Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 73/03, Urteil v. 10.04.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 18. September 2002 werden verworfen.
2. Die Staatskasse und die Nebenklägerin tragen die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten in der Revisionsinstanz trägt die Staatskasse allein.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Die - zulässigen - Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat festgestellt: Am 18. Juli 2000 traf die zu diesem Zeitpunkt drogenabhängige 19jährige Nebenklägerin gegen 17.30 Uhr an einer Bushaltestelle auf den Angeklagten, der früher ebenfalls Drogenkonsum betrieben hatte. Sie erkundigte sich bei ihm nach einer nahegelegenen Bezugsquelle für Haschisch. Der Angeklagte suchte daraufhin mit ihr die Wohnung eines "Dealers" auf, in der die Nebenklägerin etwas Haschisch erwarb. Anschließend begleitete er sie zu ihrer Wohnung. Auf wessen Initiative dies geschah, konnte nicht geklärt werden. In der Wohnung rauchten beide von dem zuvor gekauften Haschisch und tranken Bier. Während des Haschischkonsums bat die Nebenklägerin den Angeklagten, von dessen Mobiltelefon ihren Freund anrufen zu dürfen, mit dem sie sich für den Abend verabreden wollte, wozu dieser jedoch keine Zeit hatte. Anschließend kam es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin zum ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß. Danach verließ der Angeklagte die Wohnung und begab sich zurück zu der besagten Bushaltestelle zu seinen Freunden. Dort wurde er kurze Zeit später von der Polizei festgenommen, nachdem die Nebenklägerin um 18.10 Uhr telefonisch angezeigt hatte, sie sei vergewaltigt worden.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil es sich nicht davon zu überzeugen vermochte, daß der Angeklagte den Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Nebenklägerin erzwungen hat.
Der Freispruch hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Spricht das Gericht den Angeklagten frei, weil es vorhandene Zweifel nicht zu überwinden vermag, so ist das grundsätzlich hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat aufgrund der Sachrüge nur zu prüfen, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.
Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt, ferner dann, wenn das Gericht an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen stellt. Einen solchen Sachmangel decken die Revisionen nicht auf.
b) Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten. Eindeutige objektive Umstände, die einen erzwungenen Geschlechtsverkehr sicher belegen könnten, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Deshalb hängt der Tatnachweis allein davon ab, ob den den Angeklagten belastenden Angaben der Nebenklägerin zu glauben ist. Daß deren Darstellung - wie das Landgericht gemeint hat - "wahrscheinlicher als die des Angeklagten" (UA 8) ist, hat die Strafkammer bei der gegebenen Sachlage, bei der letztlich "Aussage gegen Aussage" steht, zu Recht nicht als ausreichend für die Überzeugung von der Tatbegehung durch den Angeklagten erachtet. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es dem Urteil nicht an der gebotenen umfassenden Würdigung aller wesentlichen Umstände, die Schlüsse auch zu Ungunsten des Angeklagten ermöglichen (vgl. BGHSt 25, 285, 286). Dies gilt auch für die geringfügigen Verletzungen, die die sachverständige Zeugin Dr. K. bei der Untersuchung der Nebenklägerin festgestellt hat. Wenn das Landgericht, ersichtlich gestützt auf die Angaben der sachverständigen Zeugin, diese Verletzungen als mit der Einlassung des Angeklagten vereinbar angesehen hat, so deckt dies weder für sich noch in der Gesamtschau der Beweisanzeichen einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf. Mit ihren Einwendungen unternimmt die Staatsanwaltschaft demgegenüber lediglich den im Revisionsverfahren untauglichen Versuch, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene Wertung zu ersetzen.
Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft weist die Beweiswürdigung auch zum Aussageverhalten der Nebenklägerin keine den Bestand des Freispruchs in Frage stellenden Lücken auf. Das Landgericht war nicht gehalten, im Urteil den wesentlichen Ablauf und Inhalt der Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren im Urteil wiederzugeben. Auch wenn das Aussage verhalten der Nebenklägerin sich - wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision geltend macht - durch Konstanz auszeichnete, mußte das Landgericht diesem Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung keine besondere Bedeutung beimessen, die eine ausdrückliche Erörterung erforderlich gemacht hätte. Abgesehen davon, daß dem Senat ohne zulässige Verfahrensrüge die nur durch Rückgriff auf den Akteninhalt mögliche Überprüfung der von der Revision behaupteten Konstanz der Aussage versperrt ist, weisen die Urteilsgründe selbst aus, daß die Nebenklägerin jedenfalls in Teilbereichen gerade nicht konstant ausgesagt, sondern in der Hauptverhandlung gegenüber ihren früheren Aussagen teilweise ergänzende, teilweise abweichende Aussagen gemacht hat.
Das Landgericht hat dem Aussageverhalten entnommen, daß die Nebenklägerin den Inhalt ihrer Aussage so gestaltet habe, daß sie selbst in einem möglichst günstigen Licht erscheine. Zugleich hat das Landgericht darin konkrete Anknüpfungspunkte für ein mögliches Falschbelastungsmotiv gefunden, zumal die Nebenklägerin selbst ihr damaliges Verhalten heute mißbilligt und - wie das Urteil mitteilt - "ihren Umgang mit 'asozialen Typen wie dem Angeklagten' mit ihrem zur Tatzeit durch den Drogenkonsum getrübten Einschätzungsvermögen erklärt hat" (UA 8).
c) Wenn die Strafkammer bei dieser Sachlage verbleibende Zweifel an der Aussage der Nebenklägerin nicht zu überwinden vermochte, so ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, auch wenn eine andere Würdigung durchaus möglich gewesen wäre.
Bearbeiter: Karsten Gaede