Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 389/00, Beschluss v. 17.11.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 14. April 2000 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen eines gesamtstrafenfähigen weiteren Urteils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Sachrüge erhebt.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Dies hat bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 29. September 2000 im wesentlichen zutreffend dargelegt. Der näheren Erörterung bedürfen jedoch einige Verfahrensrügen:
1. Die mit Verfahrensrüge Nr. 5 geltend gemachte Verletzung der §§ 240, 338 Nr. 8 StPO hat im Ergebnis keinen Erfolg.
Die Revision beanstandet allerdings zu Recht, daß der Strafkammervorsitzende in der Hauptverhandlung vom 14. März 2000 eine Frage des Verteidigers an den einzigen Belastungszeugen C., dessen Glaubwürdigkeit und deren Überprüfung im Mittelpunkt der gesamten Beweisaufnahme stand, nicht zugelassen und das Landgericht die Zurückweisung der Frage durch Beschluß bestätigt hat, ohne diesen Beschluß zu begründen. Zwar können gemäß § 241 Abs. 2 StPO ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen eines Verteidigers vom Vorsitzenden zurückgewiesen werden, auch hat das Gericht nach § 242 StPO bei Zweifeln über die Zulässigkeit einer Frage zu entscheiden. Der Gerichtsbeschluß, mit dem eine Frage zurückgewiesen wird, ist jedoch zu begründen (vgl. Tolksdorf in KK 4. Aufl. § 241 Rdn. 7). Das Gericht muß insbesondere darlegen, ob es eine Frage als ungeeignet oder nicht zur Sache gehörig ansieht und worauf sich seine Bewertung stützt, da die Gründe für eine solche Wertung je nach Sachlage von ganz verschiedener Art sein können. Die Beteiligten gewinnen erst durch die Mitteilung der für das Gericht maßgebenden Gründe die erforderliche Klarheit und werden gegebenenfalls in die Lage versetzt, ihr Ziel, etwa wie hier, die Überprüfung der Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen, durch eine neue - zulässige - Frage weiter zu verfolgen. Auch das Revisionsgericht wird erst durch eine Begründung, die sich nicht in der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts erschöpfen darf, in die Lage versetzt zu beurteilen, ob der Tatrichter die Rechtsbegriffe der Ungeeignetheit und der nicht zur Sache gehörenden Frage rechtsirrtumsfrei angewendet hat (vgl. BGHSt 2, 284, 286 ff.; 13, 252, 255). Ausweislich des Protokolls hat weder der Strafkammervorsitzende seine Beanstandung der Frage (vgl. dazu Tolksdorf aaO § 241 Rdn. 5) noch das Gericht seinen die Zurückweisung bestätigenden Beschluß begründet. Damit liegt ein Verstoß gegen § 241 Abs. 2, § 242 StPO vor.
Gleichwohl kann der Senat ausschließen, daß die Verteidigung des Angeklagten hier in einem für die Verurteilung wesentlichen Punkt unzulässig beschränkt worden ist. Die Befragung des Zeugen C. hat sich über insgesamt sieben Verhandlungstage erstreckt. Der Verteidiger hat dabei von seinem Fragerecht ausführlich Gebrauch machen können und auch Gebrauch gemacht, insbesondere hat er die Befragung des Zeugen nach der Zurückweisung der Frage fortsetzen können, auch noch an dem nächstfolgenden Verhandlungstag. Bei einer derart langwierigen Befragung eines Zeugen, die sich im wesentlichen mit seiner Glaubwürdigkeit und seinem denkbaren Motiv für eine Falschbelastung des Angeklagten befaßte, hat der Senat keine Zweifel, daß der Angeklagte und sein Verteidiger ausreichend Gelegenheit hatten, für die Überprüfung der Glaubwürdigkeit geeignete und der Wahrheitsfindung dienende Fragen an den Zeugen zu stellen. Das schließt die Annahme einer Beeinträchtigung der Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt i.S.d. § 338 Nr. 8 StPO hier aus (vgl. zur Beschränkung der Verteidigung durch die Nichtzulassung weiterer Fragen BGH NStZ 1982, 158, 159).
2. Die auf einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 und Abs. 2 StPO gestützte Verfahrensrüge Nr. 10 greift schon deshalb nicht durch, weil der Zeuge C., wie die schriftlichen Urteilsgründe belegen, sich zwar zunächst auf Erinnerungslücken in Bezug auf Gespräche mit der ebenfalls von ihm des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln beschuldigten, anderweitig verfolgten Zeugin E. berief, auf Vorhalt des Vorsitzenden jedoch die selben Angaben machte, wie in dem Verfahren gegen die Zeugin E. (vgl. UA S. 12). Daß der Zeuge C. sich zunächst fälschlich auf Erinnerungslücken berufen hat, war damit bereits aufgrund seiner eigenen Angaben in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten erwiesen. Da das Landgericht zudem in seiner Beweiswürdigung davon ausgeht, daß der Zeuge insoweit zunächst die Unwahrheit gesagt hat, kann das Urteil auf einem möglichen Verfahrensfehler auch nicht beruhen.
Im übrigen ist ergänzend darauf hinzuweisen; daß die Verfahrensrügen 16 und 22, die sich ebenfalls mit den Angaben des Zeugen C. in dem Verfahren gegen die Zeugin E. befassen, wegen unzutreffenden Vortrags unzulässig sind. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 23. März 2000 wurde die Zeugin E. nach § 55 StPO belehrt, machte aber - entgegen dem Revisionsvorbringen und den Behauptungen in den Beweisanträgen des Angeklagten III vom 23. März 2000 und VII vom 5. April 2000 - von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht keinen Gebrauch; sondern sagte zur Sache aus.
3. Die Rüge Nr. 17, mit der eine Verletzung des § 244 Abs. 3 und Abs. 2 StPO geltend gemacht wird, ist, soweit sie die Ablehnung der beantragten Verlesung des Urteils des Amtsgerichts Düsseldorf gegen A. vom 5. Juni 1997 betrifft, zwar zulässig, aber unbegründet.
Der Verteidiger hatte mit seinem Antrag V vom 23. März 2000 zum Nachweis des Umstandes, daß der Zeuge C. in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten falsch ausgesagt habe, die Verlesung des genannten Urteils beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, daß der Zeuge C. in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten behauptet hatte, den Zeugen A. mit dem er ebenfalls in der Vergangenheit Rauschgiftgeschäfte getätigt hatte, letztmalig im August 1996 gesehen zu haben. Demgegenüber habe das Amtsgericht Düsseldorf in dem Urteil gegen A. vom 5. Juni 1997 festgestellt, daß der Zeuge C. im Januar 1997 A. veranlaßt hat, ihn und zwei Heroinkäufer aus D. in einem griechischen Café abzuholen und mit einem Pkw zum Bahnhof Dü. zu fahren, wo C. den beiden Heroinkäufern 200 bis 300 Gramm Heroin übergab. Auf Vorhalt dieser Feststellungen habe der Zeuge C. diese als nicht zutreffend bezeichnet. Die Verlesung des Urteils hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, die Verlesung eines Urteils sei kein geeignetes Beweismittel, die Falschaussage eines Zeugen zu beweisen, das Gericht habe nach pflichtgemäßem Ermessen auch keine Veranlassung, dem Antrag nachzugehen. Diese Begründung läßt besorgen, daß das Landgericht die Reichweite der Beweismöglichkeiten durch Verlesung eines früher ergangenen Strafurteils im Rahmen des § 249 Abs. 1 StPO verkannt hat.
Verlesbar sind Urteile gegen den Angeklagten und gegen Dritte (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 249 Rdn. 9 m.w.Nachw.), Feststellungen rechtskräftiger Urteile zu früheren Tatgeschehen oder zur Strafzumessung einschließlich der Beweistatsachen, die in einem späteren Verfahren von Bedeutung sein können, binden zwar den neuen Tatrichter nicht, sie können jedoch im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 249 Abs. 1 StPO eingeführt und verwertet werden (BGHSt 43, 106, 107 f. m.w.Nachw., vgl. auch BGHSt 31, 323, 332). Die Gründe eines verlesbaren Urteils beurkunden allerdings unmittelbar nur, daß das damals mit der Sache befaßte Gericht z. B. der Überzeugung war, daß etwa ein Angeklagter sich in einem bestimmten Sinne geäußert oder daß ein bestimmtes Ereignis an einem bestimmten Tattag stattgefunden hat. Der jetzige Tatrichter kann jedoch nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung bei der Bildung seiner eigenen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung zumindest die Tatsache mitverwerten, daß die Richter eines anderen Strafverfahrens zu einem bestimmten Beweisergebnis gekommen sind (vgl. BGHSt 6, 141, 142; vgl. auch Diemer in KK StPO § 249 Rdn. 17), das für das jetzige Verfahren von Bedeutung ist. Jedenfalls in diesem Sinne war der Umstand, daß das Amtsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 5. Juni 1997 die Überzeugung gewonnen hatte, daß es am 27. Januar 1997 zu einem persönlichen Zusammentreffen des damaligen Angeklagten A. mit dem Zeugen C. gekommen ist, ein im Rahmen der Beweiswürdigung verwertbares Indiz, das zu der Behauptung des Zeugen C., A. letztmalig im August 1996 gesehen zu haben, in Widerspruch steht. Insoweit war die förmliche Verlesung des Urteils auch ein geeignetes Beweismittel, den Zeugen C. in diesem Punkt der Unwahrheit und damit einer Falschaussage in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht zu überführen.
Das Urteil beruht jedoch nicht auf der fehlerhaften Ablehnung der förmlichen Verlesung des Urteils, da die Tatsache, daß das Amtsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 5. Juni 1997 ein persönliches Zusammentreffen A. s mit dem Zeugen C. im Januar 1997 im Zusammenhang mit der Durchführung eines Betäubungsmittelgeschäfts festgestellt hat, bereits durch Vorhalt der entsprechenden Urteilsfeststellungen an den Zeugen C. in die Hauptverhandlung eingeführt worden war und damit auch Gegenstand der Beweisaufnahme war. Dies ergibt sich schon aus der Antragsbegründung und dem Vorbringen der Revision. Zwar befassen sich die Urteilsgründe nicht mit dem Umstand, daß der Zeuge C. hinsichtlich des letzten Zusammentreffens mit dem Zeugen A. möglicherweise die Unwahrheit gesagt hat. Dies gefährdet den Bestand des Urteils jedoch nicht, da das Landgericht sich in seiner Beweiswürdigung zur Glaubwürdigkeit des Zeugen C. ausdrücklich damit auseinandersetzt, daß dieser bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung auch unzutreffende Angaben, unter anderem auch in bezug auf den Zeugen A. gemacht hat (vgl. UA S. 12 f.).
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2001, 138; StV 2001, 261
Bearbeiter: Rocco Beck