens zwei Stunden pro Monat - Besuch zu empfangen. Sie hätten auch mehr Taschengeld sowie das Recht, mehr Pakete zu bekommen. Zudem könnten sie, sofern sie es wünschten, über eine eigene tagsüber nicht abgeschlossene Einzelzelle verfügen, die sie auch nach ihrem persönlichen Geschmack einrichten könnten. Insbesondere im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers betont die Regierung, dass er nicht weiter therapiert werde, denn der Psychologe, an den er sich gewandt hatte, sei der Auffassung gewesen, seine Behandlung sei abgeschlossen. Fast täglich spreche der Beschwerdeführer auf eigenen Wunsch mit dem zuständigen Sozialarbeiter und dem Anstaltspsychologen; alle vierzehn Tage nehme er an einer Diskussionsgruppe teil. Der Empfehlung eines Psychiaters entsprechend komme der Beschwerdeführer in den Genuss von Vollzugslockerungen, wie kurze begleitete Ausführungen (siehe Rdnrn. 43-44).
115. Schwere und Dauer der Sicherungsverwahrung allein reichten nicht aus, um diese als "Strafe" im Sinne des Artikels 7 Abs. 1 einzustufen. Nach den Feststellungen der zuständigen Gerichte stelle der Beschwerdeführer weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, unabhängig von der Frage, ob und welche Straftaten er in der Justizvollzugsanstalt begangen habe. Die Regierung trug ferner vor, dass nach dem Urteil des Gerichtshofs in der vorerwähnten Sache Kafkaris (Rdnrn. 151-152) weitere Änderungen, die nicht die ursprünglich verhängte Strafe, sondern lediglich die Dauer ihrer Vollstreckung abändern, keine Verletzung von Artikel 7 Abs. 1 darstellten. Dies gelte noch mehr in einer Sache wie der vorliegenden, in der mit dem ursprünglichen Urteil eine Maßregel der Sicherung (und keine Strafe) angeordnet worden sei, in diesem Fall die Sicherungsverwahrung ohne Benennung der Dauer.
116. Die Regierung betonte, dass das zweispurige System der Strafen und der Maßregeln der Besserung und Sicherung es ermögliche, bei allen Straftätern die Strafe auf das zum Schuldausgleich unbedingt erforderliche Maß zu beschränken. Wie die vom Europarat veröffentlichen Strafstatistiken zeigten (siehe Rdnr. 68), weise Deutschland daher eine geringe Zahl tatsächlich vollstreckter Freiheitsstrafen auf und die deutschen Gerichte verhängten zudem im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten des Europarats kürzere Freiheitsstrafen. Dies beweise, dass das zweispurige System zu einer restriktiven und verantwortlichen Praxis der Sanktionierung führe. Gleichwohl hindere der im Grundgesetz verankerte Grundsatz, wonach die Strafe nicht in einem Missverhältnis zur Schuld stehen dürfe, die deutschen Gerichte daran, längere Freiheitsstrafen anstelle der Sicherungsverwahrung auszusprechen, um der präventive Zielsetzung, nämlich dem Schutz der Allgemeinheit, zu dienen. Auch in anderen Vertragsstaaten der Konvention, insbesondere in Österreich, Dänemark, Italien, Liechtenstein, San Marino, der Slowakei und der Schweiz gelangten Sicherungsverwahrungssysteme zur Anwendung.
117. Die in Artikel 7 verankerte Garantie, die ein wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips darstellt, nimmt eine herausragende Stellung im Schutzsystem der Konvention ein, was dadurch unterstrichen wird, dass nach Artikel 15 der Konvention auch im Kriegsfall oder im Fall eines öffentlichen Notstands nicht davon abgewichen werden darf. Sie ist, wie sich aus ihrem Ziel und Zweck ergibt, so auszulegen und anzuwenden, dass sie einen wirksamen Schutz vor willkürlicher Verfolgung, Verurteilung und Bestrafung bietet (siehe S.W. ./. Vereinigtes Königreich, 22. November 1995, Rdnr. 34, Serie A Bd. 335-B; C.R. ./. Vereinigtes Königreich, 22. November 1995, Rdnr. 32, Serie A Bd. 335-C; Streletz, Kessler und Krenz ./. Deutschland [GK], Nrn. 34044/96, 35532/97 und 44801/98, Rdnr. 50, ECHR 2001-II; und Kafkaris, a.a.O., Rdnr. 137).
118. In Artikel 7 ist u.a. der Grundsatz verankert, dass nur das Gesetz eine Straftat definieren und eine Strafe vorsehen kann (nullum crimen, nulla poena sine lege). Er verbietet insbesondere die rückwirkende Anwendung des Strafrechts zum Nachteil eines Beschuldigten (siehe Kokkinakis ./.Griechenland, 25. Mai 1993, Rdnr. 52, Serie A Bd. 260-A) und die Ausdehnung bestehender Straftatbestände auf Handlungen, die zuvor keine Straftaten darstellten, legt aber auch den Grundsatz fest, dass das Strafrecht nicht zum Nachteil des Beschuldigten extensiv ausgelegt werden darf, beispielsweise im Wege der Analogie (siehe Uttley ./. Vereinigtes Königreich (Entsch.), Nr. 36946/03, 29. November 2005, und Achour ./. Frankreich [GK], Nr. 67335/01, Rdnr. 41, ECHR 2006-IV).
119. Mit "Gesetz"/"Recht" (englisch: "law") wird in Artikel 7 genau auf den Begriff Bezug genommen, auf den in der Konvention auch sonst Bezug genommen wird, wenn dieser Ausdruck verwendet wird, ein Begriff, der qualitative Anforderungen impliziert, einschließlich Zugänglichkeit und Vorhersehbarkeit (siehe Cantoni ./. Frankreich, 15. November 1996, Rdnr. 29, Reports 1996-V; Coëme u.a. ./. Belgien, Nrn. 32492/96, 32547/96, 32548/96, 33209/96 und 33210/96, Rdnr. 145, ECHR 2000-VII; und Achour, a.a.O., Rdnr. 42). Diese qualitativen Anforderungen müssen sowohl in Bezug auf die Definition einer Straftat als auch die Strafe, mit der diese bedroht ist, erfüllt sein (siehe Achour, a.a.O., Rdnr. 41, und Kafkaris, a.a.O., Rdnr. 140). Der Einzelne muss dem Wortlaut der entsprechenden Bestimmung, gegebenenfalls mit Hilfe seiner Auslegung durch die Gerichte, entnehmen können, durch welche Handlungen oder Unterlassungen er sich strafbar macht und mit welcher Strafe die Handlung bzw. Unterlassung bedroht ist (vgl. Cantoni, a.a.O., Rdnr. 29; Uttley, a.a.O.; und Kafkaris, a.a.O., Rdnr. 140).
120. Der Begriff der "Strafe" in Artikel 7 ist in seiner Reichweite autonom.
Um den durch Artikel 7 gewährleisteten Schutz wirksam werden zu lassen, muss es dem Gerichtshof freistehen, nicht nur den äußeren Anschein zu betrachten und seine eigene Würdigung der Frage vorzunehmen, ob eine bestimmte Maßnahme im Wesentlichen eine "Strafe" im Sinne dieser Bestimmung darstellt (siehe Welch ./. Vereinigtes Königreich, 9. Februar 1995, Rdnr. 27, Serie A Bd. 307-A; Jamil ./. Frankreich, 8. Juni 1995, Rdnr. 30, Serie A Bd. 317-B; und Uttley, a.a.O.). Aus dem Wortlaut von Artikel 7 Abs. 1 Satz 2 ergibt sich, dass der Ausgangspunkt für die Prüfung, ob es sich bei der betreffenden Maßnahme um eine Strafe handelt, die Frage ist, ob sie im Anschluss an eine Verurteilung wegen einer "Straftat" verhängt wird. Weitere erhebliche Faktoren sind die Charakterisierung der Maßnahme nach innerstaatlichem Recht, die Art und der Zweck der Maßnahme, die mit ihrer Schaffung und Umsetzung verbundenen Verfahren und die Schwere der Maßnahme (siehe Welch, a.a.O., Rdnr. 28; Jamil, a.a.O., Rdnr. 31; Adamson ./. Vereinigtes Königreich (Entsch.), Nr. 42293/98, 26. Januar 1999; Van der Velden ./. Niederlande (Entsch.), Nr. 29514/05, ECHR 2006-XV; und Kafkaris, a.a.O., Rdnr. 142). Die Schwere der Maßnahme an sich ist jedoch nicht entscheidend, denn beispielsweise können viele Maßnahmen präventiver Art, die keine Strafen darstellen, erhebliche Auswirkungen auf die betroffene Person haben (siehe Welch, a.a.O., Rdnr. 32; vgl. auch Van der Velden, a.a.O.).
121. Sowohl die Kommission als auch der Gerichtshof unterscheiden in ihrer Rechtsprechung zwischen einer Maßnahme, die im Wesentlichen eine "Strafe" darstellt, und einer Maßnahme, die die "Vollstreckung" bzw. den "Vollzug" der "Strafe" betrifft. Betreffen folglich die Art und der Zweck einer Maßnahme einen Straferlass oder eine Änderung der Regelung für die vorzeitige Haftentlassung, so ist dies nicht Bestandteil der "Strafe" im Sinne von Artikel 7 (siehe u.a. Hogben ./. Vereinigtes Königreich, Nr. 11653/85, Entscheidung der Kommission vom 3. März 1986, DR 46, S. 231; Grava ./. Italien, Nr. 43522/98, Rdnr. 51, 10. Juli 2003; und Kafkaris, a.a.O., Rdnr. 142). In der Praxis ist diese Unterscheidung jedoch nicht immer eindeutig (siehe Kafkaris, a.a.O., und Monne ./. Frankreich (Entsch.), Nr. 39420/06, 1. April 2008).
122. Der Gerichtshof prüft daher im Lichte der vorgenannten Grundsätze, ob die Verlängerung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers von maximal zehn Jahren auf einen unbegrenzten Zeitraum das Verbot rückwirkender Strafen nach Artikel 7 Abs. 1 Satz 2 verletzt hat.
123. Der Gerichtshof stellt fest, dass zu dem Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer den versuchten Mord im Jahre 1985 beging, die erstmalige Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch das erkennende Gericht in Verbindung mit § 67d Abs. 1 StGB in der damals geltenden Fassung bedeutete, dass der Beschwerdeführer höchstens zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden konnte (siehe auch Rdnrn. 99-100). Auf Grundlage der späteren Änderung des Artikels 67d StGB im Jahre 1998, mit der diese Höchstfrist mit sofortiger Wirkung abgeschafft wurde, in Verbindung mit Artikel 1a Abs. 3 EGStGB ordneten die Vollstreckungsgerichte dann 2001 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers über die Zehnjahresfrist hinaus an. Die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers wurde somit rückwirkend verlängert, und zwar nach einem Gesetz, das in Kraft trat, nachdem er seine Straftat begangen hatte und er bereits über sechs Jahre in der Sicherungsverwahrung verbracht hatte.
124. Der Gerichtshof muss daher im Hinblick auf die in seiner Rechtsprechung festgelegten Kriterien darüber befinden, ob die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers eine "Strafe" im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 Satz 2 darstellt. Zunächst stellt er fest, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung im Jahre 1986 durch das Landgericht Marburg im Anschluss an seine Verurteilung wegen einer "Straftat", nämlich versuchter Mord und Raub, angeordnet wurde. In der Tat kann nach § 66 Abs. 1 StGB die Sicherungsverwahrung nur gegen jemanden angeordnet werden, der u.a. wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist (siehe Rdnrn. 49-50).
125. Was die Charakterisierung der Sicherungsverwahrung nach innerstaatlichem Recht angeht, stellt der Gerichtshof fest, dass diese Maßnahme in Deutschland nicht als Strafe angesehen wird, für die das absolute Verbot der rückwirkenden Bestrafung gilt. Die entsprechenden Feststellungen der Vollstreckungsgerichte in der vorliegenden Sache wurden vom Bundesverfassungsgericht in einem ausführlich begründeten Leiturteil bestätigt (siehe Rdnrn. 27-40). Nach den Bestimmungen des StGB wird die Sicherungsverwahrung als eine Maßregel der Besserung und Sicherung eingestuft. Diese Maßregeln sind in dem seit langer Zeit bestehenden zweispurigen Sanktionensystem des deutschen Strafrechts immer schon als sich von der Strafe unterscheidende Maßnahmen verstanden worden. Im Unterschied zur Strafe wird der Zweck der Sicherungsverwahrung nicht darin gesehen, eine strafrechtliche Schuld zu sühnen, sondern sie gilt als reine Präventionsmaßnahme, die die Allgemeinheit vor einem gefährlichen Täter schützen soll. Diese eindeutige Feststellung wird nach Ansicht des Gerichtshofs nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Sicherungsverwahrung, wie vom Beschwerdeführer vorgetragen, erstmals durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher vom 24. November 1933, also während des NS-Regimes, in das deutsche Strafrecht eingeführt wurde. Wie die Kommission bereits 1971 festgestellt hat (siehe X. ./. Deutschland, a.a.O.), wurden die Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung nach 1945 vom deutschen Gesetzgeber mehrfach bestätigt.
126. Wie jedoch vorstehend erneut ausgeführt wurde (Rdnr. 120), ist der Begriff der "Strafe" in Artikel 7 in seiner Reichweite autonom; es liegt deshalb beim Gerichtshof, darüber zu befinden, ob eine bestimmte Maßnahme als Strafe einzustufen ist, ohne dabei an die Einstufung der Maßnahme nach innerstaatlichen Recht gebunden zu sein. Er stellt in diesem Zusammenhang fest, dass es vorkommen kann und auch schon vorgekommen ist, dass dieselbe Art von Maßnahme in einem Staat als Strafe eingestuft wird und in einem anderen als Präventionsmaßnahme, auf die der Grundsatz nulla poena sine lege nicht anwendbar ist. So wurde beispielsweise die in Belgien vorgesehene Möglichkeit, Rückfalltäter und Hangtäter "zur Verfügung der Regierung zu stellen", was in vielerlei Hinsicht der Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht gleicht, nach belgischem Recht als Strafe angesehen (siehe Van Droogenbroeck, a.a.O., Rdnr. 19). Der französische Verfassungsrat hat in seiner Entscheidung vom 21. Februar 2008 (Nr. 2008-562 DC) entschieden, dass die unlängst im französischen Recht eingeführte Sicherungsverwahrung zwar nicht als Strafe einzustufen sei, aber dennoch nicht rückwirkend angeordnet werden könne, insbesondere in Anbetracht ihrer unbestimmten Dauer (siehe Rdnr. 75; weiteres Beispiel in Rdnr. 74).
127. Der Gerichtshof prüft daher weiter, um welche Art der Maßnahme es sich bei der Sicherungsverwahrung handelt. Er stellt zunächst fest, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist. Ferner ist im Hinblick auf die Art und Weise, in der Unterbringungen in der Sicherungsverwahrung in Deutschland in der Praxis im Vergleich zu normalen Freiheitsstrafen vollzogen werden, augenfällig, dass Sicherungsverwahrte in regulären Strafvollzugsanstalten, wenn auch in separaten Abteilungen, untergebracht sind. Die geringfügigen Änderungen der Vollzugsgestaltung im Vergleich zu Strafgefangenen, u.a. Privilegien wie etwa das Recht, eigene Kleidung zu tragen und die - komfortableren - Zellen noch zusätzlich auszustatten, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung gibt. Dies wird weiter dadurch veranschaulicht, dass es im Strafvollzugsgesetz sehr wenige Bestimmungen gibt, die sich speziell mit dem Vollzug von Sicherungsverwahrungsanordnungen befassen, und dass von diesen abgesehen die Bestimmungen über den Vollzug von Freiheitsstrafen entsprechend gelten (siehe §§ 129 bis 135 StVollzG und Rdnr. 64-65).
128. Überdies kann sich der Gerichtshof angesichts der tatsächlichen Situation von Sicherungsverwahrten dem Argument der Regierung (siehe Rdnr. 113) nicht anschließen, dass die Sicherungsverwahrung einem rein vorbeugenden und keinem Strafzweck diene. Er nimmt zur Kenntnis, dass nach § 66 StGB die Sicherungsverwahrung nur gegen Personen angeordnet werden darf, die wegen Straftaten einer gewissen Schwere wiederholt verurteilt worden sind. Er stellt insbesondere fest, dass es neben dem Angebot für normale Langzeitgefangene anscheinend keine besonderen, auf Sicherungsverwahrte gerichteten Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen gibt, die zum Ziel haben, die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.
129. Der Gerichtshof stimmt mit den Feststellungen des Menschenrechtskommissars des Europarats (siehe Nr. 206 seines Berichts, Rdnr. 76) und des CPT (siehe Nr. 100 seines Berichts, Rdnr. 77) überein, dass Sicherungsverwahrte in Anbetracht ihres potenziell unbegrenzten Aufenthalts in besonderer Weise psychologischer Betreuung und Unterstützung bedürfen.
Wie der CPT (a.a.O.) überzeugend ausführt, erfordert das Ziel der Kriminalprävention "ein hohes Maß an Betreuung durch ein multidisziplinäres Team sowie intensive und individuelle Arbeit mit den Gefangenen (durch unverzüglich zu erstellende individuelle Pläne). Dies muss in einem kohärenten Rahmen stattfinden, der Fortschritte in Richtung Entlassung ermöglicht, wobei die Entlassung eine realistische Möglichkeit sein sollte". Nach Ansicht des Gerichtshofs muss Sicherungsverwahrten diese Betreuung und Unterstützung gewährt werden; dies sollte im Rahmen eines ernsthaften Versuches geschehen, die Rückfallgefahr zu verringern und damit dem Zweck der Kriminalprävention zu dienen und ihre Entlassung zu ermöglichen. Der Gerichtshof lässt nicht außer Acht, dass die "Arbeit mit dieser Häftlingsgruppe [...] zwangsläufig eine der schwierigsten Herausforderungen für das Vollzugspersonal" ist (siehe Nr. 100 des CPT-Berichts, Rdnr. 77). Angesichts der unbestimmten Dauer der Sicherungsverwahrung sind jedoch besondere Anstrengungen zur Unterstützung dieser Gefangenen notwendig, die in der Regel nicht in der Lage sind, durch eigene Bemühungen Fortschritte in Richtung Entlassung zu erzielen. Er stellt fest, dass es - abgesehen von dem Angebot für normale Langzeitstrafgefangene, die ihre Haft zu Strafzwecken verbüßen - derzeit an zusätzlichen und wesentlichen Maßnahmen fehlt, um sicherzustellen, dass die betreffenden Personen von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten werden.
130. Darüber hinaus dient nach den §§ 2 und 129 StVollzG sowohl der Vollzug einer Freiheitsstrafe als auch der Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung zwei Zielen, nämlich dem Schutz der Allgemeinheit und der Befähigung des Gefangenen, ein sozial verantwortliches Leben in Freiheit zu führen. Es könnte zwar gesagt werden, dass Strafen hauptsächlich Strafzwecken dienen, während Maßregeln der Besserung und Sicherung in erster Linie auf die Vorbeugung abzielen, klar ist jedoch, dass sich die Ziele dieser Sanktionen teilweise überlappen. Darüber hinaus kann die Sicherungsverwahrung aufgrund ihrer unbegrenzten Dauer durchaus als zusätzliche Bestrafung für eine von der betreffenden Person begangene Straftat verstanden werden und sie beinhaltet eindeutig ein Element der Abschreckung. Jedenfalls kann, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, das Ziel der Vorbeugung auch mit einem Strafzweck vereinbar sein und gerade als ein konstituierendes Element des Begriffs der Bestrafung angesehen werden (siehe Welch, a.a.O., Rdnr. 30).
131. Was die mit der Schaffung und Umsetzung von Anordnungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verbundenen Verfahren angeht, stellt der Gerichtshof fest, dass die Sicherungsverwahrung von den erkennenden (Straf-)Gerichten angeordnet wird. Ihre Vollstreckung wird von den Vollstreckungsgerichten, die ebenfalls Teil der Strafrechtspflege sind, in einem gesonderten Verfahren festgelegt.
132. Im Hinblick auf die Schwere der Sicherungsverwahrung schließlich - die allein nicht entscheidend ist (siehe Rdnr. 120) - stellt der Gerichtshof fest, dass diese Maßnahme eine Freiheitsentziehung bedeutet, für die es nach der gesetzlichen Neuregelung von 1998 keine Höchstfrist mehr gibt. Ferner setzt die Aussetzung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung die gerichtliche Feststellung voraus, dass keine Gefahr mehr besteht, dass der Untergebrachte weitere (erhebliche) Taten begehen wird (siehe § 67d StGB und Rdnr. 53), eine Voraussetzung, deren Erfüllung schwierig sein kann (siehe insoweit auch die Feststellung des Menschenrechtskommissars in Nr. 203 seines Berichts, zitiert in Rdnr. 76: "Es kann unmöglich mit hundertprozentiger Sicherheit vorhergesagt werden, ob eine Person tatsächlich rückfällig wird"). Deshalb kann der Gerichtshof nur zu der Feststellung gelangen, dass es sich bei dieser Maßnahme offenbar um eine der schwersten - wenn nicht die schwerste - handelt, die nach dem Strafgesetzbuch verhängt werden können. Er stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der Beschwerdeführer infolge seiner fortdauernden Sicherungsverwahrung - die bislang mehr als dreimal so lange wie seine Freiheitsstrafe andauert - einen schwerwiegenderen Nachteil erlitten hat als durch die Freiheitsstrafe selbst.
133. Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis - wobei er nicht nur den äußeren Anschein betrachtet und seine eigene Würdigung vornimmt -, dass die Sicherungsverwahrung nach dem Strafgesetzbuch als "Strafe" im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 der Konvention einzustufen ist.
134. Ferner weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass er in seiner Rechtsprechung zwischen einer Maßnahme, die im Wesentlichen eine "Strafe" darstellt - und für die das absolute Verbot rückwirkender Strafbestimmungen gilt - und einer Maßnahme, die den "Vollzug" bzw. die "Vollstreckung" der "Strafe" betrifft, unterschieden hat (siehe Rdnr. 121). Er hat also darüber zu befinden, ob eine Maßnahme, aufgrund deren aus einer Freiheitsentziehung von begrenzter Dauer eine Freiheitsentziehung von unbegrenzter Dauer wurde, im Wesentlichen eine zusätzliche Strafe darstellte oder lediglich den Vollzug bzw. die Vollstreckung der Strafe betraf, die zu dem Zeitpunkt anwendbar war, zu dem der Beschwerdeführer die Tat, derentwegen er verurteilt wurde, beging.
135. Der Gerichtshof nimmt das Vorbringen der Regierung zur Kenntnis, dass das erkennende Gericht die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers ohne Angabe einer Frist angeordnet habe. Die Verlängerung dieser Maßnahme betreffe deshalb lediglich die Vollstreckung der vom erkennenden Gericht gegen den Beschwerdeführer verhängten Sanktion. Der Gerichtshof ist von diesem Argument nicht überzeugt. Wie er bereits festgestellt hat (siehe Rdnrn. 99-101 und 123), bedeutete zu dem Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer seine Tat beging, die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch das erkennende Gericht in Verbindung mit § 67d Abs. 1 StGB in der damals geltenden Fassung, dass der Beschwerdeführer höchstens zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden konnte.
Die Verlängerung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, die von den Vollstreckungsgerichten nach der Neuregelung des § 67d StGB angeordnet wurde, betrifft deshalb nicht nur die Vollstreckung der Sanktion (bis zu zehn Jahren Sicherungsverwahrung), die gegen den Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit dem zur Tatzeit geltenden Recht verhängt wurde. Sie stellt eine zusätzliche Strafe dar, die gegen den Beschwerdeführer nachträglich nach einem Gesetz verhängt wurde, das erst in Kraft trat, nachdem der Beschwerdeführer seine Straftat begangen hatte.
136. Auch in dieser Hinsicht muss der vorliegende Fall von der Sache Kafkaris (a.a.O.) unterschieden werden. Herr Kafkaris wurde in Übereinstimmung mit dem zur Tatzeit geltenden Strafrecht zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Es könnte nicht gesagt werden, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe zum maßgeblichen Zeitpunkt eindeutig zwanzig Jahre Haft bedeutete (a.a.O. Rdnrn. 143 f.). Im vorliegenden Fall hingegen legten die zur Tatzeit geltenden strafrechtlichen Bestimmungen klar und unmissverständlich eine Höchstfrist von zehn Jahren für eine erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung fest.
137. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass Artikel 7 Abs. 1 der Konvention verletzt worden ist.
138. Artikel 41 der Konvention lautet:
"Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist."
139. Der Beschwerdeführer machte in Bezug auf den immateriellen Schaden einen Mindestbetrag von 172.000 Euro geltend, und zwar im Hinblick auf die lange Dauer seiner unrechtmäßigen Haft, in der er sich seit 2001 unter klarem Verstoß gegen die Artikel 5 und 7 und trotz der Tatsache, dass er zahlreiche langwierige Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten angestrengt habe, um seine Freilassung zu erreichen, befinde. Er nahm auf die Entschädigungssummen Bezug, die der Gerichtshof in den Fällen Karatas ./. Türkei ([GK], Nr. 23168/94, ECHR 1999-IV), und Kokkinakis ./.. Griechenland (25. Mai 1993, Serie A Bd. 260-A) zugesprochen hat, und trug vor, dass ihm eine Entschädigung in Höhe von monatlich 2000 Euro, dem durchschnittlichen Monatseinkommen in Deutschland, zuerkannt werden solle. Hinsichtlich des materiellen Schadens trug der Beschwerdeführer vor, dass ihm in dem Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten Prozesskostenhilfe gewährt worden sei. Der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers beantragte, dass jegliche Zahlungen an sein Konto erfolgen sollten, und berief sich insoweit auf seine Vollmacht, die ihn u.a. zur Entgegennahme von Zahlungen der anderen Verfahrenspartei befuge.
140. Die Regierung hielt die Forderung des Beschwerdeführers in Bezug auf den immateriellen Schaden für überhöht. Sie trug vor, § 7 Abs. 3 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen sehe eine Entschädigung von elf Euro pro Tag einer unrechtmäßigen Freiheitsentziehung vor. Sie stellte es in das Ermessen des Gerichtshofs, den Betrag nach Billigkeit festzusetzen.
141. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Haft des Beschwerdeführers über die Zehnjahresfrist hinaus Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 7 Abs. 1 der Konvention verletzt hat und dass sich der Beschwerdeführer somit seit dem 8. September 2001 konventionswidrig in Haft befindet (siehe Rdnr. 19).
Dies muss einen immateriellen Schaden wie etwa Kummer und Frustration verursacht haben, der nicht allein durch die Feststellung von Verstößen kompensiert werden kann. Unter Berücksichtigung aller Umstände der Rechtssache setzt der Gerichtshof die Summe nach Billigkeit fest und spricht dem Beschwerdeführer unter dieser Rubrik 50.000 Euro zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender Steuern zu. Im Hinblick auf die vom Rechtsanwalt des Beschwerdeführers vorgelegte Vollmacht, die ihn zur Entgegennahme von Zahlungen befugt, die seitens der anderen Verfahrenspartei zu leistend sind, ordnet er an, dass diese dem Beschwerdeführer zugesprochene Summe auf das Treuhandkonto seines Rechtsanwalts einzuzahlen ist.
142. Der Beschwerdeführer, dem Prozesskostenhilfe sowohl in dem Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten als auch vor dem Gerichthof gewährt wurde, hat keine Kosten und Auslagen in Bezug auf diese Verfahren geltend gemacht. Daher spricht der Gerichtshof unter dieser Rubrik keine Entschädigung zu.
143. Der Gerichtshof hält es für angemessen, für die Berechnung der Verzugszinsen den Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank zuzüglich 3 Prozentpunkten zugrunde zu legen.
1. Artikel 5 Abs. 1 der Konvention ist verletzt worden;
2. Artikel 7 Abs. 1 der Konvention ist verletzt worden;
3. (a) der beschwerdegegnerische Staat hat dem Beschwerdeführer binnen drei Monaten nach dem Tag, an dem das Urteil nach Artikel 44 Abs. 2 der Konvention endgültig wird, 50.000 Euro (fünfzigtausend Euro), zuzüglich der gegebenenfalls zu berechnenden Steuer, als Entschädigung für den immateriellen Schaden zu zahlen; die Summe ist auf das Treuhandkonto seines Rechtsanwalts einzuzahlen;
(b) nach Ablauf der vorgenannten Frist von drei Monaten bis zur Auszahlung fallen für den obengenannten Betrag einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes an, der dem Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank im Verzugszeitraum zuzüglich drei Prozentpunkten entspricht;
4. im Übrigen wird die Forderung des Beschwerdeführers nach gerechter Entschädigung zurückgewiesen.
[Redaktioneller Hinweis: Es handelt sich hier um die Übersetzung des Bundesjustizministeriums.]
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 65
Bearbeiter: Karsten Gaede