HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 383
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 91/06, Beschluss v. 04.04.2006, HRRS 2006 Nr. 383
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 3. November 2005 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Urteil unterliegt auf die Sachbeschwerde des Angeklagten der Aufhebung, weil es mehrere durchgreifende Rechtsfehler aufweist:
1. Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen insgesamt 23 Fällen des Betäubungsmittelhandels verurteilt, jedoch dabei nicht geprüft, ob und gegebenenfalls inwieweit die einzelnen Taten zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen gewesen wären. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Einzelverkäufe von Betäubungsmitteln mehreren größeren Erwerbsmengen entstammen, so erfordert dies die Bildung von Bewertungseinheiten. Dazu hat der Tatrichter die Zahl und Frequenz der Erwerbsvorgänge sowie die Zuordnung der einzelnen Verkäufe zu ihnen an Hand der Tatumstände festzustellen. Kann er genaue Feststellungen nicht treffen, hat er innerhalb des feststehenden Gesamtschuldumfangs die Zahl der Einkäufe und die Verteilung der Verkäufe auf sie zu schätzen (vgl. BGH NJW 2002, 1810). Konkrete Hinweise auf das Vorliegen solcher Bewertungseinheiten ergeben sich hier insbesondere in den Fällen, in denen die Abverkäufe entweder am gleichen Tage (Fälle 9 und 10) oder zumindest in engem zeitlichem Abstand (Fälle 1 und 2; 9 bis 13) erfolgten. Auch in den Fällen 22 und 23 kommt Bewertungseinheit in Betracht, da nach den Feststellungen auf Grund eines Gesamtplanes die gesamte Menge an einen bestimmten Abnehmer geliefert werden sollte und sich so beide Erwerbsvorgänge auf ein bestimmtes einheitliches Rauschgiftgeschäft bezogen.
2. Der Schuldumfang ist in allen Fällen außer den Nr. 21 bis 23 unzureichend festgestellt. Neben der Art der Betäubungsmittel sind dabei die Menge und der Wirkstoffgehalt der gehandelten Rauschmittel maßgeblich. Auf deren Feststellung kommt es nicht nur für die Bestimmung einer nicht geringen Menge, sondern auch für die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im engeren Sinne an; auf sie kann daher regelmäßig nicht verzichtet werden. Auch wenn die Betäubungsmittel nicht sichergestellt sind und eine Untersuchung daher nicht möglich ist, sind alle Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen (vgl. dazu im Einzelnen Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 741 ff. m. w. N.). Da der Angeklagte geständig war, liegt die Möglichkeit weitergehender Feststellungen auf der Hand.
In den Fällen Nr. 1 bis 20 fehlt es an der Feststellung des konkreten Wirkstoffgehalts. Die Angabe, dass nach dem "Geständnis" des Angeklagten in den Fällen 17 bis 20 jedenfalls der Grenzwert zur nicht geringen Menge überschritten worden sei, ist unzureichend. Darüber hinaus wird in den Fällen 6, 8 und 14 die Menge des Heroins mit der Zahl der "Päckchen" angegeben, deren Gewicht aber nicht mitgeteilt. In den Fällen 5 und 14 sind die Angaben von Mengen und Preisen angesichts der festgestellten Gewinnerzielungsabsicht nicht ohne weiteres miteinander vereinbar. Danach hätte der Angeklagte 6 Gramm Kokain für 270 € gekauft und 5 Gramm Kokain für nur 20 € verkauft.
3. Im Fall 19 kommt die Strafkammer rechtsfehlerfrei zur Annahme eines Versuchs des Handeltreibens in nicht geringer Menge. Nicht dargelegt wird jedoch, warum es zu dem beabsichtigten Ankauf nicht gekommen ist. Dies lässt die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts offen, der nicht geprüft worden ist.
4. Im Fall 21 bleibt unklar, welchen Straftatbestand die Strafkammer angenommen hat. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte für einen anderen Drogenhändler in einem Versteck 500 Gramm einer weißen Substanz gegen ein Entgelt von 200 € aufbewahrt, die er fälschlich für Kokain mittlerer Qualität gehalten hat, die jedoch nur Stoffe enthielt, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.
In der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich der Angeklagte wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht hat. Ein entsprechender Schuldspruch findet sich in der Urteilsformel nicht. Dort ist diese Tat wohl in die Zahl der sechs Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eingereiht. Tatsächlich belegen die Feststellungen bislang keinen der beiden Straftatbestände:
a) Da es sich nicht um Betäubungsmittel handelte, kommt vollendeter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht in Betracht.
b) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind zwar eigennützige Tätigkeiten, die auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtet sind, auch dann als vollendetes Handeltreiben zu beurteilen, wenn sie sich auf Scheindrogen beziehen (vgl. BGH NStZ 1992, 191 m. N. zur Kritik in der Literatur). Der Senat hat Bedenken, diese sehr weitgehende Rechtsprechung fortzuführen. Er kann dies jedoch offen lassen, da die auf der Grundlage dieser Auffassung in Fällen lediglich untergeordneter Tatbeiträge erforderliche Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe im angefochtenen Urteil unterblieben ist (vgl. Nachw. bei Winkler NStZ 2005, 315; 2004, 376). Da der Angeklagte die Substanz für H., einen anderen Händler, lediglich aufbewahrte, nicht einmal über ihre Beschaffenheit informiert wurde und schließlich nur ein geringes Entgelt von 200 € erhielt, das bei einem Geschäft mit 500 Gramm Kokaingemisch eher für eine kleine Hilfeleistung als für einen Mittäteranteil spricht, liegt die Annahme nur einer Gehilfenstellung nahe.
5. Die aufgezeigten Rechtsfehler erfordern die Aufhebung des Urteils insgesamt. Da bereits die Sachrüge erfolgreich ist, kommt es auf die teils unklaren und teils abwegigen Verfahrensrügen nicht mehr an.
Für die neue Hauptverhandlung werden folgende Hinweise gegeben:
1. Sofern der neue Tatrichter zu Fall 21 nicht ohnehin zu völlig neuen Feststellungen gelangt, sondern nach den oben aufgezeigten Maßstäben eine Gehilfenstellung des Angeklagten in Bezug auf die Handelstätigkeit des Haupttäters H. annimmt, wird er zu dessen Vorstellungen und Absichten nähere Feststellungen zu treffen haben, insbesondere ob er gleichfalls über die Beschaffenheit irrte oder wusste, dass es sich um Streckmittel handelte. Bei zutreffender Vorstellung des Haupttäters wird zu beachten sein, dass die bloße Aufbewahrung von Streckmitteln noch keine Straftat darstellt, folglich auch eine Beihilfe mangels Haupttat ausscheidet. Anders wäre es, wenn die Aufbewahrung im Hinblick auf ein konkretes Rauschgiftgeschäft erfolgt wäre. Dann würde allerdings die Annahme einer Beihilfehandlung des Angeklagten zu diesem Rauschgiftgeschäft voraussetzen, dass er darüber wenigstens in Umrissen Bescheid wusste. Bei dieser schwierigen Sach- und Rechtslage könnte es sich anbieten, den möglichen Vorwurf einer Beihilfe zum Handeltreiben auszuscheiden und die Verfolgung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf den (untauglichen) Versuch des Besitzes einer nicht geringen Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu beschränken.
2. Die Bezeichnung "gewerbsmäßig" gehört nicht in die Urteilsformel. Soweit es um Handeltreiben nach § 29 Abs. 1 BtMG geht, ist "Gewerbsmäßigkeit" nur ein Regelbeispiel für die Annahme eines besonders schweren Falles nach Absatz 3 dieser Vorschrift, das in die Urteilsformel nicht aufgenommen wird (BGH NStZ 1994, 39). Beim Qualifikationstatbestand des Handeltreibens in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG kommt der Gewerbsmäßigkeit ohnehin nur die Bedeutung eines Strafzumessungsumstandes zu.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 383
Externe Fundstellen: NStZ 2007, 102; StV 2007, 80
Bearbeiter: Ulf Buermeyer