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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 68

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 252/11, Beschluss v. 09.11.2011, HRRS 2012 Nr. 68


BGH 4 StR 252/11 - Beschluss vom 9. November 2011 (LG Halle)

Betrug (erforderliche Feststellungen für die Täuschungshandlung, den Irrtum und die Kausalität der Täuschung; erforderliche Vernehmung der vermeintlich im Einzelfall Getäuschten; Vorsatz; uneigentliches Organisationsdelikt); strafbare Werbung.

§ 263 StGB; § 15 StGB; § 261 StPO; § 16 UWG; § 52 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein Betrug scheidet aus, wenn die vermeintlich Getäuschten nach den Urteilsgründen möglicherweise positive Kenntnis über den vermeintlichen Täuschungsinhalt hatten.

2. Die erforderliche Kausalität der Täuschung für den Irrtum des Verfügenden muss im Urteil hinreichend belegt sein. Daran fehlt es, wenn die Motivation der Verfügenden widersprüchlich dargestellt ist.

3. Bei einer disparaten Ausgangs- und Motivationslage mehrerer Personen, die möglicherweise durch identische Tathandlungen getäuscht worden sind, ist es fragwürdig, lediglich einige der betroffenen Personen zum Beweis der Kausalität zu vernehmen. Bei dieser Sachlage verbietet sich der Schluss von den Vorstellungen und Beweggründen der gehörten Zeugen auf diejenigen der übrigen Geschädigten. Die Angaben der gehörten Zeugen müssen insbesondere in diesem Fall einer näheren Beweiswürdigung unterzogen werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 12. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten des Betruges in Tateinheit mit strafbarer Werbung nach § 16 Abs. 2 UWG schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten R. hat es eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, gegen die Angeklagte W. unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer weiteren Verurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und gegen die Angeklagten H. und S. Freiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und fünf Monaten verhängt und gegen alle Angeklagten den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die Revisionen der Angeklagten führen mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.

I.

Die Schuldsprüche wegen Betruges halten jeweils der rechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagten im arbeitsteiligen Zusammenwirken unter Leitung des früheren Mitangeklagten und inzwischen gesondert Verurteilten K. im Zeitraum von Anfang Mai bis Ende Dezember 2006 ein sog. Aus- und Weiterbildungsprogramm in Gestalt eines mehrteiligen Persönlichkeitsentwicklungs-Seminars vertrieben, wobei die als Kunden angeworbenen Verbraucher ihre vertragliche Verpflichtung nicht um des Erwerbs des Produktes willen eingingen, sondern lediglich im Hinblick auf die ihnen in Aussicht gestellten Provisionen für die Mitarbeit in einem von K. geführten Unternehmen, wobei diese Mitarbeit ausschließlich in der Anwerbung weiterer Neukunden bestand (sog. Schneeballsystem). Es hat angenommen, die Kunden seien über die Erfolgsabhängigkeit der in Aussicht gestellten Provisionen sowie über die fehlende Bereitschaft zur vollständigen Durchführung des angebotenen Seminars im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB getäuscht und dadurch - jedenfalls mitursächlich - zum Vertragsschluss bewogen worden, was allen Angeklagten auch bewusst gewesen sei.

2. Dies begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Die vom Landgericht als tatbestandsmäßig angesehene Täuschung der Kunden über die Erfolgsabhängigkeit des Provisionsanspruchs ist nicht hinreichend dargetan. Nach den Urteilsfeststellungen hob der Angeklagte R. bei allen Präsentationen - wenngleich nur kurz - hervor, dass die Auszahlung von Provisionen auch für Fahrer mit der Anwerbung neuer Kunden verknüpft war. Die Urteilsgründe teilen im Übrigen nicht mit, wann die Kunden den jeweiligen Inhalt des ihnen vorgelegten Mitarbeitervertrages zur Kenntnis nahmen, in dem die Erfolgsabhängigkeit des Provisionsanspruches ausdrücklich festgelegt war. Die Feststellung, die "durch den Mitarbeitervertrag in Aussicht gestellten Provisionen" seien "der maßgebliche Beweggrund für die Mitarbeit bei der C. " gewesen, welche sich die Kunden "dann aber durch die Bezahlung der Seminargebühr erkauft haben", legt indes nahe, lässt es aber jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Kunden bei Abschluss des Seminarvertrages um den Inhalt des Mitarbeitervertrages und damit um die Erfolgsabhängigkeit der Provision wussten.

b) Soweit das Landgericht für die Annahme einer Täuschung darauf abgestellt hat, dass die Angeklagten den Kunden gegenüber den tatsächlich nicht vorhandenen Willen vorgespiegelt hätten, das angebotene Seminar tatsächlich vollumfänglich abzuhalten, wird die erforderliche Kausalität eines entsprechenden Irrtums der Kunden für ihre Entscheidung, den Seminarvertrag abzuschließen und damit eine Vermögensverfügung vorzunehmen (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 263 Rn. 87 m.w.N.), durch die Feststellungen ebenfalls nicht hinreichend belegt. Die Urteilsgründe sind, was die Motivation der Geschädigten zum Vertragsschluss betrifft, widersprüchlich. So ist einerseits festgestellt, den Kunden sei es nur um die versprochenen Vorteile in Form von Provisionen gegangen, die sie durch die Anwerbung weiterer Neukunden zu erlangen hofften; andererseits wird in den Feststellungen ausgeführt, das Seminar selbst sei ein "Zusatznutzen" gewesen, der für den Abschluss der Verträge "regelmäßig, wenn auch untergeordnet, mitbestimmend" gewesen sei. Dieser Widerspruch setzt sich in der Beweiswürdigung fort, wenn das Landgericht einerseits erneut darauf abstellt, die Kunden hätten auf den im Seminar liegenden Zusatznutzen nicht verzichten wollen, andererseits aber ausführt, "nicht das Produkt selbst, sondern die mit seinem bloßen Erwerb verbundene Möglichkeit, Einnahmen nach den oben beschriebenen Umfang erzielen zu können" habe "bei dem angesprochenen Adressatenkreis Beachtung" gefunden.

c) Darüber hinaus beruht die Annahme, bei allen Kunden sei die Aussicht auf die vollständige Durchführung des Seminars jedenfalls mitursächlich für den Vertragsschluss geworden, nicht auf einer ausreichenden Beweisgrundlage:

Das Landgericht hat lediglich 56 Teilnehmer an den Präsentationsveranstaltungen als Zeugen vernommen, obwohl nach den Feststellungen mindestens 321 Kunden angeworben wurden, von denen - unter Zugrundelegung jeweils vollständiger Zahlung - mindestens 129 den Seminarpreis von 3.200 Euro und die Bearbeitungsgebühr von 150 Euro entrichteten. Eine Vernehmung sämtlicher Geschädigter hat das Landgericht "im Hinblick auf den standardisierten Geschäftsablauf" nicht für erforderlich gehalten, weil die vernommenen Zeugen ein repräsentatives Bild vermittelt hätten, das auch die notwendigen Schlussfolgerungen über die irrtumsbedingte Bezahlung der Seminar- und Bearbeitungsgebühr ermöglicht habe.

Rechtlichen Bedenken begegnet es bereits, dass das Landgericht sich auf die pauschale Wiedergabe der Aussagen der Zeugen, sie hätten die Zahlung zwar als "Eintrittsgeld" in die C. gesehen, die Durchführung des Seminars sei aber für sie nicht gänzlich unbedeutend gewesen, beschränkt und diese keiner weiteren Würdigung unterzogen hat. Insbesondere hat es sich nicht mit der naheliegenden Möglichkeit auseinandergesetzt, dass manche Kunden das Vertriebsmodell der Angeklagten durchschauten, aber hofften, zu einem Zeitpunkt einzusteigen, der noch Gewinne versprach, dass ihnen aber jedenfalls der Inhalt des Seminars vollkommen gleichgültig war und sie ausschließlich einen Zugang zur Vertriebsstruktur erlangen wollten. Dies drängte sich auch deshalb auf, weil es - wie das Landgericht festgestellt hat - einer ganz überwiegenden Anzahl der Zeugen auch im Hinblick auf ihre berufliche Vorbildung nur auf eine Tätigkeit als Fahrer ankam, für die die im Seminar vermittelten Inhalte ohne Bedeutung waren, und einige aus mangelndem Interesse nicht an den ihnen angebotenen Seminarmodulen teilgenommen haben. Auch der Umstand, dass ein Teil der gehörten Zeugen keine genaue Erinnerung mehr daran hatte, ob das Seminar auf der Präsentationsveranstaltung überhaupt angeboten wurde und welchen Inhalt es haben sollte, hätte Anlass zu einer eingehenderen Auseinandersetzung mit den Bekundungen der Zeugen zu ihrer Motivation für den Vertragsschluss geboten. Jedenfalls verbietet sich bei dieser Sachlage der Schluss von den Vorstellungen und Beweggründen der gehörten Zeugen auf diejenigen der übrigen Geschädigten (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2009 - 2 StR 91/09, NStZ 2010, 88).

d) Hinsichtlich der für den Betrugsvorsatz erforderlichen Kenntnis davon, dass die Seminare nicht in vollem Umfang abgehalten werden sollten, ist die Beweiswürdigung jedenfalls für die Angeklagten S., H. und W. lückenhaft. Die Urteilsgründe verweisen insoweit lediglich auf die "Schlüsselpositionen" dieser Angeklagten in der Unternehmenshierarchie. Das Landgericht hat sich jedoch bei der Feststellung der Leistungsunwilligkeit maßgeblich auf die Aussage des mit der Durchführung der Seminare beauftragten Dozenten St. gestützt, dessen ausschließliche Ansprechpartner bei der C. indes der Angeklagte R. und der frühere Mitangeklagte K. waren. Außerdem war es für die Provisionsansprüche der als "Vertriebsmanagerinnen" tätigen Angeklagten S., H. und W. ebenso bedeutungslos, ob das Seminar nur teilweise oder vollständig durchgeführt wurde, wie für den wirtschaftlichen Erfolg des Vertriebssystems insgesamt. Daher versteht sich ein solcher Vorsatz dieser Angeklagten auch nicht von selbst.

II.

Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils insgesamt, auch wenn die tateinheitliche Verurteilung wegen strafbarer Werbung nach § 16 Abs. 2 UWG an sich rechtsfehlerfrei erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung merkt der Senat an:

Die Annahme einer einzigen materiell-rechtlichen Tat des Betruges durch das Landgericht begegnet rechtlichen Bedenken. Für die Einordnung des Betrugsgeschehens als sog. uneigentliches Organisationsdelikt ist vorliegend kein Raum. Die Tatbeiträge der Angeklagten erschöpften sich nicht im Aufbau und in der Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2008 - 5 StR 572/07, wistra 2008, 181); vielmehr hat das Landgericht mit der Durchführung der Präsentationsveranstaltungen durch den Angeklagten R. und der Durchführung der Einzelgespräche wie der Beitreibung des Geldes durch die Angeklagten S., H. und W. für jeden Angeklagten individuelle, nur einzelne Taten fördernde Tatbeiträge festgestellt. In einem solchen Fall ist die organisatorische Einbindung eines Täters in ein betrügerisches Geschäftskonzept für sich nicht ausreichend,

Einzelakte einer Tatserie rechtlich zu einer Tat, auch nicht im Sinne eines sog. uneigentlichen Organisationsdelikts, zusammenzufassen (BGH, Beschluss vom 29. Juli 2009 - 2 StR 91/09, NStZ 2010, 88, Tz. 14). Vielmehr sind die Taten - auch eine Verklammerung durch die einheitliche Tat der strafbaren Werbung nach § 16 Abs. 2 UWG (vgl. hierzu KG, NStZ-RR 2005, 26) kommt angesichts der im Vergleich zum Strafrahmen des § 263 StGB erheblich niedrigeren Strafandrohung nicht in Betracht (vgl. Fischer, a.a.O., vor § 52, Rn. 32) - den Angeklagten grundsätzlich als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Im Übrigen wird der neue Tatrichter die Frage der Konkurrenzen für jeden Tatbeteiligten gesondert zu prüfen haben (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2008 - 4 StR 125/08, NStZ-RR 2008, 275).

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 68

Bearbeiter: Karsten Gaede