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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 70

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 502/10, Beschluss v. 16.11.2010, HRRS 2011 Nr. 70


BGH 1 StR 502/10 - Beschluss vom 16. November 2010 (LG Bayreuth)

Kreditbetrug (rechtsfehlerhafte Anwendung auf eine Kreditaufnahme einer Ärztin; Kreditaufnahme für einen Betrieb; Privatkredite; Immobilienerwerb); Betrug (Vorsatzmaßstab); redaktioneller Hinweis.

§ 265b StGB; § 263 StGB; § 15 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das abstrakte Gefährdungsdelikt § 265b StGB begründet eine Strafbarkeit im Vorfeld des Betruges auch ohne Eintritt eines Vermögensschadens. Er ist beschränkt auf Kredite "für einen Betrieb oder ein Unternehmen". Dies erfordert, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung der Kreditnehmer ein (bereits existierendes oder als solches vorgetäuschtes) Unternehmen sein muss, das einen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb hat (BGH wistra 2003, 343; vgl. auch BayObLG NJW 1990, 1677).

2. Es kann offen bleiben, ob auch in einem Fall der Täuschung über den Kreditzweck die Abgrenzung zu Privatkrediten, die nicht dem Anwendungsbereich des § 265b StGB unterfallen, danach erfolgen kann, wem der beantragte Kredit nach seiner tatsächlichen, "wahren" Zweckbestimmung wirtschaftlich zugute kommen soll oder vielmehr darauf abzustellen ist, wer nach dem Darlehensvertrag rechtlich als Kreditnehmer anzusehen ist oder wäre.

3. Für die Prüfung des Betrugsvorsatzes nach einer Täuschung über die Kreditmittelverwendung und die persönliche Kreditwürdigkeit sind Feststellungen dazu erforderlich, welche Beträge tatsächlich von der Kreditgeberin ausgereicht und in welcher Höhe wie verwendet wurden (insbesondere an die Angeklagte zurückgeflossen sind oder hätten zurückfließen sollen), wie das Darlehen tatsächlich besichert war und welche Bedeutung der Vermögensaufstellung (und gegebenenfalls weiteren geforderten Sicherheiten) im Rahmen der Kreditgespräche für die Angeklagte erkennbar zukam.

4. Das voluntative Element des Betrugsvorsatzes muss sich (nur) auf den unmittelbar mit der Vermögensverfügung des Getäuschten eingetretenen Schaden erstrecken, auf die Billigung eines Endschadens kommt es nicht an (vgl. BGH NJW 2009, 2390). Allein eine Hoffnung, das Darlehen könne aus anderen - im Einzelnen nicht festgestellten, ihrerseits aber mit einem Ausfallrisiko behafteten Quellen - zurückgezahlt werden, ließe einen Vorsatz nicht entfallen (vgl. BGH NJW 1979, 1512; BGH, Urteil vom 31. Mai 1980 - 1 StR 106/80).

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 13. April 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Kreditbetruges zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Nachdem die Angeklagte, eine freiberuflich tätige Ärztin, in finanzielle Schwierigkeiten geraten war und Versuche, bei Banken Kredite zu erlangen, fehlschlugen, entschloss sie sich auf Vorschlag eines Finanzvermittlers, Darlehen zum Erwerb von Immobilien aufzunehmen, deren Valuta die geschuldeten Kaufpreise übersteigen. Aus dem Differenzbetrag sollte die Angeklagte nach Abzug von Provisionen Rückzahlungen erhalten, mit denen sie Steuerschulden (mehr als 150.000 €) abtragen und durch Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigung entstandene Mindereinnahmen ausgleichen wollte. Mit diesem Ziel schloss sie unter anderem am 16. Januar 2003 zusammen mit ihrem - vom Landgericht freigesprochenen - Ehemann bei der Kreissparkasse K. Darlehensverträge über insgesamt 475.000 €. Sie unterzeichnete dabei eine unvollständige (weil wenig zuvor eingegangene, gleich gelagerte Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von insgesamt rund 685.000 € verschweigende) Vermögens- und Schuldenaufstellung. "Dabei war der Angeklagten bewusst, dass sich das Verschweigen der Darlehensverpflichtungen bei der Bewilligungsentscheidung der Kreissparkasse K. für sie günstig auswirkte. Ihr war klar, dass die Höhe der Verbindlichkeiten ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Bonität durch die Bank war und der Kredit nicht ausgereicht worden wäre, hätte sie die Bank über den Erwerb der weiteren vollfinanzierten Immobilien in Kenntnis gesetzt" (UA S. 8). Die Darlehensvaluta wurde ausgezahlt.

b) Das Landgericht hat dies als Kreditbetrug gemäß § 265b StGB gewertet.

Es habe sich um einen Kredit für den kaufmännisch eingerichteten Geschäftsbetrieb der Angeklagten - deren Arztpraxis - gehandelt, denn Zweck der Darlehensaufnahme sei nicht der Erwerb der Immobilien gewesen, sondern die Generierung von Rückflüssen, die sie für "praxisbedingte Steuerschulden" und zur "Kompensation von Mindereinnahmen" habe verwenden wollen.

Hinsichtlich des mit der Anklageschrift der Angeklagten vorgeworfenen Betruges sei ein Vorsatz nicht nachweisbar, da ihr nicht zu widerlegen sei, dass sie geglaubt habe, die Mieteinnahmen aus den zu erwerbenden Immobilien würden Zins und Tilgung decken und die Bank sei überdies durch eine Grundschuld ausreichend abgesichert.

2. Die Verurteilung wegen Kreditbetruges nach § 265b StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

§ 265b StGB, der als abstraktes Gefährdungsdelikt eine Strafbarkeit im Vorfeld des Betruges auch ohne Eintritt eines Vermögensschadens begründet, ist beschränkt auf Kredite "für einen Betrieb oder ein Unternehmen". Dies erfordert, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung der Kreditnehmer ein (bereits existierendes oder als solches vorgetäuschtes) Unternehmen sein muss, das - nach der Legaldefinition des § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB - einen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb hat (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - 5 StR 508/02, wistra 2003, 343; vgl. auch BayObLG NJW 1990, 1677). Die Feststellungen des Landgerichts belegen die Annahme eines solchen Betriebskredits nicht.

Es kann offen bleiben, ob auch in einem hier vom Landgericht angenommenen Fall der Täuschung über den Kreditzweck die Abgrenzung zu Privatkrediten, die nicht dem Anwendungsbereich des § 265b StGB unterfallen, danach erfolgen kann, wem der beantragte Kredit nach seiner tatsächlichen, "wahren" Zweckbestimmung wirtschaftlich zugute kommen soll (vgl. Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 265b Rn. 5, Hoyer in SK-StGB, § 265b Rn. 26; Saliger in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 265b Rn. 4) oder vielmehr darauf abzustellen ist, wer nach dem Darlehensvertrag rechtlich als Kreditnehmer anzusehen ist oder wäre (vgl. Tiedemann in LK-StGB, 11. Aufl., § 265b Rn. 29, Wohlers in MüKo-StGB, § 265b Rn. 9 mwN). Denn selbst wenn man dem Landgericht in der Annahme folgen würde, die Arztpraxis der Angeklagten sei ein Betrieb i.S.d. § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB, wäre dieser nach den Feststellungen nicht der Kreditnehmer und zwar weder formell noch faktisch, auch nicht nach der Zielsetzung. Der mit den Darlehen durchgeführte Immobilienerwerb ist ebenso privater Natur wie die Begleichung der von der Angeklagten geschuldeten Steuer auf ihr Einkommen aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) oder die vom Landgericht als "Kompensation von Mindereinnahmen" umschriebene Finanzierung von deren Lebensbedarf. Dass die Kreditaufnahme nicht für einen Betrieb erfolgte, zeigt sich auch daran, dass nicht nur die persönlich auftretende Angeklagte Kreditnehmerin war, sondern auch ihr Ehemann, der an der Arztpraxis nicht beteiligt ist.

Das Urteil unterliegt daher insgesamt der Aufhebung (§ 349 Abs. 4 StPO).

3. Ein Durcherkennen auf Freispruch kommt nicht in Betracht, denn der Senat kann nach den Urteilsgründen nicht ausschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung unter Beachtung des Gebots umfassender Sachaufklärung und erschöpfender Beweiswürdigung Feststellungen getroffen werden können, die einen Schuldspruch tragen (vgl. Kuckein in KK-StPO, 6. Aufl., § 354 Rn. 3; Wiedner in BeckOK-StPO, § 354 Rn. 8 jew. mwN). Die rechtsfehlerhafte Fokussierung auf § 265b StGB lässt besorgen, dass die Strafkammer die Voraussetzungen einer Strafbarkeit der Angeklagten nach § 263 StGB (hinter dem § 265b StGB zurückzutreten hätte, vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1989 - 4 StR 643/88, BGHSt 36, 130) nicht ausreichend in den Blick genommen und deswegen Feststellungen dazu unterlassen hat.

Die Angeklagte täuschte - wie sie wusste - systematisch über die Kreditmittelverwendung und über ihre persönliche Kreditwürdigkeit, die gerade durch die verschwiegenen anderweitigen Darlehensverbindlichkeiten zusätzlich geschwächt war. Feststellungen dazu, welche Beträge tatsächlich von der Kreditgeberin ausgereicht und in welcher Höhe wie verwendet wurden (insbesondere an die Angeklagte zurückgeflossen sind oder hätten zurückfließen sollen), wie das Darlehen tatsächlich besichert war (das Urteil spricht zwar von sieben nicht 11 näher bezeichneten Eigentumswohnungen, aber pauschal von einer Grundschuld) und welche Bedeutung der Vermögensaufstellung (und gegebenenfalls weiteren geforderten Sicherheiten) im Rahmen der Kreditgespräche für die Angeklagte erkennbar zukam, lässt das Urteil indes vermissen. Diese wäre hier aber mit Blick auf eine rechtsfehlerfreie Beurteilung des Tatvorsatzes im Rahmen einer Gesamtwürdigung des Einzelfalls (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vorsatz 5) erforderlich, zumal das Landgericht selbst feststellt, der Angeklagten sei die Bedeutung der Bonitätsprüfung ebenso klar gewesen, wie der Umstand, dass "der Kredit nicht ausgereicht worden wäre, hätte sie die Bank über den Erwerb der weiteren vollfinanzierten Immobilien in Kenntnis gesetzt". Der neue Tatrichter wird auch Feststellungen zur Frage eines Vermögensschadens (also zur Werthaltigkeit der Ansprüche auf Rückzahlung und Zinszahlung) zu treffen haben. Das voluntative Element des Vorsatzes muss sich (nur) auf den unmittelbar mit der Vermögensverfügung des Getäuschten eingetretenen Schaden erstrecken, auf die Billigung eines Endschadens kommt es nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08, NJW 2009, 2390; Nack StraFO 2008, 277, 280). Allein eine Hoffnung, das Darlehen könne aus anderen - im Einzelnen nicht festgestellten, ihrerseits aber mit einem Ausfallrisiko behafteten Quellen - zurückgezahlt werden, ließe einen Vorsatz nicht entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 1979 - 1 StR 685/78, NJW 1979, 1512; BGH, Urteil vom 31. Mai 1980 - 1 StR 106/80).

Der Senat weist darauf hin, dass der Tatrichter nicht gehalten ist, Behauptungen einer Angeklagten - auch zum subjektiven Tatbestand - als unwiderlegbar hinzunehmen, wenn hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Angaben fehlen.



[Redaktioneller Hinweis: Zu den Anforderungen an den Betrugsvorsatz insbesondere beim Gefährdungsschaden vgl. näher jüngst Gaede, in: AnwaltKommentar StGB, hrsg. von Leipold/Tsambikakis/Zöller (2011), § 263 Rn 152 ff.]

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 70

Externe Fundstellen: NStZ 2011, 279

Bearbeiter: Karsten Gaede