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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 627/96, Urteil v. 12.03.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 627/96 - Urteil vom 12. März 1997 (LG Kiel)

BGHSt 43, 15; Prüfungsumfang bei der Nebenklägerrevision; Beteiligung an einer Schlägerei (Begriff); Voraussetzungen der Notwehr.

§ 400 Abs. 1 StPO; § 227 StGB; § 32 StGB

Leitsätze

1. Eine zulässige Revision des Nebenklägers erstreckt sich auch dann nur auf die richtige Anwendung der Vorschriften über das Nebenklagedelikt, wenn dieses mit einem nicht zur Nebenklage berechtigenden Delikt in Tateinheit steht oder - bei Nichtverurteilung wegen des Nebenklagedelikts - stehen würde. (BGHSt)

2. Eine Schlägerei ist der in gegenseitige Tätlichkeiten ausartende Streit, an dem mindestens drei Personen aktiv - aber nicht notwendigerweise gleichzeitig (RGSt 59, 107) - mitwirken; ob sie durch eigenes Verschulden in den Streit verwickelt wurden, ist dabei ohne Bedeutung (BGHSt 15, 369, 370). Zu den aktiv Beteiligten gehört auch der, der einen anderen daran hindert, die tätliche Auseinandersetzung zweier Personen zu schlichten, sowie der, der sich gegen einen Angriff in "Trutzwehr" wendet. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers Ahmet S. wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 14. Juni 1996 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die Revisionen der Nebenkläger Mahmut Sö. und Masum K. werden verworfen.

Jeder dieser Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe in Tateinheit mit dem unerlaubten Führen dieser Waffe zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf des versuchten Totschlags in zwei Fällen zum Nachteil der Nebenkläger Mahmut Sö. und Ahmet S. sowie des Totschlags zum Nachteil des Seyfettin K. hat es den Angeklagten freigesprochen, weil es die Schüsse des Angeklagten auf Sö. und K. als durch Notwehr gerechtfertigt angesehen und bei dem Schuß auf S. Putativnotwehr angenommen hat. Hiergegen richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Ahmet S., Mahmut Sö. und Masum K..

I.

Die Revision der Staatsanwaltschaft führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, so daß es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.

Nach den Feststellungen des Landgerichts gab es in N. seit ca. Anfang 1994 Streit zwischen Türken und Kurden. Bei mehreren Auseinandersetzungen waren auf Seiten der Türken u.a. der Angeklagte und seine Freunde Ali A. und Yusuf Ö. und auf Seiten der Kurden u.a. auch Seyfettin K. beteiligt. Am 3. September 1995 hatte der Angeklagte im Verlauf eines Streites den Kurden Serdar Sö. geschlagen, worauf dessen Bruder Velat Sö. ein Messer gezogen hatte. Zwei Tage später fuhr der Angeklagte mit seinem Pkw in Begleitung des Ali A. und Yusuf Ö. durch N. Aus einem Wagen, in dem sich Velat Sö., dessen Vater Mahmut Sö. und Ahmet S. befanden, erhielt er ein Zeichen zum Anhalten. Der Angeklagte stieg gemeinsam mit seinen Freunden aus. Er geriet zunächst mit Ahmet S. in ein Streitgespräch und erhielt von diesem einen Faustschlag, den er erwiderte. "Nach den wechselseitigen Schlägen" stieg Mahmut Sö. aus dem Auto aus, nahm aus dem Auto ein Beil und rannte mit erhobenem Arm auf den Angeklagten zu. "Auch ein Fußtritt" des Yusuf Ö. "konnte ihn von seinem Vorhaben nicht abbringen". Um den Angriff abzuwehren, zog der Angeklagte, nachdem er zunächst einige Schritte zurückgewichen war, eine Pistole aus dem Hosenbund, lud die Waffe durch und verletzte den Mahmut Sö. mit einem Schuß. Unmittelbar danach deutete der Angeklagte eine Bewegung des Ahmet S. irrtümlich als das Ziehen einer Schußwaffe und verletzte in Verteidigungsabsicht auch diesen mit einem Schuß. Inzwischen kamen aufgrund der Schüsse und der Hilferufe des Velat Sö. mehrere Kurden aus einem nahegelegenen Lokal herausgerannt. An ihrer Spitze befand sich Seyfettin K. Dieser rannte mit vorgestrecktem Messer auf den Angeklagten zu und verletzte auf dem Weg dorthin mit einem Messerstich noch den Ali A. Dann rannte er auf den Angeklagten zu und rief "Jetzt reicht es". Der Angeklagte fürchtete erstochen zu werden und schoß in Verteidigungsabsicht auf K., als dieser auf ein bis zwei Meter an ihn herangekommen war. Dabei verletzte er ihn tödlich.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt bereits deshalb zur Aufhebung des Freispruchs, weil das Landgericht nicht geprüft hat, ob sich der Angeklagte wegen der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 227 StGB) strafbar gemacht haben könnte. Mit dem Tod des Seyfettin K. ist die objektive Bedingung der Strafbarkeit eingetreten. Dabei ist es unerheblich, daß nach den bisherigen Feststellungen die Tötung durch Notwehr gerechtfertigt war (BGHSt 33, 100, 103; 39, 305, 307). Eine Schlägerei ist der in gegenseitige Tätlichkeiten ausartende Streit, an dem mindestens drei Personen aktiv - aber nicht notwendigerweise gleichzeitig (RGSt 59, 107) - mitwirken; ob sie durch eigenes Verschulden in den Streit verwickelt wurden, ist dabei ohne Bedeutung (BGHSt 15, 369, 370). Zu den aktiv Beteiligten gehört auch der, der einen anderen daran hindert, die tätliche Auseinandersetzung zweier Personen zu schlichten, sowie der, der sich gegen einen Angriff in "Trutzwehr" wendet. Eine Aufteilung des festgestellten Geschehens in einzelne Abschnitte, die sich jeweils als die Auseinandersetzung von nur zwei Personen darstellen könnten, ist nicht möglich. Zudem war es nach den Feststellungen bereits nach den ersten beiden Schüssen des Angeklagten zu einer Schlägerei zwischen den aus dem Lokal stürmenden Kurden und hinzueilenden Türken gekommen (UA S. 8). Danach lag nach den Feststellungen eine Schlägerei vor. Dies mußte Veranlassung dazu geben zu prüfen, ob sich der Angeklagte schuldhaft an dieser Schlägerei beteiligt hatte. Angesichts der aktiven Beteiligung des Angeklagten an den jahrelangen Streitigkeiten zwischen Türken und Kurden und an der zwei Tage vorher erfolgten Auseinandersetzung mit einem Angehörigen der Familie Sö. versteht sich das Gegenteil nicht von selbst. Daß der Angeklagte in der Erwartung, es werde möglicherweise auch zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit den Kurden kommen, der Aufforderung zu einem Aufeinandertreffen sofort Folge leistete und dabei auf die Sicherheit durch die mitgeführte Schußwaffe baute (UA S. 6), legt eher den Schluß auf eine schuldhafte Beteiligung des Angeklagten an der Schlägerei nahe.

2. Erfolgreich ist die Revision der Staatsanwaltschaft auch insoweit, als der Freispruch vom versuchten Totschlag zum Nachteil des Nebenklägers Ahmet S. rechtlicher Nachprüfung nicht standhält (vgl. dazu nachstehend II.).

3. Die Aufhebung des Urteils muß sich auch auf die vom Landgericht vorgenommene Verurteilung wegen des Waffendelikts erstrecken. Der unmittelbare Gebrauch der Schußwaffe stünde mit einer Verurteilung wegen § 227 StGB und wegen §§ 212, 22, 23 StGB in Tateinheit.

4. Die nach § 301 StPO gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben. Der durch Aggressionstaten schon in Erscheinung getretene Angeklagte hat sich in eine Situation begeben, in der er angesichts früherer Auseinandersetzungen zumindest mit einem Streitgespräch, möglicherweise auch mit einer körperlichen Auseinandersetzung rechnete, und dabei unerlaubt eine geladene Schußwaffe bei sich geführt. Das Landgericht konnte ohne Rechtsfehler hierauf die Annahme der Schuldschwere stützen und wegen der mehrfachen Auffälligkeiten des Angeklagten wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte das Vorliegen schädlicher Neigungen bejahen.

II.

Die Revision des Nebenklägers Ahmet S. ist mit der Sachrüge erfolgreich, so daß es auf die erhobene Verfahrensrüge nicht ankommt.

Die Annahme von (Putativ)Notwehr bei dem Schuß auf Ahmet S. hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach den Feststellungen des Landgerichts "deutete" der Angeklagte "eine Bewegung" des Nebenklägers "als Ziehen einer Schußwaffe" und "fühlte" sich von diesem "unmittelbar und ernstlich bedroht" (UA S. 7). Die Kammer war davon überzeugt, daß der Nebenkläger unbewaffnet war. Die Einlassung des Angeklagten, er habe gesehen, daß der Nebenkläger eine Waffe gezogen, an ihr herumgespielt und sie durchgeladen habe, hat die Kammer angesichts der unterschiedlichen Einlassungen des Angeklagten bei den polizeilichen Vernehmungen und in der Hauptverhandlung erkennbar als widerlegt angesehen. Sie war davon überzeugt, daß der Angeklagte mehr als eine "Bewegung" des Nebenklägers, die der Angeklagte als Ziehen einer Waffe deutete, nicht beobachtet hat (UA S. 12 f.), wobei diese Bewegung nach der eigenen Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung in einem Griff zum Hosenbund und nicht im Herausziehen eines Gegenstandes aus diesem bestand (UA S. 13).

Der Angeklagte wäre, auch wenn der von ihm vorgestellte Sachverhalt (Ziehen einer Waffe) tatsächlich vorgelegen hätte, zum sofortigen Schußwaffeneinsatz nicht berechtigt gewesen. Diese Verteidigungshandlung wäre nicht erforderlich gewesen. Nachdem sich der Angeklagte mit der Schußwaffe in der Hand schußbereit vor dem Nebenkläger befunden hatte, hätte er abwarten müssen, ob der Nebenkläger eine Waffe nicht nur aus dem Hosenbund ziehen, sondern auch schußbereit machen und in Anschlag bringen würde. Der lebensgefährliche Einsatz einer Schußwaffe darf nur das letzte Mittel der Verteidigung sein (BGHR StGB § 32 II Erforderlichkeit 1). Zwar könnte sich der Angeklagte nicht nur über das Vorliegen eines Angriffs, sondern auch über die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung geirrt haben, jedoch hat die Kammer die zweite Irrtumsmöglichkeit nicht erörtert. Damit steht zu besorgen, daß die Kammer an die Erforderlichkeit einer Verteidigungshandlung mit einer Schußwaffe hier zu niedrige Anforderungen gestellt hat (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. 1997 § 32 Rdn. 37 mit Rechtspr. Nachw.).

III.

Die Revisionen der Nebenkläger Mahmut Sö. und Masum K. bleiben ohne Erfolg.

1. Die von diesen Beschwerdeführern erhobene Rüge der unterlassenen Bescheidung eines hilfsweise gestellten Beweisantrages versagt. Der Senat kann ausschließen, daß das Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruht. Wird ein im Urteil zu bescheidender Hilfsbeweisantrag übergangen, ist dies unschädlich, wenn er mit rechtsfehlerfreier Begründung hätte abgelehnt werden können (vgl. BGH NJW 1988, 501, 502; Herdegen in KK-StPO 3. Aufl. § 244 Rdn. 61). So liegt es hier. Den Beweiserwägungen im Urteil läßt sich mit ausreichender Sicherheit entnehmen, daß die behauptete Beweistatsache für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung war, der Hilfsbeweisantrag demnach mit dieser Begründung zurückzuweisen gewesen wäre. Was der Freund des Angeklagten Ali Ö. später einem Dritten zu seiner und des Angeklagten Einschätzung der Situation vor der Auseinandersetzung sowie zu seinem der Auseinandersetzung vorangegangenen Gespräch mit einem der späteren Opfer gesagt hat, ist für die Entscheidung über die Notwehrsituation gegenüber diesen Beschwerdeführern ohne Bedeutung.

2. Das Urteil hält auch den sachlichrechtlichen Beanstandungen dieser Beschwerdeführer stand. Der aus den bisherigen Feststellungen gezogene Schluß, der Angeklagte habe mit lebensgefährlichen Angriffen der späteren Opfer nicht gerechnet und die Auseinandersetzung mit diesen erst recht nicht mit dem Ziel gesucht, sie unter dem Vorwand der Notwehr verletzen oder töten zu können, ist möglich und damit für das Revisionsgericht hinzunehmen.

3. Durch die rechtsfehlerhafte Annahme einer (Putativ)Notwehrsituation gegenüber dem Nebenkläger Ahmet S. (vgl. oben II.) sind die beiden anderen Nebenkläger nicht beschwert (vgl. BGHR StPO § 400 I Zulässigkeit 8).

4. Der Rechtsfehler, daß das Landgericht eine Beteiligung des Angeklagten an einer Schlägerei nicht geprüft hat (vgl. oben I. 1.), verhilft den Revisionen der Nebenkläger nicht zum Erfolg. § 227 StGB ist kein zur Nebenklage berechtigendes Delikt. Nach § 400 Abs. 1 2. Halbsatz StPO hätten die Nebenkläger das Urteil nicht zulässig mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen dieser Gesetzesverletzung anfechten können. Ziel der Neuregelung durch das Opferschutzgesetz war es, die als unnötig weitgehend empfundene Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers einzuschränken (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drucks. 10/5305 S. 15). Eine zulässige Revision des Nebenklägers erstreckt sich deshalb auch dann nur auf die richtige Anwendung der Vorschriften über das Nebenklagedelikt, wenn dieses mit einem nicht zur Nebenklage berechtigenden Delikt in Tateinheit steht oder - bei Nichtverurteilung wegen des Nebenklagedelikts - stehen würde (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 42. Aufl. § 400 Rdn. 7; Riegner NStZ 1990, 11, 16; noch offengelassen in BGHR StPO § 400 I Prüfungsumfang 1). Dies gilt auch für den Fall, daß dem Revisionsgericht diese Prüfung durch eine zulässige Revision der Staatsanwaltschaft eröffnet ist.

IV.

Sollte die neue Strafkammer erneut Notwehr oder Putativnotwehr annehmen, wird sie bezüglich der Beurteilung des Waffendelikts auf BGH NStZ 1981, 299 (hierzu Maatz MDR 1985, 881) und NStZ 1985, 515 Bedacht zu nehmen haben. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte die Schußwaffe zum Tatzeitpunkt bereits eine Woche lang in Besitz (UA S. 6). Zur Präzisierung des Urteilsausspruchs bei Verstößen gegen das Waffengesetz weist der Senat auf BGHR WaffG § 53 I Nr. 3a Führen 1, auf Meyer-Goßner NStZ 1988, 529, 530 und auf Steindorf Waffenrecht 6. Aufl. § 53 WaffG Rdn. 2 und 36 f. hin.

V.

Da die Revisionen der Nebenkläger Mahmut Sö. und Masum K. erfolglos sind, hat jeder dieser Beschwerdeführer gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Eine Auferlegung der dem Angeklagten durch diese Rechtsmittel erwachsenen notwendigen Auslagen kommt gemäß § 473 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht in Betracht, da die Nebenkläger nicht allein Revision eingelegt haben; darauf, daß der Angeklagte die Revision während des Revisionsverfahrens zurückgenommen hat, kommt es nicht an.

Externe Fundstellen: BGHSt 43, 15; NJW 1997, 2123; NStZ 1997, 402

Bearbeiter: Rocco Beck