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Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 272/98, Beschluss v. 24.09.1998, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 272/98 - Beschluss vom 24. September 1998 (LG Schwerin)

BGHSt 44, 196; Versuchter Totschlag (Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung; Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung); Entbehrlichkeit eines Teilfreispruchs; versuchter Raub (Zueignungsabsicht); Mittäterschaft (Exzeß; Ingerenz, Unterlassen).

§ 211 StGB; § 223 StGB; § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 13 StGB; § 260 StPO

Leitsätze

1. Eine mit einem versuchten Tötungsdelikt zusammentreffende vorsätzliche Körperverletzung tritt nicht zurück, sondern steht dazu in Tateinheit (Aufgabe BGH, 28. Juni 1961, 2 StR 136/61, BGHSt 16, 122; BGH, 30. Juni 1967, 4 StR 194/67, BGHSt 21, 265 und BGH, 8. Oktober 1968, 5 StR 462/68, BGHSt 22, 248).

2. Erweist sich eine als materiell-rechtlich selbständig angeklagte Tat als Bestandteil der Tat, derentwegen die Verurteilung erfolgt, ist ein Teilfreispruch nicht erforderlich.

Entscheidungstenor

I.

1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 11. Dezember 1997, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit versuchtem Totschlag und mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels aufzuerlegen.

II.

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten B. betrifft, mit den Feststellungen insoweit aufgehoben, als das Landgericht über den Vorwurf des versuchten Mordes (Fall 2 der Anklage) nicht entschieden hat.

2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen "schweren Raubes in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung" zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und neun Monaten und den Angeklagten B. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte S. und die Staatsanwaltschaft, diese zuungunsten des Angeklagten B., mit ihren Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision wirksam auf die unterbliebene Entscheidung über den Vorwurf des versuchten Mordes durch Unterlassen (Fall 2 der Anklage) beschränkt. Das Rechtsmittel des Angeklagten S. führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs; im übrigen erweist es sich als unbegründet (vgl. § 349 Abs. 2 StPO). Dagegen hat die - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen der Jugendkammer faßten die zur Tatzeit alkoholisierten Angeklagten den spontanen Entschluß, die ihnen unbekannte 18jährige Peggy M., die gerade aus der Straßenbahn ausgestiegen war und einen Rucksack über der Schulter trug, zu überfallen. Während der Angeklagte B. das Tatopfer von hinten ergriff und an den Oberarmen umfaßte, riß der Angeklagte S. den Rucksack an sich. Sodann forderte einer der Angeklagten das Tatopfer zur Herausgabe von Bargeld auf. Im weiteren Verlauf stach der Angeklagte S. mit einem sogenannten Bundeswehrkappmesser, das er - wie der Angeklagte B. wußte - am Tatabend bei sich führte, in dessen Gegenwart mit bedingtem Tötungsvorsatz mehrfach auf die Geschädigte in Richtung ihres Oberkörpers ein. Dabei durchtrennte ein Stich den Brustkorb, wodurch es zum Kollaps des linken Lungenflügels kam. Davon, daß auch der Angeklagte B. mit dem Tod des Tatopfers gerechnet hatte, vermochte sich das Landgericht nicht zu überzeugen. Die Geschädigte ging aufgrund des Angriffs zu Boden, wo sie "insbesondere in den Kopfbereich getreten" wurde. Dabei äußerte einer der Angeklagten: "Verrecke endlich, Du Aas". Wer von den Angeklagten auf die Geschädigte eintrat und wer die Äußerung tat, konnte das Landgericht nicht feststellen. Die Angeklagten ließen die Geschädigte schließlich im Gebüsch liegen und entfernten sich. Aus dem Rucksack, in dem sich kein Geld befand, nahm der Angeklagte B. die Brieftasche der Geschädigten mit deren Papieren und ein Deodorantspray an sich. Den Rucksack selbst warf der Angeklagte S. später weg. Die inneren Verletzungen führten bei der Geschädigten zu akuter Lebensgefahr. Sie konnte jedoch durch eine Notoperation gerettet werden.

II. Revision des Angeklagten S.

Die Revision des Angeklagten S. führt lediglich zur Änderung des Schuldspruchs; im übrigen deckt die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsbegründung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

1. Die Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen § 261 StPO geltend macht, ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die pauschale Behauptung der Revision, das Landgericht habe sich für seine Überzeugung, der Angeklagte S. habe mit bedingtem Tötungsvorsatz zugestochen, auf Erkenntnisse gestützt, "die seines Erachtens allgemein oder gerichtskundig sind, die aber ausweislich des Protokolls nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind", genügt nicht den Anforderungen, die an den vollständigen Vortrag der den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen zu stellen sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. § 344 Rdn. 21 m.N.). Die Rüge hätte aber auch in der Sache keinen Erfolg, wie der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift vom 9. Juni 1998 zutreffend ausgeführt hat.

2. Der Schuldspruch kann nicht bestehen bleiben, soweit das Landgericht den Angeklagten des vollendeten schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. für schuldig befunden hat. Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß der Angeklagte bei der Raubtat zwar in Bezug auf das von der Geschädigten vergeblich geforderte Geld mit Zueignungswillen gehandelt hat, nicht aber auch hinsichtlich des Rucksacks, den er später fortwarf. Insoweit kommt deshalb nur eine Verurteilung wegen Versuchs in Betracht (vgl. BGHR StGB § 249 Abs. 1 Zueignungsabsicht 1 und 4). Eine andere rechtliche Würdigung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, daß sich in dem Rucksack Gegenstände befanden, die der Mitangeklagte B. an sich nahm; denn auch hier auf bezog sich der Zueignungswille des Angeklagten S. ersichtlich nicht. Eine insoweit. an sich mögliche Strafbarkeit des Angeklagten. S. wegen vollendeter - fremdnütziger - schwerer räuberischer Erpressung (die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Raubtatbestandes durch das 6. StrRG auf den Fall der Drittzueignung bleibt mit Blick auf § 2 Abs. 3 StGB unberücksichtigt; vgl. zum Verhältnis von Raub und Erpressung nach bisherigem Recht BGHSt 14, 386, 390; 41, 123, 126; BGH NStZ 1998, 158) scheitert jedenfalls daran, daß nach den Feststellungen in Betracht kommt, zugunsten des Angeklagten. S. zumindest aber nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Mitangeklagte B. den Entschluß, sich diese Gegenstände zuzueignen, erst nach der gewaltsamen Wegnahme des Rucksacks gefaßt hat (vgl. BGHR aaO Zueignungsabsicht 1).

Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht aber angenommen, daß der Angeklagte S. unter den qualifizierenden Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. gehandelt hat. Es hat auf die Verwendungsabsicht in Bezug auf das Messer "aus dem tatsächlichen späteren Einsatz der Waffe" geschlossen. Dies ist eine mögliche und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmende Beweiswürdigung (vgl. Hürzthal in KK/StPO 3. Aufl. § 261 Rdn. 3, 5 m.N.). Entgegen der Auffassung der Revision liegt ein Widerspruch auch nicht darin, daß das Landgericht nicht festzustellen vermochte, "ob die Messerstiche noch im Zusammenhang mit dem Raubgeschehen stehen"; denn die Verwendungsabsicht setzt nicht voraus, daß der Täter den Gegenstand unter allen Umständen einsetzen will, es genügt vielmehr die Absicht des Einsatzes im Bedarfsfall (vgl. Lackner/Kühl StGB 22. Aufl. § 244 Rdn. 5 m.N.). Den Schluß, daß es sich so verhält, durfte das Landgericht aus dem Einsatz des Messers gegen das Tatopfer ziehen, auch wenn die Verwendung des Messers nicht von vornherein mit dem Mitangeklagten B. abgesprochen und auch nicht final mit der Wegnahmehandlung verknüpft war (vgl. auch BGHSt 22, 230 f.).

Der Senat kann den Schuldspruch von sich aus ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

3. Erfolglos wendet sich die Revision gegen den Schuldspruch, soweit die Jugendkammer den Angeklagten des versuchten Totschlags für schuldig befunden hat. Unter den hier gegebenen Umständen ist die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn sich das Landgericht angesichts der Verletzungsfolgen "insbesondere aus dem Umstand des mehrfachen intensiven Zustechens in Richtung einer Körperregion, wo die Verletzung lebenswichtiger Organe bekanntermaßen naheliegt", die Überzeugung verschafft hat, daß der Angeklagte "nicht auf einen glücklichen Ausgang ... vertraut" hat, so hält sich dies noch im Rahmen der in erster Linie dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung der Beweise (vgl. Senatsurteil vom 11. September 1995 - 4 StR 427/95).

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegt hat, ergibt sich ein durchgreifender Rechtsfehler auch nicht daraus, daß sich das Urteil nicht ausdrücklich zur Frage des Rücktritts vom Versuch (§ 24 StGB) verhält. Angesichts der von einem der Angeklagten im Beisein des anderen abgegebenen Äußerung "Verrecke endlich, Du Aas" und der Schwere der Verletzungen, mit denen die Angeklagten das Opfer im Gebüsch liegen ließen, spricht nichts für einen aus der Sicht des Angeklagten S. unbeendeten Versuch, von dem er durch bloße Untätigkeit hätte strafbefreiend zurücktreten können.

4. Das Urteil hat auch insoweit Bestand, als das Landgericht den Angeklagten S. tateinheitlich zum versuchten Totschlag wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat.

Es entsprach allerdings bisher der Rechtsprechung aller Senate des Bundesgerichtshofs, daß nicht nur ein vollendetes, sondern auch ein "nur" versuchtes Tötungsdelikt eine damit zusammentreffende vorsätzliche (vollendete) Körperverletzung im Sinne der §§ 223, 223 a und 224 StGB a.F. "verdrängt" (BGHSt 16, 122; 21, 265; 22, 248). Diese Rechtsprechung wird nunmehr aufgegeben:

a) Gesetzeseinheit liegt, wie der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung BGHSt 39, 100, 108 herausgestellt hat, nur vor, wenn der Unrechtsgehalt einer Handlung durch einen von mehreren, dem Wortlaut nach anwendbaren Straftatbeständen erschöpfend erfaßt wird. Dem wird eine Verurteilung allein wegen versuchten Tötungsdelikts aber nicht gerecht, wenn das Opfer bei der Tat verletzt wird. Der hier zu beurteilende Sachverhalt zeigt vielmehr mit besonderer Deutlichkeit, daß sich der Unrechtsgehalt eines folgenlosen (versuchten) Tötungsdelikts maßgeblich von, dem einer versuchten Tötung unterscheidet, die - mitunter schwerste - gesundheitliche Schäden nach sich zieht.

b) Deshalb wird eine vollendete Körperverletzung durch eine (nur) versuchte Tötung nicht verdrängt; vielmehr gebietet es die Klarstellungsfunktion der Tateinheit (Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 52 Rdn. 2), die vollendete Körperverletzung als tateinheitlich verwirklicht auch im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen (Eser in Schönke/Schröder aa0 § 212 Rdn. 23; Tröndle StGB 48. Aufl. § 211 Rdn. 16; zweifelnd auch Lackner/Kühl StGB 22. Aufl. § 212 Rdn. 9; a.A. Horn in SK-StGB 30. Lfg. 5. Aufl. § 212 Rdn. 32; zum Ganzen ausführlich Maatz NStZ 1995, 209 mit zahlr. weit. Nachw. aus dem Schrifttum). Anders verhielte es sich nur, wenn sich der Tötungsvorsatz einerseits und der Körperverletzungsvorsatz andererseits schon begrifflich gegenseitig ausschlössen, wie es noch das Reichsgericht angenommen hat (RGSt 61, 375). Diese Auffassung ist aber spätestens seit der Entscheidung BGHSt 16, 122, 123 überholt.

c) Daher könnte der bisherigen Rechtsprechung zum Konkurrenzverhältnis nur dann weiter gefolgt werden, wenn es zuträfe, daß "kein sachliches Bedürfnis (besteht), denjenigen, der des versuchten Totschlags schuldig ist, außerdem noch wegen der in seiner Tat notwendig (Hervorhebung durch den Senat) liegenden Körperverletzung zu verurteilen, (weil) der rechtliche und sittliche Unwert seiner Tat durch die Verurteilung wegen des Tötungsdelikts voll erfaßt (wird)" (BGHSt 22, 248/249). So verhält es sich aber gerade nicht. Daß die Körperverletzung ein notwendiges Durchgangsstadium zur Tötung bildet und deshalb auch vom Tötungswillen notwendig mit umfaßt wird (BGHSt 16, 122, 123), ändert nichts daran, daß eben nicht mit jeder versuchten Tötung das Opfer "notwendig" auch verletzt wird (vgl. die Fallbeispiele bei Maatz aaO S. 211). Dann ist es aber - und zwar auch im Hinblick auf die berechtigten Opferbelange und die damit zusammenhängende Genugtuungsfunktion des Schuldspruchs - unangemessen, in den Fällen, in denen es beim Versuch der Tötung zu einer vollendeten Körperverletzung gekommen ist, diesen Umstand im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen (vgl. Schröder JZ 1967, 709 = Anm. zu BGHSt 21, 265).

d) Im übrigen war schon die bisherige Rechtsprechung widersprüchlich: Während der Bundesgerichtshof bisher die Auffassung vertreten hat, die versuchte Tötung verdränge die vorsätzliche Körperverletzung im Sinne der §§ 223, 223a und 224 StGB a.F. (= §§ 223, 224 und 226 Abs. 1 StGB i.d.F. des 6. StrRG), hat er Tateinheit angenommen beim Zusammentreffen mit beabsichtigter schwerer Körperverletzung (§ 225 StGB a.F. = § 226 Abs. 2 StGB n.F.; in BGHSt 22, 248 noch offengelassen, so jetzt aber BGER StGB § 225 Konkurrenzen 2), mit Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 StGB a.F. § 227 StGB n.F.; dazu BGHSt 35, 305, 307/308) und mit Mißhandlung von Schutzbefohlenen in der Alternative des Quälens (§ 223b Abs. 1 StGB a.F. = § 225 Abs. 1 StGB n.F.; dazu BGHR StGB § 223b Konkurrenzen 2 sogar für den Fall des vollendeten Totschlags; zur Annahme von Tateinheit von Mißhandlung eines Schutzbefohlenen und Körperverletzung mit Todesfolge BGHSt 41, 113, 115 f.), und zwar ausdrücklich mit Rücksicht auf die Klarstellungsfunktion des Schuldspruchs. Es gibt keinen einleuchtenden Grund, weshalb dies nicht im Verhältnis zu allen vorsätzlichen Körperverletzungsdelikten gelten soll.

Die Annahme von Tateinheit im Verhältnis von versuchter Tötung und schwerer Körperverletzung (§ 224 StGB a.F. 226 Abs. 1 StGB n.F.) läuft auch nicht - wie in der Entscheidung BGHSt 22, 248, 249 mit Blick auf die Regelung des § 56 StGB a.F. (§ 18 StGB n.F.) ausgeführt ist - auf den Vorwurf hinaus, "der Täter habe es bei der von ihm beabsichtigten Tötung an der erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt fehlen lassen". Der in der Verurteilung (auch) wegen schwerer Körperverletzung enthaltene Vorwurf, "wenigstens" fahrlässig gehandelt zu haben (§ 18 StGB), betrifft nicht die Tötungshandlung, sondern ausschließlich die Herbeiführung der besonderen Folgen der Körperverletzung. Darin liegt kein Widersprach; auch bei tateinheitlich zusammentreffenden Delikten ist die Schuld des Täters für jeden der verwirklichten Straftatbestände gesondert festzustellen. Dabei ist es ohne weiteres miteinander vereinbar, daß der Täter zwar den Tod des Opfers herbeiführen will, daß er aber die Möglichkeit qualifizierender körperlicher Folgen bei dem die Tat überlebenden Opfer nicht in seine Vorstellung aufnimmt und deshalb insoweit nicht mit Vorsatz, sondern nur fahrlässig handelt.

e) Die Annahme von Tateinheit zwischen versuchtem Tötungs- und vollendetem Körperverletzungsdelikt läßt den Schuldgehalt unberührt, weil sich dieser unabhängig von der Entscheidung des Konkurrenzverhältnisses bemißt (vgl. BGHR § 211 Abs. 1 Konkurrenzen 1 m.w.N.). Daß sie nicht zu einer "Doppelverwertung" zu Lasten des Angeklagten führt, bedarf keiner besonderen Begründung; es versteht sich von selbst, daß dem Täter das in den Bereich tatbestandlicher Überschneidung fallende Unrecht nur einmal angelastet werden kann (BGHSt - GSSt - 39, 100, 109). Deshalb spricht nichts dagegen, die zusammen mit der versuchten Tötung verwirklichte Körperverletzung in den Schuldspruch aufzunehmen, zumal der Tatrichter die verschuldeten Auswirkungen der Tat ohnehin bei der Strafzumessung beachten muß (BGHSt 22, 248, 249) und mithin auch nicht durch das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB gehindert ist, die Schwere der Verletzungen und der sonstigen Tatfolgen strafschärfend zu berücksichtigen.

f) Die anderen Strafsenate des Bundesgerichtshofs haben auf Anfrage des Senats gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 und 3 GVG erklärt, daß sie an entgegenstehender Rechtsprechung nicht mehr festhalten.

5. Auch der Strafausspruch hat im Ergebnis Bestand. Die Jugendkammer hat zur Höhe der erkannten Jugendstrafe nach eingehender Erörterung der Schwere der Tatschuld dargelegt, daß es von der Verhängung einer höheren Strafe abgesehen hat, weil "der Angeklagte bereits seit 8 Monaten sich in Untersuchungshaft befindet und eine Jugendstrafe von über 5 Jahren unter erzieherischem Gesichtspunkt für den erst 18jährigen Angeklagten zu lang bemessen erscheint" (vgl. hierzu BGHR JGG § 18 Abs. 2 Strafzwecke 4 und 5). Damit hat der Tatrichter zum Ausdruck gebracht, daß er die Verhängung der Strafe in der erkannten Höhe insbesondere aus erzieherischen Gründen für geboten erachtet. Deshalb führt, da die Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts hier ohnehin nicht gelten (§ 18 Abs. 1 Satz 3 JGG), weder die Neufassung des § 250 StGB durch das 6. StrRG noch die Änderung des Schuldspruchs zur Aufhebung des Strafausspruchs. Unter den hier gegebenen Umständen kann der Senat vielmehr ausschließen, daß die Jugendkammer auf eine niedrigere Jugendstrafe erkannt hätte, wenn sie den Angeklagten hinsichtlich des schweren Raubes rechtlich zutreffend lediglich wegen Versuchs verurteilt hätte, zumal sie zu Lasten des Angeklagten ausschließlich Umstände anführt, die den Vorwurf des versuchten Totschlags betreffen.

6. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist ein Freispruch von dem als materiell selbständige Handlung angeklagten Vorwurf des versuchten Mordes nicht veranlaßt. Durch die zugelassene Anklage war beiden Angeklagten zur Last gelegt worden, neben der Raubtat durch eine weitere Straftat jeweils in Verdeckungsabsicht versucht zu haben, die Geschädigte (durch Unterlassen) zu töten, indem sie, "obwohl (sie) erkannten, daß die Geschädigte durch ihr Tun schwer verletzt war und die Möglichkeit in Betracht zogen, daß sie ohne Hilfe ihren Verletzungen erliegen könnte, aus Angst, entdeckt zu werden, die Herbeiholung ärztlicher Hilfe (unterließen)" (SA Bd. V Bl. 417, 418). Das Landgericht hat gemeint, insoweit von einem Teilfreispruch absehen zu können, weil es "für den Angeklagten S. ein versuchtes Tötungsdelikt durch aktives Tun für erwiesen gehalten (hat)" und es "hier zu Gunsten der Angeklagten für das gesamte Geschehen von Tateinheit ausgegangen (ist)". Das weist hinsichtlich des Angeklagten S. im Ergebnis keinen Rechtsfehler auf.

Allerdings muß, wenn nicht wegen aller Delikte verurteilt wird, die nach der Anklage in Tatmehrheit (§ 53 StGB) begangen worden sein sollen, insoweit grundsätzlich freigesprochen werden, um Anklage und Eröffnungsbeschluß zu erschöpfen; dies gilt auch dann, wenn das Gericht das Konkurrenzverhältnis anders beurteilt und der Meinung ist, daß bei zutreffender rechtlicher Würdigung Tateinheit (§ 52 StGB) vorliegt (st. Rspr.; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 260 Rdn. 13 m.N.). Doch trifft dies nur zu, wenn das Gericht in einem solchen Fall die als tatmehrheitlich angeklagte "Tat" nicht für erwiesen hält (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 2; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984, 212 zu Nr. 23; NStZ 1984, 566). So verhält es sich hier aber nicht. Das Landgericht hat die als versuchter Mord angeklagte Tat nicht etwa für nicht erwiesen erachtet, sondern sie zutreffend als tatbestandsmäßiges vorsätzliches (versuchtes) Tötungsdelikt gewertet, das nur deshalb nicht Gegenstand eines selbständigen Schuld- und Strafausspruchs sein kann, weil es Bestandteil des durch den Angriff mit dem Messer verübten versuchten Totschlags (durch aktives Tun) ist. Unter diesen Umständen ist für einen Teilfreispruch kein Raum.

III. Revision der Staatsanwaltschaft Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Wie die Beschwerdeführerin im Ergebnis zu Recht geltend macht, ist das Urteil im Umfang der Anfechtung aufzuheben, weil es Anklage und Eröffnungsbeschluß nicht erschöpft; denn das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, hinsichtlich des Angeklagten B. neben der Raubtat auch die als (materiell) selbständige Handlung (§ 53 StGB) des versuchten Mordes angeklagte Tat abzuurteilen.

Das Landgericht durfte nicht offen lassen, ob sich der Angeklagte B. dadurch, daß er den Tatort verließ, ohne sich um das schwerverletzte Opfer zu kümmern, strafbar gemacht hat. Die Gründe, die bei dem Angeklagten S. insoweit sowohl einen Schuldspruch. als auch einen Teilfreispruch entbehrlich machten (siehe dazu oben 11. 6), treffen bei dem Angeklagten B. schon deshalb nicht zu, weil ihm nach den getroffenen Feststellungen eine Beteiligung an dem von S. durch das Zustechen mit dem Messer verwirklichten versuchten Totschlag nicht zur Last fällt. Für ihn kommt jedoch eine Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungsdelikts durch Unterlassen (§ 13 StGB) in Betracht, wenn ihn eine Garantenstellung traf, die ihn gegenüber der Geschädigten verpflichtete, die Gefahr des Todeseintritts abzuwenden, und er diesen Erfolg zumindest billigend in Kauf genommen hat.

2. Bei dieser somit nachzuholenden Prüfung wird der neu entscheidende Tatrichter folgendes zu beachten haben:

a) Voraussetzung für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit aus sog. Ingerenz ist, daß ein pflichtwidriges Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht (BGHSt 34, 82, 84; 37, 106, 115 f.; BGH-RR 1997, 292, 293; NStZ 1998, 83, 84).

Dabei kann eine Garantenstellung des Täters einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung für das in Todesgefahr schwebende Opfer auch dann nicht verneint werden, wenn die lebensgefährliche Verletzung auf der Handlung des Mittäters beruht. Wer schuldhaft durch sein Verhalten die Gefahr eines Schadens geschaffen oder mitgeschaffen hat, ist rechtlich zur Abwehr des Schadenseintritts verpflichtet; kümmert er sich nicht um den durch seine Handlung oder die Handlung des Mittäters Verletzten, kann er sich eines (versuchten) Tötungsdelikts schuldig machen (BGH NJW 1992, 1246; NStZ 1985, 24; BGH, Beschluß vom 22. Dezember 1981 -1 StR 729/81; Senatsurteil vom 29. Januar 1984 - 4 StR 742/83, insoweit in StV 1984, 190 nicht mit abgedruckt).

Hiervon macht die Rechtsprechung allerdings dann eine Ausnahme, wenn die Todesgefahr dem Täter deshalb nicht zuzurechnen ist, weil sie durch eine Exzeßhandlung des Mittäters hervorgerufen ist (BGH NStZ 1998, 83, 84). War für den Angeklagten B. der Messereinsatz aber vorhersehbar und war er damit einverstanden, so fehlt es an dem für die Garantenpflicht notwendigen Pflichtwidrigkeitszusammenhang (BGHSt 37, 106, 116 m.w.N.) nicht deshalb, weil der Angeklagte beim ersten, von S. geführten Messerstich noch keinen entsprechenden unbedingten Vorsatz gefaßt hatte. Das schloß lediglich die Zurechnung des lebensgefährlichen Stiches als mittäterschaftlich begangen aus (BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 21, 27).

b) Sofern sich der Tatvorwurf eines versuchten Tötungsdelikts durch Unterlassen aus objektiven Gründen oder deshalb nicht bestätigt, weil die subjektive Tatseite nicht nachzuweisen ist (vgl. zum Tötungsvorsatz beim Unterlassen BGH NJW 1992, 583), wird eine Strafbarkeit wegen Aussetzung nach § 221 StGB (vgl. BGHSt 25, 218, 220; 26, 35, 36 f.; BGHR StGB § 221 Konkurrenzen 1) oder wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB zu prüfen sein (vgl. BGH NStZ 1998, 83, 84 a.E.).

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Nach den bisherigen Feststellungen liegt der angeklagte Vorwurf des versuchten Mordes- fern; in Betracht kommt vielmehr eine Verurteilung wegen. versuchten Totschlags 212, 13, 22, 23 StGB).

Ein wissenschaftlich gesicherter Erfahrungssatz, daß wegen der "'Alkoholgewöhnung" bei dem Angeklagten von dem Ergebnis der Blutprobe mit einem höheren als dem bislang in der Rechtsprechung zugrundegelegten Abbauwert von 0,2 Promille/h auf den Tatzeitpunkt zurückzurechnen sei, ist in der Rechtsprechung bisher nicht anerkannt (vgl. BGH NStZ 1997, 591, 592; BGHR StGB § 21 BAK 26; BGH, Beschluß vom 18. August 1998 - 5 StR 363/98).

Im Hinblick auf die an sich gesamtstrafenfähige, aber vollständig vollstreckte Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 28. Mai 1997 besteht Anlaß, die Frage der Gewährung eines Härteausgleichs zu erörtern (vgl. Tröndle aaO § 55 Rdn. 7a und 7b).

4. Da sich das Verfahren nur noch gegen einen erwachsenen Angeklagten richtet, verweist der Senat die Sache gemäß § 354 -Abs. 2 StPO an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer zurück (BGHSt 35, 267).

Externe Fundstellen: BGHSt 44, 196; NJW 1999, 69; NStZ 1999, 30; StV 1999, 149; StV 1999, 422

Bearbeiter: Stephan Schlegel