Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 457/91, Urteil v. 01.04.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revision der Angeklagten L. und K. wird das Urteil des Schwurgerichts in Berlin vom 4. Februar 1991 jeweils im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Schwurgericht hat jeden der beiden Angeklagten wegen Mordes nach § 112 StGB-DDR in Tateinheit mit Diebstahl und Raub, ferner wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug, unter Anwendung des § 64 StGB-DDR zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen haben der damals knapp 28 Jahre alte Angeklagte L. und der 4 1/2 Jahre jüngere Angeklagte K. am 12. August 1989 den 39 Jahre alten Norbert F. in seiner Wohnung in B. getötet. Nachdem K. vorgeschlagen hatte, F. zu berauben, hatten sich die Angeklagten vor dem Betreten der Wohnung verständigt, daß F. getötet werden sollte: L. "wollte die Tötung, um an Geld zu kommen, damit 'nichts rauskommt' und weil F. homosexuell war" (UA S. 10). K. hatte zunächst vorgeschlagen, F. nur bewußtlos zu machen. Die Antwort L.'s "wenn, dann schon richtig" verstand K. aber zutreffend in dem Sinne, daß F. getötet werden sollte; damit war K. einverstanden (UA S. 10, 11). In der Wohnung band K. überraschend die Füße des im Bett liegenden F. zusammen. Sodann warf L. eine Schnur über den Kopf des F.. Dieser versuchte, die Schnur abzustreifen; daran hinderte ihn K.. Sodann zog L. die Schnur fest zu, bis F. nach hinten sank. Eine weitere Drosselung trat ein, als L. den Körper des F. an der um den Hals gelegten Schnur in die Küche schleifte; K. faßte dabei mit an. F. starb an einer Kompression der Halsweichteile. Anschließend durchsuchten die Angeklagten die Wohnung, aus der sie verschiedene Sachen mitnahmen. Schon vor der Tötung hatte L. aus einem Aktenkoffer des F. 220 Mark gestohlen. Zwei mitgenommene Schecks über jeweils 500 Mark lösten die Angeklagten ein; L. hatte auf sie eine nachgemachte Unterschrift des F. gesetzt.
Der Angeklagte L. hat die Tat am 24. August 1989, dem Tag der Festnahme der beiden Angeklagten, in der ersten polizeilichen Vernehmung gestanden, desgleichen am 25. August 1989 vor dem Ermittlungsrichter; seit Mitte November 1989 ist er von seinen ursprünglichen Angaben abgerückt, und entsprechend hat er sich in der Hauptverhandlung geäußert. Der Angeklagte K. hat die Tat bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 30. August 1989 sowie in anschließenden Vernehmungen gestanden; bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung am 24. August 1989 sowie bei einer richterlichen Vernehmung am 25. August 1989 hatte er den äußeren Tatablauf im Kern zugegeben, aber erklärt, er habe F. nicht töten wollen. Der Angeklagte K. ist im Oktober 1989 von seinem Geständnis abgerückt; in der Hauptverhandlung hat er sich nicht zur Sache geäußert. Das Schwurgericht hat in der Hauptverhandlung die Vernehmungsbeamten der Volkspolizei als Zeugen vernommen und die Protokolle vom 25. August 1989 über die richterliche Vernehmung der Angeklagten verlesen (Bd. I Bl. 66, 73; Bd. VIII Bl. 5, 6 d.A.).
Die Revisionen haben nur zur Straffrage Erfolg. Soweit sie sich gegen den Schuldspruch wenden, sind sie nicht begründet.
Die Revisionen beanstanden, soweit sie formgerecht erhoben worden sind, daß der Tatrichter Protokolle über die Vernehmung der Angeklagten durch den Ermittlungsrichter beim Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte vom 25. August 1989 gegen den Widerspruch der Verteidigung gemäß § 254 Abs. 1 StPO verlesen und bei seiner Überzeugungsbildung verwertet hat.
Sie machen geltend, daß bei diesen Vernehmungen kein Hinweis auf das Recht, nicht zur Sache auszusagen, gegeben worden sei. Diese Revisionsangriffe haben im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Der Senat hatte bei der Beurteilung der Verfahrensrügen von folgendem Sachverhalt auszugehen:
a) Das Strafverfahren war beim Wirksamwerden des Beitritts in Ost-Berlin anhängig. Es ist gemäß Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 28 g des Einigungsvertrages nach der Strafprozeßordnung der Bundesrepublik Deutschland fortgeführt worden; die Hauptverhandlung fand im Jahre 1991 statt.
b) Das zur Zeit der Vernehmungen (25. August 1989) in der DDR geltende Recht schrieb im Gegensatz zu § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht vor, daß der Beschuldigte vor der Vernehmung darauf hinzuweisen sei, daß es ihm freistehe, nicht zur Sache auszusagen. Diese Belehrung war auch in der tatsächlichen Praxis nicht gebräuchlich (J. Speck, Die Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafverfahren der DDR, Freiburg i.Br. 1990, S. 99 ff). Demgemäß geht der Senat davon aus, daß den Angeklagten eine solche Belehrung weder vor ihrer richterlichen Vernehmung vom 25. August 1989 noch bei den vorangegangenen polizeilichen Vernehmungen gegeben worden ist. Dafür, daß sie ohne Belehrung angenommen haben, sie dürften schweigen, gibt es keine Anhaltspunkte.
c) Gerichte und "Untersuchungsorgane" der DDR hatten den Beschuldigten vor der Vernehmung nach § 15 Abs. 2 Satz 2, § 61 Abs. 2 Satz 2, § 105 Abs. 2 Satz 2 StPO-DDR über sein "Recht auf Verteidigung" und sein Recht auf "aktive Mitwirkung am gesamten Strafverfahren" zu belehren. Das Recht auf Verteidigung "umfaßte" nach § 61 Abs. 1 StPO-DDR u.a. das Recht, "alles vorzubringen, was die erhobenen Beschuldigungen ausräumen" oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit mindern kann. Der Senat geht davon aus, daß sich der Ermittlungsrichter des Stadtbezirksgerichts Berlin-Mitte an diese Belehrungsvorschriften gehalten hat; die Revisionen tragen nichts anderes vor. Die Protokolle der polizeilichen Vernehmungen, auf die sich die Angeklagten bei ihrer richterlichen Vernehmung bezogen haben, enthalten, ebenso wie die richterlichen Protokolle, den Vermerk, daß eine Belehrung nach § 61 StPO-DDR stattgefunden habe (Bd. I Bl. 78, 98; Bd. II Bl. 34, 44, 69 d.A.).
2. Das Schwurgericht hätte die Protokolle vom 25. August 1989 nicht verlesen und ihren Inhalt nicht verwerten dürfen, wenn sie unverwertbar gewesen wären. Sie waren jedoch verwertbar.
Ein Verwertungsverbot folgt hier nicht aus dem Beschluß des Senats vom 27. Februar 1992 (5 StR 190/91 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt -). Nach diesem Beschluß allerdings dürfen Aussagen, die der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren vor der Polizei gemacht hat, unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen nicht verwertet werden, wenn der Vernehmung entgegen § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO kein Hinweis vorangegangen ist, daß es dem Beschuldigten freistehe, nicht zur Sache auszusagen; für Aussagen, die der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren vor dem Richter gemacht hat, gilt nichts anderes. Von dem Fall, über den der Senat in dem genannten Beschluß zu entscheiden hatte, unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht dadurch, daß dem Richter des Stadtbezirksgerichts Berlin-Mitte eine Belehrung über das Recht zu schweigen nicht gesetzlich vorgeschrieben war.
Dieser Unterschied rechtfertigt für sich allein die Verwertung der Vernehmung vom 25. August 1989 nicht. Ob der Inhalt von Vernehmungen, die unter der Geltung der StPO-DDR stattgefunden haben, verwertbar ist, muß vielmehr unter Berücksichtigung der Wertungen geprüft werden, die für das geltende Recht maßgeblich sind. Der Richter ist dieser Prüfung nicht etwa deswegen enthoben, weil nach überwiegender Ansicht Änderungen des Verfahrensrechts keine rückwirkende Kraft haben (vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. Nachtrag Einigungsvertrag, 1991, Teil C, S. 196 Rdn. 12 sowie die Nachweise bei J. Pföhler, Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht ..., 1988, S. 113, 142, 177 ff). Soweit dieser Grundsatz besagt, daß nach der Rechtsänderung laufende Verfahren nach neuem Prozeßrecht fortzusetzen sind, ist er in Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 28 g des Einigungsvertrages positives Recht geworden.
Andererseits ergibt sich die Verwertbarkeit der Aussagen nicht ohne weiteres aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 2, 300, 304), nach der es im Hinblick auf Vernehmungen "innerhalb anderer Rechtsbereiche" für die Verlesbarkeit der Niederschriften nach § 251 Abs. 1 StPO und die Verwertbarkeit allein darauf ankommt, ob das am Vernehmungsort geltende Recht beachtet worden ist (vgl. auch BGHSt 1, 219, 221; 35, 82, 83 und Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. § 251 Rdn. 20 m.w.N.).
a) Bei der Entscheidung, ob das Ergebnis der Vernehmungen vom 25. August 1989 verwertbar ist, sind vielmehr zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
aa) Der Grundsatz, daß niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, also ein Schweigerecht hat, entspricht der Menschenwürde (BVerfGE 38, 105, 113; 56, 37, 43), schützt das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten und ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens (BGH Beschluß vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91 -). Die Belehrung über das Schweigerecht trägt zur Sicherung eines fairen Verfahrens bei (BGH aaO; vgl. auch BGHSt 25, 325, 331). Diese Zielsetzungen sind deshalb auch in Fällen der vorliegenden Art zu beachten.
bb) Andererseits ist zu bedenken: Der Einigungsvertrag sieht die Fortsetzung der im Zeitpunkt des Beitritts anhängigen Verfahren vor (Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 28 g). Diese Fortführung dient dem geordneten Ablauf des Einigungsprozesses. Sie trägt, soweit das Strafverfahrensrecht betroffen ist, auch den Bedürfnissen der Strafrechtspflege Rechnung. Mit der Fortsetzung der Verfahren sind praktische Folgerungen verbunden: Grundsätzlich muß davon ausgegangen werden, daß die Ergebnisse von Verfahrenshandlungen, die vor dem Beitritt stattgefunden haben, verwertet werden können. Anderenfalls wäre eine Fortführung der Verfahren in vielen Fällen unmöglich. Allerdings steht die Verwertbarkeit unter dem allgemeinen, auch in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 des Einigungsvertrages zum Ausdruck gebrachten Vorbehalt, daß die vor dem Beitritt vorgenommenen Verfahrenshandlungen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar sein müssen. Die Prüfung, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist, anders als in den Fällen der Anl. I Kap.III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 14 d des Einigungsvertrages, keinem besonderen Verfahren zugewiesen. Vielmehr hat das Gericht bei der Entscheidung über die Verwertung zu prüfen, ob rechtsstaatliche Bedenken entgegenstehen.
Soweit der Bundesgerichtshof die Verlesung von polizeilichen Vernehmungsprotokollen nach § 224 Abs. 2 StPO-DDR durch Bezirksgerichte nicht beanstandet hat (BGHR DDR-StPO § 224 Verlesung 1; BGH Beschluß vom 25. Januar 1991 - 2 StR 614/90 - ), handelte es sich um andere Fallgestaltungen. Der Senat verkennt nicht, daß die Entscheidung, ob ein Verwertungsverbot gegeben ist, im vorliegenden Fall wegen der Beziehung zu dem Schweigerecht des Beschuldigten schwieriger ist als dort, wo es lediglich um unterschiedliche Regelungen über die Verlesbarkeit polizeilicher Protokolle gegangen ist. Immerhin hat der Gesetzgeber der DDR mit dem 6. StRÄG vom 29. Juni 1990 (GBl. I S. 526) das Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten ausdrücklich gewährleistet und die Belehrung über dieses Recht vorgeschrieben (Anl. 2 Nr. 2, 10 zum 6. StRÄG), während er § 224 Abs. 2 StPO-DDR nicht für reformbedürftig gehalten hat.
b) Bei einer Entscheidung, die einerseits dem hohen Rang des strafprozessualen Schweigerechts, andererseits den praktischen Erfordernissen des Einigungsprozesses Rechnung trägt, ist im vorliegenden Fall folgendes zu erwägen:
aa) Auch wenn die Belehrung des Beschuldigten über sein Recht zu schweigen ein wichtiger Beitrag zur Sicherung dieses Rechtes ist, so kann doch nicht übersehen werden, daß insoweit auch unter rechtsstaatlichen Voraussetzungen unterschiedliche Gestaltungsformen zu beobachten sind: Eine gesetzliche Vorschrift über die Belehrungspflicht ist in der Bundesrepublik Deutschland erst mit dem Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067) eingeführt worden. Nicht in allen westeuropäischen Ländern schreibt das Gesetz eine Belehrung im Ermittlungsverfahren vor (vgl. die rechtsvergleichenden Hinweise in dem Senatsbeschluß vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91 -). Ein Verwertungsverbot ist in Fällen, in denen eine Aussage im Ermittlungsverfahren entgegen § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO ohne Belehrung gemacht worden ist, erst in jüngster Zeit durch den Bundesgerichtshof anerkannt worden (BGH Beschluß vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91 in Abweichung von BGHSt 31, 395).
bb) Rechtsstaatswidrig zustandegekommen und deshalb unverwertbar sind Vernehmungsergebnisse, die darauf beruhen, daß bei der Vernehmung auf die Freiheit der Willensentscheidung und der Willensbetätigung des Beschuldigten durch eines der in § 136 a StPO bezeichneten Mittel eingewirkt worden ist, gleichviel wie das Verhalten der Vernehmungsperson nach dem Recht der DDR zu beurteilen war. So hat es sich im vorliegenden Fall aber nicht verhalten:
(1) Im jüngeren Schrifttum der DDR war anerkannt, daß der Beschuldigte nicht zu belastenden Aussagen gegen sich selbst verpflichtet sei (Strafprozeßrecht der DDR - Kommentar - 3. Aufl. 1989 § 8 Anm. 2; Strafverfahrensrecht -Lehrbuch - 3. Aufl. 1987 S. 150, 197; Autorenkollektiv im Ministerium des Innern der DDR, Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten, 2. Aufl. 1986 S. 87; Gysi NJ 1985, 416 f). Von dem Recht des Beschuldigten, die Aussage zu verweigern, ist gesagt worden, es sei zwar nicht "juristisch fixiert", aber "de facto" vorhanden (M. Hirschfelder, Das Recht auf Verteidigung im Strafverfahren der DDR, Diss. jur. Berlin - Humboldt-Univ. -, 1989, S. 102). Auch ist zu erwähnen, daß die DDR Mitgliedsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (vgl. GBl. DDR 1974 II S. 58) war, in dem bestimmt ist, daß niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen (Art. 14 Abs. 3 g).
Allerdings ist stets kritisch zu prüfen, ob sich die Praxis nach diesen Grundsätzen gerichtet hat.
(2) Daß den Angeklagten im Widerspruch zu diesen Grundsätzen vorgetäuscht worden ist, sie seien zur Selbstbelastung verpflichtet, ist dem Revisionsvorbringen, im übrigen auch den Akten, nicht zu entnehmen. Entgegen dem Revisionsvorbringen des Angeklagten K. ist es einer Täuschung im Sinne des § 136 a StPO nicht gleichzuachten, daß die Vernehmungspersonen die gesetzlich nicht vorgeschriebene Belehrung über ein Schweigerecht unterlassen haben. Daß die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung der Beschuldigten durch Mißhandlung, Ermüdung, Zwang, Drohung oder sonst durch eines der in § 136 a StPO bezeichneten Mittel beeinträchtigt worden sei, tragen die Revisionen nicht vor. Das Schwurgericht hat sich eingehend mit den Angaben des L. auseinandergesetzt, er sei von einem Vernehmungsbeamten bedroht und unter Druck gesetzt worden. Es hat diese Angaben für widerlegt gehalten und nach Abhören der bei den polizeilichen Vernehmungen angefertigten Tonbandaufnahmen die Überzeugung gewonnen, daß "die Vernehmungen beider Angeklagter in normaler, fast freundlich zu nennender Atmosphäre erfolgt sind" (UA S. 33). Der vom Schwurgericht erwähnte Umstand, daß einige Zeit nach den hier in Rede stehenden Vernehmungen Gespräche mit Verteidigern auf Anordnung der Staatsanwaltschaft überwacht worden sind, legt zwar insoweit die Besorgnis eines rechtsstaatswidrigen Vorgehens nahe, begründet aber nicht den Verdacht, daß die Angeklagten in einem früheren Verfahrensstadium unter Druck gesetzt worden sind.
cc) Angesichts der rechtsstaatlichen Bedeutung des Grundsatzes, daß niemand im Strafverfahren gegen sich auszusagen braucht, sind allerdings Fallgestaltungen denkbar, bei denen der Inhalt einer vor Strafverfolgungsorganen der DDR gemachten Aussage auch dann unverwertbar ist, wenn die Voraussetzungen des § 136 a StPO nicht vorgelegen haben. Der Senat stellt hierbei in Rechnung, daß die Vernehmungsbeamten der DDR dazu angehalten worden sind, einen schweigenden Beschuldigten unter Ausnutzung "aller gesetzlichen Möglichkeiten" zu wahrheitsgemäßer Aussage zu bewegen (Lehrbuch aaO S. 197), und daß auf den Beschuldigten in diesem Rahmen "eingewirkt werden" durfte, "um ihn von der Notwendigkeit zu überzeugen, an der Wahrheitsfeststellung mitzuwirken" (aaO S. 150). Zu den taktischen Möglichkeiten, die die Vernehmungsbeamten nutzen sollten, zählten der Hinweis auf die "moralische Pflicht, wahrheitsgemäße Angaben zu machen" (Lehrbuch aaO S. 197), und Methoden zum "Herausfinden von Ansatzpunkten für Erzielung (mitunter auch Provozieren) der Gespräch- und Kontaktbereitschaft" bei Beschuldigten, die jegliche Aussage verweigern (Ministerium des Innern der DDR, Methodischer Leitfaden 36/2: Die Vernehmung des Beschuldigten, Heft II, 1984, S. 37). Den Verteidigern wurde empfohlen, "dem Beschuldigten niemals dazu (zu) raten, die Aussage zu verweigern" (Gysi NJ 1985, 417). Zwar ist im späteren DDR- Schrifttum auch eine Belehrung des Beschuldigten, daß er nicht zur Aussage verpflichtet sei, empfohlen worden (Hirschfelder aaO). Das ändert aber nichts daran, daß in jedem Einzelfall, in dem eine frühere Aussage verwertet werden soll, zu prüfen ist, ob auf Beschuldigte in rechtsstaatswidriger Weise eingewirkt worden ist, um sie zu veranlassen, ihr Schweigen aufzugeben und so an der "Feststellung der Wahrheit mitzuwirken" (§ 8 Abs. 2 StPO-DDR).
c) Bei der Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, daß die Aussagen vom 25. August 1989 verwertet werden durften. Die dem Senat freibeweislich obliegende Würdigung ergibt, daß der Ablauf des vorliegenden Ermittlungsverfahrens, das ein Verbrechen ohne jeden politischen Einschlag betraf, unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nach den Verhältnissen des konkreten Falles kein Verwertungsverbot erfordert. Ausschlaggebend sind dafür die vom Schwurgericht nach vernehmung von Verhörspersonen in den Urteilsgründen mitgeteilten Beobachtungen über die Tonbandaufnahmen der polizeilichen Vernehmungen; danach sind die Angeklagten ohne psychischen Druck vernommen worden (UA S. 33). Dieser Sachverhalt ist auch für die Würdigung der richterlichen Vernehmungen von Bedeutung; denn die Angeklagten haben sich vor dem Ermittlungsrichter u.a. auf den Inhalt der vorangegangenen polizeilichen Vernehmungen vom selben Tage bezogen. Da der Verfahrensablauf hier, abgesehen vom Fehlen der Belehrung, keine Auffälligkeiten gezeigt hat, durfte dem Verfahren unter Berücksichtigung der Regelung des Einigungsvertrages (Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 28 g) ln dem Sinne Fortgang gegeben werden, daß die Aussagen vom 25. August 1989 verwertet wurden.
3. Die Verteidigerinnen haben in der Hauptverhandlung geltend gemacht, die Verwertung der Aussagen vom 25. August 1989 verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), weil sich ein Beschuldigter, der ohne Belehrung über ein Schweigerecht auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vernommen worden wäre, nach dem Senatsbeschluß vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91 - mit Erfolg auf ein Verwertungsverbot berufen könnte. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liegt jedoch nicht vor, weil es sich um unterschiedliche Sachverhalte handelt. Das gegen die Angeklagten geführte Verfahren wird maßgeblich davon bestimmt, daß es nach dem Recht der DDR begonnen hat und nach dem Einigungsvertrag fortgesetzt werden mußte. Die Gegebenheiten einer solchen Fortführung lm Rahmen des Einigungsprozesses sprechen dafür, daß die vor dem Beitritt vorgenommenen Verfahrenshandlungen verwertet werden können, soweit sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar waren.
Der Schuldspruch hält auch der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand. Die subjektiven Merkmale der Heimtücke ergeben sich aus der Gesamtheit der Feststellungen. Die Verurteilung wegen Raubes rechtfertigt sich aus dem Umstand, daß die Angeklagten schon bei der Gewaltanwendung vorhatten, Sachen des Opfers wegzunehmen, und zwar auch andere Gegenstände als die schon vorher aus dem Aktenkoffer entnommenen 220 Mark (vgl. UA S. 16).
Die Strafaussprüche können dagegen aus sachlichrechtlichen Gründen nicht bestehenbleiben.
Das Schwurgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß das nach Art. 315 Abs. 1 EGStGB, § 2 Abs. 3 StGB angewandte materielle Strafrecht der DDR einen Strafrahmen zur Verfügung stellt, dessen Untergrenze bei zehn Jahren Freiheitsstrafe liegt, während als Höchststrafe die lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen ist (UA S. 46). Das Schwurgericht hat, wie die Strafzumessungsgründe ergeben, nicht übersehen, daß § 112 Abs. 2 StGB-DDR eine Kannvorschrift ist, daß also die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe auch beim Vorliegen eines der in § 112 Abs. 2 StGB-DDR bezeichneten Merkmale besonderer Begründung bedarf und daß ihre Verhängung erst nach umfassender Würdigung aller objektiven und subjektiven Gesichtspunkte in Betracht kommt.
Indessen belegen die Urteilsgründe (UA S. 46 ff) nicht mit genügender Deutlichkeit, daß die unerläßliche umfassende Abwägung tatsächlich stattgefunden hat. Der Tatrichter hat die wesentlichen mildernden Umstände in der Person der Angeklagten und die gewichtigen tatbezogenen Schärfungsgründe gesehen, jedoch bei der Abwägung ganz überwiegend auf tatbezogene Gesichtspunkte abgestellt, nämlich darauf, daß die Angeklagten eines der Merkmale des § 112 Abs. 2 StGB-DDR (Heimtücke) verwirklicht, überdies aus Habgier sowie zu dem Zweck, die Wegnahme fremder Sachen zu ermöglichen und zu verdecken, gehandelt haben sowie arbeitsteilig und überlegt vorgegangen sind. Der Senat kann nicht nachprüfen, ob die vorliegenden gewichtigen mildernden Gesichtspunkte in hinreichendem Maße in diese Abwägung eingegangen sind: Der Angeklagte L. ist nicht vorbestraft und noch recht jung. Beide Angeklagten sind in ungünstigen Verhältnissen groß geworden, was ihre Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt hat (UA S. 3 - 6, 46 f). Der zur Tatzeit erst 23 Jahre alte K. hatte eine Freiheitsstrafe wegen versuchten Grenzübertritts und asozialen Verhaltens zum Teil verbüßen müssen (UA S. 7). Er ist "grenzdebil" (UA S. 42) bei "mangelnder Kenntnis von sozialen Normen und Spielregeln" (UA S. 41). Bei L. ist es möglich, daß ihm die sexuellen Annäherungsversuche des F. "die Tatausführung erleichtert haben", mag er auch ohne Schwierigkeit in der Lage gewesen sein, die Zudringlichkeit abzuwehren (vgl. UA S. 40). Schließlich hat der Tatrichter nicht erwogen, ob gerade in der gemeinschaftlichen Planung und Tatbegehung möglicherweise bei einem der Angeklagten eine für die Strafzumessung beachtliche Herabsetzung seiner Hemmschwelle begründet lag.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Revisionen als unbegründet zu verwerfen.
Externe Fundstellen: BGHSt 38, 263; NJW 1992, 1637; NStZ 1992, 344; StV 1992, 404
Bearbeiter: Rocco Beck