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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 63

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 ARs 17/09, Beschluss v. 08.12.2009, HRRS 2010 Nr. 63


BGH 4 ARs 17/09 - Beschluss vom 8. Dezember 2009 (BGH)

Anfrageverfahren zur Abfassung des konkreten Anklagesatzes im Fall der Anklage zahlreicher Vermögensdelikte (Informationsfunktion; Umgrenzungsfunktion).

§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

1. Liegen einem Angeklagten zahlreiche Vermögensdelikte zur Last, die einem einheitlichen modus operandi folgen, genügt der konkrete Anklagesatz den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO und des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO, wenn dort - neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt - die Tatorte, die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum und der Gesamtschaden bezeichnet werden und im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklage oder einer Anlage zur Anklage die Einzelheiten der Taten, d. h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatopfer und die jeweiligen Einzelschäden, detailliert beschrieben sind.

2. Der 4. Strafsenat gibt seine Rechtsprechung auf, die dem vorgenannten, von ihm geteilten Leitsatz entgegen stand.

Entscheidungstenor

Der Senat stimmt der Rechtsansicht des anfragenden 1. Strafsenats zu.

Er gibt möglicherweise entgegenstehende eigene Rechtsprechung auf.

Gründe

Der 4. Strafsenat folgt der Rechtsauffassung des anfragenden Senats und hält an möglicherweise entgegenstehender eigener Rechtsprechung nicht fest.

1. Die Umgrenzungsfunktion der Anklage sieht der Senat durch die beabsichtigte Rechtsprechung nicht gefährdet. Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zurückgegriffen werden kann (vgl. nur BGHSt 46, 130, 134 m.N.). Nach Ansicht des Senats begegnet es auch keinen Bedenken, wenn die weitere Konkretisierung nicht dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, sondern einer Anlage zur Anklage entnommen werden könnte. Denn auch dann stünde zweifelsfrei fest, innerhalb welcher tatsächlichen Grenzen sich die Hauptverhandlung und die Urteilsfindung gemäß §§ 155, 264 StPO zu bewegen haben.

2. Durch die Verlesung des Anklagesatzes sollen die Richter, die an der Hauptverhandlung teilnehmen und diesen noch nicht kennen, darüber informiert werden, auf welchen geschichtlichen Vorgang sich das Verfahren bezieht und auf welche Verfahrensvorgänge sie daher ihr besonderes Augenmerk zu richten haben. Die übrigen Verfahrensbeteiligten sollen Gewissheit darüber erlangen, auf welche Tat(en) sie ihr Angriffs- und Verteidigungsvorbringen einzurichten haben (vgl. BGH NJW 1982, 1057; BGHR StPO § 243 Abs. 3 Anklagesatz 2).

Schließlich dient die Verlesung des Anklagesatzes auch der Unterrichtung der Öffentlichkeit über den Verfahrensgegenstand. Der Senat teilt die Auffassung des anfragenden Senats, dass durch die unter Umständen stundenlange Verlesung einer ins Einzelne gehenden Darstellung einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle für dieses Informationsbedürfnis nichts gewonnen würde. Eine solche Verfahrensweise wäre in vielen Fällen vielmehr eher kontraproduktiv.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 63

Bearbeiter: Karsten Gaede