Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 185/02, Urteil v. 10.10.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 22. Oktober 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Schwerin zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und den Angeklagten P. wegen Beihilfe hierzu zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachbeschwerde Erfolg; eines Eingehens auf die Verfahrensbeschwerden bedarf es daher nicht.
Nach den Feststellungen wurde Stipe Z. im Bordell "Bar" von dessen Betreiber Br. sowie dessen Angestellten T., Pe. und K. unter anderem mit einem "Totschläger" und mit einem Teleskopschlagstock zusammengeschlagen. Nachdem diese Gewalttätigkeiten zunächst beendet waren, trafen der mit Br. befreundete und für diesen gelegentlich als "Sicherheitsberater" tätige Angeklagte B. sowie der Angeklagte P. mit Zi. und zwei weiteren Begleitern ein. Als der Angeklagte B. erfuhr, daß Z. Geldforderungen gestellt hatte und daß befürchtet wurde, Landsleute des Z. könnten zu dessen Unterstützung in die Bar eindringen, wies er die Begleiter des Angeklagten P. an, vor der Bar im Auto zu warten und den Eingang gegebenenfalls mit dem Auto zu blockieren. Br. überließ "das weitere" dem Angeklagten B., weil er sich zu seiner Freundin begeben wollte, um sich ein Alibi zu verschaffen.
Nachdem Z. vom Angeklagten B. wegen der Geldforderungen zur Rede gestellt worden war, wurde der zu diesem Zeitpunkt möglicherweise bereits tödlich verletzte, aber noch handlungsfähige und ansprechbare Z. von Pe. und Zi. , der die Bar wieder betreten hatte, mit dem Teleskopschlagstock und einem Kuhfuß massiv geschlagen. Davon, daß die Angeklagten diese erneuten Gewalttätigkeiten veranlaßt oder sich daran beteiligt hätten, konnte sich das Landgericht trotz der belastenden Angaben von Prostituierten, die das Geschehen beobachtet hatten, letztlich nicht überzeugen.
Als Z. regungslos und vor Schmerzen stöhnend auf dem Boden lag, erkannten die Angeklagten und die übrigen Anwesenden den lebensbedrohlichen Zustand des Geschädigten. Keiner der Anwesenden zog jedoch in Betracht, Z. von einem Krankenwagen abholen zu lassen, da dies die Gefahr einer Strafverfolgung mit sich gebracht hätte. Der Angeklagte B. forderte den aus seiner Sicht für den Zustand des Tatopfers Hauptverantwortlichen Pe. zum Abtransport des Tatopfers auf. Der Transport sollte in der Weise durchgeführt werden, daß einerseits keine Spuren zur Bar führten, daß andererseits das Opfer alsbald ärztlicher Hilfe zugeführt und gerettet werden würde. Eine Aufdeckung der Tat durch Angaben des überlebenden Opfers fürchteten die Anwesenden nicht. Nachdem andere Möglichkeiten, Z. ärztlicher Hilfe zuzuführen, erörtert und verworfen worden waren, "einigte" man sich darauf, Z. mit einem Auto zu einem Parkplatz zu bringen und ihn dort abzulegen.
K. sollte Pe. begleiten, anonym die Notrufzentrale benachrichtigen und auf einen angeblich beobachteten Überfall von Skinheads auf eine Person auf diesem Parkplatz hinweisen. Der Angeklagte P. half Pe., das Opfer vom Bordell in das Auto zu verbringen. Pe. und K. führten den Transport und den Notruf, wie mit dem Angeklagten B. vereinbart, aus.
Im Verlauf der Nacht kam es zu drei weiteren Begegnungen zwischen dem Angeklagten B. und Pe. Beim ersten dieser Treffen wurde Pe. von dem Angeklagten B., dem er auf Nachfrage erklärt hatte, daß er das Eintreffen des Krankenwagens nicht abgewartet habe, aufgefordert, erneut nachzuschauen und den Notruf gegebenenfalls zu erneuern. Beim nächsten Zusammentreffen gab Pe. auf Frage des Angeklagten B. an, er sei am Ablageort vorbeigefahren und habe Z. nicht gesehen. Der Angeklagte B. veranlaßte Pe. daraufhin, den Parkplatz aufzusuchen und "noch einmal genau nachzusehen." Nachdem ihm Pe. 20 Minuten später berichtet hatte, er habe Z. nicht gefunden, ging der Angeklagte B. in der Annahme, Z. sei wohl von einem Krankenwagen abgeholt worden, nach Hause. Der Notruf war jedoch von K. von einem anderen Ort als dem des angeblichen Überfalls abgesetzt und deshalb von der Notrufzentrale nicht ernst genommen worden.
Z. wurde am darauffolgenden Morgen tot aufgefunden. Er war entweder während des Transports oder kurze Zeit danach an den Folgen der durch die Mißhandlungen erlittenen inneren Verletzungen verstorben. Ob er ohne das Verbringen zum Parkplatz hätte gerettet werden können, konnte das sachverständig beratene Landgericht nicht feststellen.
1. Das Landgericht vertritt die Auffassung, die Angeklagten hätten bei der Veranlassung des Transports beziehungsweise der hierzu geleisteten Hilfe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Dies ergebe sich daraus, daß die Angeklagten damit rechneten, Z. werde "an den Folgen des Zeitverzuges des Transports zum Parkplatz ... und des dortigen Ablegens bei Minustemperaturen und letztlich unbekannter Dauer versterben." Daß sie zwar darauf hoffen, keineswegs aber darauf vertrauen konnten, Z. werde rechtzeitig von Rettungskräften gefunden, werde besonders an den mehrfachen Nachfragen des Angeklagten B. bei Pe. deutlich.
Diese Wertung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Den Angeklagten kann nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie es versäumt hätten, für unverzügliche ärztliche Hilfe Sorge zu tragen, sich mithin eines strafbaren Unterlassen schuldig gemacht hätten. Da das Landgericht eine Beteiligung der Angeklagten an den Gewalttätigkeiten nicht hat feststellen können, traf die Angeklagten insoweit keine Handlungspflicht aus Ingerenz (vgl. BGH NStZ 1998, 83, 84). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kommt auch eine Übertragung der Garantenpflicht des an den Verletzungshandlungen maßgeblich beteiligten Br. auf den Angeklagten B., dem von Br. "das weitere" überlassen wurde, nicht in Betracht. Zwar kann - jedenfalls soweit es Schutzpflichten betrifft - eine Garantenpflicht grundsätzlich auch durch tatsächliche Übernahme von einer Person begründet werden, die ihrerseits eine Garantenstellung hat (vgl. BGH NJW 2002, 1887, 1888, zum Abdruck in BGHSt 47, 224 vorgesehen). Ob aber auch die Übernahme einer durch pflichtwidriges Vorverhalten begründeten Garantenpflicht möglich ist, erscheint fraglich, bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung.
Nach den bisherigen Feststellungen ist nicht erkennbar, daß sich der Angeklagte B. gegenüber Br. verpflichtet hätte, unter Zurückstellung der Belange des Betreibers der Bar die bestmögliche Rettung des Stipe Z. zu veranlassen.
b) Soweit das Landgericht von einem Tötungsdelikt durch aktives Tun ausgeht, begegnen seine Ausführungen zum Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes in Bezug auf den Angeklagten B. zwar im Ergebnis keinen Bedenken. Insbesondere hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen, der Angeklagte habe erkannt, daß ein unsachgemäßer Transport eines Schwerverletzten aus dem relativ geschützten Bereich eines Gebäudes zu einem Parkplatz und das Zurücklassen des Opfers - zumal bei kalter Witterung - zumindest eine zeitliche Beschleunigung des Todeseintritts zur Folge haben und damit für den konkreten Todeseintritt ursächlich sein kann.
Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen aber die Ausführungen des Landgerichts zum Willenselement des bedingten Vorsatzes. Die Erwägung des Landgerichts, die Erkenntnis, daß eine solche Behandlung, wie die Verbringung eines bis zur Regungslosigkeit schwerverletzten, dringend ärztlicher Hilfe bedürftigen Menschen unter den hier gegebenen Umständen dessen Tod zur Folge haben könne, sei derart grundlegend, "daß die Angeklagten zwar darauf hoffen, keineswegs darauf vertrauen konnten, daß der Geschädigte diese Handlungen überleben werde" (UA 34), vermag - für sich genommen - nur den Vorwurf der (bewußten) Fahrlässigkeit zu begründen. Im Grenzbereich zur bewußten Fahrlässigkeit bedarf jedoch die Feststellung des Willenselements einer umfassenden Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 41). Erhöhte Anforderungen sind insbesondere dann zu stellen, wenn ein risikobehaftetes Handeln erkennbar auch von dem Ziel der Rettung eines von Dritten geschädigten Opfers bestimmt ist. Zwar hat das Landgericht nicht verkannt, daß das Verhalten der Angeklagten neben der Strafvereitelung zugunsten des Bordellbetreibers und seiner Angestellten auch vom Hilfswillen zugunsten des Opfers getragen war. Für die Annahme des bedingten Tötungsvorsatzes stellt es jedoch maßgeblich darauf ab, daß der Angeklagte B. sich mehrfach bei Pe. vergewissert hat, ob Z. auch tatsächlich gerettet worden sei. Dieses Verhalten verrate Unsicherheit und mache deutlich, daß der Angeklagte B. "keineswegs unbedingt mit schnellem und sicherem Eintreffen von Rettungskräften und dem Auffinden des Geschädigten durch diese rechnete." Das Verhalten des Angeklagten B. läßt jedoch - was das Landgericht nicht bedacht hat - in erster Linie Rückschlüsse auf sein Wissen um die Gefahr für das Leben des Opfers zu und betrifft mithin das Wissenselement. Hingegen belegt es gerade nicht, daß der Angeklagte B. sich mit der Realisierung der erkannten Gefahren um des vorrangig bezweckten Schutzes der Gewalttäter vor Strafverfolgung abgefunden hatte. Wäre dies der Fall, hätte es weiterer Bemühungen des Angeklagten B. um ein zuverlässiges Auffinden des Opfers, die das Entdeckungsrisiko jeweils nur erhöhen konnten, nicht bedurft.
Vielmehr sind gerade diese Bemühungen des Angeklagten B. geeignet, die billigende Inkaufnahme des Todes in Frage zu stellen.
c) Bei dem Angeklagten P. vermag der Senat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht nachzuvollziehen, aufgrund welcher Umstände dieser Angeklagte, der "aufgrund mangelnder Kenntnisse der deutschen Sprache nicht alle Einzelheiten des vorangegangenen Gesprächs mitbekommen" hat und der sich nur am Verbringen des Opfers in das Auto beteiligt hat, "die wesentlichen Zusammenhänge" der Tat, aus denen das Landgericht auf einen bedingten Tötungsvorsatz schließt, erfaßt haben soll.
2. Auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte B. habe in der Absicht gehandelt, "eine andere Straftat, nämlich die zuvor von anderen gegen den Geschädigten verübten Mißhandlungen, durch die sich die daran beteiligten Personen zumindest der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hatten, zu verdecken" (UA 39) und sich dadurch des versuchten Mordes schuldig gemacht, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die ihr zu Grunde liegende Würdigung läßt besorgen, daß das Landgericht den Zweifelssatz nicht beachtet hat.
Nach den bisherigen Feststellungen ist nämlich nicht ausgeschlossen, daß die massiven Verletzungshandlungen von den daran Beteiligten nicht - wovon das Landgericht "zu Gunsten" der Angeklagten ausgegangen ist - lediglich mit Körperverletzungsvorsatz vorgenommen wurden, sondern, was bei dem Einsatz eines "Totschlägers", eines Teleskopschlagstockes sowie eines Kuhfusses als Tatwerkzeug naheliegt, mit bedingten Tötungsvorsatz. Zudem hat das Landgericht lediglich nicht nachweisen können, daß sich die Angeklagten nach ihrem Eintreffen in dem Bordell - der Angeklagte B. als Mittäter, der Angeklagte P. jedenfalls als Gehilfe - an den weiteren massiven Mißhandlungen beteiligt und dabei mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt haben. Läßt sich ein Tatgeschehen nicht klären, muß der Tatrichter die von ihm für möglich gehaltenen, nicht fernliegenden Alternativen in seine Würdigung einbeziehen und dann seiner Urteilsfindung diejenige Sachverhaltsgestaltung zu Grunde legen, die dem Angeklagten am günstigsten ist (vgl. BGH NStZ 2000, 498, 499; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 StPO Rdn. 56 m. w. N.).
Demgemäß hätte das Landgericht auch eine Beteiligung der Angeklagten an den schweren Gewalthandlungen mit Tötungsvorsatz in die Würdigung einbeziehen müssen, weil sie nach den bisherigen Feststellungen im Hinblick auf das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht für die Angeklagten günstiger sein kann (vgl. BGH aaO; BGH NStZ 2002, 253, 254).
Der Annahme eines Verdeckungsmordes steht allerdings nicht grundsätzlich entgegen, daß sich bereits die zu verdeckende Vortat gegen das Leben des Opfers richtet. Um eine andere - zu verdeckende - Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt es sich jedoch dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Will der Täter im Zuge der Tatausführung den Tötungserfolg zusätzlich herbeiführen, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken, ist daher für die Annahme eines Verdeckungsmordes dann kein Raum, wenn der Täter bereits von Anfang an mit (sei es auch nur bedingtem) Tötungsvorsatz gegen das Opfer gehandelt hat. Allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht macht die davor begangenen Einzelakte nicht zu einer anderen Tat (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2000, 498, 499; 2002, 253, jew. m. w. N.).
Anders ist die Rechtslage nur dann zu beurteilen, wenn zwischen einer (bedingt) vorsätzlichen Tötungshandlung und der mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen weiteren Tötungshandlung eine deutliche zeitliche Zäsur liegt.
Faßt der Täter dann den Entschluß, das (zumindest aus seiner Sicht zunächst überlebende) Opfer nunmehr auch deshalb zu töten, um die Aufdeckung des versuchten Tötungsdelikts zu verhindern, ist das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erfüllt, da sich die Tötungshandlung dann auf eine zunächst abgeschlossene Tat bezieht (vgl. BGH NStZ 2002, 253; StV 2001, 553). Unterstellt, die Angeklagten hätten in Bezug auf den Transport des Opfers zum Parkplatz mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hätte deshalb der Erörterung bedurft, ob sich nach den vorgenannten Grundsätzen diese vom Landgericht als Tötungshandlung gewertete Beteiligung der Angeklagten an der Verbringung des Tatopfers auf eine zunächst abgeschlossene Tat bezieht. Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, nach denen die Überlegungen zum Abtransport des Opfers unmittelbar nach Abschluß der zweiten Phase der Gewalttätigkeiten einsetzten, liegt dies eher fern.
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Schwerin zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative StPO).
Externe Fundstellen: NStZ 2003, 259
Bearbeiter: Ulf Buermeyer