Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 472/00, Beschluss v. 23.11.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 4. Juli 2000
a) im Schuldspruch in den Fällen II. 1., 3. und 4. der Urteilsgründe dahingehend abgeändert, daß der Angeklagte jeweils nur wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes verurteilt wird;
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
aa) soweit der Angeklagte im Fall II. 2. der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen verurteilt wurde;
bb) im gesamten Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in fünf Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern, unter Einbeziehung der vier Einzelgeldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Walsrode vom 3. Dezember 1998 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen Erfolg.
1. In den Fällen II. 1. bis 4. der Urteilsgründe hat die Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu entfallen, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Straftaten nach § 174 Abs. 1 StGB werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht, so daß ihre Verfolgung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB mit Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Tatbeendigung (§ 78 a Satz 1 StGB) verjährt.
Die abgeurteilten Taten zum Nachteil seiner Tochter Silvia hat der Angeklagte Ende 1989 und im Frühjahr 1992 begangen (Fälle II. 1. und 2.), die beiden ersten abgeurteilten Taten zum Nachteil seiner Tochter Stefanie zwischen August 1991 und Sommer 1992 (Fall II. 3.) sowie im Sommer 1993 (Fall II. 4.). Als erste den Lauf der Verjährungsfrist unterbrechende Verfahrenshandlung kommt bezüglich der Taten gegen die Tochter Stefanie aber erst die Vernehmung des Angeklagten am 19. Januar 1999 (§ 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB), hinsichtlich der Taten gegen die Tochter Silvia die Erhebung der Anklage beim Landgericht am 6. Juni 1999 (§ 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) in Betracht. Zu diesen Zeitpunkten war jedoch seit Beendigung der genannten Taten jeweils ein Zeitraum von mehr als fünf Jahren verstrichen, so daß bereits Verfolgungsverjährung eingetreten war.
Dies führt, da beim tateinheitlichen Zusammentreffen mehrerer Gesetzesverletzungen jede ihrer eigenen Verjährung unterliegt (s. nur BGH NStZ 1990; 80, 81), in den Fällen II. 1., 3. und 4. der Urteilsgründe zum Wegfall der Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen, so daß der Schuldspruch in diesen Fällen abzuändern und jeweils auf das Vergehen des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes zu beschränken ist.
Im Fall II. 2. der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten ausschließlich des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen, seiner zum Tatzeitpunkt bereits 14-jährigen Tochter Silvia, schuldig gesprochen. Der Umstand, daß eine Aburteilung dieses Vergehens wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung ausgeschlossen ist, hat entgegen der Ansicht des Generalbundesanwaltes jedoch nicht zur Folge, daß das Verfahren wegen der zugrunde liegenden Tat vom Frühjahr 1992 gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen wäre. Das Landgericht hatte bezüglich dieser Tat die Strafverfolgung gemäß § 154 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 StPO auf den Verstoß gegen § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB beschränkt, weil "die mitangeklagte versuchte sexuelle Nötigung" weder für die festzusetzende Einzelstrafe noch die zu bildende Gesamtstrafe ins Gewicht falle, ist eine Verurteilung nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB wegen Verjährung nicht möglich, ist die nach § 154 a StPO ausgeschiedene Gesetzesverletzung aber wieder in das Verfahren einzubeziehen, um der umfassenden gerichtlichen Kognitionspflicht (§ 264 StPO) zu genügen (vgl. BGHSt 22, 105, 106; 29, 315 ff.; 32, 84, 85). Hierzu ist dem Landgericht durch Aufhebung der Verurteilung in diesem Fall und Zurückverweisung der Sache Gelegenheit zu geben.
Dabei hat sich die Aufhebung auch auf die zugrunde liegenden, für sich rechtsfehlerfreien Feststellungen zu erstrecken, da das Landgericht diese allein mit Blick auf § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB getroffen und daher den tatsächlichen Umständen keine besondere Aufmerksamkeit zugewendet hat, die für eine Aburteilung der Tat als versuchte bzw. - was nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen erscheint - auch vollendete sexuelle Nötigung oder versuchte Vergewaltigung nach §§ 177, 178 StGB a.F. bedeutsam sein können. Das Urteil des 4. Strafsenats vom 15. September 1983 (BGHSt 32, 84) steht dem nicht entgegen. Dieser hat dort lediglich ausgesprochen, daß die rechtsfehlerfreien Feststellungen, auf deren Grundlage der Tatrichter den dortigen Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlages freigesprochen hatte, von der Urteilsaufhebung nicht mitumfaßt werden, wenn die Staatsanwaltschaft mit ihrer erfolgreichen Revision allein geltend macht, daß es der Tatrichter unter Verstoß gegen § 264 StPO unterlassen hatte, den zuvor gemäß § 154 a Abs. 2 StPO aus den Verfahren ausgeschiedenen Vorwurf eines Verstoßes gegen das Waffengesetz wieder einzubeziehen, nachdem er zu dem Ergebnis gelangt war, daß eine Verurteilung wegen versuchten Totschlages nicht in Betracht kommt. Damit ist vorliegender Sachverhalt nicht vergleichbar.
2. Die teilweise Aufhebung und Abänderung des Schuldspruchs führen zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Zwar können auch verjährte Straftaten, wenn auch nicht mit dem ihnen als unverjährte ansonsten zukommenden vollen Gewicht, bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden (s. etwa BGHSt, 41. 305, 309; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 20 und 24). Der Senat kann hier jedoch nicht ausschließen, daß das Landgericht in den Fällen II. 1., 3. und 4. der Urteilsgründe dennoch auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte, wenn es wegen des Eintritts der Verfolgungsverjährung von einem Schuldspruch nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB abgesehen hätte. Auch die Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten im Fall II. 5. der Urteilsgründe kann keinen Bestand haben; denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Höhe dieser Einzelstrafe durch die Höhe der - aufgehobenen - weiteren Einzelstrafen beeinflußt wurde. Einzelstrafen und Gesamtstrafe sind daher insgesamt neu zuzumessen.
3. Im übrigen bleibt die Revision des Angeklagten ohne Erfolg. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keine weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Bearbeiter: Rocco Beck