Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 297/02, Urteil v. 12.12.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 4. März 2002 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch werden die Feststellungen zum Tötungsgeschehen (UA 8 Zeile 22 "Gegen ..." bis UA 9 Zeile 22 "... ab.") aufrechterhalten.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, daß sieben Jahre der verhängten Freiheitsstrafe vorweg zu vollstrecken sind. Mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, erstrebt der Nebenkläger die Verurteilung des Angeklagten wegen eines durch Unterlassen verwirklichten Verdeckungsmordes. Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
Nach den Feststellungen mißhandelte der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz die zur Tatzeit zwei Jahre alte, mit ihm in Hausgemeinschaft lebende Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau in derart massiver Weise, daß das Kind später verstarb. Obwohl er erkannt hatte, daß das schwer verletzte Kind ohne alsbaldige ärztliche Hilfe sterben würde, unterließ er jegliche Rettungsbemühungen.
Aus Angst vor erneuter Inhaftierung hielt der Angeklagte auch seine Ehefrau davon ab, sofortige Rettungsmaßnahmen einzuleiten. Er überredete sie vielmehr, eine von ihm erfundene Tatversion, wonach die Tat durch unbekannte Eindringlinge in seiner Abwesenheit verübt worden sei, zu bestätigen. Da das erfundene Alibigeschehen nur bei weiterem Zeitablauf plausibel erscheinen konnte, sahen der Angeklagte und seine Ehefrau auch in der Folge davon ab, Rettung herbeizurufen. Erst etwa eineinhalb Stunden nach der Tat wurde der Rettungsdienst verständigt. Ob das Opfer bei unverzüglicher Verständigung eines Notarztes hätte gerettet werden können, kann den Feststellungen nicht entnommen werden.
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten im ersten (Handlungs-) Abschnitt als Totschlag (§ 212 StGB) bewertet. Dies läßt für sich gesehen Rechtsfehler weder zu seinen Gunsten noch zu seinem Nachteil (§ 301 StPO) erkennen. Einen Verdeckungsmord (durch Unterlassen) hat es mit der Begründung verneint, daß dem Angeklagten anderenfalls "zum Vorwurf gemacht würde, nicht gemäß § 24 StGB strafbefreiend von der Vortat zurückgetreten zu sein". Soweit der Angeklagte auf die Kindesmutter eingewirkt habe, um sie von sofortigen Rettungsmaßnahmen abzuhalten, stelle sich sein Verhalten zwar als Anstiftungshandlung dar. Diese sei jedoch nicht strafbar, weil der Angeklagte, der seinen eigenen Angaben zufolge seiner Ehefrau die Alibiversion "diktiert" habe, die Tatherrschaft gehabt habe. Diese Ausführungen halten teilweise revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht allerdings eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verdeckungsmordes verneint.
a) Zwar kann der Tatbestand des Verdeckungsmordes auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden (vgl. BGH NJW 2000, 1730, 1732 m.w.N.). Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht setzt jedoch gemäß § 211 Abs. 2 StGB voraus, daß der Täter die Tötungshandlung vornimmt oder - im Falle des Unterlassens - die ihm zur Abwendung des Todeseintritts gebotene Handlung unterläßt, um dadurch eine andere Straftat zu verdecken. Dabei steht der Annahme eines Verdeckungsmordes nicht bereits entgegen, daß sich schon die zu verdeckende Vortat gegen die körperliche Unversehrtheit des Opfers richtet und im unmittelbaren Anschluß in die Tötung zur Verdeckung des vorausgegangenen Geschehens übergeht (BGHSt 35, 116; BGH NStZ-RR 1999, 234; NStZ 2000, 498; 2002, 253). Handelt der Täter jedoch von Anfang an mit - sei es auch nur bedingtem - Tötungsvorsatz, so liegt auch dann keine zu verdeckende Vortat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB vor, wenn er im Zuge der Tatausführung die Tötung zusätzlich auch deshalb herbeiführen will, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken. Allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht als (weiteres) Tötungsmotiv macht die davor begangenen Einzelakte nicht zu einer "anderen" Tat (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2000, 498, 499; 2002, 253; Senatsurteil vom 10. Oktober 2002 - 4 StR 185/02).
b) Nach diesen Grundsätzen wäre eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines durch Unterlassen verwirklichten Verdeckungsmordes schon deshalb nicht gegeben, weil er nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen das Tatopfer bereits im vorausgegangenen Handlungsabschnitt mit (bedingtem) Tötungsvorsatz mißhandelt hat. Allerdings ist nach der Rechtsprechung die Rechtslage anders zu beurteilen, wenn zwischen einer (zunächst erfolglosen) Tötungshandlung und der erneuten mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen zweiten Tötungshandlung eine deutliche zeitliche Zäsur liegt. Faßt der Täter dann den Entschluß, das (zumindest aus seiner Sicht zunächst überlebende) Opfer nunmehr auch deshalb zu töten, um die Aufdeckung des versuchten Tötungsdelikts zu verhindern, wird das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht als erfüllt angesehen, da sich die Tötungshandlung auf eine zunächst abgeschlossene, mithin "andere" Tat bezieht (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 11; BGH StV 2001, 553; BGH NStZ 2002, 253). Gegenstand dieser Rechtsprechung waren jedoch ausschließlich Fälle, in denen das nachfolgende Tötungsgeschehen durch positives Tun verwirklicht worden war.
c) Ob eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes auch durch Unterlassen in Betracht kommt, wenn der Täter im vorausgegangenen Handlungsteil bereits mit (bedingtem) Tötungsvorsatz gehandelt hat, ist indes - soweit ersichtlich - höchstrichterlich nicht entschieden.
aa) Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat allerdings in einem Fall, in dem der Täter - nicht ausschließbar - das Opfer bereits im ersten Handlungsteil mit (bedingtem) Tötungsvorsatz mißhandelt hatte und es anschließend in hilfloser Lage zurückließ, eine Strafbarkeit wegen Aussetzung (§ 221 Abs. 1 2. Alt. StGB a.F.) mangels Vorliegens einer Garantenstellung verneint und dies damit begründet, daß der Täter, der vorsätzlich oder bedingt vorsätzlich einen Erfolg anstrebt oder billigend in Kauf nimmt, nicht zugleich verpflichtet sei, ihn abzuwenden. Bei einem vorsätzlichen Angriff auf menschliches Leben könne der Täter, wenn er sich später eines besseren besinne und - erfolgreich - Hilfe leiste, zwar zurücktreten und insoweit Strafbefreiung erlangen; eine rechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung bestehe jedoch nicht (BGHR StGB § 221 Konkurrenzen 1 = NStZ-RR 1996, 131). Übertragen auf den vorliegenden Fall würde dies bedeuten, daß bereits wegen Fehlens einer Garantenstellung eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verdeckungsmordes nicht in Betracht käme.
Demgegenüber wird in Teilen des Schrifttums eine Garantenstellung auch dann bejaht, wenn der Täter die Gefahr, um deren Abwendung es geht, zuvor selbst vorsätzlich - pflichtwidrig herbeigeführt hat (vgl. hierzu ausführlich Stein JR 1999, 265 ff.). Insoweit wird jedoch überwiegend die Auffassung vertreten, daß die anschließende Unterlassenstat hinter der vorsätzlichen Begehungstat im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktritt (Stein aaO S. 267 m.w.N.; vgl. auch Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. Vorbem. §§ 52 ff. Rdn. 107).
bb) Die Frage, ob der Täter nach einer vorsätzlich begangenen (zunächst erfolglosen) Tötungshandlung anschließend als Garant verpflichtet sein kann, den Erfolgseintritt abzuwenden, bedarf jedoch für die hier allein maßgebliche Frage, ob ein Verdeckungsmord (durch Unterlassen) vorliegt, keiner Entscheidung, da es in den Fällen bloßer Untätigkeit jedenfalls an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erforderlichen "anderen" Straftat fehlt. Wer es lediglich unterläßt, eine durch vorausgegangenes positives Tun in Gang gesetzte Kausalkette zu unterbrechen, "begeht" keine andere Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB, sondern verfolgt lediglich sein ursprüngliches Ziel weiter. Ebensowenig wie in den Fällen einer weiteren Tötungshandlung kann hier allein das Hinzutreten des weiteren Motivs der Verdeckungsabsicht ein im übrigen einheitliches Geschehen in zwei Taten aufspalten. Hierbei kann es - anders als bei aktivem Tun - keinen Unterschied machen, ob zwischen der Tötungshandlung, dem Erkennen der Erforderlichkeit einer Hilfeleistung und dem Entschluß, zur Verdeckung der Tat oder Täterschaft keine Maßnahmen zur Erfolgsabwendung zu unternehmen, eine zeitliche Zäsur liegt. Denn der Täter, der - wie hier - nur untätig bleibt, führt auch bei Vorliegen einer zeitlichen Zäsur lediglich die ursprünglich gewollte Tat fort, ohne eine neue Kausalkette in Gang zu setzen, die die Annahme einer anderen Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB rechtfertigen könnte. Er unterläßt es vielmehr nur, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, von dem vorausgegangenen (versuchten) Tötungsdelikt zurückzutreten. Dies vermag jedoch nicht schon eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes zu begründen.
2. Keinen Bestand kann jedoch das Urteil haben, soweit das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Anstiftung zum Mord bzw. zum versuchten Mord durch Unterlassen verneint hat. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen hat der Angeklagte seine damalige Lebensgefährtin und jetzige Ehefrau, die als leiblicher und - offensichtlich - personensorgeberechtigter Elternteil des Opfers eine Garantenstellung innehatte, dazu veranlaßt, zur Verdeckung der Tat eines anderen (vgl. BGHSt 9, 180), nämlich seiner eigenen Täterschaft, von der sofortigen Benachrichtigung eines Rettungsdienstes abzusehen. Damit hat er - je nach dem, ob das Leben des Opfers durch die unverzügliche Einleitung von Rettungsmaßnahmen hätte gerettet werden können oder nicht - einen anderen vorsätzlich zu einem Mord oder versuchten Mord im Sinne des § 26 StGB bestimmt. Daß der Angeklagte seiner Ehefrau die "Alibiversion diktiert" hat und daher die Tatherrschaft gehabt habe, ändert entgegen der Auffassung des Landgerichts hieran nichts. Welcher Mittel sich der Anstiftende bedient, ist gleichgültig; taugliches Anstiftungsmittel kann etwa auch eine Drohung sein (vgl. Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 26 Rdn. 4).
3. Die rechtfehlerhafte Verneinung einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Anstiftung zum Mord bzw. versuchten Mord zwingt auch zur Aufhebung der für sich gesehen rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen Totschlags, da auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen in Betracht kommt, daß beide Delikte eine Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit bilden (vgl. hierzu Kuckein in KK 4. Aufl. § 353 Rdnr.12). Die dem Tötungsgeschehen zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen können jedoch bestehen bleiben.
Für das weitere Verfahren bemerkt der Senat:
Eine Verurteilung des Angeklagten wegen einer - in Tateinheit zum Tötungsdelikt stehenden - Straftat nach § 225 StGB liegt bei der hier gegeben Sachverhaltsgestaltung eher fern. Hinsichtlich der Anordnung des Vorwegvollzuges von Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verweist der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift zu der (rechtswirksam zurückgenommenen) Revision des Angeklagten.
Externe Fundstellen: NJW 2003, 1060; NStZ 2003, 312; StV 2004, 600
Bearbeiter: Karsten Gaede