Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 216/02, Beschluss v. 07.11.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 25. Januar 2002 mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Sachverhalt aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen hat der insbesondere nach erheblichem Alkoholgenuß zu Aggressionen neigende Angeklagte in der Nacht zum 31. Dezember 2000 mit seinem Bekannten N. eine ausgedehnte Zechtour unternommen, diesen gegen 3.40 Uhr mit Fausthieben niedergeschlagen und so heftig auf ihn eingetreten, daß er schwere Verletzungen erlitt und infolge einer massiven Bluteinatmung in die Lunge verstarb. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Sachverhalt.
Die Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 7. Oktober 2002 genannten Gründen keinen Erfolg.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Rüge der Verletzung des § 168 c Abs. 5 Satz 1 StPO ist bereits unzulässig erhoben. Die Revisionsbegründung wird darauf gestützt, daß der Ermittlungsrichter keinen Aktenvermerk über das Unterbleiben einer Benachrichtigung des Beschuldigten gefertigt habe. Dabei wird verschwiegen, daß der Richter vor der Vernehmung einen begründeten Beschluß über den Ausschluß des Beschuldigten von der Vernehmung gefaßt hatte (SA Bd. IV, Bl. 13).
2. Der Senat teilt auch die Auffassung des Generalbundesanwalts, daß die in den Befangenheitsgesuchen vom 17. Dezember 2001 vorgebrachten Gründe nicht geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Dabei dürfen die Formulierungen des Gerichts nicht losgelöst von dem besonderen prozessualen Hintergrund gesehen werden. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, daß der Angeklagte die Täterschaft kurz nach der Tat gegenüber seiner Ehefrau und nach seiner Verhaftung im Beisein seines damaligen Verteidigers auch gegenüber dem Haftrichter unter Angabe näherer Einzelheiten eingeräumt hatte. Das Geständnis, das er auch in einer späteren polizeilichen Vernehmung wiederholte und das durch weitere Beweismittel bestätigt worden ist, wurde - nach einem Verteidigerwechsel - erst kurz vor der Hauptverhandlung mit einer Begründung widerrufen, die das Landgericht zu Recht als nicht überzeugend bewerten durfte. Vielmehr drängte sich bei dieser Sachlage ein Zusammenhang mit dem Versuch des nunmehrigen Verteidigers auf, zu Beginn der Hauptverhandlung eine "Verständigung" über eine Strafobergrenze nach seinen Vorstellungen herbeizuführen, nach dessen Scheitern er die Stellung zahlreicher Beweisanträge ("100 Beweisanträge"!) ankündigte.
3. Die Begründungen, mit denen die Strafkammer die im Revisionsverfahren vorgetragenen Beweisanträge abgelehnt hat, sind nicht frei von Rechtsfehlern. Der Senat kann jedoch ausschließen, daß die Überzeugung der Strafkammer von der Täterschaft des Angeklagten auf der fehlerhaften Behandlung dieser Beweisanträge beruht. Im einzelnen weist der Senat auf folgendes hin:
a) Es erscheint regelmäßig nicht sachgerecht, die Ablehnung eines Beweisantrags vorsorglich auf mehrere Ablehnungsgründe zu stützen. Dieses Verfahren verstößt gegen § 244 Abs. 3 StPO, wenn die Ablehnungsgründe nicht ausreichend dargelegt sind oder sich - wie hier des öfteren - gegenseitig ausschließen (z. B. die Beweisbehauptung sei erstens ins Blaue hinein erfolgt, zweitens werde die unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt und drittens werde aus dieser Tatsache nicht der vom Antragsteller gewünschte Schluß gezogen, da dies nicht zwingend sei). Diese Handhabung läßt zudem besorgen, daß sich der Tatrichter durch die Nennung zahlreicher Ablehnungsgründe die sorgfältige Prüfung eines Beweisantrags an Hand des gesetzlichen Katalogs nach § 244 Abs. 3 StPO und der dazu entwickelten Kriterien (vgl. die übersichtliche Darstellung bei Julius in HK 2. Aufl. § 244 Rdn. 23 ff.) in der Hoffnung ersparen wollte, das Revisionsgericht werde sich einen passenden Grund heraussuchen.
b) Die Ablehnung eines Beweisantrags als "ins Blaue hinein" oder auf das "Geratewohl" gestellt wird nur ausnahmsweise in Betracht kommen und erfordert einen hohen argumentativen Aufwand des Tatrichters, der nicht durch die bloße Behauptung, er sei davon überzeugt, daß die Beweisbehauptung aus der Luft gegriffen worden sei, ersetzt werden kann (vgl. im einzelnen Herdegen in KK 4. Aufl. § 244 Rdn. 44). Diesen Anforderungen werden die Ablehnungsbeschlüsse des Landgerichts nicht gerecht.
c) Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 244 Abs. 3 StPO kann eine Beweistatsache nur dann als wahr unterstellt werden, wenn sie erheblich ist, d. h. für die Entscheidungsfindung Bedeutung erlangen kann. Damit ist es nicht vereinbar, daß die Strafkammer in mehreren Fällen Beweistatsachen einerseits als wahr unterstellt und andererseits ausgeführt hat, sie seien bedeutungslos, weil der vom Antragsteller gewünschte Schluß nicht zwingend sei und vom Gericht nicht gezogen werde. Vielmehr wäre es in solchen Fällen sachgerecht gewesen, den Beweisantrag als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos zu behandeln, weil die unter Beweis gestellte Hilfstatsache (z. B. beim Beweisantrag I. 1. der Revisionsbegründung: die unzutreffende Beschreibung des Geldbeutels) selbst im Falle ihres Erwiesenseins im Ergebnis nichts bringe, weil sie die Beweiswürdigung des Gerichts zu der Aussage der Zeugin über das Eingeständnis der Täterschaft nicht zu beeinflussen vermöge (vgl. Herdegen aaO Rdn. 74).
Dagegen führt die Sachrüge zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen Totschlags, weil der Tötungsvorsatz unzureichend festgestellt ist. Das Landgericht hat das Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes aus den massiven Gewalteinwirkungen (mehrfache, erhebliche stumpfe Gewalt insbesondere durch Fußtritte auf Gesicht, Hals und den sonstigen Körper) gefolgert und ergänzend ausgeführt, daß für einen Tötungsvorsatz auch das Nachtatverhalten spreche, bei dem der Angeklagte das Opfer halb entkleidete und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt zwischen der Bordsteinkante und einem geparkten Auto ablegte, so daß "auch in jedem Fall ein Erfrieren als mögliche Todesursache in Betracht gekommen wäre" (UA S. 32).
1. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluß auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt, doch ist dieser nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50 m. w. N.). Hier fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der erheblichen Alkoholisierung; ihrer hätte es um so mehr bedurft, als für das Vorgehen des Angeklagten gegen seinen Zechkumpanen ein Motiv nicht festgestellt werden konnte. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte in dieser Nacht eine erhebliche, im einzelnen nicht mehr feststellbare Menge Alkohol zu sich genommen; der beim Opfer festgestellte Blutalkoholwert von 3,57 ‰ sprach dafür, daß auch der mit ihm zechende Angeklagte viel getrunken hatte (UA S. 33). Der Sachverständige hat daher eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB aufgrund einer Alkoholintoxikation angenommen. Bei dieser Sachlage versteht es sich nicht von selbst, daß der "in Wut geratene" (UA S. 13), eine dissoziale Persönlichkeitsstruktur aufweisende Angeklagte trotz seiner erheblichen Alkoholisierung erkannt hatte, daß seine Gewalthandlungen zum Tod des Begleiters führen könnten, und diese Folge auch billigend in Kauf genommen hatte (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 26). Wenn ein Täter durch Alkohol oder andere Rauschmittel in seiner Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt war, obliegen dem Tatgericht besondere Begründungsanforderungen, wenn es das Wissenselement des bedingten Vorsatzes aus der objektiven Gefährlichkeit seiner Handlung herleiten will (vgl. Schroth NStZ 1990, 324, 325 m. w. N.).
2. Rechtlich bedenklich ist weiter die zusätzliche Erwägung der Strafkammer, das Ablegen des nur halb bekleideten Opfers bei tiefen Temperaturen spreche für einen Tötungsvorsatz, da auch ein Erfrieren als Todesursache in Betracht komme. Dabei fehlt es an der Feststellung der Vorstellungen des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt. Denn nur wenn der Angeklagte das Opfer noch nicht für tot gehalten und weiterhin erkannt hatte, daß durch das teilweise Entkleiden und Ablegen bei tiefen Temperaturen der Todeseintritt infolge Erfrieren eintreten könne, wäre ein solcher Schluß gerechtfertigt. Hatte der Angeklagte seinen Begleiter aber bereits für tot gehalten, gäbe sein späteres Verhalten für die Begründung eines Tötungsvorsatzes nichts her.
Da die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf, insbesondere zur Täterschaft und dem Fehlen einer Notwehrlage, von diesem Rechtsfehler nicht betroffen sind, können sie aufrechterhalten werden. Im übrigen gibt das angefochtene Urteil Anlaß zu folgenden Hinweisen:
1. Nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO sind die Umstände, die für die Strafzumessung von Bedeutung sind, anzuführen. Dazu gehören die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten, die das Gericht festzustellen hat. Die Feststellung kann jedoch nicht dadurch ersetzt werden, daß lediglich Angaben des Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen in indirekter Rede - noch dazu unnötig ausführlich - mitgeteilt werden, ohne daß das Gericht zu erkennen gibt, inwieweit es den Inhalt als festgestellt erachtet oder nicht. Ein Urteil soll nicht den Gang von Ermittlungen dokumentieren, sondern das Ergebnis der Beweisaufnahme in dem Umfang mitteilen, der nach Sachlage geboten ist. Bei der Darstellung der persönlichen Verhältnisse genügt dabei regelmäßig ein relativ kurz zusammengefaßter Lebenslauf.
2. Die Beweiswürdigung des Urteils ist nur mit Mühe nachzuvollziehen.
Eine zusammenhängende Darstellung der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und im Ermittlungsverfahren fehlt. Das Beweisergebnis wird im wesentlichen so dargestellt, daß zunächst die Aussage der Zeugin W. wiedergegeben und sodann im Rahmen der Überprüfung dieser Aussage das übrige Beweisergebnis in unübersichtlicher Weise und kaum gegliedert eingeflochten wird. Die Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren muß der Leser stückweise zusammensuchen. Sollte dieser Vorgehensweise die Vorstellung zugrundegelegen haben, nach dem Widerruf des Geständnisses sei die Ehefrau des Angeklagten die "einzige Belastungszeugin", wie dies auch in der Revisionsbegründung anklingt (S. 5), ist darauf hinzuweisen, daß ein Geständnis nach der deutschen Strafprozeßordnung durch einen Widerruf nicht beseitigt wird, sondern nach § 261 StPO der Beweiswürdigung in vollem Umfang zugrunde gelegt werden kann. Der Tatrichter hat lediglich - wie auch bei einem nicht widerrufenen Geständnis - dessen Richtigkeit zu überprüfen und dabei zusätzlich die Umstände und Gründe des Widerrufs einzubeziehen.
Daher hätte es nahe gelegen, auch hier - wie allgemein üblich - mit der Einlassung des Angeklagten zu beginnen und sich sodann mit der Frage zu befassen, inwieweit das Geständnis überzeugend ist, insbesondere ob es durch weitere Beweismittel (hier etwa die vom Landgericht nur beiläufig erwähnten Blutspuren des Tatopfers an der Hose des Angeklagten) bestätigt oder in Frage gestellt wird. Auf diese Weise hätte sich die Beweiswürdigung verständlicher und wesentlich kürzer darstellen lassen.
3. Bei der rechtlichen Würdigung ist in sachlogischer Reihenfolge vorzugehen.
Dem wird das Urteil nicht gerecht, das zunächst das Vorliegen von Mordmerkmalen erörtert und verneint, sich sodann der Möglichkeit einer Rechtfertigung durch Notwehr zuwendet, um erst daran anschließend den Tötungsvorsatz zu prüfen (und in diesem Zusammenhang die - allerdings rechtsfehlerhafte - Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite nachzuholen).
4. Für die strafschärfende Berücksichtigung einer besonders hohen kriminellen Energie durch das Ablegen des teilweise entkleideten Opfers bei tiefen Temperaturen gelten die oben unter II. 2. genannten Bedenken entsprechend.
Externe Fundstellen: NStZ 2004, 51; StV 2003, 150
Bearbeiter: Ulf Buermeyer