HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 307
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 499/06, Urteil v. 13.03.2007, HRRS 2007 Nr. 307
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. Juli 2006 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Maßregelausspruch,
b) im Strafausspruch, insoweit zugunsten des Angeklagten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 14. März 2005 wegen besonders schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 4 StGB) in vier Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) sowie Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 und 2 StGB) in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt (Einzelfreiheitsstrafen zwischen drei Jahren sechs Monaten und sieben Jahren). Der Senat hat dieses Urteil im Schuldspruch bestätigt, es jedoch, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden war, sowie - insoweit zugunsten des Angeklagten - im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die neu entscheidende Strafkammer hat den Angeklagten - nach Verbindung - wegen zweier weiterer Verbrechen nach § 177 StGB zu Einzelfreiheitsstrafen von drei und sechs Jahren verurteilt, gegen ihn nunmehr eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verhängt und die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Die Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich gegen den Rechtsfolgenausspruch, insbesondere dagegen, dass das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung lediglich vorbehalten hat, anstatt sie nach § 66 StGB gleichzeitig mit dem Urteilsspruch zu verhängen. Das mit der Verletzung sachlichen Rechts begründete Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat wiederum Erfolg; die Revision führt erneut zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Der Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Auch die neue Strafkammer hat die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB als erfüllt angesehen und - weitergehend als der erste Tatrichter - nunmehr einen Hang des Angeklagten zu erheblichen Sexualstraftaten bejaht. Allerdings halten die Gründe, aus denen das Landgericht keine gesicherte ungünstige Prognose für den Angeklagten festzustellen vermag, sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar ist der rechtliche Ausgangspunkt zutreffend, dass hinsichtlich der materiellen Voraussetzung der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB, auf welche in § 66 Abs. 2 und Abs. 3 StGB verwiesen wird, auf den Zeitpunkt der Aburteilung abzustellen ist (st. Rspr., vgl. BGHSt 24, 160, 164; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 25). Auch darf der Tatrichter dabei die voraussichtlichen Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs berücksichtigen, soweit dieser eine Haltungsänderung erwarten lässt (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Gefährlichkeit 1). Jedoch bleiben denkbare, aber nur erhoffte positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug der Überprüfung nach § 67c Abs. 1 StGB vor Ende des Vollzugs der Strafe vorbehalten (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 337; Tröndle/Fischer aaO).
Diesen Maßstäben wird die Prognoseentscheidung des Landgerichts nicht gerecht. Die Strafkammer geht dabei von der - allerdings nicht nur theoretischen - Möglichkeit aus, dass der Angeklagte während der Haftzeit eine Therapie erfolgreich durchstehen werde. Ob der Angeklagte aber tatsächlich die - im Urteil nicht näher erläuterte - Therapie aufnehmen und erfolgreich abschließen wird, ist derzeit nicht absehbar. Ohnehin ist eine Therapiebereitschaft des Angeklagten nur ein erstes Zeichen von Umkehr, aber kein entscheidender Einwand gegen eine fortdauernde Gefährlichkeit. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Landgericht es für erforderlich hält, dass der Angeklagte den nunmehr folgenden langjährigen Freiheitsentzug für die therapeutisch zu unterstützende Arbeit an den Ursachen seines Verhaltens nutzen wird.
Ob - was indes nahe liegt - der Maßregelausspruch bereits wegen mangelhafter Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten (vgl. unten 2.) aufzuheben ist, bedarf hiernach keiner Entscheidung.
2. Mit der Beschwerdeführerin kann der Senat im vorliegenden Fall (vgl. jedoch allgemein Tröndle/Fischer aaO § 66a Rdn. 8a) wiederum nicht ausschließen, dass das Landgericht den Angeklagten bei unbedingter Anordnung der Maßregel des § 66 StGB milder bestraft hätte. Zudem hat die neue Strafkammer im angefochtenen Urteil hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten "unter Einschluss der Feststellungen zu den Vorstrafen" auf das aufgehobene Urteil verwiesen und "bei der konkreten Strafzumessung ... bezüglich der Taten, die dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 14. März 2005 zugrunde liegen, auf die dortigen Ausführungen ... Bezug genommen" und sie "sich zueigen" gemacht. Dabei ist unbeachtet geblieben, dass vom Revisionsgericht nach § 353 Abs. 2 StPO aufgehobene Feststellungen dem neuen Urteil nicht zugrunde gelegt werden dürfen (vgl. BGHSt 24, 274, 275; BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft 15, 16, 18; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2004 - 4 StR 149/04); denn sonst behandelt sie der Tatrichter entgegen dem ihn bindenden Urteilsspruch des Revisionsgerichts als nicht aufgehoben.
Bei der erneuten Strafzumessung wird das Landgericht das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu beachten haben, gegen welches im angefochtenen Urteil, falls nicht auf UA S. 12 ein offensichtlicher Schreibfehler vorliegt, mit der wegen der Tat II. 2. verhängten Einzelstrafe verstoßen worden ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 307
Externe Fundstellen: NStZ 2007, 401
Bearbeiter: Karsten Gaede