HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 198
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 393/05, Urteil v. 19.01.2006, HRRS 2006 Nr. 198
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 6. April 2005 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Der Verurteilte wurde am 15. Februar 2001 vom Landgericht Hagen wegen Vergewaltigung zu einer Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten sowie wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Aus beiden Einzelstrafen bildete das Landgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Nach den Feststellungen jenes Urteils traf der Verurteilte an einem Abend im April 2000 die Geschädigte Michaela K. in einer Gaststätte und ging mit ihr, um gemeinsam einen "Joint" zu rauchen, nach draußen, wo es auch zum Austausch von Zärtlichkeiten kam. Als sie sich in einer nahegelegenen Unterführung zum Urinieren hinhockte, fühlte sich der deutlich alkoholisierte Verurteilte durch das distanzlose Verhalten der Frau "animiert". Er zwang sie daraufhin unter Ausnutzung ihrer schutzlosen Lage, u.a. den Oralverkehr des Verurteilten an ihr zu dulden und an ihm auszuführen.
In dem weiteren Fall lernte der Verurteilte am Tatabend im Mai 2000 die Geschädigte Angelika F. auf dem Bahnhofsvorplatz in Hagen kennen, von wo aus sie die Wohnung eines Bekannten aufsuchten. Dort und später auch auf dem Weg in die Hagener Innenstadt kam es zum einvernehmlichen Austausch von Zärtlichkeiten. Als die Geschädigte sich plötzlich weiteren Küssen des wiederum alkoholisierten Verurteilten widersetzte, akzeptierte dieser den Sinneswandel nicht. Vielmehr schubste er sie zu Boden, legte sich auf sie und faßte ihr, um ihre Hilferufe zu unterbinden, fest an den Hals, ließ dann aber auf ihre Bitte, sie nicht zu vergewaltigen, mit der Bemerkung von ihr ab: "Ich werde Dir nicht wehtun".
2. Vor Begehung dieser Taten war der vielfach vorbestrafte Verurteilte bereits dreimal wegen sexueller Gewaltdelikte in Erscheinung getreten. Er wurde deshalb im November 1986 wegen einer im März jenes Jahres begangenen Vergewaltigung (der leicht alkoholisierte Verurteilte hatte eine Frau, die er zuvor in einer Discothek kennengelernt hatte, zu sich zum Frühstück eingeladen. Auf dem Weg zu seiner Wohnung führte er sie über einen Friedhof, wo er sie auf den Boden drückte und u.a. den Oralverkehr erzwang) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Nur knapp vier Monate nach vollständiger Verbüßung überfiel der nicht ausschließbar alkoholbedingt erheblich vermindert steuerungsfähige Verurteilte Ende Juli 1990 auf offener Straße eine Frau, um mit ihr geschlechtlich zu verkehren, und zerrte sie in ein Gebüsch; sie konnte ihm aber entkommen. Er wurde deshalb im Februar 1991 wegen versuchter Vergewaltigung zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Noch bevor diese Strafe vollstreckt wurde, kam es Ende Juli 1991 zu einer neuerlichen sexuellen Gewalttat. Der wiederum nicht ausschließbar alkoholbedingt erheblich vermindert steuerungsfähige Verurteilte hatte sich mit einer Gruppe mehrerer sämtlich alkoholisierter Männer und Frauen, darunter auch die später Geschädigte, getroffen. Er veranlaßte sie, sich mit ihm von der Gruppe zu entfernen, wobei sie sich von ihm auch küssen ließ. Als sie aber weitere sexuelle Handlungen ablehnte, brachte der Verurteilte sie zu Fall und erzwang durch Schläge ins Gesicht und unter der Drohung, ihr mit einem Stein auf den Kopf zu schlagen, dass der Verurteilte den Oralverkehr an ihr ausüben und mit den Fingern in ihre Scheide eindringen konnte. Er wurde deshalb im Juni 1992 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Vergewaltigung zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die er bis Juni 1995 verbüßte.
3. Obwohl nach den Feststellungen des Ursprungsurteils sowohl die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB als auch - worauf das Landgericht allein abgestellt hat - die des Absatzes 3 der Vorschrift vorlagen, sah das Landgericht seinerzeit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung ab, da der Gefährlichkeit des Verurteilten aus aktueller Sicht erfolgreich dadurch entgegengewirkt werden könne, dass er in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB untergebracht werde (UA 18). Im Vollzug dieser durch das Landgericht angeordneten Maßregel verweigerte der Verurteilte jedoch eine therapeutische Zusammenarbeit zunehmend, worauf die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 12. August 2002 gemäß § 67 d Abs. 5 StGB bestimmte, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen sei. Nach Abbruch des Maßregelvollzugs lehnte der Verurteilte sämtliche Behandlungsangebote der Justizvollzugsanstalt, auch in Bezug auf seine Sexual- und Gewaltproblematik, als für sich "völlig unangemessen" (UA 24) ab. Der Verurteilte verbüßte die verhängte Strafe vollständig bis zum 2. September 2004, verblieb aber weiterhin in Haft, nachdem das Landgericht am 1. September 2004 gemäß § 275 a Abs. 5 StPO seine einstweilige Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung angeordnet hatte.
Zum Verhalten des Verurteilten im Vollzug hat das Landgericht im angefochtenen Urteil im Übrigen folgende Feststellungen getroffen:
Ende Mai 2001 wurde der Verurteilte zur Vollstreckung der nach § 64 StGB angeordneten Maßregel in die Klinik verlegt. Dort suchte er alsbald den Kontakt und die Nähe zu Frau A., die erst seit kurzer Zeit als jüngste Pflegekraft auf seiner Station beschäftigt war. Der Verurteilte kam häufig zu ihr ins Dienstzimmer, machte ihr Komplimente und kochte sogar für sie, wenn sie Nachtdienst hatte. Da sie noch jung und unerfahren im Umgang mit Patienten war, den Verurteilten sympathisch und attraktiv fand und sich von seinen Komplimenten geschmeichelt fühlte (UA 19), unterhielt sie sich viel mit ihm und erzählte dabei auch von sehr persönlichen Umständen und durchaus auch sexualbetonten Gefühlen, so dass - auch wenn sie dabei keine Hintergedanken hegte - möglicherweise eine "knisternde Atmosphäre" oder "erotische Spannung" entstand (UA 20).
Spätestens Ende April 2002 beendete Frau A. diese "flirtive Situation" (UA 56) und ging auf Distanz zu dem Verurteilten. Dieser konnte mit ihrem Rückzug jedoch nicht umgehen. Seine bisherige Zuneigung schlug jetzt in Hass und Aggression um (UA 21). Dies zeigte sich in Drohungen und massiven Beleidigungen.
So äußerte er noch Ende April 2002 zu dem Stationspsychologen, "wenn er enttäuscht werde, überlege er nur, wie er dem anderen schaden könne; er habe sich für jeden aus dem Team eine Strafe überlegt". Als der Verurteilte wegen wiederholter Beleidigungen in den Kriseninterventionsraum verlegt wurde, fand man bei ihm ein Teppichmesser, welches er sich eigenmächtig beschafft hatte und das er dazu benutzen wollte, sich selbst oder gegebenenfalls andere Personen zu verletzen (UA 22). Zudem fanden sich bei seiner persönlichen Habe die Adresse und Telefonnummer von Frau A. sowie "Briefe und Postkarten, in denen ein einseitiges, sehnsüchtiges Verliebtsein in Frau A. zum Ausdruck kam" (UA 22). Während eines Freigangs Anfang Juni 2002 traf er auf seinen früheren Bezugspfleger, dem gegenüber er äußerte, er werde "das Team von der Station D in zwei Jahren, wenn er rauskomme, 'niedermetzeln'; ganz besonders ... Frau A. und ... Frau N. werde er übel mitspielen" (UA 23).
Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Allerdings hat das Landgericht zutreffend die formellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 StGB bejaht. Jedoch sind die materiellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB nicht ausreichend dargetan.
1. Das Landgericht hat zur Frage der Gefährlichkeit des Angeklagten die ärztliche Direktorin am Zentrum für forensische Psychiatrie ( ) in, Dr. med. S., sowie den ärztlichen Direktor der Klinik in H. und Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin, Prof. Dr. T., als Sachverständige gehört.
Beide Sachverständigen sind in ihren Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Verurteilten liege eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor, die aufgrund ihrer typischen Merkmale maßgeblich für das Bestehen eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB spreche. Beide Sachverständigen sind ferner übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, es bestehe nicht nur eine bestimmte, sondern eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verurteilte wieder sexuelle Gewalttaten begehen werde. Für ein solches hohes Risiko künftiger Sexualdelikte spreche auch, dass der Verurteilte zur Sexualisierung von Alltagssituationen und -beziehungen neige, erotische Signale nicht relativieren könne und Situationen sexuell übersteigert interpretiere (UA 56). Dies habe sich insbesondere in dem Verhalten des Verurteilten in der Klinik in Bezug auf Frau A. gezeigt. Dadurch sei auch die auf das seinerzeit erstattete Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Sch. gestützte Einschätzung des Landgerichts Hagen in seinem Urteil vom 15. Februar 2001 widerlegt, wonach die Straftaten des Verurteilten "maßgeblich" auf seinen jahrelangen Missbrauch von Alkohol und den jeweils aktuell genossenen Alkohol zurückzuführen seien.
Vielmehr sei nunmehr deutlich geworden, dass der Verurteilte auch unabhängig von einer tatzeitbezogenen Alkoholintoxikation zu gleichen Verhaltensweisen wie bei seinen Sexualstraftaten neige und er somit unabhängig von einer akuten Alkoholisierung allein aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur gefährlich sei (UA 42). Davon ausgehend, hat das Landgericht die für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erforderlichen "neuen Tatsachen" in dem "Verhalten des Verurteilten in der Klinik in Bezug auf die Zeugin A." gesehen; "denn dadurch (habe) sich gezeigt, dass er unabhängig von dem konstellativen Faktor einer tatzeitbezogenen Alkoholintoxikation gefährlich ist" (UA 42). Dies begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
2. Allerdings ergeben sich vorliegend aus dem Vollzugsverhalten des Verurteilten in der Unterbringung nach § 64 StGB gegenüber dem Ausgangsurteil "neue Tatsachen" (vgl. zu diesem Begriff BGH, Urteile vom 1. Juli 2005 - 2 StR 9/05 -, NJW 2005, 3078, und vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05 -, zum Abdruck in BGHSt bestimmt; Senatsbeschlüsse vom 9. November 2005 11 - 4 StR 483/05 - und vom 12. Januar 2006 - 4 StR 485/05), die im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen nach § 66 b Abs. 1 StGB Bedeutung erlangen können. Doch kommt den hierzu festgestellten Umständen weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit das Gewicht erheblicher neuer Tatsachen zu, das erst den Weg zu der in § 66 b StGB geforderten Gesamtwürdigung des Verurteilten eröffnet (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05).
Das Landgericht hat nicht ausreichend dargetan, dass das Verhalten des Verurteilten in der Klinik auf eine Bereitschaft des Verurteilten hinweist, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen, wie sie die Annahme erheblicher neuer Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB voraussetzt (BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05). Insbesondere begegnet die auf die Gutachten der beiden gehörten Sachverständigen gestützte Wertung des Landgerichts, das Verhalten des Verurteilten gegenüber Frau A. sei eine "Reinszenierung" seiner bisherigen, recht stereotyp verlaufenden Sexualstraftaten (UA 43), durchgreifenden Bedenken. Zwar war das Verhalten des Verurteilten von Hass und Aggression geprägt, nachdem Frau A. Ende April 2002 zu ihm auf Distanz gegangen war. Auch können die von dem Verurteilten angedeuteten oder ausdrücklich ausgesprochenen Drohungen unter Einbeziehung des bei ihm vorgefundenen Teppichmessers "neue Tatsachen" von Gewicht im Sinne des § 66 b StGB sein. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers sollen auch "wiederholte verbal-aggressive Angriffe" ebenso "wie die Drohung des Verurteilten, nach der Entlassung weitere Straftaten zu begehen", als Anknüpfungspunkt für eine weitere Prüfung in Betracht kommen (BTDrucks. 15/2887 S. 12). Doch ist bei der Frage der Erheblichkeit immer in Rechnung zu stellen, ob und inwieweit diese Umstände ihre Ursache nicht nur in der Vollzugssituation haben (Senatsbeschluss vom 12. Januar 2006 - 4 StR 485/05).
Insoweit hätte das Landgericht hier berücksichtigen müssen, dass das Verhalten des Verurteilten eine nicht völlig unverständliche Reaktion auf die Zurückweisung durch Frau A. darstellte, nachdem sie die "notwendige professionelle Distanz" außer acht gelassen und durch diese "beruflichen Fehler" (UA 29) maßgeblich die "erotische Spannung" und die "Wunschfantasien" des Verurteilten (UA 20) mit verursacht hatte. Gegen die Wertung des Verhaltens des Verurteilten als "Reinszenierung" seiner früheren Sexualstraftaten spricht schließlich, dass diesen nach den dazu im Urteil mitgeteilten Sachverhalten jeweils ein spontaner Entschluss des Verurteilten zur alsbaldigen Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse zugrunde lag. Davon unterscheidet sich das monatelange "werbende", von gegenseitiger Sympathie getragene Verhalten des Verurteilten gegenüber Frau A. grundlegend.
Zudem hat das Landgericht nicht ausreichend dargetan, dass die Drohungen auch naheliegend Ausdruck der konkreten Gefahr sind, der Verurteilte werde seine im Vollzug geäußerten Drohungen auch in die Tat umsetzen (zur Bedeutung des Vollzugsverhaltens einschließlich des Auffindens verbotener Gegenstände (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05). Auch vor dem Hintergrund der Anlasstaten ergeben die Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht, dass der Verurteilte etwa nur wegen der Situation im Vollzug an gewalttätigen Übergriffen gegenüber Frau A. oder anderen Personen gehindert gewesen wäre. Die Feststellungen legen vielmehr nahe, schließen es jedenfalls aber nicht aus, dass der Verurteilte sehr wohl des öfteren insbesondere auch mit Frau A. allein war, ohne dass jeweils andere Personen zu ihrem Schutz unmittelbar hätten eingreifen können. Die Annahme des Landgerichts, zu einer tatsächlichen Anwendung von Gewalt durch den Verurteilten - wie bei seinen früheren Straftaten - sei es nur deshalb nicht gekommen, weil sich das Geschehen diesmal im Maßregelvollzug und damit in einem "geschützten Raum" abspielte (UA 43), stellt deshalb eine bloße Vermutung zu Lasten des Verurteilten dar.
Die Sache bedarf schon deshalb insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
1. Soweit das Landgericht mit den beiden gehörten Sachverständigen die Gefährlichkeit des Verurteilten als "allein aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur" und "unabhängig von einer akuten Alkoholisierung" bestehend angesehen hat (UA 42), liegt in diesen Umständen hier für sich noch keine für die Prüfung der Voraussetzungen des § 66 b StGB erforderliche "neue Tatsache". Zwar weicht die jetzige Beurteilung der Sachverständigen, der sich das Landgericht im angefochtenen Urteil angeschlossen hat, von derjenigen im Ausgangsverfahren insoweit ab, als danach das den Sexualdelikten des Verurteilten zu Grunde liegende Verhaltensmuster "primär" auf seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung beruhe, während eine akute Alkoholintoxikation nur ein zusätzlich enthemmender, nicht aber per se der tatauslösende Faktor sei (UA 44). Die Abweichung betrifft aber lediglich die Bewertung prognoserelevanter Ursachen der Sexualdelinquenz des Verurteilten, ohne dass damit neue Ursachen selbst zu Tage getreten wären (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05). Die vom psychiatrisch-psychologischen Sachverständigen zu verantwortende Diagnose einer Persönlichkeitsstörung als solche stellt auch dann, wenn sie von einem der international gebräuchlichen Klassifikationen (ICD oder DSM) erfasst wird, keine Tatsache dar; "nova" können sich immer nur auf die eine solche Diagnose begründenden Anknüpfungstatsachen beziehen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Januar 2006 - 4 StR 485/05). Zudem weist das angefochtene Urteil selbst aus, dass auch die jetzige psychiatrisch-psychologische Beurteilung des Verurteilten nicht "neu" ist. Denn bereits der psychiatrische Gutachter im Ausgangsverfahren hatte bei dem Verurteilten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer psychischen und Verhaltensstörung durch psychotrope Substanzen diagnostiziert (UA 17). Auch hatte der psychologische Sachverständige F. in dem Strafverfahren beim Landgericht Arnsberg schon 1992 die Sexualdelinquenz des Verurteilten "maßgeblich" auf seine "dissozialen Interaktionsmuster" (UA 44) zurückgeführt, was der jetzigen Beurteilung der Sachverständigen entspricht.
2. Eine berücksichtigungsfähige "neue Tatsache" kann hier allerdings die Therapieverweigerung des Verurteilten sein, wenn das Ursprungsgericht zum Zeitpunkt seiner Verurteilung davon ausgehen konnte, der Verurteilte werde sich im Vollzug einer Erfolg versprechenden Therapie unterziehen (Senatsbeschluss vom 9. November 2005 aaO). Im Rahmen der dadurch eröffneten Gesamtwürdigung (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 1 StR 482/05) darf der Tatrichter jedoch nicht allein auf eine derartige Verweigerungshaltung abstellen (BVerfGE 109, 190 = NJW 2004, 750, 758; BGH NJW 2005, 2022). Vielmehr hat er dazu die Persönlichkeit des Verurteilten, seine bisherigen Straftaten und seine Entwicklung bis zur letzten tatrichterlichen Verhandlung in den Blick zu nehmen.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 198
Bearbeiter: Karsten Gaede