Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 556/96, Urteil v. 28.02.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. Juli 1996, soweit es den Angeklagten J. L. betrifft,
1. im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der Angeklagte des unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in weiterer Tateinheit mit unerlaubtem Ausüben der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe schuldig ist,
2. im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in weiterer Tateinheit mit unerlaubtem Ausüben der tatsächlichen Gewalt über eine "Schußwaffe" (gemeint ist: halbautomatische Selbstladekurzwaffe; vgl. UA S. 10) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, sichergestelltes Heroin und Kokain sowie Mobiltelefone eingezogen und einen Geldbetrag in Höhe von DM 3.800 für verfallen erklärt.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erhielt der Angeklagte Mitte Januar 1996 von einem Bosnier 500 g Heroin zum Weiterverkauf und 50 g Kokain zum Eigenverbrauch. Neben dem Rauschgift übergab der Bosnier ihm einen Revolver zur vorübergehenden Aufbewahrung. Der Angeklagte hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Patronen in Besitz, die mit dieser halbautomatischen Selbstladekurzwaffe verschossen werden können. Die Waffe brachte er in seine Wohnung und bewahrte sie im selben Regal wie die Patronen auf. Der Angeklagte und sein mitangeklagter Bruder A., der ebenfalls einen Schlüssel zur Wohnung hatte und sich dort häufig aufhielt, hatten vor, das Heroin nach und nach an ihnen bekannte Drogeninteressenten zu verkaufen. Sie mischten in der Wohnung das Heroin mit Milchzucker, portionierten es in verkaufsfähige Einheiten und verpackten diese zum Weiterverkauf in kleine Tütchen. Die einzelnen Rauschgiftgeschäfte wurden in der Weise eingefädelt, daß die Kunden, die den Angeklagten von der Rauschgiftszene her kannten, ihn über sein Mobiltelefon anriefen und das Heroin bestellten. Es wurde jeweils ein Übergabeort außerhalb der Wohnung vereinbart, wo man sich zur Heroinübergabe traf. Als einer der Kunden mit bei dem Angeklagten gekauftem Heroin festgenommen worden war, rief er im Auftrag der Polizei bei ihm an, um angeblich neues Heroin zu bestellen. Sobald der Angeklagte am vereinbarten Übergabeort erschien, wurde er festgenommen. Er führte insgesamt 16 Tütchen mit Heroin und außerdem 6.800 DM Bargeld mit sich, von denen mindestens 3.800 DM aus Rauschgiftgeschäften stammten. Anschließend wurde von Polizeibeamten seine Wohnung aufgesucht, wo der Bruder des Angeklagten und ein Bekannter namens M. angetroffen wurden. M. war zu Besuch bei den Brüdern L. und wollte dort Kokain konsumieren. Bei der Wohnungsdurchsuchung wurden verschiedene Abpackungen des noch nicht verkauften Heroins, Verpackungsmaterial, weitere Rauschgiftutensilien sowie die Kokainzubereitung entdeckt, die nur zum Eigenverbrauch bestimmt war. Auf einem Regal neben der Wohnzimmertür wurden Revolver und Munition nebeneinander liegend aufgefunden.
2. Das Landgericht hat den Straftatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG als nicht erfüllt angesehen, da der Angeklagte bei der Übergabe des Rauschgifts an seine Abnehmer keine Waffe mit sich geführt habe. Der Tatrichter ist der Auffassung, auch der Umstand, daß der Angeklagte in seiner Wohnung, in der er das Heroin gestreckt, portioniert und vorrätig gehalten hatte, eine einsatzbereite Schußwaffe aufbewahrt hatte, könne nicht zu einer Verurteilung nach § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG führen. Er ist der Ansicht, daß die Aufbewahrung der Schußwaffe an einem Ort, an dem es niemals zu einer persönlichen Kontaktaufnahme zwischen Käufer und Verkäufer gekommen sei, nicht zur Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals des "Mitsichführens" ausreiche.
Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung des Angeklagten nach § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG.
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
Die Ausführungen der Strafkammer rechtfertigen die Ablehnung einer Strafbarkeit nach § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht.
1. Nach diesem Qualifikationstatbestand wird u.a. mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, wer mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel treibt und dabei eine Schußwaffe mit sich führt.
Diese Voraussetzungen hat der Angeklagte hier erfüllt. Er hat mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben und dabei eine Schußwaffe mit sich geführt.
Ein Mitsichführen liegt dann vor, wenn der Täter die Schußwaffe bewußt gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, daß er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Der Wille des Täters, die Waffe gegebenenfalls einzusetzen, ist nicht erforderlich (vgl. BGHR BtMG § 30 a Abs. 2 Mitsichführen 1). Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, reicht es zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist (vgl. BGHSt 31, 105; BGH NStZ 1985, 547; 1984, 216, 217; BGHSt 20, 194, 197; 13, 259, 260; vgl. auch Herdegen in LK 11. Aufl. § 250 Rdn. 10). Im vorliegenden Fall hatte der Angeklagte die Schußwaffe zwar nicht bei der jeweiligen Übergabe des Betäubungsmittels dabei. Dem Angeklagten stand die Schußwaffe mit geeigneter Munition aber griffbereit zur Verfügung, als er - zusammen mit seinem Bruder - in der Wohnung das Heroin streckte, portionierte und vorrätig hielt. Dies sind alles Teilakte des Handeltreibens, da sie eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeiten darstellen.
Damit hat der Angeklagte den Qualifikationstatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nach dem Wortlaut verwirklicht.
Zu einer vom Wortlaut des Gesetzes abweichenden Auslegung der Bestimmung ist im vorliegenden Fall kein Raum. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sehr weit ist und auch Handlungen erfaßt, die einem Güterumsatz weit vorgelagert sind und die auch keine räumliche Nähe zu dem Gegenstand des Handeltreibens (dem Rauschgift) aufweisen.
Sinn der Vorschrift ist, diejenigen Tatmodalitäten unter eine erhöhte Strafdrohung zu stellen, die typischerweise besonders gefährlich sind. Besondere Gefahren scheiden beim bloßen Besitz von Betäubungsmitteln aus, auch wenn der Täter zugleich eine Schußwaffe hat. Hierauf beruht die gesetzgeberische Entscheidung, den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit einer Schußwaffe nicht einer besonderen Strafnorm zu unterstellen. Handeltreiben ist dagegen begrifflich auf den geschäftsmäßigen Kontakt mit anderen Personen hin angelegt. Wegen der dabei auf dem Spiel stehenden wirtschaftlichen Werte besteht hier typischerweise die Gefahr, daß der Täter seine Interessen rücksichtslos wahrnimmt, eine ihm zur Verfügung stehende Waffe auch einsetzt (vgl. BT-Drucks. 12/6853 S. 41) und damit das geschützte Rechtsgut besonders gefährdet. Rechtsgut ist die Volksgesundheit; denn Ziel des Betäubungsmittelgesetzes ist es, die menschliche Gesundheit des Einzelnen wie der Bevölkerung im ganzen vor den von Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen und die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, vor Abhängigkeit zu bewahren (vgl. BVerfGE 90, 145, 174). Diesem Ziel dient alles, was dazu geeignet ist, den Umgang mit Betäubungsmitteln zu verhindern oder wenigstens zu erschweren. Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes rechtfertigt sich deshalb die erhöhte Strafdrohung dadurch, daß das Mitsichführen einer Schußwaffe den die Volksgesundheit bedrohenden Umgang mit Rauschgift erleichtert und den handelnden Personen einen besonderen Schutz verschafft.
2. § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG enthält einen qualifizierten abstrakten Gefährdungstatbestand. Gefährlichkeit ist hier nicht Merkmal des Tatbestandes, sondern gesetzgeberischer Grund der Strafdrohung (vgl. auch Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. vor § 13 Rdn. 13 a m.w.N.).
Im Hinblick auf Fallgestaltungen, in denen die vom Gesetz angenommene Gefährlichkeit der Tat sich nicht verwirklichen kann, sind im Schrifttum, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Schuldprinzips, Bedenken vorgebracht worden. Überwiegend wird bei Vorschriften wie § 244 Abs. 1 Nr. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 oder § 306 Nr. 2 StGB der Tatbestand verneint, wenn die Handlung oder die qualifizierende Begehungsweise absolut ungefährlich ist. So soll § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB dann nicht zur Anwendung gelangen, wenn es ausnahmsweise schon an jeder Möglichkeit einer Realisierung der in der Schußwaffe liegenden Gefährlichkeit fehlt (vgl. Lackner StGB 21. Aufl. § 244 Rdn. 2; Zaczyk NStZ 1984, 217 in seiner Anmerkung zu BGH NStZ 1984, 216). Nach Eser (in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 244 Rdn. 5) kann es an der Gefährlichkeitsvermutung fehlen, wo wegen der Besonderheiten des Einzelfalles die Gefahr eines Waffengebrauchs erfahrungsgemäß ausgeschlossen werden kann (vgl. auch Lenckner JR 1982, 424, 427 in seiner Anmerkung zu BGHSt 30, 44). Ruß (in LK 11. Aufl. § 244 Rdn. 5) hingegen will Ausnahmen vom eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht zulassen und betont, daß es zur Vornahme einer Einzelfallprüfung, ob die erhöhte Gefährlichkeit gegeben ist oder nicht, an jedem brauchbaren Maßstab fehlt.
Im Rahmen des § 306 StGB wird vertreten, daß formell tatbestandsmäßige Handlungen aus dem Bereich der Strafbarkeit auszuscheiden haben, die wegen der Besonderheit des Einzelfalls nach menschlichem Erfahrungswissen mit Sicherheit nicht zu dem schädlichen Erfolg führen können, dessen Vermeidung dem Gesetzgeber als ratio legis bei der Schaffung des Tatbestandes vorschwebte (vgl. Cramer in Schönke/Schröder aaO §§ 306 ff. Vorbem. 3 ff.; Lackner aaO § 306 Rdn. 1; Dreher/Tröndle aaO § 306 Rdn. 1 jeweils m.w.N.). Wolff (in LK 11. Aufl. § 306 Rdn. 4) dagegen lehnt diese Einschränkungen ab, weil sich der gesetzgeberische Wille, die Strafbarkeit der schweren Brandstiftung gerade nicht davon abhängig zu machen, ob im Einzelfall tatsächlich Gefahr für Menschenleben bestand, sich im Rahmen zulässiger Generalisierung halte.
Keiner der vorgeschlagenen Lösungsansätze (vgl. hierzu auch Hilger NStZ 1982, 421, 422) hat sich im Schrifttum durchgesetzt. Der Bundesgerichtshof hat bisher davon abgesehen, in vergleichbaren Fällen Ausnahmen vom eindeutigen Gesetzeswortlaut zu schaffen (vgl. BGHSt 30, 44; 33, 133; ferner BGHSt 26, 121, 124; 34, 115, 118; NStZ 1982, 216 und 420; 1985, 408 und 547).
3. Nach Ansicht des Senats erleichtert die Verfügbarkeit einer Schußwaffe dem Täter den unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln. Der Besitz einer Schußwaffe verschafft ein Bewußtsein der Sicherheit und Überlegenheit, welches im Rauschgiftmilieu von existenzieller Bedeutung werden kann. So sind Mißtrauen gegenüber dem Geschäftspartner und Schutz vor Erscheinungen der Begleitkriminalität oftmals Gebote der Selbsterhaltung. Entgegen der Auffassung des Landgerichts gilt dies nicht nur dann, wenn der Täter von sich aus in Kontakt zu Dritten tritt. Daß eine als Heroinhändler bekannte Person im Zusammenhang mit Rauschgiftgeschäften von anderen in ihrer Wohnung aufgesucht wird, läßt sich niemals ausschließen. Damit kann sich auch die Gefahr verwirklichen, der § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG begegnen will. Sie ist nach Auffassung des Senats darüber hinaus jedenfalls stets gegeben, wenn der Täter Betäubungsmittel und Schußwaffe zugleich verfügungsbereit hat. In diesen Fällen treffen das Risiko der Entdeckung, Bedürfnisse der Sicherung des Stoffes und die im Waffenbesitz dokumentierte Gewaltbereitschaft des Täters in besonderer Weise zusammen. Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift würde in solchen Fällen deshalb den Sinn des Gesetzes verfehlen.
Dies zeigt auch der vorliegende Fall. In der Wohnung des Angeklagten befand sich, als die Polizei erschien, ein Rauschgiftkonsument. Hätte die Polizei den Angeklagten nicht an den Übergabeort gelockt, sondern ihn - wie anschließend seinen Bruder - in der Wohnung festgenommen, hätte er ohne Schwierigkeiten die Schußwaffe einsetzen können. Das Schutzgut Volksgesundheit ist aber besonders gefährdet, wenn sich der Täter mittels einer Schußwaffe in Besitz des zum Verkauf bestimmten Rauschgiftes halten kann.
Unter diesen Umständen ist der Tatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG objektiv erfüllt.
4. Für die subjektive Seite genügt das Bewußtsein der Verfügbarkeit über die Schußwaffe. Der Wille des Täters, die Waffe gegebenenfalls einzusetzen, ist wie dargelegt nicht erforderlich (vgl. auch BGH StV 1996, 673, 674).
Daß der Angeklagte die Waffe bewußt gebrauchsbereit bei sich hatte, liegt beim Mitführen einer Waffe im technischen Sinne so nahe, daß nähere Ausführungen des Tatrichters hierzu entbehrlich waren (vgl. auch BGH, Beschluß vom 4. September 1996 - 5 StR 391/96 -). Höhere Anforderungen an den Tatrichter bezüglich der Prüfung und Darlegung des subjektiven Merkmals des Bewußtseins der Verfügbarkeit der Waffe wird man allenfalls dann zu überlegen haben, je ferner die Gefahr des Einsatzes ist und je weniger geeignet und bestimmt zur Verletzung von Personen die "sonstigen Gegenstände" im Sinne des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG sind. Der Senat hat allerdings (anderer Ansicht: BGH, Urteil vom 14. Januar 1997 - 1 StR 580/96 - zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen) keinen Zweifel, daß ein bewußt gebrauchsbereites Mitsichführen z. B. auch dann vorliegt, wenn der Täter selbst nicht die Waffe trägt, sondern ein ihn begleitender Leibwächter. Denn auch dann ist für den Täter die Waffe jederzeit verfügbar, sei es, daß er sich diese vom Waffenträger aushändigen läßt, sei es, daß dieser auf seine Weisung von der Schußwaffe Gebrauch macht.
Daher hat im vorliegenden Fall der Angeklagte objektiv und subjektiv den Tatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verwirklicht. Da andere - für ihn günstigere - Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Senat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen; der nunmehrige Schuldspruch entspricht im wesentlichen der Anklage.
Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der Strafe. Die Einziehungs- und Verfallanordnungen bleiben jedoch bestehen.
Externe Fundstellen: BGHSt 43, 8; NJW 1997, 1717; NStZ 1997, 344; NStZ 1998, 257; StV 1997, 305
Bearbeiter: Rocco Beck