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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 358/00, Beschluss v. 12.09.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 358/00 - Beschluß v. 12. September 2000 (LG Bielefeld)

Bildung einer Einheitsjugendstrafe; Vollstreckung der früher verhängten Strafe; Einbeziehung; Eigene Sachentscheidung des BGH (Analogie)

§ 31 Abs. 2 JGG; § 354 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Liegen die Voraussetzungen für die Bildung einer Einheitsjugendstrafe im Zeitpunkt des auf die Revision des Angeklagten aufgehobenen Urteils vor, so ist § 31 Abs. 2 JGG auch dann anzuwenden, wenn die früher verhängte Strafe inzwischen vollstreckt ist (BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 6).

2. Der BGH kann, auch um das im Jugendstrafverfahren in besonderem Maße zu beachtende Beschleunigungsgebot zu wahren, die Einbeziehung nach § 31 Abs. 2 JGG in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ausnahmsweise selbst vornehmen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 16. -Mai 2000 im Strafausspruch dahin geändert, daß der Angeklagte unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Minden vom 27. August 1998 - 14 Ds 55 Js 994/98 - 191/98 Hw - zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt wird.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 24. Juni 1999 wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes mit Todesfolge in Tateinheit mit Aussetzung und mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung des auf sieben Monate Jugendstrafe lautenden Urteils des Amtsgerichts Minden vom 27. August 1998 zu einer Einheitsjugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat das Urteil durch Beschluß vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99 - (BA 2000, 185) im Strafausspruch mit den Feststellungen auf und verwies die Sache insoweit an das Landgericht zurück. Die neu zur Entscheidung berufene Jugendkammer hat den Angeklagten nunmehr zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung des Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Das Landgericht hat die siebenmonatige Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Minden vom 27. August 1998 nicht einbezogen. Diese Strafe hat der Angeklagte in Unterbrechung der Untersuchungshaft nach Erlaß des ersten in dieser Sache ergangenen Urteils in der Zeit vom 30. März bis zum 27. Oktober 1999 vollständig verbüßt (UA 7). Das Landgericht hat gemeint, eine Einbeziehung komme deswegen "nicht mehr in Betracht" (UA 14/15). Das ist rechtsfehlerhaft. Lagen die Voraussetzungen für die Bildung einer Einheitsjugendstrafe im Zeitpunkt des auf die Revision des Angeklagten aufgehobenen Urteils vor, so ist § 31 Abs. 2 JGG auch dann anzuwenden, wenn die früher verhängte Strafe inzwischen vollstreckt ist (BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 6).

2. Unter den hier gegebenen Umständen nötigt dieser Rechtsfehler nicht zur Aufhebung des Urteils und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Vielmehr kann der Senat, auch um das im Jugendstrafverfahren in besonderem Maße zu beachtende Beschleunigungsgebot zu wahren, die Einbeziehung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ausnahmsweise selbst vornehmen. Daß die Jugendkammer ungeachtet der Anwendbarkeit des § 31 Abs. 2 JGG von einer Einbeziehung aus erzieherischen Gründen nach Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift abgesehen hätte (vgl. dazu BGH NStZ 2000, 263 mit Anm. Eisenberg NStZ 2000, 484), kann mit Blick darauf ausgeschlossen werden, daß sich die Jugendkammer ersichtlich nur aus Rechtsgründen an einer Einbeziehung gehindert gesehen hat. Die unterbliebene Einbeziehung holt der Senat deshalb nach. Damit hat es bei der Höhe der festgesetzten Jugendstrafe sein Bewenden. Der Angeklagte ist hierdurch unter keinen Umständen beschwert. Ihm kommt nunmehr die volle Anrechnung der Dauer der vollstreckten Strafe aus dem einbezogenen Urteil zugute. Daß das Landgericht bei erneuter Einbeziehung auf eine niedrigere als die verhängte Strafe erkannt hätte, ist auszuschließen.

3. Im übrigen weisen die Erwägungen zur Strafzumessung keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Insbesondere kann die Revision nicht damit gehört werden, das Landgericht habe bei der Strafzumessung der dem Angeklagten im Gegensatz zu dem ersten in dieser Sache ergangenen Urteil zugebilligten erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) "faktisch keine Bedeutung beigemessen" (RB S. 2). Die Revision unternimmt hiermit nur den unzulässigen Versuch, der tatrichterlichen Bewertung eine eigene Bewertung entgegenzusetzen.

Allerdings hat das Landgericht rechtsfehlerhaft der Berechnung der Tatzeit-Alkoholisierung die Trinkmengenangaben des Angeklagten, wie sie in dem vom Senat aufgehobenen Urteil (dort UA 24) festgehalten worden sind, zugrundegelegt (UA 10). Dabei hat das Landgericht nicht beachtet, daß sich die auf den seinerzeit angenommenen Ausschluß einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten beziehenden Feststellungen die Straffrage betreffen und deshalb durch die Revisionsentscheidung des Senats vom 9. November 1999 mit aufgehoben sind (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 237; Kuckein in KK 4. Aufl. § 353 Rdn. 30 m.w. N.). Das Landgericht hätte mithin zu den Trinkmengen in prozeßordnungsgemäßer Weise eigene Feststellungen treffen müssen. Der Angeklagte ist hierdurch jedoch nicht beschwert; denn im Hinblick auf den rechtskräftigen Schuldspruch war die Annahme der Voraussetzungen des § 20 StGB ausgeschlossen (vgl. BGHSt 44, 119). Von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB ist das Landgericht aber ausgegangen.

4. Der im Verhältnis zur Höhe der im angefochtenen Urteil verhängten Jugendstrafe vergleichsweise geringfügige Erfolg gibt dem Senat keinen Anlaß, den Angeklagten aus Billigkeitsgründen teilweise von den Kosten seines Rechtsmittels freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).

Externe Fundstellen: StV 2001, 179

Bearbeiter: Karsten Gaede