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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 462/03, Beschluss v. 03.12.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 462/03 - Beschluss vom 3. Dezember 2003 (LG Dresden)

Verlesung des Anklagesatzes; Beweiskraft des Protokolls (wesentliche Förmlichkeit; Entfallen der Beweiskraft im Ausnahmefall bei inhaltlichen Mängeln des Protokolls; Lückenhaftigkeit; freibeweisliche Klärung in diesem Fall).

§ 243 Abs. 3 Satz 1 StPO; § 273 Abs. 1 StPO; § 274 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. März 2003 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Zur Revision der Angeklagten C bemerkt der Senat ergänzend:

Die Verfahrensrüge, in der Hauptverhandlung vom 28. Januar 2003 sei der Anklagesatz unter Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht verlesen worden, dringt nicht durch.

Der geltend gemachte Verfahrensfehler ist durch das Schweigen des Protokolls ausnahmsweise nicht bewiesen. Zwar handelt es sich bei der Verlesung des Anklagesatzes nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO um eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens, deren Einhaltung nach § 273 Abs. 1, § 274 Satz 1 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 6; BGH NStZ 1995, 200, 201; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 274 Rdn. 14). Die Beweiskraft des Protokolls kann jedoch entfallen, wenn es an bestimmten inhaltlichen Mängeln leidet, wozu auch unerklärliche Auslassungen (Lücken) gehören (BGH NJW 2001, 3794, 3795 m.w.N.).

Als lückenhaft wird ein Protokoll dann behandelt, wenn ein protokollierter Vorgang darauf hindeutet, daß ein anderer zuvor geschehen sein muß (BGH NJW aaO; Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 713 f.). So liegt es hier. Nach der Vernehmung der beiden Angeklagten zur Person vermerkt das Protokoll nicht nur die Vornahme der Belehrung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, was die Voraussetzungen des § 274 Satz 1 StPO insoweit erfüllt hätte (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 243 Rdn. 23), sondern auch deren Inhalt: "Die Angeklagten werden darauf hingewiesen, daß es ihnen freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen." Damit bezieht sich der Inhalt der Belehrung - den die Revision nicht in Frage stellt - auf die Anklage, was einen deutlichen Hinweis darauf gibt, daß sie auch Gegenstand der bisherigen Hauptverhandlung war.

Die in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 6 und NStZ 1995, 200 f. veröffentlichten Entscheidungen des 1. Strafsenats stehen nicht entgegen. Sie würdigen jeweils einen anderen Inhalt des Protokolls.

Die danach mögliche freibeweisliche Klärung des wirklichen Verfahrensablaufs (vgl. BGH NJW 2001, 3794, 3796) hat nach Würdigung der dienstlichen Erklärungen des Vorsitzenden Richters und der Urkundsbeamtin vom 1. Juli 2003 (Bl. 900 SA) ergeben, daß der Anklagesatz vor der erteilten Belehrung über die Aussagefreiheit verlesen wurde. Der in Anspruch genommene Revisionsgrund ist damit nicht gegeben. Auf die Frage der Zulässigkeit von Verfahrensrügen mit wahrheitswidrigem Sachvortrag (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21 und 22) und die nach Eingang der Revisionsbegründung vorgenommene - bedenkliche - Protokollberichtigung (vgl. BGH NJW aaO) kommt es nicht an.

Externe Fundstellen: NStZ 2004, 451; StV 2004, 297

Bearbeiter: Karsten Gaede