Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 133/00, Urteil v. 09.08.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 30. November 1999 werden verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben (mit Betäubungsmitteln) in nicht geringer Menge in vier Fällen und wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 42 weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von einem Jahr festgesetzt, sowie 88,7 Gramm Amphetamin eingezogen und einen Bargeldbetrag von 514 DM für verfallen erklärt.
Hiergegen wenden sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nachträglich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Beide Revisionen haben keinen Erfolg.
1. Soweit sich der Angeklagte gegen den Schuldspruch, den Maßregelausspruch sowie die Einziehungs- und die Verfallsanordnung wendet, ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2. Der Strafausspruch hält im Ergebnis revisionsgerichtlicher Prüfung ebenfalls stand. Näherer Erörterung bedarf insoweit allein die Nichtanwendung des § 31 Nr. 1 BtMG.
Obwohl der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung und in der Hauptverhandlung seinen Lieferanten und seine Abnehmer namentlich benannt sowie die mit diesen durchgeführten Betäubungsmittelgeschäfte dargelegt hatte, hat das Landgericht den hierdurch erzielten Aufklärungserfolg für nicht so wesentlich erachtet, daß eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 31 Nr. 1 BtMG, 49 Abs. 2 StGB vorzunehmen sei. Denn aus der seit Mitte März 1999 durchgeführten Telefonüberwachung sei die umfangreiche Verkaufstätigkeit des Angeklagten mit Amphetamin, aber auch der Handel mit Kokain sowie der Kreis der Abnehmer ersichtlich. Auch habe die Nennung des Namens des Lieferanten des Angeklagten zu keinen erkennbaren Verfolgungsbemühungen der niederländischen Polizei geführt.
Diese Ausführungen sind rechtlich bedenklich, denn sie lassen besorgen, daß das Landgericht von einem unzutreffenden Verständnis des von § 31 Nr. 1 BtMG vorausgesetzten Aufklärungserfolges ausgegangen sein könnte. Ein solcher liegt nicht nur dann vor, wenn der Täter den Ermittlungsbehörden völlig neue Erkenntnisse liefert. Vielmehr schafft in der Regel auch derjenige, der Angaben zu Hintermännern, Auftraggebern, Lieferanten oder Abnehmern macht, die sich mit bereits vorhandenem Wissen der Strafverfolgungsbehörden decken, eine sicherere Grundlage für den Nachweis der betreffenden Taten und verbessert damit die Möglichkeit der Verfolgung begangener Straftaten (BGH StV 1991, 66, 67; BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 19 und 25), etwa indem erst durch seine Aussage den Ermittlungsbehörden die erforderliche Überzeugung vermittelt wird, daß ihre bisherigen Erkenntnisse zutreffen (vgl. BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 29). Außerdem ist für die Anwendung des § 31 Nr. 1 BtMG allein maßgeblich, ob nach der Überzeugung des Tatrichters ein Aufklärungserfolg in der Form erzielt wurde, daß der Angeklagte durch die zutreffende Schilderung der Beteiligung anderer an der ihm angelasteten Tat wesentlich zu einer voraussichtlich erfolgreichen Strafverfolgung der anderen Beteiligten beigetragen hat (BGHSt 31, 163, 166 f.; BGH NStZ 2000, 433, 434 m.w.Nachw.). Demgegenüber ist es nicht von Bedeutung, ob die zuständigen Strafverfolgungsbehörden gegen die vom Angeklagten benannten Tatbeteiligten tatsächlich vorgehen (vgl. BGH StV 1986, 435; BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 10 und 24).
Hier kann indessen letztlich offenbleiben, ob nach diesen Maßstäben das Landgericht die Wesentlichkeit des Aufklärungserfolges im Sinne des § 31 Nr. 1 BtMG unzutreffend verneint bzw. das ihm eingeräumte Ermessen zur Anwendung dieser Vorschrift fehlerhaft ausgeübt hat. Denn selbst wenn ein derartiger Rechtsfehler zu bejahen wäre, würde der Strafausspruch hierauf nicht beruhen. Im Hinblick auf die äußerst maßvollen - in den 42 Fällen des gewerbsmäßigen Betäubungsmittelhandels trotz Vorliegens des Regelbeispiels des § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnommenen - Einzelstrafen und der unter nur geringfügiger Erhöhung der Einsatzstrafe gebildeten Gesamtstrafe, kann der Senat ausschließen, daß das Landgericht auf noch geringere Einzelstrafen und eine noch niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte, wenn es § 31 Nr. 1 BtMG angewendet hätte.
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
1. Bezüglich der Strafzumessung wendet sich die Beschwerdeführerin namentlich dagegen, daß das Landgericht die Einzelstrafen für die 42 Taten des (gewerbsmäßigen) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dem Regelstrafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnommen hat, obwohl jeweils das Regelbeispiel für die Annahme eines besonders schweren Falles nach § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG erfüllt war. Außerdem beanstandet die Beschwerdeführerin den Gesamtstrafenausspruch. Ihre Rügen dringen nicht durch.
a) Auch wenn die Voraussetzungen des gewerbsmäßigen Betäubungsmittelhandels gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG erfüllt sind, liegt ein besonders schwerer Fall nicht ausnahmslos, sondern nur "in der Regel" vor. Die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels kann durch andere, erheblich schuldmindernde Umstände (BGH NStZ 1999, 615; bei Pfister NStZ-RR 1999, 355 Nr. 41 und 42) kompensiert werden mit der Folge, daß auf den normalen Strafrahmen zurückzugreifen ist. Dies ist der Fall, wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, daß sie bei der Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften. Es müssen in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seiner Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so daß die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint (BGHSt 20, 121, 125; BGH NStZ 1982, 425; BGH NJW 1987, 2450; BGHR BtMG § 29 Abs. 3 Strafrahmenwahl 4 und 5 sowie StGB § 176 Abs. 3 Strafrahmenwahl 5 bis 7). Nach diesen Grundsätzen ist die angefochtene Entscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Landgericht hat in seine Gesamtwürdigung eine Vielzahl strafmildernder Umstände einbezogen: Der Angeklagte ist nicht vorbestraft und hatte sich aufgrund seines noch jungen Alters über die Tragweite seiner Taten keine konkreten Gedanken gemacht. Er hat ein umfassendes Geständnis abgelegt, insbesondere zu 30 Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, die ihm nur aufgrund seiner eigenen Einlassung nachgewiesen werden konnten. Nach seiner Festnahme hat er keinerlei Drogen mehr genommen und den Kontakt zu der Betäubungsmittelszene abgebrochen. Außerdem hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, daß der Gewinn bei den einzelnen Taten nicht sehr groß gewesen sei und er das Amphetamin (nur) an einen festen Kreis von Abnehmern verkauft hat, die das Risiko der Einfuhr der Betäubungsmittel nicht tragen wollten.
Wenn das Landgericht diesen Gesichtspunkten ein derartiges Gewicht beimißt, daß hierdurch auch unter Berücksichtigung des Umfangs der Taten und des Tatzeitraumes (UA S. 12) die Indizwirkung des Regelbeispiels für das Vorliegen eines besonders schweren Falles aufgewogen werde, ist damit der dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumte Beurteilungsspielraum noch nicht überschritten, mag auch - dies ist der Beschwerdeführerin zuzugestehen - eine andere Entscheidung möglich gewesen sein.
b) Gleiches gilt für die vom Landgericht gebildete Gesamtstrafe. Die Revision zeigt insoweit keinen Rechtsfehler auf. Ein solcher ist auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere verläßt die Gesamtstrafe nicht den Bereich schuldangemessenen Strafens.
2. Auch die Entscheidung des Landgerichts, gemäß § 73 c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB von der Anordnung des Verfalls des Wertersatzes der vom Angeklagten aus dem Betäubungsmittelhandel erlangten Gelder (§ 73 a Satz 1 StGB) abzusehen, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zwar hätte der Umstand, daß der Angeklagte die Erlöse aus dem Betäubungsmittelhandel nicht etwa zur Schuldentilgung bzw. zum allgemeinen Lebensunterhalt verwandte, sondern in weitere Betäubungsmittelgeschäfte und einen aufwendigeren Lebensstil investierte, auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt (vgl. dazu BGHSt 38, 23, 25). Wenn das Landgericht demgegenüber maßgeblich darauf abhebt, daß der vermögenslose und verschuldete Angeklagte im Interesse seiner Resozialisierung bei seiner Haftentlassung nicht mit einer erheblichen Verfallsschuld belastet sein soll, hält sich dies aber ebenfalls noch in dem dem Tatrichter durch § 73 c Abs. 1 Satz 2 StGB eingeräumten Ermessensspielraum (vgl. BGH, Urt. vom 29. September 1998 - 1 StR 424/98), auch wenn das Landgericht die Möglichkeiten der §§ 73 c Abs. 2, 42 StGB bzw. 459 g Abs. 2, 459 d Abs. 1 StPO nicht ausdrücklich erörtert hat. Im Gegensatz zu der der Entscheidung BGH NStZ 1995, 495 zugrunde liegenden Fallgestaltung hat die Strafkammer den Angeklagten durch die Entscheidung nach § 73 c Abs. 1 Satz 2 StGB hier nicht vorhandene Vermögenswerte, belassen, sondern im Resozialisierungsinteresse ausschließlich seine weitere Verschuldung verhindert.
Soweit die Beschwerdeführerin demgegenüber geltend macht, der Angeklagte verfüge aus seinem Arbeitseinkommen, einer Erbschaft nach seiner Mutter bzw. ihm von seinem Vater zugewandten Vergünstigungen über Vermögenswerte, setzt sie sich in revisionsrechtlich unzulässiger Weise in Widerspruch zu den Urteilsfeststellungen, wonach der Angeklagte vermögenslos und verschuldet ist. Eine diesbezügliche Aufklärungsrüge wurde nicht erhoben.
Externe Fundstellen: NStZ 2001, 42
Bearbeiter: Rocco Beck