HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 337
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 516/06, Urteil v. 28.02.2007, HRRS 2007 Nr. 337
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juli 2006 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und das Rauschgift, Verpackungsmaterial und das Flugticket eingezogen. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.
Das Rechtsmittel führt zu der aus dem Urteilstenor ersichtlichen Schuldspruchänderung, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden dem aus Ghana stammenden, mit seiner Familie in Irland lebenden Angeklagten von einem E. in Dublin 5000 € Kurierlohn für je 1 kg Kokain in Aussicht gestellt, wenn er Kokain von Ghana nach Irland transportiere. Der Angeklagte stimmte zu und flog mit einem von E., der ihn auch zum Flughafen gebracht hatte, besorgten Flugticket von Dublin nach Accra. In Accra wurde er abgeholt und in einem Hotel untergebracht, um dort Kokainbehältnisse zu schlucken. Als der Angeklagte, dem nunmehr die damit verbundene Lebensgefahr bewusst wurde, von dem Vorhaben zurücktreten wollte, wurde ihm - allerdings ohne Gewaltandrohung - bedeutet, dass ein Rückzieher nicht möglich sei. Der Angeklagte schluckte daraufhin 53 der 80 vorgesehenen Behältnisse - mehr war ihm nicht möglich - und trat den Rückflug an, bei dem er in Frankfurt aussteigen musste. Bei der zollrechtlichen Kontrolle wurde das Rauschgift entdeckt.
Das Landgericht hat die Kuriertätigkeit des Angeklagten (neben der tateinheitlich verwirklichten Einfuhr) als täterschaftliches Handeltreiben gewertet und dabei darauf abgestellt, dass der Angeklagte während des Transports die alleinige Gewalt über das Kokain hatte, seine Transportleistung Voraussetzung für den angestrebten gewinnbringenden Weiterverkauf in Irland war, ihm ein erheblicher Kurierlohn versprochen worden sei und er auch bei der Abwicklung des Transports insofern frei war, als er in Frankfurt das Kokain auf eigene Rechnung hätte verkaufen können.
Die Annahme täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Kuriertätigkeit des Angeklagten ist, soweit ihm Handeltreiben vorgeworfen worden ist, nur als Beihilfe zu werten.
2. Der Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weit auszulegen. Als Handeltreiben sind alle Tätigkeiten anzusehen, die auf den Umsatz von Rauschgift gerichtet sind; als tatbestandliche Handlungen sind damit dem Grundsatz nach auch unterstützende Tätigkeiten erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 26.10.2005 - GSSt 1/05 = BGHSt 50, 252 f.). Auch auf den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sind aber die allgemeinen Regeln zur Abgrenzung von (Mit-) Täterschaft und Beihilfe anzuwenden (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Winkler, NStZ 2006, 328 f.); die Weite des Begriffs des Handeltreibens darf nicht dazu verleiten, eine mit den Grundsätzen der §§ 25 ff. StGB nicht zu vereinbarende Einheitstäterschaft einzuführen, indem jede möglicherweise unter das Merkmal des Handeltreibens zu subsumierende Tätigkeit ohne Rücksicht auf ihr Gewicht für das Gesamtgeschehen und auf das Interesse des Beteiligten am Gelingen des Umsatzgeschäfts mit täterschaftlichem Handeltreiben gleichgesetzt wird (zur Problematik der Abgrenzung vgl. schon Anfragebeschluss vom 10. Juli 2003 - 3 StR 61/02 / 3 StR 243/02 = NStZ 2004, 105 sowie die Stellungnahmen der anderen Senate, Beschlüsse vom 22. Januar 2004 - 5 ARs 46/03; vom 2. Februar 2004 - 4 ARs 23/03 und vom 6. Februar 2004 - 2 ARs 276/03 = NStZ-RR 2004, 183). In der Praxis stellt sich die Frage der Abgrenzung der Beteiligungsformen insbesondere bei der Beurteilung von Kuriertätigkeiten.
a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Tätigkeit von Rauschgiftkurieren zunächst überwiegend als (mit-)täterschaftliches Handeltreiben angesehen worden (vgl. BGH NStZ 1983, 124; BGHR § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG Handeltreiben 36; BGH StV 1998, 596), wenn die Rolle des Kuriers nicht nur von ganz untergeordneter Bedeutung war (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 9, 24, 36, 57; BGH NStZ-RR 1999, 24).
Beihilfe wurde lediglich dann angenommen, wenn der Kurier keinen Einfluss auf die Bestimmung von Art und Menge des zu transportierenden Rauschgifts hatte, weder Zeit und Ort der Übernahme des Rauschgifts noch die Gestaltung des Transports mitbestimmen konnte und auch sonst mit dem An- und Verkauf des Rauschgifts nichts zu tun hatte (vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 3. Mai 2006 - 2 StR 85/06; vom 13. Juli 2006 - 2 StR 199/06 und vom 25. Oktober 2006 - 2 StR 359/06). Kuriere wurden, auch bei einer im Gesamtgefüge des Betäubungsmittelgeschäfts nur nachrangigen Tätigkeit, in der Regel schon deshalb als Täter angesehen, weil sie während des Transports faktische Zugriffsmöglichkeiten auf die Betäubungsmittel hatten. Damit verblieb für die Teilnahmeform der Beihilfe nur ein schmaler Anwendungsbereich.
b) Dieser Tendenz zur Einschränkung der Beihilfe im Betäubungsmittelstrafrecht entgegenzuwirken, ist nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen nicht durch Aufgabe des bisherigen Begriffs des Handeltreibens zu erreichen, sondern durch konsequente Anwendung der für die Abgrenzung zwischen Beteiligung an der eigenen Tat (als Täter) und Teilnahme an einer fremden Tat (als Gehilfe) entwickelten Regeln. In der neueren Rechtsprechung ist daher bei der Beurteilung von Kuriertätigkeit teilweise darauf abgestellt worden, ob ein Rauschgift-Transporteur auch in den Erwerb oder den späteren Absatz der Betäubungsmittel eingebunden oder "lediglich" als Kurier eingesetzt war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2006 - 3 StR 105/06; vom 23. Mai 2006 - 3 StR 119/06; vom 30. Mai 2006 - 3 StR 126/06; vom 27. Juni 2006 - 3 StR 177/06; vom 7. September 2006 - 3 StR 277/06; vom 5. Dezember 2006 - 3 StR 456/06; vom 14. Dezember 2006 - 4 StR 421/06; NStZ-RR 2006, 350). Der Senat würde allerdings einer Ansicht nicht folgen, wonach täterschaftliches Handeln nur dann vorliegt, wenn der Transporteur auch unmittelbar am Erwerb oder Absatz der Betäubungsmittel beteiligt ist.
c) Nach Ansicht des Senats muss vielmehr für eine zutreffende Einordnung der Beteiligung des Kuriers der jeweils konkrete Tatbeitrag für das Umsatzgeschäft insgesamt und nicht allein für den Teilbereich des Transports (von Betäubungsmitteln oder Geld) bewertet werden. Strafbar ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, nicht - isoliert - das Transportieren derselben. Daher kommt es für die Annahme täterschaftlicher Verwirklichung dieses Tatbestands jedenfalls nicht allein oder entscheidend darauf an, welches Maß an Selbständigkeit und Tatherrschaft der Beteiligte hinsichtlich eines isolierten Teilakts des Umsatzgeschäfts innehat. Abzustellen ist vielmehr darauf, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt.
aa) Eine Gehilfenstellung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Tathandlung sich auf den (Teil-)Transport von Rauschgift zwischen selbständig handelnden Lieferanten und Abnehmern oder innerhalb der Sphäre von Lieferanten- oder Abnehmer-Organisationen beschränkt und der Beteiligte nicht in der Lage ist, das Geschäft insgesamt maßgeblich mitzugestalten. Einer Tätigkeit als Kurier, die sich in bloßem Transport von Rauschgift erschöpft, kommt daher eine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit in der Regel nicht zu; sie stellt zumeist eine (bloß) untergeordnete Hilfstätigkeit dar. Denn es geht dem reinen Kurier nicht in erster Linie um den Umsatz des Betäubungsmittels (Veräußerung an Abnehmer), sondern um die Entlohnung für seine Dienstleistung, nämlich um das Entgelt für den Transport des Betäubungsmittels von einem Ort zum anderen. Dabei kommt es nach Ansicht des Senats nicht darauf an, ob der Kurier ein erhebliches Honorar zu erwarten hat oder zeitweise faktische Verfügungsgewalt über das von ihm transportierte Rauschgift erlangt. Die als Beihilfe zu wertende Kuriertätigkeit zeichnet sich nämlich gerade dadurch aus, dass der Kurier in die hierarchische Organisation des Rauschgift-Umsatzes an unterer Stelle einzuordnen ist. Auch ein möglicher faktischer Handlungsspielraum während des Transports der Drogen kann von ihm dann in der Regel schon auf Grund seiner finanziellen und meist auch persönlichen Abhängigkeit von den Hintermännern nicht zu eigener täterschaftlicher Einflussnahme ausgenutzt werden. Soweit der Senat in Einzelfällen in der Inkorporation von Rauschgift durch Kuriere die Begründung einer besonderen, zur Täterschaft führenden Verfügungsmacht gesehen hat, hält er daran nicht fest.
bb) Eine Bewertung von Transporttätigkeit als mittäterschaftliches Handeltreiben wird vor allem dann in Betracht kommen, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2006 - 4 StR 421/06 - Gründung von Exportgesellschaften für die Beförderung der Drogen), etwa am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten soll (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 36). Auch eine Einbindung des Transporteurs in eine gleichberechtigt verabredete arbeitsteilige Durchführung des Umsatzgeschäfts spricht für die Annahme von Mittäterschaft, auch wenn seine konkrete Tätigkeit in diesem Rahmen auf die Beförderung der Drogen, von Kaufgeld oder Verkaufserlös beschränkt ist. Im Einzelfall kann auch eine weit gehende Einflussmöglichkeit des Transporteurs auf Art und Menge der zu transportierenden Drogen sowie auf die Gestaltung des Transports für eine über das übliche Maß reiner Kuriertätigkeit hinausgehende Beteiligung am Gesamtgeschäft sprechen.
d) Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat der Angeklagte, der nur als Transporteur des Kokains von Accra nach Dublin eingeschaltet war und dem auf den Ablauf des Geschäfts als solchem keine Einflussmöglichkeit zukam, (hier) lediglich Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln geleistet. Der gleichzeitige Besitz tritt gegenüber der verbotenen Einfuhr zurück (BGHSt 25, 285). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.
3. Der Strafausspruch kann auch nach der Änderung des Schuldspruchs bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass die Strafe auf der rechtsfehlerhaften Annahme eines täterschaftlichen Handeltreibens beruht. Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entnommen, im Übrigen hat es strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte lediglich als Kurier auf der untersten Ebene der Drogenorganisation tätig war.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 337
Externe Fundstellen: BGHSt 51, 219; NJW 2007, 1220; NStZ 2007, 338; StV 2007, 303
Bearbeiter: Ulf Buermeyer