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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 374/92, Urteil v. 07.10.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 374/92 - Urteil vom 7. Oktober 1992 (LG Bonn)

BGHSt 38, 362; Zulässigkeit der Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch unter Ausklammerung einer unterbliebenen Maßregelanordnung ("Trennbarkeitsformel"; konkrete Beeinflussung der Strafzumessung).

§ 318 StPO; § 344 StPO; § 64 StGB; § 46 StGB

Leitsätze

1. Die Revision des Angeklagten kann die Nichtanwendung des § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff gegen den Rechtsfolgenausspruch ausnehmen. (BGHSt)

2. Voraussetzung der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung ist, dass nach dem inneren Zusammenhang des Urteils der Strafausspruch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von der Frage der Unterbringung nach § 64 StGB beurteilt werden kann, also eine "Wechselwirkung" zwischen der verhängten Strafe und der möglicherweise anzuordnenden Maßregel ausgeschlossen werden kann. Das kann allgemein weder bejaht noch verneint werden; maßgebend ist der Einzelfall. (Bearbeiter)

3. Nur dann, wenn sich den Urteilsgründen oder der Strafhöhe entnehmen lässt, dass die Strafe von dem Unterbleiben der Anordnung einer Maßnahme beeinflusst sein kann, bestehen gegen die Trennbarkeit Bedenken mit der Folge der Unzulässigkeit einer Rechtsmittelbeschränkung. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 5. Dezember 1991 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie den Verfall eines Geldbetrages von 1.800 DM angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die "auf den Strafausspruch, mit Ausnahme der unterbliebenen Maßregelanordnung", beschränkt ist.

1. Diese Beschränkung ist wirksam.

a) Nach § 344 Abs. 1 StPO hat der Beschwerdeführer die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage. Die Revision kann somit, ebenso wie die Berufung (§ 318 StPO), auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB ist ein für eine selbständige Nachprüfung geeigneter Urteilsteil und damit ein Beschwerdepunkt, auf den ein Rechtsmittel grundsätzlich beschränkt werden kann.

Die Rechtsprechung läßt es daher zu, daß der Angeklagte seine Revision auf die neben einer Strafe angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt beschränkt, sofern nicht im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht (BGH NJW 1963, 1414, 1415; 1969, 1578; vgl. auch Hanack in LK 10. Aufl. § 63 Rdn. 132-134, § 64 Rdn. 136; in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 344 Rdn. 53, 54; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg § 318 Rdn. 92; Frisch SK-StPO § 318 Rdn. 84, 85). Als ebenso zulässig wird die Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft auf die "Nichtanwendung" der §§ 63, 64 StGB erachtet (BGHSt 15, 279, 285; BGH bei Holtz MDR 1977, 459, 460; BGH GA 1968, 148; vgl. auch Hanack in LK § 63 Rdn. 134).

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß der Angeklagte die Nichtanwendung des § 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff gegen den Rechtsfolgenausspruch ausnehmen möchte. Auch das ist rechtlich möglich, wovon der Bundesgerichtshof bereits in seinem Beschluß vom 31. Juli 1992 - 4 StR 267/92 - ausgegangen ist (vgl. auch BayObLG JR 1987, 172 m. Anm. Meyer-Goßner).

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Angeklagte zwar ein Rechtsmittel nicht allein mit dem Ziel einlegen, daß seine unterbliebene Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB nachgeholt werde, weil er insoweit nicht beschwert ist (BGHSt 28, 327, 330, BGHR StGB § 64 Ablehnung 4); hat er dagegen eine zulässige Revision erhoben, so führt dies auch zu der Prüfung, ob der Tatrichter zu Recht von der Anordnung der Maßregel abgesehen hat (BGHSt 37, 5). Das Rechtsmittel kann daher, obwohl insoweit eine dem Angeklagten nachteilige Entscheidung nicht ergangen ist, Folgen auslösen, die dieser nicht hinzunehmen bereit ist und welche häufig seinen Entschluß, das ergangene Urteil überhaupt anzugreifen, beeinflussen werden. Die zugrundeliegenden Erwägungen können vor dem Hintergrund des in § 358 Abs. 1 StPO geregelten Verschlechterungsverbots auch durchaus anzuerkennen sein; wie der Bundesgerichtshof in BGHSt 28, 327, 330 ff. im einzelnen dargelegt hat, kann die neben einer Strafe angeordnete Unterbringung auf Grund nachträglich eintretender Umstände und späterer Entscheidungen für den Verurteilten eine erhebliche Belastung bedeuten.

Nach dem Rechtsmittelsystem der Strafprozeßordnung hat der Angeklagte bei der Entscheidung, ob und wieweit er ein gegen ihn ergangenes Urteil angreifen will, eine weitreichende Dispositionsbefugnis. Dies gebietet es, dem in der Rechtsmittelerklärung des Angeklagten zum Ausdruck kommenden Willen im Rahmen des rechtlich Möglichen Rechnung zu tragen. Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (BGHSt 29, 359, 364, 366).

Unter diesen Gesichtspunkten ist es nicht systemwidrig, wenn der Angeklagte dem Revisionsgericht die Prüfung der Frage, ob die Maßregel der Unterbringung zu Recht nicht angeordnet wurde, entzieht. Ebensowenig steht der mit den Maßregeln verfolgte Zweck des Schutzes der Öffentlichkeit einer Rechtsmittelbeschränkung entgegen. Dem Angeklagten ist es unbenommen, von einer Urteilsanfechtung gänzlich abzusehen; eine Überprüfung des Urteils findet ohne Anfechtung auch dann nicht statt, wenn Belange der öffentlichen Sicherheit die Unterbringung eines gefährlichen Täters zwingend erfordern. Die Wahrung solcher Belange ist vielmehr der Staatsanwaltschaft anvertraut, die hier ein Rechtsmittel nicht eingelegt hat.

b) Voraussetzung der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung ist, daß nach dem inneren Zusammenhang des Urteils der Strafausspruch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von der Frage der Unterbringung nach § 64 StGB beurteilt werden kann, also eine "Wechselwirkung" zwischen der verhängten Strafe und der möglicherweise anzuordnenden Maßregel ausgeschlossen werden kann. Das kann allgemein weder bejaht noch verneint werden; maßgebend ist der Einzelfall.

Die Strafzumessungsgründe werden sich meist mit der Maßregel nicht auseinandersetzen, die unterbliebene Anordnung wird kaum als ein bestimmender Strafzumessungsgrund aufgeführt werden. Dies entspricht auch der "Zweispurigkeit" von Strafe und Maßregel. Zwischen diesen Rechtsfolgen besteht grundsätzlich keine "Wechselwirkung". Strafe und Maßregel sollen unabhängig voneinander bemessen bzw. verhängt werden (vgl. BGHSt 20, 264; 24, 132; vgl. auch Hanack in LK vor § 61 StGB Rdn. 13 ff., 16). Trotz dieser "Zweispurigkeit" zeigt aber die Praxis, daß häufig auf eine mildere Strafe erkannt wird, wenn gleichzeitig die Unterbringung angeordnet wird, vor allem dann, wenn ein teilweiser Vorwegvollzug der Strafe gemäß § 67 Abs. 2 StGB in Betracht kommt (vgl. BGHSt 37, 10; BGHR StGB § 64 Ablehnung 2, 3, 5; BGH NStZ 1992, 33; BGH, Beschluß vom 28. April 1992 - 1 StR 181/92). Daraus können aber keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Trennbarkeit entnommen werden. Nur dann, wenn sich den Urteilsgründen oder der Strafhöhe entnehmen läßt, daß die Strafe von dem Unterbleiben der Anordnung einer Maßnahme beeinflußt sein kann, bestehen gegen die Trennbarkeit Bedenken mit der Folge der Unzulässigkeit einer Rechtsmittelbeschränkung.

c) Eine Wechselbeziehung zwischen der gegen den Angeklagten verhängten Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten und der - unterbliebenen - Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB kann hier den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Das Landgericht hat sich zu den Voraussetzungen, welche für § 64 StGB von Bedeutung sein könnten, nicht geäußert. Daß die Tatumstände Anlaß zur Prüfung dieser Frage geboten hätten, verbindet die Straffrage mit der Maßregelfrage noch nicht zu einer untrennbaren Einheit.

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist im Hinblick auf die somit zulässige Rechtsmittelbeschränkung nur noch der Strafausspruch. Dieser weist keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Rechtsmittel ist deshalb als unbegründet zu verwerfen.

Externe Fundstellen: BGHSt 38, 362; NJW 1993, 477; NStZ 1993, 97; StV 1992, 572

Bearbeiter: Rocco Beck