HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 2
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 272/05, Urteil v. 25.11.2005, HRRS 2006 Nr. 2
Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 4. Februar 2005 aufgehoben. Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung entfällt.
Die Kosten des Verfahrens über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Die Entscheidung über die Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafvollstreckungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 und 2 StGB angeordnet und ihn in den Vollzug der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt überwiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Verurteilten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Der Verurteilte wurde vom Landgericht mit Urteil vom 19. Januar 1998 wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Aus dieser Strafe und vier Geldstrafen wegen Verkehrsdelikten wurde später eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren acht Monaten gebildet. Diese Freiheitsstrafe hat der Verurteilte bis zum 28. September 2004 vollständig verbüßt. An diesem Tage beantragte die Staatsanwaltschaft ohne nähere Begründung, gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Noch am selben Tag erließ das Landgericht einen Unterbringungsbefehl nach § 275a Abs. 5 StPO, aufgrund dessen der Verurteilte bis heute untergebracht ist.
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
a) Der Verurteilung vom 19. Januar 1998 liegt ein Raubüberfall auf eine Spielothek in G. zugrunde, den der Verurteilte am 28. Mai 1997 gemeinsam mit zwei anderen Tätern begangen hat. Die Spielhallenaufsicht und zwei Gäste wurden dabei mit der Schreckschusspistole des Verurteilten bedroht und mit Klebeband gefesselt, ein Gast wurde mit einem Queue und Fäusten geschlagen. Man hebelte die Spielautomaten mit Schraubenziehern auf, veranlasste die Spielhallenaufsicht, die Wechselgeldkasse zu öffnen, und nahm den Gästen ihre Portemonnaies weg. Der Verurteilte war bei der Tat wegen einer soziopathischen Persönlichkeitsfehlentwicklung mit antisozialem Verhaltensmuster und akutem Drogenrausch in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert.
b) Die Ehe der Eltern des Verurteilten wurde wenige Monate nach seiner Geburt geschieden. Seinen Stiefvater mochte er lange Zeit nicht akzeptieren. Dieser betreibt ein Gebäudereinigungsunternehmen, in dem auch Mutter, Stiefschwester und Halbbruder mitarbeiten. Der Verurteilte begann ab der 5. Klasse, in großem Umfang die Schule zu schwänzen; er zog es vor, in den Tag zu leben und mit Kumpels herumzuziehen. Einweisungen in Kinderheime brachten keinen Erfolg. Es kam zu Konflikten mit Erziehern und Mitschülern. Der Verurteilte wurde oft bestraft, gleichwohl änderte er sein Verhalten nicht. Nach der Entlassung aus dem Kinderheim brach der Verurteilte den Schulbesuch ab, schloss sich einem rechtsradikalen Freundeskreis an und sprach zunehmend dem Alkohol zu. Spätestens im Sommer 1991 begann der Verurteilte, regelmäßig zu stehlen. Im Mai 1993 kam er erstmals in Untersuchungshaft.
c) Am 6. Oktober 1993 verurteilte ihn das Amtsgericht Weimar wegen fortgesetzten gemeinschaftlichen Diebstahls in zwei Fällen, davon in einem Fall in erschwerter Form, und wegen gemeinschaftlichen versuchten schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, deren restliche Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilung lagen Einbrüche in mindestens sieben Gartenhäuser und Diebstähle von insgesamt sieben Mopeds zugrunde sowie ein Überfall auf zwei Schüler, die jedoch kein Geld bei sich hatten. Am 19. Mai 1994 verurteilte ihn das Landgericht Erfurt unter Einbeziehung des vorgenannten Urteils wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren. Der Verurteilte war am 15. Dezember 1993 mit seinem Kumpel Mike B., bei dem er wohnte und mit dem er viel Zeit verbrachte, auch gemeinsam Straftaten verübte, in einem Lokal in Streit geraten. Nach Verlassen des Lokals schlug B. dem Verurteilten unerwartet zwei- bis dreimal mit der Faust ins Gesicht. Der Verurteilte, der zur Tatzeit 2,48 %o Blutalkoholgehalt hatte, drängte B. auf die andere Straßenseite und stach ihm dreimal mit einem Messer in die Brustgegend, wodurch dieser lebensgefährlich verletzt wurde.
d) Der Verurteilte verbüßte die Einheitsjugendstrafe vollständig bis zum 10. September 1996. Während der Haft wurde der Verurteilte diverse Male diszipliniert, überwiegend wegen des Konsums von selbst hergestelltem Alkohol. In der Justizvollzugsanstalt Go. kam er auch erstmals in Kontakt zu Drogen.
e) Nach der Entlassung aus der Haft erhielt der Verurteilte im Anwesen von Mutter und Stiefvater eine eigene Wohnung und arbeitete nach Lust und Laune bis Frühjahr 1997 in der Gebäudereinigungsfirma mit. Seine Ehefrau, die er am 23. Dezember 1996 geheiratet hatte, jagte er im Februar 1997 wieder davon. Die Ehe wurde im November 1998 geschieden. Der Verurteilte kaufte sich einen Opel Omega und fuhr regelmäßig damit, obwohl er keine Fahrerlaubnis besaß, auch im Drogenrausch. Er wurde mehrfach von der Polizei gestellt, was ihn nicht hinderte, weiter zu fahren. Auch stahl er Fahrzeuge, mit denen er Spritztouren unternahm. Der Verurteilte konsumierte Alkohol, Kokain, Ecstasy und Speed. Im Frühjahr 1997 benötigte er zur Finanzierung seines Drogenkonsums 6000 DM monatlich. Er deckte den Bedarf durch regelmäßig durchgeführte Einbrüche in Autos und kleinere Geschäfte oder Villen, zunächst allein, später gemeinsam mit einem früheren Haftkumpan. Die Tatserie fand durch die Verhaftung am 2. Juli 1997 wegen des Überfalls auf die Spielothek ein Ende. Am 27. März 2000 wurde der Verurteilte wegen uneidlicher Falschaussage in Tateinheit mit falscher Verdächtigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Er hatte die Tat selbst bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.
f) Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 19. Januar 1998 zunächst in der Justizvollzugsanstalt Go. und ab dem 6. Februar 2002 in der Justizvollzugsanstalt T. In den Vollzugsalltag gliederte er sich nur seinen eigenen Vorstellungen entsprechend ein; Arbeit verrichtete er nur, wenn sie seinen Wünschen entsprach. Disziplinarmaßnahmen oder strafrechtliche Folgen vermochten sein Verhalten nicht zu ändern. Am 16. Dezember 1998 wurden bei einer Haftraumkontrolle verbotene Gegenstände (ein zum Messer umgebauter Einwegrasierer, diverse Rasierklingen, Klebeband, Nägel und Schrauben) gefunden. Am 24. Oktober 1999 rief der Verurteilte nach einem Streit mit einem Zellengenossen die Aufsicht. Als bei ihm ein Alkoholtest durchgeführt werden sollte, setzte er sich mit Macht zur Wehr, so dass ihm keine Blutprobe entnommen werden konnte. Der Verurteilte wurde deswegen vom Amtsgericht Suhl wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung, mit versuchter Körperverletzung und mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Im März 2000 bedrohte der Verurteilte aus Ärger über gegen ihn durchgeführte, letztlich erfolglose Ermittlungen seinen zuständigen Vollstreckungsabteilungsleiter mit den Worten: "Hauptsache, wir sehen uns draußen wieder, Herr W., ich lass mir doch nichts in den Mund legen". Am 11. Dezember 2000 wurde bei einer Haftraumkontrolle ein zum Schlaggerät umgebauter Strumpf - hierin war ein Feuerzeug eingelegt - gefunden. Bei einer Nachkontrolle am selben Tag fand man ein feststehendes Messer mit Stahlklinge - wie früher in der Kantine der Justizvollzugsanstalt benutzt - und ein Pendel zur Organisation von Handel zwischen den Zellen. Der Verurteilte konsumierte während der gesamten Haftzeit regelmäßig Alkohol oder Rauschgift, bevorzugt Kokain. Schnaps brannte er sich selbst. Die ihm angebotene Suchtberatung nahm er nicht in Anspruch, obwohl seine Abhängigkeitsprobleme zur Versagung von Vollzugslockerungen und Reststrafenaussetzung führten. Mehrere disziplinarische Ahndungen führten nicht zu einer Änderung des Konsumverhaltens. Der Verurteilte hat keine Entlassungsvorbereitungen getroffen. Er geht - zutreffend - davon aus, dass er bei seinen Eltern eine Wohnung beziehen und im elterlichen Gebäudereinigungsbetrieb arbeiten kann. Erstmals bei der Exploration durch die Sachverständigen in diesem Verfahren in November 2004 ging der Verurteilte auf eine Entzugsbehandlung ein und nahm auch Kontakt zu einer Suchtberatung auf.
3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB und des § 66b Abs. 2 StGB bejaht. Auf der Grundlage der Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. A. und Dr. B. sowie der Aussage der sachverständigen Zeugin Dipl. Psychologin H. ist das Landgericht unter zusammenfassender Würdigung von Person, Straftatenkarriere, Haftverhalten und sozialem Empfangsraum zu der Überzeugung gelangt, dass neuerliche Delinquenz des Verurteilten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, insbesondere Eigentumsdelikte, Fahren ohne Fahrerlaubnis, aber auch Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit, das Leben und die Freiheit anderer. Sein Kernproblem sei die dissoziale Persönlichkeitsstörung mit niedriger Gewaltschwelle, die sich in starrem Verhalten zeige. Dazu komme eine massive Suchtproblematik. Die von ihm bevorzugten stimulierenden Drogen und der Alkohol setzten die Hemmschwelle herab und verstärkten die Aggressivität. Sein Hang zu Straftaten führe regelmäßig mindestens zu Raubdelikten. Eine Maßregel nach § 64 StGB, wäre auf sie bei der Anlassverurteilung erkannt worden, wäre sicher wegen Erfolglosigkeit alsbald beendet worden. Es sei nichts erkennbar, was Abhilfe schaffen könnte.
1. Der Umstand, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung keine Begründung enthält, steht hier ausnahmsweise der Durchführung des Verfahrens nicht entgegen.
a) Weder § 66b StGB noch § 275a StPO enthalten inhaltliche Mindestanforderungen für den Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung. Auch den Gesetzesmaterialien (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, BTDrucks. 15/2887; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 15/3346) ist hierüber nichts zu entnehmen. Aus der Funktion des Antrags und der Ausgestaltung der verfahrensrechtlichen Regelung im Zusammenhang mit verfassungsrechtlichen Aspekten ergibt sich jedoch, dass dieser eine Begründung enthalten muss (so auch Ullenbruch in MünchKomm-StGB § 66b Rdn. 65 f., 72, 146; vgl. auch OLG Rostock StV 2005, 279, 280 f.).
aa) Aus § 275a StPO wird das Bestreben deutlich, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz (Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) des Verurteilten Rechnung zu tragen (vgl. Senatsurteil vom 1. Juli 2005 - 2 StR 9/05 -, NJW 2005, 3078, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte begrenzen die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Der Staatsbürger muss die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe grundsätzlich voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 109, 133, 180). Bei der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung wird an eine strafrechtlich bereits geahndete Anlasstat aus der Vergangenheit angeknüpft und damit der allgemeine Grundsatz des Vertrauensschutzes im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit zurückgestellt. Die Erwartung des Betroffenen, nach Verbüßung der verhängten Strafe die Freiheit zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder zu erlangen, tritt hier gegenüber dem Schutz der Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zurück. Dem von Verfassungs wegen mit einem hohen Rang ausgestatteten Freiheitsgrundrecht des Betroffenen ist aber durch verfahrensrechtliche Garantien hinreichend Geltung zu verschaffen. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb den Verurteilten von der Einleitung des Prüfungsverfahrens zu informieren (§ 275a Abs. 1 Satz 2 StPO). Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung muss gestellt werden, bevor die Strafvollstreckung aus dem Ausgangsverfahren beendet ist. Ist der Verurteilte aus der Strafhaft entlassen, ohne dass eine Antragstellung erfolgt ist, kann keine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverfahren mehr erfolgen (Senatsurteil vom 1. Juli 2005, NJW 2005, 3078). Der Verurteilte soll so früh wie möglich erfahren, dass er mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechnen muss (BTDrucks. 15/3346 S. 17). Damit sich der Betroffene auf das Verfahren einrichten kann, ist es aber auch geboten, ihm mit der Antragstellung mitzuteilen, auf welcher Variante des § 66b StGB der Antrag beruht und insbesondere welche neuen Tatsachen während der Strafvollstreckung erkennbar geworden sind, die Anlass zur Antragstellung geben. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich die Durchführung einer erneuten Hauptverhandlung angeordnet, um sicherzustellen, dass dem Verurteilten bei der Entscheidung die gleichen verfahrensrechtlichen Rechte zukommen, wie wenn das Gericht die Sicherungsverwahrung gleich im ersten Urteil angeordnet hätte (BTDrucks. 15/2887 S. 15). Für das Verfahren auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gelten damit die allgemeinen strafprozessualen Grundsätze, d. h. sowohl der Grundsatz des fairen Verfahrens als auch das Gebot des rechtlichen Gehörs. Beide Verfahrensgrundsätze gebieten es, dem Verurteilten frühzeitig mitzuteilen, welche Vorfälle die Staatsanwaltschaft zu der ungünstigen Gefährlichkeitsprognose und damit zur Antragstellung bewogen haben. Nur wenn er weiß, was ihm vorgeworfen wird, kann er sich auf das weitere Verfahren sachgemäß vorbereiten und seine Rechte in der Hauptverhandlung adäquat wahrnehmen, etwa selbst Zeugen oder andere Beweismittel benennen.
bb) Das Verfahren über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung belastet den Verurteilten angesichts der im Raum stehenden gravierenden Folgen ganz erheblich. Die Forderung, den Antrag zu begründen, dient daher auch der Selbstkontrolle der Staatsanwaltschaft und der Vermeidung unbegründeter Anträge.
cc) Für das Erfordernis einer Begründung der Antragsschrift spricht auch der Vergleich mit der Anklage (§ 200 StPO). Die Anklage muss die individuelle Tat konkret bezeichnen, über die das Gericht befinden soll, und damit den Verfahrensgegenstand unverwechselbar gegenüber anderen Lebenssachverhalten abgrenzen. Voraussetzung für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist, dass während der Haft des Verurteilten konkrete neue Tatsachen erkennbar geworden sind, die für seine Gefährlichkeit sprechen. Die Angabe dieser Tatsachen in dem vor Ende der Haft zu stellenden Antrag belegt mithin das Vorhandensein dieser Verfahrensvoraussetzung und dient somit dem Schutz des Betroffenen. Zugleich wird damit der Gegenstand des Verfahrens als Entscheidungsgrundlage für das Gericht bestimmt, indem festgelegt wird, welche neuen Tatsachen Anlass für die Einleitung des Verfahrens sind und der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil der Gesetzeswortlaut des § 275a StPO nicht ausschließt, dass während einer Freiheitsentziehung wiederholt eine Anordnung nach § 66b StGB geprüft wird (so auch Ullenbruch in MünchKomm-StGB § 66b Rdn. 57; vgl. demgegenüber aber BTDrucks. 15/3346 S. 18). Im Übrigen sind auch in der Anklageschrift solche Rechtsfolgen, die außer der Tat besondere tatsächliche Umstände voraussetzten, wie die Sicherungsverwahrung, entsprechend § 265 Abs. 2 StPO mit der Gesetzesbezeichnung anzuführen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. § 200 Rdn. 14). Um den Angeschuldigten umfassend zu informieren, sind in der Anklageschrift auch die Tatsachen anzugeben, die für die Anordnung der Maßregel von Bedeutung sind (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 19).
dd) Das Erfordernis einer Begründung des Antrags über den Gesetzeswortlaut hinaus besteht hier aus ähnlichen Gründen wie bei § 138 c Abs. 2 StPO. Auch bei dem Antrag auf Ausschließung eines Verteidigers ist der Inhalt des Antrags weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien geregelt. Nach ganz einhelliger Auffassung der Oberlandesgerichte müssen in dem Antrag die Tatsachen mitgeteilt werden, aus denen sich im Fall ihres Nachweises das die Ausschließung des Verteidigers rechtfertigende Verhalten ergeben soll, um den Verfahrensgegenstand festzulegen und das erforderliche rechtliche Gehör zu gewähren; außerdem sind die Beweismittel anzugeben (vgl. grundlegend OLG Karlsruhe NJW 1975, 943 = JR 1976, 205 mit Anm. Rieß; Meyer-Goßner aaO § 138 c Rdn. 9 m.w.N.).
b) Das Fehlen jeglicher Begründung macht den Antrag im vorliegenden Fall jedoch ausnahmsweise nicht unzulässig. Für eine Übergangszeit ist es hinzunehmen, dass dem Verurteilten die konkreten neuen Tatsachen erst im Laufe der Hauptverhandlung mitgeteilt werden. Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist erst am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Die Staatsanwaltschaft wusste zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht, dass sich die höchstrichterliche Rechtsprechung dahin entwickeln würde, einen begründeten Antrag zu fordern. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine entsprechenden Entscheidungen. Da eine gesetzliche Regelung nicht vorliegt und sich auch aus den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte für einen Begründungszwang ergeben, muss für eine kurze Übergangszeit (bis zur Veröffentlichung der hier getroffenen Entscheidung) ein nicht näher begründeter Antrag genügen. Der Verurteilte ist im vorliegenden Fall hinreichend durch den Gang der Hauptverhandlung über den Verfahrensstand unterrichtet gewesen. Unter II. 1.4.2. und 1.4.3. sowie unter IV. 3. der Urteilsfeststellungen hat der Tatrichter dargelegt, welche Tatsachen er als neu im Sinne von § 66b StGB ansieht. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils belegt, dass diese Tatsachen Gegenstand der Beweisaufnahme waren; der Verurteilte hat sie weitestgehend selbst eingeräumt und will sie nur anders bewertet wissen, im Übrigen sind sie durch Zeugen glaubhaft bekundet worden (UA S. 33 f.).
2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegen die formellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht vor.
a) Nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB ist Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung, dass jemand wegen einer der dort angeführten Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt wird und er wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Der Verurteilte ist durch Urteil des Landgerichts Erfurt vom 19. Mai 1994 wegen versuchten Totschlags unter Einbeziehung der Einheitsjugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Weimar vom 6. Oktober 1993 zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Für den Fall der Gesamtstrafe als Vorverurteilung hat der Senat bereits entschieden (BGHSt 48, 100), dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht notwendig eine Vorverurteilung zu einer Einzelstrafe von mindestens drei Jahren voraussetzt. Eine entsprechend hohe Gesamtfreiheitsstrafe genügt jedenfalls dann, wenn dieser ausschließlich Katalogtaten zugrunde liegen. Dagegen liegt eine Vorverurteilung im Sinne von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht vor, wenn in einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren lediglich eine Katalogtat mit einer niedrigeren Einzelstrafe neben einer Reihe von Nichtkatalogtaten enthalten ist (Senat in StV 2004, 481). Nichts anderes kann grundsätzlich für eine Einheitsjugendstrafe als Vorverurteilung gelten (vgl. BGHSt 26, 152, 154 f.). Der einbezogenen Einheitsjugendstrafe von sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Weimar lagen aber neben einer Katalogtat, dem versuchten schweren Raub, auch zwei durchaus gewichtige Nichtkatalogtaten, nämlich fortgesetzter Diebstahl in zwei Fällen, zugrunde. Das Landgericht Erfurt hat seinerzeit unter Einbeziehung dieser Verurteilung eine neue Einheitsjugendstrafe von genau drei Jahren gebildet. Unter diesen Umständen kann nicht festgestellt werden, dass der Tatrichter bei der Bildung dieser einheitlichen Jugendstrafe dem versuchten Totschlag und dem versuchten schweren Raub ein solches Gewicht beigemessen hat, dass er allein für diese Taten eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verhängt hätte. Eine nachträgliche Bewertung dahin, dass der Tatrichter den beiden Diebstahlsserien überhaupt keine Bedeutung beigemessen und sie bei der Strafzumessung völlig unbeachtet gelassen hat, scheidet aus.
b) Strafe und Vorverurteilung erfüllen jedoch die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB, den das Landgericht nicht geprüft hat. Nach § 66 b Abs. 3 Satz 2 StGB ist erforderlich, dass jemand zwei Katalogtaten begangen hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafen von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und dass er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. Eine Strafe ist verwirkt, wenn wegen der Tat eine Verurteilung bereits ergangen ist oder im Zusammenhang mit dem Verfahren, in dem die Frage der Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, ausgesprochen wird (BGH NJW 1999, 3723, 3724). Der Verurteilte ist wegen der Anlasstat zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden; für den versuchten Totschlag hat der Tatrichter seinerzeit eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren sechs Monaten für erforderlich gehalten, denn es ist unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Weimar vom 6. Oktober 1993 eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verhängt worden.
c) Fraglich ist aber, ob die Bezugnahme auf die übrigen Voraussetzungen des § 66 in § 66 b Abs. 1 StGB auch die vom Gesetzgeber in Art. 1 a EGStGB geregelte zeitliche Anwendbarkeit des § 66 Abs. 3 StGB erfasst. Danach findet § 66 Abs. 3 StGB nur Anwendung, wenn der Täter die Straftat nach dem 31. Januar 1998 begangen hat (so auch BGH NStZ 2005, 265). Gegen den Verurteilten hätte zum Zeitpunkt der Aburteilung der Anlasstat nicht nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB die Sicherungsverwahrung angeordnet werden können, weil die Anlasstat vor diesem Zeitpunkt begangen worden ist. Für eine Geltung dieser zeitlichen Einschränkung könnten die Gesetzesmaterialien sprechen. Danach unterscheidet sich die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht im Hinblick auf die formellen Voraussetzungen von der Anordnung im Urteil, sondern vornehmlich durch ihren Zeitpunkt von der Entscheidung nach §§ 66, 66 a StGB (BTDrucks. 15/2887 S. 12; vgl. auch Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 66 b Rdn. 8). Die Frage kann hier jedoch letztlich offen bleiben (so auch unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung, insbesondere des Vertrauensschutzes für Altfälle, BGH StV 2005, 388 = NStZ 2005, 561 mit Anm. Ullenbruch = StraFo 2005, 300 mit Anm. Böhm), weil jedenfalls die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB gegeben sind, die das Landgericht ebenfalls in seiner Entscheidung bejaht hat.
3. Der Verurteilte ist wegen schweren Raubes, einer Katalogtat nach § 66 b Abs. 1, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 66b Abs. 2 StGB (vgl. Ullenbruch in MünchKomm-StGB aaO Rdn. 48, 118; Kinzig NStZ 2004, 655, 659 f.; aA OLG Brandenburg NStZ 2005, 272, 274; Laubenthal ZStW 116 [2004] 703, 749 f; Poseck NJW 2004, 2559, 2561) teilt der Senat nicht. § 66 b Abs. 2 StGB verstößt weder gegen das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 109, 133, 167) noch als rein präventive Maßnahme gegen das Verbot der Mehrfachbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG. Die Regelung steht auch im Einklang mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Angesichts des berechtigten Interesses der Allgemeinheit, potentielle Opfer vor schwersten Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen, ist die gesetzgeberische Entscheidung, in besonderen Ausnahmefällen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu ermöglichen, bei denen die formellen Voraussetzungen etwaiger früherer Verurteilungen fehlen, nicht zu beanstanden.
Im Ergebnis hält die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im vorliegenden Fall der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Verfahren zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung darf sowohl nach § 66b Abs. 1 als auch nach § 66b Abs. 2 StGB nur durchgeführt werden, wenn nach der Verurteilung wegen einer der in § 66b genannten Taten, aber vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Umstände, die für den ersten Tatrichter erkennbar waren, scheiden als neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB aus (BGH StV 2005, 388 = NStZ 2005, 561 mit Anm. Ullenbruch = StraFo 2005, 300 mit Anm. Böhm). Die Änderung der Rechtslage durch Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, wonach - wie hier - gemäß § 66b Abs. 2 StGB (nachträgliche) Sicherungsverwahrung gegen Ersttäter angeordnet werden kann, bei denen im Zeitpunkt des Urteilserlasses die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB nicht erfüllt waren, ist keine neue Tatsache im Sinne des Gesetzes (aA Veh NStZ 2005, 307). Dies folgt bereits aus der Formulierung des § 66b Abs. 2 StGB. Der Gesetzgeber hat bewusst auch in diesen Fällen an die strengen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 StGB angeknüpft (BTDrucks. 15/2887 S. 13). Die neuen Tatsachen müssen zudem von erheblicher Art sein (vgl. BTDrucks. 15/2887 S. 10 und 12).
a) Angesichts der Tragweite des mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung verbundenen Eingriffs in die Rechtskraft des Ausgangsurteils und des hohen verfassungsrechtlichen Ranges des Freiheitsgrundrechtes des Betroffenen ist das Erfordernis, dass es sich um erhebliche Tatsachen handeln muss, ernst zu nehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht kommen (BTDrucks. 15/2887 S. 10; vgl. auch BVerfGE 109, 190, 236). Die neuen Tatsachen müssen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips schon für sich und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände Gewicht haben im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung anderer. So kann nicht schon jeder während des Vollzugs aufgetretene Ungehorsam ungeachtet seiner Neuheit im Sinne des § 66b Abs. 1 und 2 StGB die Einleitung eines Verfahrens über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen. Das Verfahren nach § 66b StGB dient auch nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen, die von der Staatsanwaltschaft nicht beanstandet wurden (BGH StV 2005, 388 = NStZ 2005, 561 mit Anm. Ullenbruch = StraFo 2005, 300 mit Anm. Böhm; Senatsurteil vom 1. Juli 2005 2 StR 9/05 , NJW 2005, 3078, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Nur wenn wirklich erhebliche neue Tatsachen während des Vollzugs erkennbar werden, kann dies zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung führen.
b) Das Landgericht sieht neue Tatsachen vorliegend in bestimmten Vorfällen während der Haft, die Anlass zu strafrechtlicher bzw. disziplinarischer Ahndung gegeben haben (aa), im durchgängigen Missbrauch von Alkohol und Drogen während der Haft (bb), und im Bekanntwerden weiterer früher begangener Straftaten (cc).
aa) Soweit das Landgericht auf Vorfälle während der Haft abstellt (Auffinden verbotener Gegenstände, Widerstand gegen Blutalkoholkontrolle, Bedrohung des Vollstreckungsabteilungsleiters), sind diese Tatsachen zwar neu, es fehlt ihnen jedoch an einer im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlichen erheblichen Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Verurteilten. Neue Tatsachen, die die Einleitung eines Verfahrens zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen, können nur solche sein, die auf eine Bereitschaft des Verurteilten hinweisen, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 66 b Rdn. 16 f.). Der Besitz verbotener Gegenstände in Justizvollzugsanstalten ist offenbar weit verbreitet (vgl. UA S. 22). Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, einen Mitgefangenen geschlagen und erpresst zu haben, wurde nach letztlich erfolglosen Ermittlungen eingestellt und kann deshalb auch in diesem Verfahren keine Indizwirkung entfalten. Der aktive Widerstand gegen die Durchführung eines Alkoholtests erscheint als singulärer, durch besondere Umstände geprägter Vorfall. Dass das Verhalten des Verurteilten in diesem Fall nicht sonderlich gravierend ist, zeigt allein der Umstand, dass es mit einer Geldstrafe von sechzig Tagessätzen geahndet wurde. Hinsichtlich der Bedrohung des Vollstreckungsabteilungsleiters ist eine Absicht, diese Drohung auch umzusetzen, nicht hinreichend erkennbar.
bb) Hinsichtlich des Konsums von Alkohol und Drogen und der Ablehnung von Therapiemaßnahmen während der Inhaftierung handelt es sich nicht um neue Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 und 2 StGB. Ausweislich der Urteilsgründe hat der frühere Tatrichter die Alkohol-, Rauschmittel- und Medikamentenabhängigkeit des Verurteilten gekannt (UA S. 6). Auch die Verweigerung oder der Abbruch einer Therapie können zwar zu den in § 66b Abs. 1 und 2 StGB erforderten neuen Tatsachen gehören (vgl. BGH StV 2005, 388 = NStZ 2005, 561 mit Anm. Ullenbruch = StraFo 2005, 300 mit Anm. Böhm). Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte während der früheren Hauptverhandlung seine Therapiewilligkeit bekundet hat, ergeben die Urteilsgründe jedoch nicht.
cc) Die vom Verurteilten während der Exploration durch den Sachverständigen eingeräumten weiteren Einbruchstaten sind schon deshalb keine neuen Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 und 2 StGB, weil sie erst nach dem Ende der regulären Haftzeit bekannt geworden sind. Dies schlösse allerdings nicht aus, sie bei der Gesamtwürdigung zur Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen, wenn im Übrigen neue Tatsachen bekannt geworden wären, die die Durchführung des Verfahrens rechtfertigten.
2. Auch die Gesamtwürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat bei seiner Abwägung die hohe Wahrscheinlichkeit schwerer Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit nicht ausreichend belegt. Es stützt sich auf die Einschätzung der Sachverständigen Dr. A. und Dr. B., dass bei einem Rückfall in die Suchtkarriere binnen Monaten Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit bzw. das Leben zu erwarten seien (UA S. 37, 39, 43, 48). Diese Einschätzung erscheint nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Soweit der Verurteilte bisher Raubüberfälle begangen hat, sind die Verletzungen der Opfer nicht besonders gravierend. Die Erwartung lediglich leichter oder mittlerer Schädigungen potentieller zukünftiger Opfer reicht aber nicht aus. Diese müssen vielmehr "schwer" sein (Ullenbruch in MünchKomm-StGB aaO Rdn. 86 f.; Tröndle/Fischer § 66 Rdn. 20; vgl. auch Böllinger/Pollähne in NK-StGB 2. Aufl. § 66 b Rdn. 13). Bei seinen Diebstahls- und Einbruchsserien hat es der Verurteilte offensichtlich vermieden, auf potentielle Tatopfer zu treffen. Dass es in einem solchen Fall zu einem massiven Angriff auf Leib und Leben des Opfers kommen könnte, ist sicherlich nicht auszuschließen, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, wie sie die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung voraussetzt, ist aber aus den Urteilsfeststellungen nicht erkennbar. Zwar ist der Verurteilte auch wegen versuchten Totschlags vorbestraft. Tatopfer war jedoch sein Freund, mit dem er sich gestritten und der ihn zuerst geschlagen hatte, ein innerer Zusammenhang mit den serienweise begangenen Eigentumsdelikten ist nicht erkennbar. Die jetzt neu bekannt gewordene Einbruchsserie hat offenbar auch nicht zur Schädigung von Personen geführt.
3. Der Senat schließt aus, dass bei einer neuen Hauptverhandlung weitere Tatsachen festgestellt werden könnten, die die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten, und hat deshalb auf den Wegfall der Anordnung erkannt. Die Entscheidung über eine Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen muss dem Landgericht überlassen bleiben (vgl. BGH StV 2002, 422, 423; NJW 2000, 2433, 2436; NJW 1999, 1562; 1564; NJW 1990, 2073; NJW 1988, 2483, 2485; BGHR StrEG § 8 Zuständigkeit 1; BGH, Urteil vom 22. April 2004 - 5 StR 534/02). Die Prüfung, ob und in welchem Umfang eine Entschädigung zu gewähren ist, hat sich auf den gesamten Sachverhalt zu erstrecken, der die Strafverfolgungsmaßnahme ausgelöst hat. Die Entscheidung stellt mithin vorrangig eine tatrichterliche Aufgabe dar.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 2
Externe Fundstellen: BGHSt 50, 284; NJW 2006, 531; NStZ 2006, 156; StV 2006, 67
Bearbeiter: Ulf Buermeyer