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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 487

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 9/08, Beschluss v. 06.03.2008, HRRS 2008 Nr. 487


BGH 3 StR 9/08 - Beschluss vom 6. März 2008 (LG Hannover)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Aufklärungspflicht; rechtsfehlerhafte Zurückweisung eines Beweisantrags (Bedeutungslosigkeit; antizipierende Beweiswürdigung; Gewicht der unter Beweis gestellten Tatsache).

§ 29a BtMG; § 244 Abs. 3 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Tatrichter darf eine Tatsache nur dann als für die Entscheidung bedeutungslos ansehen, wenn zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen kann, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulässt, und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will.

2. Die Bedeutung der unter Beweis gestellten Tatsache ist vom Tatrichter in freier Beweiswürdigung auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses zu beurteilen. Allerdings darf er dabei die unter Beweis gestellte Tatsache nicht in Zweifel ziehen oder Abstriche an ihr vornehmen. Er hat sie vielmehr seiner antizipierenden Beweiswürdigung so zu Grunde zu legen, als sei sie voll erwiesen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 19. Juli 2007

a) in den Fällen II. 3. und 4. der Urteilsgründe

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat festgestellt, dass der Angeklagte im November oder Dezember 2003 einmal 100 Gramm und einmal 50 Gramm Kokain durchschnittlicher Qualität gewinnbringend an den Zeugen D. veräußerte. Nach diesen Taten schlossen sich der Angeklagte, der Mitangeklagte Ö., der Zeuge S. und der gesondert Verfolgte A. zusammen, um künftig auf unbestimmte Zeit in einer Mehrzahl von Fällen größere Mengen Kokain zu erwerben und gewinnbringend zu veräußern. Im Februar 2004 verkauften sie in zwei Fällen jeweils 500 Gramm Kokain, das ihnen zuvor aus den Niederlanden nach H. geliefert worden war, mit Gewinn an verschiedene Abnehmer weiter. Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten in den letzten beiden Fällen im Wesentlichen aufgrund der Aussage des Zeugen S. sowie der Einlassung des Mitangeklagten Ö. überzeugt.

Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer - zulässig erhobenen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) - Verfahrensrüge hinsichtlich der Verurteilung in den Fällen des Bandenhandels Erfolg. Dies führt auch zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Der Angeklagte beanstandet zutreffend, dass das Landgericht einen Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat.

Der Verteidiger des Angeklagten hat die Vernehmung des Zeugen B. zum Beweis dafür beantragt, dass die Angaben des Mitangeklagten Ö. aus einer polizeilichen Vernehmung falsch seien, soweit er sich dahin eingelassen habe, der Angeklagte und der Zeuge hätten in einem Hinterzimmer der Gaststätte "M." in H. 200 Gramm Kokain an einen Bo. und einen C. verkauft; der Zeuge werde bekunden, dass er zu keinem Zeitpunkt in der betreffenden Gaststätte gewesen sei, um dort Kokain zu verkaufen.

Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die behaupteten Tatsachen seien gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Wenn der Zeuge die Beweisbehauptung bestätigen sollte, sei dies zwar ein bei der Würdigung der Einlassung des Mitangeklagten Ö. zu berücksichtigender Teilaspekt; dieser lasse aber keinen zwingenden Rückschluss auf dessen Glaubwürdigkeit zu. Die Strafkammer wolle einen solchen Schluss auch nicht ziehen. Insofern sei nämlich auch die Möglichkeit in Rechnung zu stellen, dass der benannte Zeuge ein Interesse daran haben könnte, eigenes strafrechtlich relevantes Verhalten zu leugnen. Gegen ihn werde wegen einer dem Beweisthema spiegelbildlichen Tat ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt. Vor diesem Hintergrund habe das Landgericht nicht einmal die Möglichkeit einer abschließenden Bewertung, ob gegebenenfalls der Zeuge oder der Mitangeklagte Ö. bezüglich des Beweisthemas die Wahrheit gesagt hätten.

Mit dieser Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden; sie ist mit § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vereinbar.

Der Tatrichter darf eine Tatsache nur dann als bedeutungslos ansehen, wenn zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen kann, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulässt, und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will. Dies ist vom Tatrichter in freier Beweiswürdigung auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses zu beurteilen. Allerdings darf das Gericht dabei die unter Beweis gestellte Tatsache nicht in Zweifel ziehen oder Abstriche an ihr vornehmen; es hat diese vielmehr so, als sei sie voll erwiesen, seiner antizipierenden Würdigung zu Grunde zu legen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 20, 23; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 244 Rdn. 56; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 222).

Hieran gemessen sind die Ausführungen des Landgerichts rechtsfehlerhaft; denn es hat zur Begründung dafür, dass der Beweistatsache für die Entscheidung keine Bedeutung zukomme, darauf abgestellt, dass die Glaubwürdigkeit des benannten Zeugen bzw. die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zweifelhaft sei. Damit hat es die Wahrheit der Beweistatsache und den Wert des angebotenen Beweismittels in Frage gestellt.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil, soweit der Angeklagte wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen verurteilt worden ist. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht, hätte sich die Beweisbehauptung bestätigt, die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Mitangeklagten Ö. anders als geschehen beurteilt hätte und nicht zu der Überzeugung gelangt wäre, dass der Angeklagte diese beiden Taten begangen hat.

Der Wegfall der Verurteilung in den beiden Fällen des Bandenhandels führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 487

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2008, 205; StV 2008, 288

Bearbeiter: Ulf Buermeyer