HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 64
Bearbeiter: Stephan Schlegel
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1737/05, Beschluss v. 29.11.2005, HRRS 2006 Nr. 64
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 16. September 2005 - 2 Ws 333/05 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Aufrechterhaltung eines außer Vollzug gesetzten Untersuchungshaftbefehls trotz ungewissen Verfahrensfortgangs.
1. Dem Beschwerdeführer liegen gewerbsmäßige Hehlerei und gewerbsmäßige Veranstaltung unerlaubter Glücksspiele zur Last.
Aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Aachen vom 21. August 2003, abgeändert, erweitert und neu gefasst durch Haftbefehl des Landgerichts Aachen vom 16. Januar 2004 befand sich der Beschwerdeführer zunächst ab dem 18. September 2003 in Untersuchungshaft. Nach Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Beschwerdeführer und drei weitere Mitbeschuldigte (darunter seine Ehefrau) durch Beschluss vom 1. März 2004 begann die Hauptverhandlung vor der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Aachen am 9. Juni 2004.
Mit Beschluss vom 10. September 2004 setzte das Landgericht den Haftbefehl unter Auflagen (Einzahlung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000 €, Hinterlegung der Ausweispapiere, Verbot, die Bundesrepublik zu verlassen, Beibehaltung eines festen Wohnsitzes und wöchentliche Meldung auf der Geschäftsstelle) außer Vollzug. Nach Leistung der Sicherheit befindet sich der Beschwerdeführer seit dem 5. November 2004 auf freiem Fuß.
2. Nach 44 Verhandlungstagen trennte die Strafkammer das Verfahren gegen den Beschwerdeführer und dessen Ehefrau mit Beschluss vom 3. Juni 2005 ab und setzte die Hauptverhandlung unter gleichzeitiger Aufhebung des Haftbefehls sowie des Haftverschonungsbeschlusses auf unbestimmte Zeit aus. Die Abtrennung erscheine zweckmäßig. Das Verfahren sei nur bezüglich der Mitangeklagten S. und A. entscheidungsreif und könne ansonsten bis zum Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes der Beisitzerin nicht mehr zu Ende geführt werden.
3. Gegen die Aufhebung des Haftbefehls und des Haftverschonungsbeschlusses erhob die Staatsanwaltschaft Aachen noch in der Hauptverhandlung vom 3. Juni 2005 Beschwerde. Dieser half das Landgericht mit Beschluss vom 7. Juni 2005 nicht ab. Zur Begründung führte die Strafkammer aus, es sei gegenwärtig nicht abzusehen, wann erneut mit der Hauptverhandlung begonnen werden könne. Derzeit seien einschließlich des Verfahrens des Beschwerdeführers 17 Anklagen anhängig, darunter mehrere Verfahren, in denen sich die Angeklagten in Untersuchungshaft oder einstweiliger Unterbringung befänden. Es sei daher unwahrscheinlich, dass noch im laufenden Jahr erneut mit der Verhandlung begonnen werden könne. Da dies dem Beschwerdeführer jedoch nicht zum Nachteil gereichen dürfe, habe der gegen ihn bestehende Haftbefehl aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufgehoben werden müssen.
4. Die Staatsanwaltschaft Aachen trat dem in ihrer Beschwerdebegründung vom 21. Juni 2005 mit der Erwägung entgegen, der gänzliche Wegfall der nach § 116 Abs. 1 StPO verhängten Maßnahmen lasse besorgen, dass sich die befürchtete Fluchtgefahr realisiere. Die getroffenen Anordnungen stünden auch in Ansehung der beträchtlichen Verfahrensdauer nicht außer Verhältnis zur Schwere der Tatvorwürfe. Der Beschwerdeführer habe weiterhin mit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Die in Folge der notwendig gewordenen Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens eingetretene Verzögerung beruhe nicht auf einer Missachtung des Beschleunigungsgebots, sondern sei aufgrund von Umständen unvermeidbar gewesen, die nicht nur in der Person der Berichterstatterin, sondern auch in der von den Angeklagten und ihren Verteidigern gewählten Konfliktstrategie ihre Ursache fänden. Allenfalls die dem Beschwerdeführer auferlegte wöchentliche Meldung auf der Geschäftsstelle der Kammer, nicht aber die Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000 € und die Abgabe der Ausweispapiere stünden zur Schwere der Tatvorwürfe außer Verhältnis.
5. Mit Beschluss vom 29. Juni 2005 hielt die 3. Große Strafkammer des Landgerichts ihre Nichtabhilfeentscheidung vom 7. Juni 2005 aufrecht. Daraufhin begründete die Generalstaatsanwaltschaft die eingelegte Beschwerde gegenüber dem Oberlandesgericht Köln weiter. Der Abtrennungs- und Aussetzungsbeschluss des Landgerichts vom 3. Juni 2005 habe der Fürsorgepflicht gegenüber dem noch in Haft befindlichen früheren Mitangeklagten A. entsprochen, der zeitnah, nämlich durch Urteil des Landgerichts vom 29. Juni 2005, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden sei. Gegenwärtig erscheine eine Haftfortdauer gegen den Beschwerdeführer auch nicht unverhältnismäßig. Allenfalls die auferlegte Pflicht zur wöchentlichen Meldung auf der Geschäftsstelle könne entfallen. Die Verteidigung des Beschwerdeführers trat dem mit Schriftsatz vom 26. Juli 2005 unter umfangreicher Darlegung der angespannten Terminssituation sämtlicher Großer Strafkammern des Landgerichts Aachen entgegen.
6. Mit Schreiben vom 27. Juli 2005 bat der 2. Strafsenat des Oberlandesgericht Köln sowohl den Vorsitzenden der 3. Großen Strafkammer als auch den Personaldezernenten des Landgerichts um Stellungnahme zum Fortgang des Verfahrens und um Mitteilung, ob seitens des Präsidiums eine Entlastung der 3. Großen Strafkammer erwogen werden könne.
Unter dem 1. August 2005 teilte der Vorsitzende mit, er könne zurzeit leider keine genaueren Mitteilungen machen. Mit Schreiben vom 29. Juli 2005 ließ der Personaldezernent das Oberlandesgericht im Auftrag des Landgerichtspräsidenten wissen, dass die 3. Strafkammer - ebenso wie die übrigen Großen Strafkammern des Landgerichts - hoch belastet sei. Dies habe seine Ursache zum einen in einem generellen Anstieg der Eingangszahlen und zum anderen in der Belastung einzelner Kammern mit außergewöhnlich umfangreichen Hauptverhandlungen. Einige Große Strafkammern hätten Probleme, alle Haftsachen vor Ablauf der Fristen des § 121 StPO zu verhandeln. Da praktisch bei allen Kammern Nichthaftsachen anhängig seien, die nicht sofort terminiert werden könnten, werde eine Entlastung der 3. Großen Strafkammer zur schnelleren Erledigung von Nichthaftsachen jedoch kaum möglich sein.
7. Mit Schreiben vom 9. August 2005 bat das Oberlandesgericht den Vorsitzenden der 3. Großen Strafkammer erneut um Äußerung, ob und gegebenenfalls wann jedenfalls im Jahre 2006 voraussichtlich mit einer Neuterminierung des Verfahrens zu rechnen sei. Der Vorsitzende teilte hierzu unter dem 17. August 2005 mit, es sei zurzeit nicht davon auszugehen, dass die Sache vor Februar 2006 erneut verhandelt werden könne. Keiner weiteren Erläuterung bedürfe insoweit, dass sich hiervon Änderungen dann ergeben könnten, wenn neue Haftsachen eingingen. Das Präsidium des Landgerichts sei durch den Personaldezernenten über die Situation der Kammer und insbesondere auch über die des vorliegenden Verfahrens unterrichtet. Nach vorläufiger Einschätzung des Dezernenten sei nicht zu erwarten, dass eine Entlastung der Kammer erfolgen könne.
8. Mit Schriftsatz vom 5. September 2005 machte der Verteidiger des Beschwerdeführers erneut darauf aufmerksam, dass es angesichts dessen höchst zweifelhaft und ungewiss erscheine, ob die Hauptverhandlung im weiteren Verlauf des Jahres 2006 beginnen könne. Fakt sei jedenfalls, dass eine Terminierung bislang nicht erfolgt und das Verfahren seit dem 3. Juni 2005 - mithin seit mehr als drei Monaten - auf unbestimmte Zeit ausgesetzt sei.
9. Mit dem nunmehr angegriffenen Beschluss vom 16. September 2005 setzte der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln in Abänderung der Entscheidung des Landgerichts vom 3. Juni 2005 den Haftbefehl vom 16. Januar 2004 und den Verschonungsbeschluss vom 10. September 2004 mit der Maßgabe wieder in Kraft, dass die wöchentliche Meldeauflage entfalle.
Zur Begründung führte der Senat aus, er könne die Auffassung der 3. Großen Strafkammer, Haftbefehl und Haftverschonungsbeschluss seien gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StPO wegen Unverhältnismäßigkeit aufzuheben, nicht teilen. Die Aussetzung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer beruhe nicht auf einer Missachtung des Beschleunigungsgebots, sondern auf der sachlich nicht zu beanstandenden Erwägung der Strafkammer, dass das Verfahren bis zu dem bevorstehenden Beginn des Mutterschutzes der Beisitzerin nicht mehr beendet werden könne. Das Verfahren gegen den Mitangeklagten A. sei durch Urteil vom 29. Juni 2005 abgeschlossen worden. Dass dies nicht in gleicher Weise auch im Verfahren des Beschwerdeführers möglich gewesen sei, beruhe - zumindest auch - auf dessen Verteidigungsstrategie, die darauf angelegt sei, prozessuale Rechte extensiv auszuschöpfen, worauf die Staatsanwaltschaft nicht zu Unrecht hingewiesen habe.
Aufgrund der Mitteilung des Vorsitzenden der 3. Großen Strafkammer gehe der Senat davon aus, dass mit dem Neubeginn der Hauptverhandlung ab Februar 2006 gerechnet werden könne. Dies bedeute eine Verzögerung um ein dreiviertel Jahr, die in Anbetracht des Umfangs und der Bedeutung der Sache noch hinnehmbar erscheine. Der Verfahrensfortgang sei derart prognostizierbar, dass auch unter Berücksichtigung des verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechts des Beschwerdeführers das Interesse der Rechtspflege an der Aufrechterhaltung des Haftbefehls und den nach § 116 StPO erteilten Anweisungen noch überwiege. Dies gelte zumal im Hinblick auf das erwähnte exzessive Prozessverhalten, welches sich in der Strafrechtspflege generell nachteilig bemerkbar mache und nicht ohne Folgen bleiben könne. Jedenfalls wirke sich der Umstand, dass Maßnahmen auf gerichtsorganisatorischem Gebiet (Ableitung des Verfahrens auf eine andere Strafkammer, Bildung einer Hilfsstrafkammer oder Zurückgreifen auf Richter aus Spruchkörpern außerhalb der Strafgerichtsbarkeit) nach der Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts aktuell nicht in Frage kämen, derzeit nicht aus.
Auch die Sicherheitsleistung beeinträchtige den Beschwerdeführer nicht in der Weise, dass dies zur Aufhebung der entsprechenden Auflage führen müsse. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die frei werdende Sicherheit in Vollziehung des fortbestehenden dinglichen Arrests gepfändet werden könne mit der Folge, dass sie dem Beschwerdeführer auch im Fall einer Aufhebung des Haftbefehls nicht zur Verfügung stünde. Für den Fall, dass er die Sicherheitsleistung nicht aus eigenen Mitteln aufgebracht habe, sei er ohnehin nicht tangiert.
1. Der Verteidiger des Beschwerdeführers rügt eine Verletzung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG). Im Wesentlichen macht er geltend:
a) Haftbefehl und Haftverschonungsbeschluss seien vom Landgericht Aachen zu Recht wegen Unverhältnismäßigkeit aufgehoben worden. Der diese Entscheidung abändernde Beschluss des Oberlandesgerichts verkenne Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der persönlichen Freiheit. § 120 StPO finde auch auf einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl Anwendung. Die Beschränkungen, denen der Beschuldigte durch die Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO ausgesetzt sei, dürften nicht länger andauern, als dies nach den Umständen des Falles erforderlich sei. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) komme auch in Strafsachen zum Tragen, in denen dem Beschuldigten Haftverschonung gewährt worden sei. Die danach zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch und dem Freiheitsinteresse des Beschwerdeführers gebotene Abwägung müsse zwingend zur Aufhebung des Haftbefehls wegen Unverhältnismäßigkeit führen. Die Verzögerung des Verfahrens habe ihre Ursache allein in einer andauernden Überlastung sowohl der zuständigen als auch sämtlicher weiteren Großen Strafkammern des Landgerichts Aachen. Gerichtsorganisatorische Maßnahmen seien nach den eingeholten Stellungnahmen sowohl des Vorsitzenden der 3. Großen Strafkammer als auch des Personaldezernenten nicht zu erwarten. Der Beschwerdeführer trage für die Verfahrensverzögerung keine Verantwortung.
b) Demgegenüber erweise sich die Annahme des Oberlandesgerichts, die Aussetzung des Verfahrens beruhe nicht auf einer Missachtung des Beschleunigungsgebots, sondern auf der sachlich nicht zu beanstandenden Erwägung, das Verfahren habe bis zu dem bevorstehenden Eintritt der Beisitzerin in den Mutterschutz nicht beendet werden können, als geradezu rechtsfremd. Die persönlichen Umstände der Beisitzerin seien dem Gericht bekannt gewesen. Den dadurch entstehenden Problemen habe durch eine entsprechende verfahrenstechnische Gestaltung, beispielsweise durch die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters, begegnet werden können. Der Beschwerdeführer habe den Ausfall einer Beisitzerin in Folge beginnenden Mutterschutzes nicht zu vertreten. Im Übrigen scheitere eine Neuterminierung der Hauptverhandlung nicht an der durch den Mutterschutz bedingten Verhinderung der Beisitzerin, sondern an der dauerhaften Überlastung des Landgerichts.
c) Als nicht weniger rechtsfremd erweise sich ferner die Erwägung, der Beschwerdeführer habe die Verzögerung seines Verfahrens selbst zu vertreten, weil er seine prozessualen Rechte extensiv ausschöpfe. Die Wahrnehmung strafprozessual eingeräumter Verteidigungsrechte dürfe dem Beschuldigten nicht zum Nachteil gereichen. Im Übrigen fülle das Oberlandesgericht seine Argumentation auch inhaltlich in keiner Weise aus.
Ebenso wenig könne ein Vergleich mit dem Verfahren des bereits verurteilten Mitangeklagten A. verfangen. Die Tatvorwürfe gegen den Beschwerdeführer seien umfassender als die gegen den ehemaligen Mitangeklagten A. und beide Verfahren deshalb von vornherein nicht zu vergleichen.
2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und - in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eröffnenden Weise - auch offensichtlich begründet; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.
1. Die Freiheit der Person nimmt - als Basis der allgemeinen Rechtsstellung und Entfaltungsmöglichkeit des Bürgers (BVerfGE 19, 342 <349>; 53, 152 <158>) - einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Daher darf eine Freiheitsentziehung nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten. Zu solchen Belangen, gegenüber denen der Freiheitsanspruch eines Beschuldigten unter Umständen zurücktreten muss, gehören die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafrechtspflege. Ein vertretbarer Ausgleich des Widerstreits dieser für den Rechtsstaat wichtigen Grundsätze lässt sich im Bereich des Rechts der Untersuchungshaft nur erreichen, wenn den Freiheitsbeschränkungen, die vom Standpunkt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege aus erforderlich sind, ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten wird (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 35, 185 <190>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158>). Dies bedeutet, dass zwischen beiden Belangen abzuwägen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der dort zu erwartenden Strafe Grenzen setzt (vgl. BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 20, 144 <148>; 53, 152 <158 f.>), und zu bedenken, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößern wird (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <159>).
2. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben gelten nicht nur für den vollstreckten Haftbefehl. Sie sind darüber hinaus auch für einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl (§ 116 StPO) von Bedeutung (vgl. BVerfGE 53, 152 <159>). Beschränkungen, denen der Beschuldigte durch Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO ausgesetzt ist, dürfen nicht länger andauern, als es nach den Umständen erforderlich ist (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 6. Juli 2004 - 2 Ws 301/04 -, StV 2005, S. 396 <397>). Denn auch dann, wenn Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, kann allein schon die Existenz eines Haftbefehls für den Beschuldigten eine erhebliche Belastung darstellen, weil sich mit ihm regelmäßig die Furcht vor einem (erneuten) Vollzug verbindet (vgl. BVerfGE 53, 152 <161>).
Mag die Haftverschonung vom Beschuldigten vor dem Hintergrund eines drohenden Vollzugs von Untersuchungshaft zunächst auch als Rechtswohltat empfunden werden, so ändert dies doch gleichwohl nichts daran, dass der Fortbestand des Haftbefehls vor allem auch unter Berücksichtigung der freiheitsbeschränkenden Auflagen nach wie vor mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit verbunden ist. Dies gilt nicht nur für die von Meldeauflagen ausgehenden Belastungen, sondern auch für die Beschränkung der Freizügigkeit, insbesondere wenn dem Beschuldigten Auslandsreisen untersagt sind oder er seinen Wohn- und Aufenthaltsort nicht ohne richterliche Erlaubnis verlassen oder wechseln darf. Ebenso können im Falle der Auferlegung einer Kaution erhebliche finanzielle Nachteile mit der Aussetzung des Haftbefehls verbunden sein (vgl. näher Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl. 2001, Rn. 832).
Es versteht sich deshalb von selbst, dass auch ein weniger einschneidendes Mittel, durch welches eine schwerwiegendere grundrechtsbeschränkende Maßnahme ersetzt worden ist, in seinem Fortbestand auch weiterhin im Lichte des Freiheitsrechts und unter Beachtung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit stets von Neuem zu überprüfen ist (vgl. BVerfGE 53, 152 <160>). Eine Haftsache ist deshalb auch dann wie eine Haftsache zu behandeln, wenn der Haftbefehl nicht vollzogen wird, weil er außer Vollzug gesetzt ist (so auch bereits KG, Beschluss vom 11. Juli 1991 - 4 Ws 124/91 -, StV 1991, S. 473; Beschluss vom 18. August 2003 - 3 Ws 370/03 -, StV 2003, S. 627 <628>; OLG Köln, Beschluss vom 6. Juli 2004 - 2 Ws 301/04 -, StV 2005, S. 396 <398>).
3. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem im Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Entscheidung über den Anklagevorwurf mit der gebotenen Schnelligkeit herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>); kommt es aufgrund vermeidbarer Fehler der Justizorgane zu einer erheblichen Verzögerung, so steht dies der Aufrechterhaltung des Haftbefehls regelmäßig entgegen. Namentlich ist eine nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts mit Haftsachen selbst dann kein Grund, der die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls rechtfertigt, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt. Denn der Beschuldigte hat es nicht zu vertreten, wenn seine Haftsache nicht binnen angemessener Zeit zur Verhandlung gelangt, weil dem Gericht die personellen oder sächlichen Mittel fehlen, die zur ordnungsgemäßen Bewältigung des Geschäftsanfalls erforderlich wären (vgl. BVerfGE 36, 264 <274>).
4. Dementsprechend stimmen die Fachgerichte darin überein, dass unabhängig von der Höhe einer zu erwartenden Strafe auch ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl aufzuheben ist, wenn in Folge einer vom Beschuldigten nicht zu vertretenden Verletzung des Beschleunigungsgebots das Verfahren bereits längere Zeit nicht gefördert wurde und darüber hinaus ungewiss ist, wann das Hauptsacheverfahren (neu) eröffnet und Termin zur Hauptverhandlung anberaumt werden kann (vgl. KG, Beschluss vom 10. Januar 1985 - 4 Ws 336/84 u.a. -, StV 1985, S. 67; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 5. Juli 1984 - 2 Ws 325/84 -, StV 1985, S. 66; KG, Beschluss vom 1. Dezember 1988 - 4 Ws 230 und 231/88 -, StV 1989, S. 68; KG, Beschluss vom 11. Juli 1991 - 4 Ws 124/91 -, StV 1991, S. 473; OLG Bremen, Beschluss vom 29. August 1994 - Ws 138/94 -, StV 1994, S. 666; OLG Oldenburg, Beschluss vom 18. Dezember 1995 - 1 Ws 208/95 -, StV 1996, S. 388; KG, Beschluss vom 18. August 2003 - 3 Ws 370/03 -, StV 2003, S. 627 <628>; OLG Köln, Beschluss vom 6. Juli 2004 - Ws 301/04 -, StV 2005, S. 396 <397>; LG Hamburg, Beschluss vom 4. September 1984 - (98) 12/84 KLs -, StV 1985, S. 20 <21>; LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 24. April 1989 - 5/27 Qs 34/88 - 90 Js 31063/86 - 933 Ls 266 -, StV 1989, S. 486 <487>; LG Köln, Beschluss vom 19. Mai 1989, NStZ 1989, S. 442 <443>; LG Gera, Beschluss vom 1. Juli 1996 - 261 Js 12036/94-5 KLs -, StV 1997, S. 141 <142>). Ebenso ist anerkannt, dass erst noch bevorstehende, aber schon jetzt absehbare Verfahrensverzögerungen von völlig ungewisser Dauer nicht anders zu behandeln sind als bereits eingetretene (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 5. Juli 1984 - 2 Ws 325/84 -, StV 1985, S. 66; LG Hamburg, Beschluss vom 4. September 1984 - (98) 12/84 KLs -, StV 1985, S. 20 <21>; LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 24. April 1989 - 5/27 Qs 34/88 - 90 Js 31063/86 - 933 Ls 266 -, StV 1989, S. 486 <487>).
Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Oberlandesgericht hat in die von ihm vorzunehmende Abwägung nicht alle relevanten Gesichtspunkte einbezogen, die nach Lage der Dinge hätten einbezogen werden müssen, und darüber hinaus auch bei der Abwägung selbst Bedeutung und Tragweite des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers verkannt.
1. Zunächst liegt eine unzureichende Würdigung der tatsächlichen Grundlagen vor:
a) Zum einen hat das Oberlandesgericht unberücksichtigt gelassen, dass sich der Beschwerdeführer wegen der ihm zur Last gelegten Taten bereits über ein Jahr in Untersuchungshaft befand, bevor der Haftbefehl mit Beschluss vom 10. September 2004 unter Auflagen außer Vollzug gesetzt wurde und er nach Leistung der geforderten Sicherheit in Höhe von 200.000 € am 5. November 2004 auf freien Fuß kam. Zum anderen hat das Oberlandesgericht auch nicht in seine Abwägung eingestellt, dass in dem gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahren bereits 44 Hauptverhandlungstage stattgefunden haben, die sich nunmehr als weitgehend nutzlos erweisen, weil die Hauptverhandlung in Folge des Abtrennungs- und Aussetzungsbeschlusses nochmals von neuem beginnen muss. Ebenso wenig verhält sich das Oberlandesgericht zu der für den Fall eines Tat- und Schuldnachweises im Raum stehenden Straferwartung.
b) Auch die Hintergründe der Aussetzungsentscheidung selbst hat das Oberlandesgericht nicht aufgeklärt. Es hat vor allem nicht festgestellt, zu welchem Zeitpunkt die Beisitzerin dem Präsidenten des Landgerichts ihre Schwangerschaft angezeigt hat, in welchem Stadium sich das Verfahren des Beschwerdeführers damals befand, warum der Einsatz eines Ergänzungsrichters zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht kam und weshalb der Abbruch der Hauptverhandlung - nach immerhin bereits 44 Verhandlungstagen - unumgänglich war und auch durch einen überobligationsmäßigen Einsatz der Richterbank, etwa durch zusätzliche Verhandlungstermine in den Abendstunden oder gegebenenfalls auch am Wochenende (samstags), vor dem Eintritt der Beisitzerin in den Mutterschutz nicht mehr vermieden werden konnte.
Der inhaftierte Beschuldigte hat es nicht zu vertreten, wenn seine Strafsache nicht binnen angemessener Frist zum Abschluss gebracht werden kann, weil familiär bedingte personelle Veränderungen auf der Richterbank mit einer ordnungsgemäßen Bewältigung des Geschäftsanfalls in Haftsachen kollidieren. Es handelt sich insoweit weder um einen unvorhersehbaren Zufall noch um ein schicksalhaftes Ereignis (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>). Jede andere Beurteilung ist mit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) unvereinbar. Dies gilt aufgrund der mit der Existenz des Haftbefehls verbundenen Belastungen und Beschränkungen der persönlichen Freiheit auch dann, wenn der Haftbefehl - wie hier - bereits außer Vollzug gesetzt ist. Ist in diesen Fällen eine Abhilfe mittels der oben beschriebenen Maßnahmen nicht möglich, so muss der Haftbefehl wegen Unverhältnismäßigkeit aufgehoben werden.
c) Soweit das Oberlandesgericht sich zur Begründung seiner Entscheidung darauf beruft, der Beschwerdeführer habe es in Folge seines extensiven Prozessverhaltens selbst zu vertreten, dass sein Verfahren nicht in angemessener Zeit habe abgeschlossen werden können, legt es nicht dar, dass die Verteidiger des Beschwerdeführers die Möglichkeiten der Strafprozessordnung in einer Weise genutzt haben, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgabe, den Beschwerdeführer vor einem materiellen Fehlurteil oder (auch nur) einem prozessordnungswidrigen Verhalten zu schützen, nicht mehr zu erklären ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2005 - 3 StR 445/04 -, NStZ 2005, S. 341). Ein weiteres Eingehen hierauf erübrigt sich deshalb.
d) Unerfindlich bleibt des Weiteren auch, woraus der 2. Strafsenat die Überzeugung gewinnt, dass mit dem Neubeginn des Hauptverfahrens ab Februar 2006 gerechnet werden kann. Die Mitteilung des Vorsitzenden der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts, die der Senat für seine Einschätzung anführt, kann es jedenfalls nicht sein. Denn der Vorsitzende hat in seiner Stellungnahme vom 17. August 2005 lediglich erklärt, dass derzeit nicht davon auszugehen sei, dass die Sache des Beschwerdeführers vor Februar 2006 verhandelt werden könne. Von einem Verfahrensbeginn im Februar 2006 ist in der Stellungnahme nicht die Rede. Zudem hat der Vorsitzende seine Aussage auch ausdrücklich unter den Vorbehalt gestellt, dass keine neuen Haftsachen bei der Kammer eingehen. Da die 3. Große Strafkammer nach der Mitteilung des Präsidenten des Landgerichts vom 29. Juli 2005 jedoch nicht mit einer Entlastung rechnen kann, besteht für die Annahme, die Kammer werde vom Eingang neuer Haftsachen verschont bleiben, keine tragfähige Grundlage. Damit ist zugleich auch der Einschätzung des Oberlandesgerichts, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer werde im Februar 2006 neu beginnen können, der Boden entzogen. Der Verfahrensfortgang ist - anders als der Senat meint - gerade nicht prognostizierbar. Eine Terminierung für Februar 2006 liegt nicht vor. Maßgeblich ist deshalb allein, dass das Verfahren - entsprechend dem Beschluss des Landgerichts vom 3. Juni 2005 - nach wie vor auf unbestimmte Zeit ausgesetzt ist.
Dessen ungeachtet hat die Strafkammer auch bereits in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 7. Juni 2005 darauf hingewiesen, dass bei ihr derzeit 17 Anklagen anhängig sind, darunter mehrere vorrangige Verfahren, in denen sich die Angeklagten in Untersuchungshaft oder einstweiliger Unterbringung befinden. Schon die Vielzahl dieser aktuell anhängigen Verfahren setzt der Belastbarkeit von Prognosen enge Grenzen - wie jeder mit den Unwägbarkeiten strafprozessualer Verfahren vertraute Praktiker weiß.
e) Vor diesem Hintergrund kann dem Oberlandesgericht auch nicht in der Annahme gefolgt werden, es wirke sich - jedenfalls derzeit - nicht aus, dass Maßnahmen auf gerichtsorganisatorischem Gebiet (Ableitung des Verfahrens auf eine andere Strafkammer, Bildung einer Hilfsstrafkammer oder Heranziehung von Richtern aus Spruchkörpern außerhalb der Strafgerichtsbarkeit) nach der Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts aktuell nicht in Frage kommen. Vielmehr ist das Gegenteil richtig. Aufgrund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist allgemein anerkannt, dass erst noch bevorstehende Verzögerungen von - wie hier - völlig ungewisser Dauer nicht anders behandelt werden dürfen, als bereits eingetretene (vgl. nur Hanseatisches OLG Hamburg, StV 1985, S. 66; LG Hamburg, StV 1985, S. 20 <21>; LG Frankfurt am Main, StV 1989, S. 486 <487>).
Der 2. Strafsenat wird deshalb unverzüglich darauf dringen, dass die erforderlichen gerichtsorganisatorischen Maßnahmen durch den Präsidenten des Landgerichts ergriffen werden, um die dem Bundesverfassungsgericht auch bereits aus anderen Verfahren bekannte dauerhafte Überlastung der Großen Strafkammern des Landgerichts Aachen zu beenden und für die Zukunft eine ordnungsgemäße Bewältigung des Geschäftsanfalls in Haftsachen sicherzustellen. Die bisherige Praxis des Oberlandesgerichts, bereits absehbare Verfahrensverzögerungen von unbestimmter Dauer als "derzeit" (noch) nicht aktuelle Verzögerungen zu behandeln, ist mit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit unvereinbar.
Verstärkt wird die Ungewissheit des Verfahrensfortgangs vorliegend auch dadurch, dass vor Aussetzung der Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit bereits 44 Verhandlungstage verstrichen sind, ohne dass das Verfahren zur Entscheidungsreife geführt werden konnte. Es ist daher gegenwärtig nicht nur nicht abzusehen, wann das Verfahren beginnt; es ist darüber hinaus auch in keiner Weise abzuschätzen, wann es voraussichtlich einmal endet. Auch auf diesen nahe liegenden, ebenfalls in die Abwägung mit einzustellenden Gesichtspunkt geht das Oberlandesgericht nicht ein.
Sind aber Beginn, Dauer und Beendigung eines Verfahrens gegenwärtig in keiner Weise zeitlich konkret absehbar, so ist dies bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse der Rechtspflege an der Aufrechterhaltung des Haftbefehls und den nach § 116 StPO erteilten Weisungen mit dem Freiheitsrecht des Beschuldigten nicht mehr hinnehmbar und muss zur Aufhebung des Haftbefehls und des Aussetzungsbeschlusses führen (so ausdrücklich Beschluss des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 6. Juli 2004, 2 Ws 301/04, StV 2005, S. 396 <397>).
Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Der Staat kann sich dem Beschuldigten gegenüber nicht darauf berufen, dass er seine Gerichte nicht so ausstattet, wie es erforderlich ist, um die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abzuschließen. Es ist seine Aufgabe, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen. Er hat die dafür erforderlichen - personellen wie sächlichen - Mittel aufzubringen, bereit zu stellen und einzusetzen. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, dieser Pflicht zu genügen (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>). Lassen sich Strafverfahren, in denen ein Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist, nicht in angemessener Zeit durchführen, weil der Staat der Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte - aus welchen Gründen auch immer - nicht nachkommt, so hat das unabweisbar die Aufhebung von Haftentscheidungen zur Folge (so zutreffend OLG Köln, Beschluss vom 6. Juli 2004 - 2 Ws 301/04 -, StV 2005, S. 396 <398>). Hilft der Staat der Überlastung der Gerichte nicht ab, so muss er es hinnehmen und gegebenenfalls auch seinen Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass mutmaßliche Straftäter auf freien Fuß kommen, sich der Strafverfolgung und Aburteilung entziehen oder erneut Straftaten von erheblichem Gewicht begehen.
Die mit der Haftprüfung betrauten Gerichte verfehlen die ihnen obliegende Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen, wenn sie angesichts des Versagens des Staates, die Justiz mit den erforderlichen personellen und sächlichen Mitteln auszustatten, die im Falle einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gebotenen Konsequenzen nicht ziehen. Das unmittelbar in der Verfassung wurzelnde Gebot der Beschleunigung von Haftsachen darf nicht zur inhaltsleeren Hülse werden.
f) Soweit das Oberlandesgericht seine Annahme, die dem Beschwerdeführer auferlegte Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000 € beeinträchtige diesen nicht in einer Weise, die zur Aufhebung dieser Verschonungsauflage zwinge, darauf gründet, dass diese im Falle einer Freigabe dem fortbestehenden dinglichen Arrest über das Vermögen des Beschwerdeführers anheim falle, legt es nicht dar, dass die Voraussetzungen hierfür überhaupt vorliegen. Fehl geht des Weiteren auch die Annahme, der Beschwerdeführer sei durch die Sicherheitsleistung nicht in seinen Belangen tangiert, wenn er diese nicht aus seinen eigenen Mitteln aufgebracht haben sollte. Das Oberlandesgericht verkennt, dass der Beschwerdeführer in diesem Fall seinen Gläubigern zur Rückzahlung verpflichtet bleibt und aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine kapitalmarktübliche Verzinsung der Leistung schuldet.
2. Ungeachtet der erheblichen Mängel im Tatsächlichen steht auch das Abwägungsergebnis der angegriffenen Entscheidung mit Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) nicht in Einklang.
Der Beschwerdeführer muss nicht hinnehmen, dass die Hauptverhandlung nach 44 Verhandlungstagen in Folge einer von ihm nicht zu vertretenden Vakanz auf der Richterbank abgebrochen und auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wird. Ein infolge Überlastung des zuständigen Gerichts bereits aktuell absehbarer Verfahrensstillstand von mehreren Monaten ist mit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit auch dann nicht vereinbar, wenn der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist (vgl. so ausdrücklich auch bereits KG, StV 1989, S. 68 <69> - neunmonatiger Verfahrensstillstand nach Aussetzung der Hauptverhandlung; LG Hamburg, StV 1985, S. 20 <21> - Nichtanberaumung der Hauptverhandlung um mehrere Monate; LG Frankfurt am Main, StV 1989, S. 486 <487> - bevorstehende Verfahrensverzögerung von ungewisser Dauer).
Wird das durch die Haftentscheidung zu sichernde Verfahren - wie hier - über lange Zeit nicht gefördert, weil dem Gericht die erforderlichen Richterkräfte nicht zur Verfügung stehen, und besteht keine konkrete Aussicht auf eine Entscheidung über die (Neu-)Eröffnung des Hauptverfahrens und eine Terminierung in einem dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten Rechnung tragenden, absehbaren Zeitraum, so ist dies im Rahmen der Abwägung zwischen dem Interesse der Rechtspflege an der Aufrechterhaltung des Haftbefehls und den nach § 116 StPO erteilten Anweisungen mit dem Freiheitsrecht des Beschuldigten nicht mehr hinnehmbar und muss zur Aufhebung des Haftbefehls und des Aussetzungsbeschlusses führen (so zutreffend OLG Köln, Beschluss vom 6. Juli 2004 - 2 Ws 301/04 -, StV 2005, S. 396 <397>).
Die Aufhebung allein der Meldeauflage trägt dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers nicht hinreichend Rechnung. Denn schon die Existenz des Haftbefehls begründet neben der Beschränkung der Freizügigkeit und den mit der Stellung der Kaution verbundenen finanziellen Nachteilen eine erhebliche Belastung, die dem Beschwerdeführer angesichts der völligen Ungewissheit des Verfahrensfortgangs nicht weiter zugemutet werden kann. Die angegriffene Entscheidung kann daher auch angesichts der vom 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln im Beschluss vom 6. Juli 2004 - 2 Ws 301/04 - StV 2005, S. 396 selbst entwickelten Maßstäbe keinen Bestand haben.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch das Oberlandesgericht festzustellen. Der angegriffene Beschluss ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Oberlandesgericht hat unverzüglich unter Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte erneut eine Entscheidung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 3. Juni 2005 zu treffen. Sollten sich in der Zwischenzeit keine neuen Gesichtspunkte - sofortige Terminierung und Fortsetzung des Verfahrens - ergeben haben, ist die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen und die Entscheidung des Landgerichts vom 3. Juni 2005, soweit sie die Aufhebung des Haftbefehls und des Haftverschonungsbeschlusses betrifft, wieder herzustellen.
Der Ausspruch über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 64
Externe Fundstellen: NJW 2006, 668; NStZ-RR 2006, 188; StV 2006, 87
Bearbeiter: Stephan Schlegel