Bearbeiter: Tilo Mühlbauer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 161/02, Urteil v. 05.12.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. Dezember 2001 wird
a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall 21 der Urteilsgründe (Abrechnungserklärungen vom 15. April 1999) wegen Betruges verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) der Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des Betruges in 20 und des versuchten Betruges in 16 Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 21 Fällen sowie wegen versuchten Betruges in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, bleibt im wesentlichen ohne Erfolg. Die Verfahrensrügen sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auch mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts hat die Revision abgesehen von der Einstellung des Verfahrens im Fall 21 der Urteilsgründe und der dadurch veranlaßten Änderung des Schuldspruchs - keinen Erfolg.
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte eröffnete im Jahr 1997 eine Zahnarztpraxis als reine Privatpraxis, weil er einen Antrag auf Zulassung als Kassenarzt wegen seiner Vorstrafen nicht als erfolgversprechend ansah. Um auch Kassenpatienten behandeln und die für diese erbrachten Leistungen abrechnen zu können, setzte er ab Ende 1997 den als Kassenarzt zugelassenen Zeugen R. , der seine eigene Zahnarztpraxis wegen hoher Schulden und fehlender Einnahmen hatte aufgeben müssen, in seiner Praxis gegen eine monatliche Zahlung von 6.000 DM als "Strohmann" ein. Der Angeklagte behandelte neben den Privatpatienten 90 % der Kassenpatienten, R. nur die restlichen 10 %. Entsprechend der von beiden getroffenen Abrede rechnete R. jedoch gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung N. (im folgenden: KZV) auch die vom Angeklagten durchgeführten Behandlungen als eigene ab.
Auf diese Weise wurden der KZV im Zeitraum vom 12. Januar 1998 bis 10. April 2000 in 37 Fällen von R. unterzeichnete Leistungsanträge vorgelegt. Die KZV zahlte nach Prüfung der Unterlagen Honorare in Höhe von insgesamt rund 1,26 Millionen DM an R. aus. Das Geld vereinnahmte - abgesehen von der monatlichen Zahlung von 6.000 DM an R. - der Angeklagte für sich.
Bereits in einer bei der KZV im August 1998 eingegangenen und an die Staatsanwaltschaft weitergeleiteten anonymen Anzeige wurde der Angeklagte bezichtigt, Behandlungen von Kassenpatienten über einen anderen Kassenarzt abzurechnen. Da der Name des Kassenarztes nicht mitgeteilt war, wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Nachdem in einer weiteren, direkt an die Staatsanwaltschaft gerichteten anonymen Anzeige der Name des abrechnenden Kassenzahnarztes mit "R. " genannt worden war, nahm sie die Ermittlungen wieder auf und unterrichtete die KZV am 20. April 1999. Diese stellte daraufhin hausinterne Ermittlungen an. Aufgrund der durch sie gewonnenen Erkenntnisse faßte ihr Vorstand am 16. Juni 1999 den Beschluß, 50 % der beantragten Leistungen, jedoch entsprechend den maßgeblichen Satzungsregeln maximal 50.000 DM einzubehalten und nur die darüber hinaus gehenden Beträge auszubezahlen. Die KZV hatte, nachdem sie in früheren Fällen bei einer restriktiveren Vorgehensweise in Gerichtsverfahren unterlegen war, in der Satzung festgelegt, daß eine Zurückbehaltung nur bei sehr dichtem Verdacht und nur auf Grund eines Vorstandsbeschlusses möglich sei.
Das Landgericht hat angenommen, daß für die Zeit vor der Unterrichtung über die zweite anonyme Anzeige am 20. April 1999 die KZV die Auszahlungen aufgrund eines Irrtums im Sinne des § 263 StGB veranlaßt habe: Ein Irrtum sei auch dann gegeben, wenn der Getäuschte - wie hier - die behaupteten Tatsachen bezweifele, aber gleichwohl die Möglichkeit der Unwahrheit für geringer erachte. Die Strafkammer hat daher die Einreichung von Abrechungen in diesem Zeitraum als 21 Fälle des vollendeten Betrugs abgeurteilt. Dagegen hat sie für die nachfolgenden 16 Abrechnungen nur versuchten Betrug bejaht, weil die Entscheidungsträger der KZV auf Grund der zweiten Anzeige einen verstärkten Verdacht gehegt hätten und davon ausgegangen seien, daß die Abrechnungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht den Tatsachen entsprochen hätten. Die späteren Leistungen seien somit nicht mehr durch einen Irrtum veranlaßt gewesen.
II. Der Schuldspruch hält - in dem durch die teilweise Einstellung des Verfahrens beschränkten Umfang - der rechtlichen Nachprüfung aufgrund der Sachrüge stand.
1. Zum Irrtum:
Das Landgericht hat, soweit es die vor dem 20. April 1999 bearbeiteten Abrechungsanträge (Fälle 1 bis 20) betrifft, ohne Rechtsfehler angenommen, daß die Sachbearbeiter der KZV die Auszahlungen trotz des bereits entstandenen, bis dahin allerdings noch relativ vagen Verdachts auf Grund eines täuschungsbedingten Irrtums veranlaßt hatten. Soweit es für die späteren Abrechnungen (Fälle 22 bis 37) wegen des durch die zweite Anzeige verstärkten und konkretisierten Verdachts einen Irrtum im Sinne des § 263 StGB aus Rechtsgründen verneint und den Angeklagten nur wegen versuchten Betrugs verurteilt hat, ist dieser nicht beschwert, so daß für die Entscheidung über seine Revision offen bleiben kann, ob es dabei nicht von einem zu engen Maßstab ausgegangen ist.
a) Zur Bedeutung von Zweifeln für die Annahme eines Irrtums:
Welchen Einfluß beim Betrugstatbestand Zweifel des Opfers an der Wahrheit der vorgetäuschten Tatsache auf die Annahme eines Irrtums haben, ist in der Literatur umstritten.
Die herrschende Lehre geht davon aus, daß auch der Zweifelnde im Sinne des § 263 StGB irre und Zweifel solange irrelevant seien, als er die Wahrheit der Tatsache noch für möglich halte. Der Getäuschte falle der List des Täters auch dann zum Opfer, wenn er trotz seiner Zweifel infolge der Täuschung die Vermögensverfügung vornehme. Ein tatbestandsmäßiger Irrtum sei erst dann nicht mehr gegeben, wenn er zwar die vorgespiegelte Tatsache für möglich halte, jedoch zur Frage der Wahrheit innerlich nicht Stellung beziehe, ihm der Wahrheitsgehalt gleichgültig sei und er die Vermögensverfügung unabhängig von ihrer Wahrheit treffe (vgl. insbesondere Lackner in LK 10. Aufl. § 263 Rdn. 79 ff.; Tiedemann in LK 11. Aufl. § 263 Rdn. 84 ff.; Cramer in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 263 Rdn. 40; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT Bd. 1, 8. Aufl. § 41 Rdn. 59 ff.; Rengier, Strafrecht BT Bd. 1, 4. Aufl. § 13 Rdn. 21; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT Bd. 2, 24. Aufl. § 13 Rdn. 510; jew. m. w. N.).
Demgegenüber vertritt eine Mindermeinung mit durchweg viktimologisch orientierten Erwägungen und im einzelnen differierenden Abgrenzungen die Auffassung, daß der Betrugstatbestand bei zweifelnden Opfern wegen deren verminderter Schutzbedürftigkeit nicht anwendbar sei (Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik S. 131 ff., 147; Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung S. 281 ff.; Kurth, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, S. 175 ff., 183 ff., 194 ff.). Teilweise wird dabei auf den Intensitätsgrad des Zweifels oder auf dessen Konkretisierung abgestellt (Krey, Strafrecht BT Bd. 2, 2. Aufl. Rdn. 373, 374; Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, S. 248).
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stimmt im wesentlichen mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum überein (BGH wistra 1990, 305; 1992, 95, 97; BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 21; vgl. auch BGHSt 2, 325, 326). Allerdings wurden bislang - soweit ersichtlich - nur Fälle entschieden, in denen das Opfer von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Wahrheit der behaupteten Tatsache ("wenn er die Möglichkeit der Unwahrheit für geringer hält") ausgegangen ist.
Dem Senat geben die Ausführungen des Beschwerdeführers keine Veranlassung, von den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Die viktimologisch motivierten Ansätze zur Einschränkung des Betrugstatbestandes wegen geringerer Schutzbedürftigkeit des zweifelnden Tatopfers finden im Wortlaut des § 263 StGB keine Stütze und nehmen den strafrechtlichen Schutz vor Angriffen auf das Vermögen durch Täuschung unangemessen weit zurück. Die These, daß keines Schutzes vor solchen Angriffen bedürfe, wer Zweifel an der Wahrheit einer behaupteten, für seine Entscheidung über eine Vermögensverfügung erheblichen Tatsache hege, trifft nicht zu. Die ihr zugrundeliegende Vorstellung, daß sich das Tatopfer bei solchen Zweifeln vergewissern oder von der schädigenden Vermögensverfügung Abstand nehmen könne, läuft auf eine dem Strafrecht fremde Bewertung eines Mitverschuldens hinaus, das auch sonst nicht tatbestandsausschließend wirkt, und begegnet zudem in ihren tatsächlichen Prämissen Bedenken: Insbesondere in Fällen, in denen das Tatopfer unter Täuschung über das Vorliegen der Voraussetzungen auf gesetzlich oder vertraglich geschuldete Leistungen in Anspruch genommen wird, ist seine Freiheit, die Erfüllung wegen Zweifeln an der Wahrheit der anspruchsbegründenden Behauptungen zu verweigern, faktisch schon durch das mit der Weigerung verbundene Prozeßrisiko begrenzt. Das wird durch die hier vom Landgericht getroffenen Feststellungen anschaulich bestätigt: Danach waren für die KZV in der Vergangenheit gerichtliche Verfahren, in denen sie von Ärzten auf Zahlungen in Anspruch genommen wurde, die sie wegen aufgetretener Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Abrechnungen zurückgehalten hatte, negativ ausgegangen. Gerade aus dieser Erfahrung hatte sie ihre Satzung dahin geändert, daß nur bei Vorliegen eines "sehr weit konkretisierten Verdachtes" Zahlungen zurückgehalten werden dürfen (UA S. 31). Damit ist aber die Entscheidungssituation für den Sachbearbeiter der KZV in gewisser Weise mit der eines Richters vergleichbar, der im Sinne des § 263 StGB auch dann irrt, wenn er Zweifel an der Richtigkeit des vom Kläger behaupteten Sachverhalts hat, der Klage aber stattgeben muß, weil der Beklagte säumig ist oder die Beweislast ausnahmsweise diesen trifft (vgl. zum Irrtum beim Prozeßbetrug Tiedemann aaO Rdn. 86; Cramer aaO Rdn. 51; Amelung GA 1977, 16).
Danach spielt es für die Tatbestandsmäßigkeit - entgegen dem Vorbringen der Revision - keine Rolle, ob die Entscheidungsträger der KZV bei sorgfältiger Prüfung die Täuschung durch den Angeklagten und seinen Mittäter R. hätten erkennen können, denn selbst leichtfertige Opfer werden durch das Strafrecht geschützt (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 199, 201; BGH wistra 1992, 95, 97; MDR 1972, 387 m. w. N.).
Zur Frage, bis zu welcher Intensität Zweifel des Getäuschten die Annahme eines Irrtums nicht ausschließen oder - umgekehrt - mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit er die behauptete Tatsache für wahr halten muß, damit ein Irrtum bejaht werden kann, neigt der Senat in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit der oben dargestellten herrschenden Meinung in der Literatur zu der Auffassung, daß - über die bislang vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fälle hinaus - Zweifel solange nicht geeignet sind, die Annahme eines tatbestandsmäßigen Irrtums in Frage zu stellen, als das Opfer gleichwohl noch die Wahrheit der behaupteten Tatsache für möglich hält und deswegen die Vermögensverfügung trifft, also trotz seiner Zweifel, seien sie auch noch so erheblich, der List des Täters zum Opfer fällt (Lackner aaO). Auch bei einem solchen Geschädigten ist noch eine Fehlvorstellung vorhanden, die für die Vermögensverfügung ursächlich wird und unter den tatbestandlichen Begriff des Irrtums subsumiert werden kann. Hinzu kommt, daß erhebliche praktische Bedenken gegen eine Abgrenzung nach Wahrscheinlichkeitsgraden bestehen. Diese ließen sich begrifflich schwer fassen und würden Feststellungen erforderlich machen, die über die Grenzen dessen hinausgingen, was die Beweisaufnahme leisten kann.
Die Frage braucht indes hier nicht abschließend entschieden zu werden. Auch ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung, nach der ein Argwohn des Tatopfers für das Tatbestandsmerkmal des Irrtums jedenfalls dann unschädlich ist, wenn es die Möglichkeit der Unwahrheit für geringer hält als die der Wahrheit, ist die Annahme eines Irrtums und eines vollendeten Betrugs in den Fällen 1 bis 20 nicht zu beanstanden. Es liegt auf der Hand, daß durch die im August 1998 eingegangene anonyme Anzeige, die den Angeklagten namentlich nannte, aber keinen Hinweis darauf enthielt, über welchen zugelassenen Kassenarzt er von ihm erbrachte Leistungen abrechnete, kein mit der Prüfung von Abrechnungen des R. befaßter und für die Auszahlungsanordnung zuständiger Mitarbeiter der KZV auf den Gedanken verfallen ist, daß gerade in dessen Anträgen die vom Angeklagten durchgeführten Behandlungen abgerechnet sein könnten, und diesen Sachverhalt dann auch noch als wahrscheinlicher angesehen hat als die von R. behauptete Selbsterbringung der Leistungen. Ebendies bringt das angefochtene Urteil mit der Feststellung, daß die "maßgeblichen Entscheidungsträger" in der KZV vor dem 20. April 1999 allenfalls einen vagen Verdacht hatten, noch hinreichend deutlich zum Ausdruck. Etwas anderes läßt sich im übrigen auch dem Vorbringen der Revision nicht entnehmen, die sich insofern im Kern ihrer Ausführungen auf den Vorwurf beschränkt, den zuständigen Mitarbeitern hätten bei sorgfältigerer Prüfung Zweifel kommen können und müssen, die, wie sie - allerdings zu Unrecht -meint, einen Irrtum ausgeschlossen hätten.
Soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen 22 bis 37 wegen des nunmehr verstärkten und in Richtung des R. konkretisierten Verdachts nur wegen versuchten Betrugs verurteilt hat, liegt nahe, daß es gemessen an den vorstehenden Maßstäben zu strenge Anforderungen an die Annahme eines täuschungsbedingten Irrtums gestellt hat. Hierdurch ist der Angeklagte jedoch nicht beschwert.
b) Zur gerichtlichen Feststellung des Irrtums:
Der Bestand des angefochtenen Urteils wird im Ergebnis auch nicht dadurch gefährdet, daß es das Landgericht unterlassen hat, in den Urteilsgründen im einzelnen darzustellen, wer in den Abrechnungsfällen jeweils die "maßgeblichen Entscheidungsträger" innerhalb der KZV gewesen waren und welche konkreten Vorstellungen diese über die Wahrheit der Angaben in den Anträgen hatten.
aa) Da der Tatbestand des Betrugs voraussetzt, daß die Vermögensverfügung durch den Irrtum des Getäuschten veranlaßt worden ist, müssen die Urteilsgründe regelmäßig darlegen, wer die Verfügung getroffen hat und welche Vorstellungen er dabei hatte. Die Überzeugung des Gerichts, daß der Verfügende einem Irrtum erlegen war, wird dabei in aller Regel dessen Vernehmung erfordern. Nur in einfach gelagerten Fällen - insbesondere bei der betrügerischen Erschleichung von Leistungen zum Nachteil von Unternehmen, in denen die Prüfung der anspruchsbegründenden Voraussetzungen in einem standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten Abrechnungsverfahren erfolgt - wird sich die tatrichterliche Überzeugung je nach den näheren Umständen ausnahmsweise auch in anderer Weise gewinnen lassen, etwa durch Vernehmung eines Abteilungsleiters oder Innenrevisors, der betriebsintern die Schadensfälle bearbeitet hatte und von daher zu den Vorstellungen der einzelnen Sachbearbeiter berichten kann (vgl. BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 9). Eine solche mittelbare Beweiserhebung wird jedoch dann nicht ausreichen, wenn vor der Verfügung ein erheblicher Verdacht einer betrügerischen Täuschung laut geworden ist oder sich sonst Anhaltspunkte für weitergehende Erkenntnisse des konkret für die Verfügung zuständigen Mitarbeiters ergeben haben, da dann fraglich wird, ob dieser noch einem Irrtum erlegen war und durch diesen zur Verfügung veranlaßt worden ist.
Bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen, Körperschaften und Personenmehrheiten wird in der Regel auch festzustellen sein, wer im konkreten Fall auf welcher Grundlage und mit welchen Vorstellungen die Entscheidung über die Erbringung der vom Täter erstrebten Leistung getroffen und damit die Verfügung vorgenommen hat. Im allgemeinen werden Prüfungen und Auszahlungsanordnungen auf der üblicherweise dafür vorgesehenen Sachbearbeiterebene getroffen. Im Einzelfall kann die Entscheidung aber auch - etwa wegen der Größenordnung eines Geschäfts oder auf Grund eines geschöpften Verdachts - einer vorgesetzten Ebene vorgelegt worden sein, die dann die Entscheidung selbst trifft oder dem Sachbearbeiter Weisung für die Erledigung des Vorgangserteilt. In diesen Fällen kann die Beurteilung der Irrtumsfrage sich insbesondere dann als problematisch erweisen, wenn entweder nachgeordnete Hilfspersonen oder Vorgesetzte bessere Erkenntnisse als der irrende Verfügende gehabt und unter Verstoß gegen ihre dienstlichen Pflichten eine entsprechende Information oder Weisung zur Verhinderung einer Verfügung unterlassen haben (vgl. Tiedemann aaO, Rdn. 82 m. w. N.).
bb) Das angefochtene Urteil gibt auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keine Veranlassung, zu diesen zum Teil noch wenig geklärten Rechtsfragen des näheren Stellung zu nehmen:
Für die Fälle 1 bis 20 reichen die allerdings recht pauschalen Feststellungen noch aus. Ihre - hier für die Annahme eines Irrtums genügende (s. o. zu Buchst. a)) - Überzeugung, daß die "maßgeblichen Entscheidungsträger" innerhalb der KZV vor dem 20. April 1999 lediglich einen vagen Verdacht hatten, hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler dadurch gewonnen, daß sie fünf in unterschiedlichen Funktionen - vom Hauptgeschäftsführer bis zur Leiterin des Prüfungswesens - tätige Zeugen vernommen und sie insbesondere auch zur Behandlung und Bewertung der ersten anonymen Anzeige befragt hat. Da sich dabei keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, daß es innerhalb der KZV weitergehende Erkenntnisse gegeben haben könnte, durfte die Strafkammer angesichts des standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahrens auch ohne namentliche Feststellung und Vernehmung der einzelnen Sachbearbeiter den Schluß ziehen, daß auch diese allenfalls einen lediglich vagen Verdacht hatten, der - wie dargelegt - einen Irrtum nicht in Frage stellt.
Für die nach dem 20. April 1999 bearbeiteten Anträge (Fälle 21 bis 37) hätte das Landgericht dagegen - angesichts des nunmehr deutlich stärkeren Verdachts - auf die Feststellung der jeweils verfügenden Mitarbeiter und deren Vorstellungen über die Wahrheit der behaupteten Tatsachen nicht verzichten dürfen, wenn es den Angeklagten wegen vollendeter Betrugstaten hätte verurteilen wollen. Da die Strafkammer indes für diesen Zeitraum ohnehin einen Irrtum verneint und daher nur versuchten Betrug angenommen hat, kommt es auf die tatsächlichen Vorstellungen der Mitarbeiter der KZV ohnehin nicht an. Vielmehr genügt, daß der Angeklagte mit einem Irrtum der zuständigen Sachbearbeiter rechnete oder ihn jedenfalls ernsthaft für möglich hielt. Das hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.
Zum Vermögensschaden:
Die Strafkammer hat in der Auszahlung der Honorare an den Zeugen R. für die Leistungen, die der Angeklagte als Nichtkassenarzt erbracht hatte, ohne Rechtsfehler einen entsprechenden Vermögensschaden gesehen. Nach der für den Bereich des Sozialversicherungsrechts geltenden streng formalen Betrachtungsweise (vgl. BGH NStZ 1995, 85 f.) genügt hierfür bereits der Umstand, daß der Angeklagte ohne kassenärztliche Zulassung nicht berechtigt ist, an der durch die KZV erfolgten Verteilung der von den Kassen bezahlten Honorare teilzunehmen. Dabei spielt es keine Rolle, daß den Kassen infolge der Behandlung ihrer Patienten durch den Angeklagten Aufwendungen in möglicherweise gleicher Höhe erspart blieben, die ihnen durch die Behandlung durch einen anderen, bei der Kasse zugelassenen Arzt entstanden wären. Denn eine solche Kompensation findet bei der Schadensberechnung nicht statt (BGH NStZ 1995, 85, 86), zumal ein anderer hypothetischer Sachverhalt zugrunde gelegt wird und offen bleiben muß, ob ein anderer Arzt die gleiche Behandlungsweise gewählt hätte.
Soweit der Beschwerdeführer Bedenken gegen diese streng formale sozialversicherungsrechtliche Betrachtungsweise anmeldet und unter Bezugnahme auf Stimmen aus dem strafrechtlichen Schrifttum (vgl. Volk NJW 2000, 3385 ff.) Einschränkungen verlangt, kann offen bleiben, ob dem zu folgen ist. Die Notwendigkeit von Einschränkungen wird diskutiert für Fälle des Abrechnungsbetrugs begangen durch Ärzte, die sich als Partner einer zugelassenen Gemeinschaftspraxis ausgaben, in Wahrheit aber lediglich Angestellte waren und denen deshalb vorgeworfen wurde, sich die Zulassung erschlichen zu haben (vgl. OLG Koblenz, MedR 2001, 144 f.). In solchen Fällen mag tatsächlich zweifelhaft sein, ob der Irrtum der Verantwortlichen bei der Kassenärztlichen Vereinigung nicht allein eine "Statusfrage", nicht aber die Abrechnungsvoraussetzungen betrifft und ob nicht die Auszahlung des Honorars deswegen auch keinen Vermögensschaden begründet. Daraus läßt sich aber für die Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten nichts ableiten. Anders als die Ärzte in den genannten Fällen, die immerhin wirksam zugelassen waren und im übrigen - nach Genehmigung - auch als Angestellte eines Kassenarztes hätten tätig werden dürfen, gehört der Angeklagte nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten; mit den Abrechnungen, die er und der Mittäter R. vorgelegt haben, ist nicht lediglich über berufsständische "Statusfragen" getäuscht worden.
III. Im Fall 21 hat der Senat das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, weil hierzu dem Urteil nicht zu entnehmen ist, ob über den vor dem 20. April 1999 eingereichten Antrag vor oder erst nach diesem Zeitpunkt entschieden worden ist. Davon könnte aber - wie dargestellt - abhängen, ob die getroffenen Feststellungen ausreichen, um die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Betrugs auch in diesem Fall zu tragen.
IV. Zum Strafausspruch hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung insbesondere erheblich zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, daß er fachgerechte ärztliche Behandlungen durchgeführt und objektiv die abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht hat. Auch die Gesamtstrafe hat Bestand, da der Senat ausschließen kann, daß das Landgericht bei Wegfall der Einzelstrafe von neun Monaten im Fall 21 angesichts der verbliebenen 36 weiteren Einzelstrafen zu einer niedrigeren Gesamtstrafe gelangt wäre.
Externe Fundstellen: NJW 2003, 1198; NStZ 2003, 313; StV 2003, 276
Bearbeiter: Tilo Mühlbauer