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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 762

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 83/07, Urteil v. 21.06.2007, HRRS 2007 Nr. 762


BGH 5 StR 83/07 - Urteil vom 21. Juni 2007 (LG Berlin)

Unzulässige Tatprovokation (Recht auf ein faires Verfahren; Tatgeneigtheit zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Konflikt mit dem Resozialisierungsauftrag im Vollzug; Lockspitzeleinsatz).

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 1 StVollzG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Strafmilderung infolge einer polizeilichen Tatprovokation mit Hilfe von Strafgefangenen im offenen Vollzug.

2. Der Strafvollzug dient der Resozialisierung von Gefangenen und nicht der Animierung zu weiteren Straftaten. Es geht grundsätzlich nicht an, dass der gesetzliche Auftrag der Vollzugsbehörden durch eine andere staatliche Institution (hier: Polizeibehörde) unterlaufen wird.

3. Der Senat lässt offen, ob es für die Beanstandung der Bewertung eines Lockspitzeleinsatzes grundsätzlich der Erhebung einer Verfahrensrüge bedarf (vgl. BGHSt 45, 321, 323; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2004 - 2 ARs 33/04, insoweit in StraFo 2004, 356 nicht abgedruckt).

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2006 werden verworfen.

Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge jeweils zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revisionen, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Zur Tatzeit verbüßten die Angeklagten H. und P. J. den Rest von mehrjährigen Freiheitsstrafen aus einschlägigen Verurteilungen im offenen Vollzug. Während die beiden Angeklagten kurz vor der Entlassung aus der Strafhaft standen, hatte der Zeuge P. noch mehrere Jahre zu verbüßen. Der Angeklagte H. und P. waren gut miteinander bekannt und unterhielten sich oft über ihre Verbindungen zur Rauschgiftszene, wobei sie sich jeweils ihrer guten Kontakte rühmten.

Um sich Hafterleichterungen zu verschaffen, beschloss der Zeuge, aus den bis dahin allgemeinen und unverbindlichen Gesprächen Kapital zu schlagen und unter Hinzuziehung der Polizei ein Drogengeschäft zu arrangieren. Er wandte sich von sich aus an den Angeklagten H., erklärte, er kenne "draußen" jemanden, der Kokain kaufen wolle, und bat um Mithilfe.

Erst nachdem der Zeuge das Einverständnis des Landeskriminalamtes erlangt hatte, mit dem Angeklagten ein fingiertes Drogengeschäft durchzuführen, nannte er H. konkrete Mengen und Preise. In Absprache mit dem Landeskriminalamt erklärte P., 1 kg Kokain zum Grammpreis von 35 Euro kaufen zu wollen. H., "der bis zu diesem Zeitpunkt der Begehung neuer Straftaten nicht zugeneigt war", wandte sich daraufhin an den Mitangeklagten P. J., auf den der Zeuge ihn aufmerksam gemacht hatte. Dieser sagte zu, über eine dritte Person außerhalb der Vollzugsanstalt die von P. gewünschte Menge zu beschaffen. Er ging von einem Grammpreis von 32 Euro aus und die Angeklagten H. und P. J. fassten den Entschluss, die zu erwartende Differenz von 3.000 Euro unter sich aufzuteilen. Beide beabsichtigten, das erhoffte Geld als Startkapital für das bevorstehende Leben in Freiheit einzusetzen.

Nach Abstimmung mit dem Landeskriminalamt verabredete P. mit H. für den 13. Juni 2005 die Übergabe einer durch die Kontaktperson des Mitangeklagten P. J. zu liefernden Menge von 1 kg Kokain. Die Übergabe erfolgte dann in der Weise, dass P. J. eine Übergabe des Rauschgifts - allerdings nur 471,2 g Kokaingemisch - durch seine Kontaktleute in seiner Anwesenheit an H. veranlasste, der es dann an dem verabredeten Treffpunkt dem Zeugen P. gegen Aushändigung des vom Landeskriminalamtes zur Verfügung gestellten Kaufpreises übergab.

Unmittelbar darauf erfolgte der Zugriff durch Einsatzkräfte der Polizei, die das Drogengeschäft von Beginn an überwacht hatten, die Angeklagten festnahmen und das Rauschgift sicherstellten.

Das Landgericht hat die Tat als gemeinschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet, die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt und die Strafe für beide Angeklagte dem Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG (bei H. gemildert nach § 31 BtMG, § 49 Abs. 2 StGB) entnommen. Bei der Strafzumessung hat die Strafkammer in erheblichem Maße berücksichtigt, dass das Drogengeschäft letztlich seitens der Polizeibehörde initiiert gewesen sei und durchgängig unter Aufsicht der staatlichen Stellen stattgefunden habe. Da das Drogengeschäft ohne das von der Polizei unterstützte Eingreifen des Zeugen P. nicht stattgefunden hätte, seien die Grenzen einer zulässigen Tatprovokation bereits überschritten und Art. 6 Abs. 1 MRK tangiert. Die Gesamtwürdigung des Geschehens ergebe, dass das tatprovozierende Verhalten des Zeugen P. als Lockspitzel der Polizei ein solches Gewicht erlangt habe, dass demgegenüber der "durchaus ebenfalls" schwerwiegende Beitrag der Angeklagten in den Hintergrund trete. Unter Berücksichtigung auch der strafschärfenden Gesichtspunkte wie einschlägige Vorstrafen, Tatbegehung im Rahmen gewährter Vollzugslockerungen und Art und Menge des Rauschgifts hat das Landgericht bei beiden Angeklagten die an sich verwirkten Freiheitsstrafen im Hinblick auf die Tatprovokation um neun Monate ermäßigt und jeweils auf drei Jahre und sechs Monate erkannt.

II.

Sämtliche Revisionen bleiben erfolglos.

1. Revision des Angeklagten H.

Soweit sich der Angeklagte gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet, ist die Revision aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Auch die Angriffe gegen die Strafzumessung gehen fehl. Selbst vor dem Hintergrund der vom Landgericht angenommenen rechtsstaatswidrigen Tatprovokation sind die Ablehnung eines minder schweren Falles und das Ergebnis der Strafzumessung angesichts der erheblichen Vorstrafen des Angeklagten und des Umstandes, dass die Tat während des Vollzuges einer einschlägigen Verurteilung begangen wurde, nicht zu beanstanden.

2. Revision des Angeklagten P. J.

Die von diesem Beschwerdeführer erhobene Besetzungsrüge ist entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts unzulässig, sie wäre im Übrigen offensichtlich unbegründet (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 54 GVG Rdn. 10).

Auch der Sachrüge bleibt der Erfolg versagt. Dies gilt insbesondere für das Vorbringen, die Tatbeiträge des Angeklagten P. J. seien lediglich als Beihilfe zum Betäubungsmittelhandel zu werten. Denn es war dieser Angeklagte, der die Verbindung zum Lieferanten des Kokains hergestellt hat. Berücksichtigt man weiter, dass er die Hälfte des Gewinns erhalten sollte, liegt die Annahme von Beihilfe eher fern. Was die Strafzumessung betrifft, so rechtfertigen die vom Landgericht hierzu angestellten Erwägungen auch bei diesem Angeklagten die Nichtannahme eines minder schweren Falles und die Höhe der erkannten Strafe.

3. Revisionen der Staatsanwaltschaft

Ebenso erfolglos bleiben die Revisionen der Staatsanwaltschaft, die sich mit der Sachrüge gegen die Annahme einer unzulässigen Tatprovokation und die hierfür gewährte Strafmilderung wendet. Der Senat kann dabei offenlassen, ob es für die Beanstandung der Bewertung eines Lockspitzeleinsatzes grundsätzlich der Erhebung einer Verfahrensrüge bedurft hätte (vgl. BGHSt 45, 321, 323; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2004 - 2 ARs 33/04, insoweit in StraFo 2004, 356 nicht abgedruckt). Jedenfalls sieht sich der Senat anhand der Revisionen der Staatsanwaltschaft in der Lage, die rechtlichen Folgerungen des Landgerichts nach Maßgabe der Urteilsgründe zu überprüfen (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, Rdn. 13, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).

Danach ist der Beschwerdeführerin zwar zuzugeben, dass die von der Rechtsprechung für das Vorliegen einer "klassischen" unzulässigen Tatprovokation im Einzelnen aufgeführten Kriterien bei dem Angeklagten P. J. eher gar nicht und bei dem Angeklagten H. nur ansatzweise gegeben sind (vgl. BGHSt 45, 321, 338; 47, 44, 47). Gleichwohl sind die Taten der Angeklagten durch das Verhalten der Polizeibehörde hier in bedenklicher Weise derart begünstigt worden, dass die darauf beruhende Strafmaßreduzierung im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.

Zu Recht weist die Strafkammer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Strafvollzug der Resozialisierung von Gefangenen und nicht der Animierung zu weiteren Straftaten dient. Es geht grundsätzlich nicht an, dass der gesetzliche Auftrag der Vollzugsbehörden durch eine andere staatliche Institution unterlaufen wird. Hier hat die Polizeibehörde die Strafanstalt über den Lockspitzeleinsatz des P. soweit ersichtlich nicht unterrichtet, ohne dass ein tragfähiger Grund für solches Unterlassen - etwa Verstrickung von Vollzugsbediensteten oder außergewöhnliches Eilbedürfnis - vorgelegen hätte, so dass eine angemessene Abwägung, ob ein solches Vorhaben aus Sicht der Vollzugsbehörde verantwortbar sei, nicht erfolgen konnte. Der Senat neigt dazu, dass jede andere Reaktion auf P. s Initiative als der Widerruf der Vollzugslockerungen - für die Angeklagten, aber auch den Provokateur P. - nur vertretbar gewesen wäre, wenn durch einen im Einvernehmen mit der Anstalt veranlassten Lockspitzeleinsatz Aussicht bestanden hätte, gefährliche Strukturen von Rauschgiftlieferungen in den Strafvollzug hinein aufzudecken - wofür keine Anhaltspunkte bestehen - oder aber einen laufenden gewichtigen Rauschgifthandel mit der Sicherung großer Rauschgiftmengen und/oder Ergreifung gefährlicher Hinterleute - was aus dem Urteil nicht ersichtlich ist.

Angesichts der Bedenken, denen der festgestellte Lockspitzeleinsatz unterliegt, durfte ihm jedenfalls erhebliche strafmildernde Bedeutung zuerkannt werden. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob angesichts der gegebenen Verdachtsmomente und wegen der tatsächlichen Tatgeneigtheit der Angeklagten eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu bejahen wäre - was der Senat ausdrücklich offen lässt. Ihrer strafvollzugswidrigen Strafverstrickung kommt jedenfalls beträchtliches Gewicht zu, das in dem gefundenen Strafergebnis von jeweils drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe einen vertretbaren Niederschlag gefunden hat. Berücksichtigt man zudem, dass das Geschäft von Beginn an unter staatlicher Aufsicht stattgefunden hat, nur knapp die Hälfte der vereinbarten Menge geliefert wurde und das Rauschgift nicht in den Verkehr gelangt ist, sind die verhängten Strafen auch unter Bedacht auf die erheblichen strafschärfenden Umstände im Ergebnis jedenfalls schuldangemessen (§ 354 Abs. 1a StPO).

Dabei versteht der Senat - anders als der Generalbundesanwalt - die Strafzumessung des Landgerichts nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils nicht etwa so, dass alle strafmildernden Wirkungen des Lockspitzeleinsatzes schon vor dem vorgenommenen "schuldunabhängigen" Strafabschlag Berücksichtigung gefunden hätten. Dessen maßgebliche strafmildernde Bedeutung hat sich vielmehr insbesondere in diesem numerisch bestimmten Abschlag niedergeschlagen. Der Senat weist in diesem Zusammenhang schließlich darauf hin, dass er die Methode der in BGHSt 45, 321 geforderten numerischen Strafreduzierung bei einem als rechtsstaatswidrig bewerteten Lockspitzeleinsatz ohnehin als dem deutschen Strafzumessungsrecht fremd erachtet (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 ARs 5/04; BGH wistra 2004, 470).

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 762

Externe Fundstellen: NStZ 2008, 39; StV 2008, 21

Bearbeiter: Karsten Gaede