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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 7/01, Urteil v. 25.04.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 7/01 - Urteil v. 25. April 2001 (LG Düsseldorf)

Garantenstellung des Wohnungsinhabers; Besondere Umstände (Wohnung als Gefängnis; Psychische Machtstellung)

§ 13 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Inhaber einer Wohnung oder sonstiger Räume hat nur dann für in diesen Räumen begangene Rechtsgutsverletzungen strafrechtlich einzustehen, wenn besondere Umstände hinzutreten, die eine Rechtspflicht zum Handeln begründen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 30. März 2000 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit die Angeklagte K. nicht wegen Beteiligung an einem Tötungsdelikt zum Nachteil der Frau R. verurteilt worden ist; die äußeren Feststellungen zum Tötungsgeschehen bleiben aufrechterhalten;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die Revision der Angeklagten K. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Mitangeklagte S. wegen Mordes und wegen gefährlicher Körperverletzung in sechs Fällen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe und die Angeklagte K. wegen Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen haben beide Angeklagte und die Staatsanwaltschaft - diese, soweit eine Verurteilung der Angeklagten K. wegen versuchten Mordes unterblieben ist - Revision eingelegt. Der Senat hat das Rechtsmittel der Angeklagten S. mit Beschluß vom heutigen Tage nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen und auf die die Angeklagte K. betreffenden Revisionen Termin zur Hauptverhandlung bestimmt. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, das der Angeklagten K. erweist sich als unbegründet.

I.

Nach den Feststellungen lernte die in einer Notunterkunft der Stadt Düsseldorf lebende Angeklagte S. im Sommer 1998 das in ihrer Nachbarschaft wohnende spätere Tatopfer R. kennen, eine schmächtige, einfach strukturierte und antriebsarme Frau, die zur Orientierung im Alltag sozialer und psychotherapeutischer Betreuung bedurfte. Bald bemerkte die - körperlich überlegene - Angeklagte S., daß sie Dominanz über R. gewann, die sich ihren Launen und Forderungen widerspruchslos in einer unterwürfigen Demutshaltung unterordnete. Sie vereinnahmte nicht nur deren Sozialhilfeleistungen, sondern begann - zum Teil unter Mitwirkung weiterer Personen - alsbald damit, R. brutal und erbarmungslos durch Prügel und andere Übergriffe (Fußtritte, Zufügung von Brandwunden durch glimmende Zigaretten, demütigende sexuelle Gewalthandlungen u.ä.) zu mißhandeln, wobei sie auch wiederholt ankündigte, daß sie sie umbringen werde. Der von dem Leiter der Notunterkunft auf Grund der äußerlich sichtbaren Verletzungen eingeschalteten Sozialarbeiterin gelang es nicht, den Grund der Verletzungen zu erfahren und R. zu einer ärztlichen Untersuchung zu bewegen. Vielmehr entschloß sich die Angeklagte S., um weiteren behördlichen Nachforschungen zu entgehen, gemeinsam mit ihrem Opfer die Notunterkunft zu verlassen und in die Wohnung der ihr bekannten Angeklagten K. zu ziehen. Diese sah zwar die Verletzungen und erfuhr auch deren Grund, doch konnte die Strafkammer nicht feststellen, daß sie auch den Grund des Umzugs und die Absicht, die Mißhandlungen ungestört fortsetzen zu können, erkannt hat. Nachdem die Angeklagte S. alsbald die gewaltsamen Übergriffe und demütigenden Schikanen wieder aufgenommen hatte, schloß sich die 192 cm große und 145 kg schwere, im "Thai-Boxen" ausgebildete Angeklagte K. einerseits ihrem Verhalten an und beteiligte sich daran, R. grundlos oder aus nichtigen Anlässen körperlich brutal durch Schläge und Tritte zu mißhandeln und durch Befehle entwürdigend zu behandeln (z.B. durch die gemeinsame Anordnung, sich in der Küche unter dem Tisch nur mit einem Müllsack bedeckt zum Schlafen zu legen, oder den Befehl, Blutspritzer auf Boden und Decke selbst aufzuwischen). Andererseits versuchte die Angeklagte K. wiederholt, aber erfolglos, der Angeklagten S. Einhalt zu gebieten und das Opfer einer ärztlichen Behandlung zuführen zu lassen. Dabei war ihr bewußt, daß jede weitere körperliche Mißhandlung angesichts des sehr schlechten körperlichen Zustandes der erheblich abgemagerten und vielfach verletzten R. zum Tode führen könne. Sie wies die Angeklagte S. mehrfach darauf hin, daß das Opfer bei einer Fortführung der Mißhandlungen sterben werde und sie hierfür "ins Gefängnis müsse". Die Angeklagte S. ließ sich dadurch jedoch nicht abhalten und erklärte, "ihr sei es scheißegal, was mit dem Vieh geschehe, sie könne ruhig krepieren, sie werde die Leiche in den Rhein werfen". An konkretisierten Körperverletzungshandlungen der Angeklagten K. hat die Strafkammer vier Vorfälle festgestellt, bei denen sie einmal R. mit einem abgebrochenen Antennenstab geschlagen (Fall II 2 c der Urteilsgründe), mit dem beschuhten Fuß heftig getreten (Fall II 2 g) und zweimal versucht hat, eine stark blutende Kopfplatzwunde des Opfers mit nichtsterilem Haushaltsnähzeug zu vernähen (Fälle II 2 h und j). Am 10. November 1998 ist R. an den Folgen der von der Angeklagten S. zugefügten Mißhandlungen gestorben.

Das Landgericht hat die Angeklagte K. wegen der vier festgestellten Körperverletzungshandlungen verurteilt, eine strafrechtliche Mitverantwortung für den Tod des Opfers jedoch verneint. Es vermochte weder festzustellen, daß die von ihr verübten Tätlichkeiten für den Todeseintritt mitursächlich, noch daß sie von einem zumindest bedingten Tötungsvorsatz getragen gewesen sind. Auch sei nicht nachweisbar, daß sie bei der Aufnahme der Angeklagten S. und ihres Opfers R. deren Gründe für den Umzug, nämlich die Mißhandlungen in einer Privatwohnung unbeeinträchtigt von behördlichen Eingriffen fortsetzen zu können, gekannt habe und durch die Wohnungsgewährung unterstützen wollte. Schließlich sei auch nicht festzustellen gewesen, daß sich die von der Angeklagten K. verübten Einwirkungen auf das Opfer, nämlich Drohungen, Schikanen und Tätlichkeiten, auf die Bereitschaft der Angeklagten S., R. bis zum Todeseintritt weiter zu mißhandeln, fördernd ausgewirkt hätten. Beihilfe zum Mord durch Unterlassen könne auch nicht darin gesehen werden, daß sie als Wohnungsinhaberin es unterlassen habe, der Angeklagten S. den weiteren Aufenthalt in ihrer Wohnung zu untersagen oder für R. Hilfe herbeizuholen, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 30, 391, 396) der Inhaber einer Wohnung nicht ohne weiteres rechtlich dafür einzustehen habe, daß Dritte in seinen Räumen keine Straftaten begehen. Daß die Wohnung eine besondere Gefahrenstelle im Sinne dieser Rechtsprechung gewesen sei, lasse sich nicht feststellen.

II. Revision der Staatsanwaltschaft:

Die Rüge der Staatsanwaltschaft, Beihilfe zum Mord sei mit unzureichender Begründung verneint worden, greift im Ergebnis durch.

Dadurch, daß die Strafkammer unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich geprüft hat, ob die Wohnung der Angeklagten wegen ihrer besonderen Beschaffenheit oder Lage eine Gefahrenquelle bildete, hat sie einen zu engen Prüfungsmaßstab für das Vorliegen einer Garantenstellung des Inhabers einer Wohnung angelegt.

Nach der Rechtsprechung hat der Inhaber einer Wohnung oder sonstiger Räume nur dann für in diesen Räumen begangene Rechtsgutverletzungen strafrechtlich einzustehen, wenn besondere Umstände hinzutreten, die eine Rechtspflicht zum Handeln begründen (BGHSt 30, 391, 395 f.). In dieser Entscheidung des erkennenden Senats, die den Sonderfall zum Gegenstand hatte, daß die gefährdete Person ohne Zutun der Inhaber der Wohnung in deren Räume gelangt war, hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, daß sich eine Garantenpflicht des Wohnungsinhabers (auch) ergeben könne, wenn die Wohnung wegen ihrer besonderen Beschaffenheit oder Lage eine Gefahrenquelle darstelle, allerdings das Vorliegen dieser Voraussetzung bei dem gegebenen Sachverhalt den bisherigen Feststellungen nicht entnehmen können. Damit ist nur ein dort nach Sachlage in Betracht kommender Anwendungsfall des Vorliegens besonderer zur Wohnungsinhaberschaft hinzutretender Umstände formuliert worden, nicht kann dem aber entnommen werden, daß nur bei Vorliegen einer derart beschriebenen Gefahrenquelle eine Garantenhaftung angenommen werden könne. Dementsprechend hat der Senat in dieser Entscheidung weitere Fälle zitiert, in denen nach der bisherigen Rechtsprechung solche besondere Umstände angenommen worden waren, die insbesondere in den besonderen persönlichen Beziehungen des Wohnungsinhabers zu dem Rechtsgutverletzer oder zum Opfer gelegen haben, ohne sich von dieser früheren Rechtsprechung zu distanzieren. Insbesondere hat er auch auf den Fall in BGHSt 27, 10 ff. hingewiesen, in dem die besonderen Umstände in der Aufnahme des Opfers in den Schutzbereich der Wohnung gesehen worden sind.

Hier waren nach den Feststellungen Besonderheiten gegeben, die eine Prüfung daraufhin erfordert hätten, ob in ihnen nicht besondere Umstände zu sehen sind, die eine Garantenstellung des Wohnungsinhabers begründen können. Die Angeklagte K. hat danach R. nicht nur gemeinsam mit der Angeklagten S. nach deren Auszug aus der Notunterkunft in ihre Wohnung aufgenommen, sondern sich alsbald an der "Versklavung" des Opfers durch die Angeklagte S. aktiv beteiligt, indem sie auch selbst R. bedroht und eingeschüchtert, erniedrigenden Befehlen unterworfen (nur mit einem Müllsack bedeckt unter dem Küchentisch schlafen u.ä.) und schließlich auch von sich aus körperlich mißhandelt hat, wenn sie ihren Anordnungen nach ihrer Auffassung nicht nachgekommen war. Damit kommt ernsthaft in Betracht, daß die beiden Angeklagten über R. eine vorrangig psychisch begründete Machtstellung erlangt haben, die diese als ausweglose Situation hingenommen hat, ohne tatsächlich physisch eingesperrt gewesen zu sein, und damit die Wohnung der Angeklagten K. praktisch zu einem Gefängnis für das Opfer geworden ist, was letztlich das weitere - zum Tode führende - Mißhandlungsgeschehen erst ermöglicht hat. Dabei liegt nahe, daß das Unterlegenheitsgefühl von R. während des Aufenthalts in der Wohnung der Angeklagten K. dadurch verstärkt worden ist, daß sich die durch die vorhergehenden Mißhandlungen bereits geschwächte, körperlich ohnehin schmächtige Frau zwei übermächtigen Personen, darunter auch der Inhaberin der Wohnung, gegenüber gesehen hat. Dann aber hätte sich die Angeklagte K. in Kenntnis der lebensbedrohlichen Entwicklung aktiv daran beteiligt, daß ihre Wohnung zur tödlichen Falle für R. geworden ist. Dem stehen die andererseits von ihr unternommenen Versuche, die Angeklagte S. von ihrem Handeln abzubringen, nicht entgegen, da sie letztlich keine Hilfe für das Opfer herbeigeholt hat, obgleich ihr dies bei dem sich über eine Woche hinziehenden Geschehen möglich gewesen sein dürfte. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es für die Annahme einer Hilfeleistung nach § 27 StGB ausreicht, wenn die Förderung der Tat lediglich unterstützend hinzutritt; eine Kausalität in dem Sinne, daß die Haupttat ohne die Beihilfehandlung unterblieben wäre (conditio sine qua non) ist nicht erforderlich (Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 27 Rdn. 2). Da bedingter Vorsatz genügt, steht nicht notwendig entgegen, daß der Gehilfe den Erfolg der Haupttat nicht wünscht oder ihn sogar gegenüber dem Täter ausdrücklich mißbilligt (vgl. Lackner/Kühl, aaO Rdn. 7; BGH bei Holtz, MDR 1990, 293).

Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte K. betrifft. Da der eigentliche strafrechtliche Vorwurf in der Nichtverhinderung des Tötungserfolges liegt, sind die Körperverletzungen demgegenüber selbständige Taten, weshalb der Schuld- und Strafausspruch insoweit aufrechterhalten werden kann.

Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, nochmals die Frage zu prüfen, ob die Angeklagte S. trotz des ambivalenten Verhaltens der Angeklagten K.(einerseits Abwendungsversuche, andererseits eigene Tätlichkeiten und Beteiligung an Schikanen) nicht doch in ihrer Gewaltbereitschaft bestärkt worden ist, weshalb eine Garantenstellung auch insoweit infolge der dadurch eingetretenen Gefahrerhöhung bereits aus pflichtwidrigem Vorverhalten in Betracht kommt (vgl. BGH NJW 1992, 1246).

III. Revision der Angeklagten K.

Die Aufklärungsrüge nach § 244 Abs. 2 StPO wegen unterlassener Betziehung eines zusätzlichen psychologischen Sachverständigen ist unbegründet. Das Landgericht ist auf Grund des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Oberarzt Dr. Kr. zum Ergebnis gekommen, daß eine der in § 20 StGB genannten biologischen Komponenten, insbesondere eine schwere andere seelische Abartigkeit nicht vorgelegen hat. Da auch etwaige gruppendynamische Einflüsse eine solche nicht zu begründen vermögen, drängte nichts zur Einholung eines zusätzlichen psychologischen Gutachtens.

Die Verneinung eines minder schweren Falles der gefährlichen Körperverletzung in den Fällen II 2 h und j der Urteilsgründe beruht auf einer umfassenden, in tatrichterlicher Verantwortung vorzunehmenden Abwägung aller bestimmenden Umstände, die revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Insbesondere hat die Strafkammer berücksichtigt, daß das Verhalten der Angeklagten möglicherweise von der Bereitschaft, durch das Vernähen der Platzwunde Hilfe leisten zu wollen, bestimmt worden ist, jedoch gleichwohl auf Grund der erheblichen erschwerenden Umstände einen minder schweren Fall ohne Rechtsfehler verneint.

Bearbeiter: Rocco Beck