HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 52
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 464/10, Beschluss v. 10.11.2010, HRRS 2011 Nr. 52
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 12. Mai 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte schuldig ist:
(1) der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung,
(2) der gefährlichen Körperverletzung,
(3) der Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, mit Nötigung, mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit unerlaubtem Besitz eines Butterflymessers sowie
(4) der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, mit Nötigung, mit vorsätzlicher Körperverletzung, mit Bedrohung und mit unerlaubtem Besitz eines Butterflymessers;
b) mit Ausnahme der Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr Freiheitsstrafe wegen der Tat
(1) und von zwei Jahren Freiheitsstrafe wegen der Tat
(2) im gesamten weiteren Strafausspruch aufgehoben,
c) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen Körperverletzung, wegen Bedrohung in Tateinheit mit Nötigung, Körperverletzung und einer weiteren Nötigung, begangen jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, sowie wegen einer weiteren gefährlichen Körperverletzung und unerlaubten Besitzes einer Hieb- und Stichwaffe" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner hat es ihn zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge und Formalrügen gestützte Revision erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Die Feststellungen der Strafkammer zum Tatgeschehen halten revisionsgerichtlicher Überprüfung aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen stand. Rechtsfehlerfrei sind die Schuldsprüche wegen der Straftat zum Nachteil der Nebenklägerin (Tenor 1 a [1]) und wegen der ersten Straftat zum Nachteil des Nebenklägers (Tenor 1 a [2]) einschließlich der zugehörigen Einzelstrafaussprüche und des Adhäsionsausspruchs. Allerdings begegnet die rechtliche Würdigung der Strafkammer durchgreifenden Bedenken soweit sie ausführt, dass die begangene Vergewaltigung (Fall 5 der Urteilsgründe) und die anschließend verwirklichte gefährliche Körperverletzung (Fall 6 der Urteilsgründe) auch nicht mit weiteren zuvor oder danach zum Nachteil des Nebenklägers begangenen Taten und mit dem Waffendelikt in Tateinheit stünden.
a) Zwar geht das Landgericht im Ansatz zutreffend davon aus, dass ein Delikt, das sich über einen gewissen Zeitraum hinzieht, andere Straftaten, die bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit zueinander stünden, zu Tateinheit verbinden kann, wenn es seinerseits mit jeder dieser Straftaten tateinheitlich zusammentrifft (BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 10). Auch verkennt die Strafkammer nicht, dass diese Wirkung ausbleibt, wenn das Dauerdelikt in seinem strafrechtlichen Unwert, wie er in der Strafandrohung Ausdruck findet, deutlich hinter den während seiner Begehung zusätzlich verwirklichten Gesetzesverstößen zurückbleibt. Denn eine minder schwere Dauerstraftat hat nicht die Kraft, mehrere schwerere Einzeltaten, mit denen sie ihrerseits jeweils tateinheitlich zusammentrifft, zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 4, 5, 7, 10).
Die Annahme des Landgerichts, dass eine Verklammerung des gesamten Tatgeschehens durch das vollendente Dauerdelikt der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) ausscheide, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden. Die Freiheitsberaubung bleibt hinter dem jeweils deutlich höheren Unrechtsgehalt von § 177 Abs. 2 StGB und § 224 Abs. 1 StGB deutlich zurück (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 10 BGHR StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 3); beide Delikte stehen in Tatmehrheit zueinander.
b) Allerdings hat die Strafkammer übersehen, dass sowohl § 177 Abs. 2 StGB (Fall 5 der Urteilsgründe) mit den zuvor verwirklichten Delikten (Fälle 3 und 4 der Urteilsgründe) als auch § 224 Abs. 1 StGB (Fall 6 der Urteilsgründe) mit den weiteren der Vergewaltigung nachfolgenden Delikten (Fälle 7 und 8 der Urteilsgründe) durch § 239 StGB zur Tateinheit verklammert werden. Für die sogenannte Klammerwirkung eines dritten Delikts im vorgenannten Sinne ist erforderlich aber auch hinreichend, dass zwischen dem dritten und einem der verbundenen Delikte annähernde Wertgleichheit besteht; wiegt - wie hier - nur eines der betroffenen Delikte schwerer als dasjenige, das die Verbindung begründet, so verbleibt es bei der Klammerwirkung (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 7; Fischer, StGB 57. Aufl. Vor § 52 Rdn. 30).
c) Der Senat hat den Schuldspruch auch hinsichtlich der konkurrenzrechtlichen Behandlung des Waffendelikts korrigiert. Die Verwahrung des Messers im Haushalt des Angeklagten und mithin am Tatort weist - mit Rücksicht auf den Zweifelssatz - den für die Annahme einer Tateinheit mit sämtlichen in diesem engen zeitlichsituativen Kontext zum Nachteil des Nebenklägers verwirklichten Delikten erforderlichen Bezug auf (vgl. Fischer aaO Vor § 52 Rdn. 31) und ist aus den vorstehend dargelegten Gründen konkurrenzrechtlich ebenso wie das weitere Dauerdelikt der Freiheitsberaubung zu behandeln.
Die Schuldspruchkorrektur zieht die Aufhebung der verbleibenden Einzelstrafen und des Gesamtstrafausspruchs nach sich. Insoweit bedarf es wegen eines bloßen Subsumtionsfehlers nicht der Aufhebung von Feststellungen. Das neue Tatgericht wird bei der erneuten Gesamtstrafbildung den besonders engen Zusammenhang zwischen den einzelnen Fällen - naheliegend mehr als bisher geschehen - zu beachten haben.
2. Die Maßregelanordnung hat keinen Bestand. Die Maßregel des § 63 StGB verlangt, dass die Voraussetzungen des § 21 StGB aufgrund einer stabilen psychischen Störung feststehen (vgl. Fischer aaO § 63 Rdn. 11). Dies ist bislang nicht hinreichend belegt. Eine persönliche Exploration des Angeklagten ist wegen verweigerter Mitwirkung unterblieben. Die lediglich diagnostizierte kombinierte Persönlichkeitsstörung und die in den Urteilsgründen dargelegte frühere Verurteilung des Angeklagten hätten namentlich vor diesem Hintergrund eingeschränkter Untersuchungsgrundlagen eine sorgfältige Auseinandersetzung auch mit der Frage nahegelegt, ob sich die Störung bereits bei den den letzten beiden Vorverurteilungen des Angeklagten zugrunde liegenden Taten manifestiert hatte.
Um eine bessere Grundlage für eine erneute Begutachtung zu sichern, wird es für das neue Tatgericht vor der wiederholten Hauptverhandlung naheliegen, den Angeklagten nicht weiter in Untersuchungshaft zu belassen, sondern stattdessen gegen ihn die einstweilige Unterbringung (§ 126a StPO) anzuordnen.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 52
Bearbeiter: Ulf Buermeyer