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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 266

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 346/11, Urteil v. 08.02.2012, HRRS 2012 Nr. 266


BGH 2 StR 346/11 - Urteil vom 8. Februar 2012 (LG Gera)

Gesetzlicher Richter (Doppelvorsitz Ernemann; Beschleunigungsgebot; Verbot der Rechtsschutzverweigerung); Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beruhen).

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 19 Abs. 4 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG; § 66 StGB; § 337 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Spruchgruppe des 2. Strafsenats hält ihre Ansicht aufrecht, dass sie mit dem Doppelvorsitz des Vorsitzenden Richter am BGH Dr. Ernemann nicht ordnungsgemäß besetzt sei. Der Senat gibt dem Verfahren dennoch Fortgang, da er nach der Entscheidung des Präsidiums, keine Maßnahmen zur Änderung des Geschäftsverteilungsplans zu ergreifen, keine rechtliche Möglichkeit sieht, den Verfahrensbeteiligten in überschaubarer Zeit zu einer Entscheidung durch ein ordnungsmäßig besetztes Revisionsgericht zu verhelfen.

2. Bei dieser besonderen Fallkonstellation hat die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG partiell zurückzustehen. Der Senat ist nach der Entscheidung des Präsidiums gehalten, in seiner Meinung nach verfassungswidriger Besetzung zu entscheiden.

3. Beschlüsse eines gerichtlichen Präsidiums zur Geschäftsverteilung sind nach Auffassung des Senats hinsichtlich der ordnungsgemäßen Besetzung nicht bindend. Jeder Spruchkörper hat bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung von Amts wegen zu prüfen und darüber zu entscheiden.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 4. April 2011 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen in Tatmehrheit mit Verbreitung kinderpornographischer Schriften in 113 Fällen in Tatmehrheit mit Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften in 44 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gleichzeitig hat es von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgesehen. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt ist, bleibt ohne Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte mit Urteil des Landgerichts Gera vom 15. November 2007 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 22 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Dieser Verurteilung lagen sexuelle Übergriffe auf zwei sieben- bzw. dreizehnjährige Jungen zugrunde, an deren Geschlechtsteil der Angeklagte manipuliert hatte. In einem der Fälle hatte sich der Angeklagte auf einen der Jungen gelegt, dessen Arme festgehalten und es so erreicht, ihn zu küssen.

Nach der Haftentlassung in dieser Sache im November 2009 wandte sich der Angeklagte auf Veranlassung eines früheren Mitgefangenen an dessen ehemalige Lebensgefährtin, um die er sich kümmern sollte. Mit ihr hatte der Mitgefangene eine gemeinsame fast volljährige Tochter, die ebenso wie der damals zwölfjährige Nebenkläger, der aus einer anderen Beziehung der Frau stammte, in deren Haushalt lebte. Dem Angeklagten war es im Rahmen der Entscheidung zur Führungsaufsicht zwar untersagt, mit Kindern zu verkehren.

Gleichwohl ließ er sich nicht davon abhalten, Kontakt zur Familie des ehemaligen Mitgefangenen aufzubauen und derart zu intensivieren, dass er für den Sohn der Frau bald eine Art Ersatzvater darstellte. Bereits nach kurzer Zeit übernachtete der Angeklagte im Hause der Familie, wobei er grundsätzlich auf einer Matratze im Zimmer des Jungen, gelegentlich aber auch neben ihm in dessen Bett schlief. Anlässlich einer solchen Gelegenheit griff der Angeklagte, der wusste, dass der Nebenkläger noch keine vierzehn Jahre alt war, zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt, jedenfalls vor Weihnachten des Jahres 2009, an dessen Penis und manipulierte daran (Fall 1). Dies wiederholte er bis zur Aufnahme des Jungen in ein Kinderheim am 17. Februar 2010 bei mindestens vier weiteren Gelegenheiten (Fälle 2-5).

Im Zeitraum vom 19. Dezember 2009 bis zum 3. Januar 2010 nutzte der Angeklagte einen Laptop, den er dem Nebenkläger geschenkt hatte, um über einen Chatraum Bild- und Videodateien zu verschicken bzw. zu erlangen, die pornographische Darstellungen sexueller Handlungen von oder an Personen wiedergaben, die tatsächlich oder nach ihrem Erscheinungsbild unter 14 Jahre alt waren. Er versandte insgesamt 113 und verschaffte sich 44 solcher Dateien.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellem Missbrauchs gemäß § 176a Abs. 1 StGB in fünf Fällen zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (Fall 1) und viermal jeweils zwei Jahren (Fälle 2-5), wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB in 113 Fällen zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten und wegen Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 StGB in 44 Fällen zu Geldstrafen von 60 Tagessätzen zu 1 € verurteilt und eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren gebildet.

Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen, weil der Angeklagte nicht im Sinne des § 66 Abs. 1 Ziff. 4 StGB infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden, für die Allgemeinheit gefährlich sei. Es spreche aus Sicht der Kammer nichts dafür, der Angeklagte werde künftig pädophile Delikte unter Einsatz von Gewalt begehen.

Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet die Höhe der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Außerdem rügt sie, dass das Landgericht fehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen habe.

2. Der Senat hatte die Revisionshauptverhandlung mit Beschluss vom 11. Januar 2012 ausgesetzt. Dies beruhte auf der Ansicht des Senats, er sei in der Person des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann nicht ordnungsgemäß besetzt, weil dieser seit 1. Januar 2012 zugleich geschäftsplanmäßiger Vorsitzender des 4. Strafsenats ist. Der Senat hat daher dem Präsidium des Bundesgerichtshofs Gelegenheit gegeben, durch eine Änderung der Geschäftsverteilung Abhilfe zu schaffen. Mitglied des Präsidiums ist auch der Vorsitzende des 2. und 4. Strafsenats.

Das Präsidium des Bundesgerichtshofs, dem die Entscheidung des Senats in vollem Wortlaut vorlag, hat mit nicht begründetem Beschluss vom 18. Januar 2012 einstimmig entschieden, dass an dem Beschluss vom 15. Dezember 2011, mit dem VRiBGH Dr. Ernemann der Vorsitz des 2. und zugleich des 4. Strafsenats übertragen worden ist, festgehalten wird.

Nach der Beschlussfassung hat das Präsidium drei Richter des Senats, die an der Entscheidung vom 11. Januar 2012 beteiligt waren, jeweils einzeln angehört; von der Anhörung der weiteren Richter wurde abgesehen. Gegenstand der Befragungen war unter anderem, wie der Senat, aber auch der einzelne Richter mit der mitgeteilten Entscheidung des Präsidiums umgehen werde.

II.

Der Senat gibt dem Verfahren Fortgang. Er ist allerdings weiterhin der Ansicht, dass er nicht ordnungsgemäß besetzt ist. Insoweit gelten die Gründe aus dem Beschluss vom 11. Januar 2012 unverändert fort.

Der Senat sieht aber nach der Entscheidung des Präsidiums, keine Maßnahmen zur Änderung des Geschäftsverteilungsplans zu ergreifen, keine rechtliche Möglichkeit, den Verfahrensbeteiligten in überschaubarer Zeit zu einer Entscheidung durch ein ordnungsmäßig besetztes Revisionsgericht zu verhelfen.

Der Senat hat erwogen, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache den Großen Senat für Strafsachen anzurufen, hiervon aber letztlich abgesehen. Das Präsidium hat seine Entscheidung vom 18. Januar 2012 nicht begründet; daher ist offen geblieben, welche Gründe das Präsidium bewogen haben, auf Änderungen der Geschäftsverteilung zu verzichten.

Sollte dem die Ansicht zugrunde liegen, Beschlüsse eines gerichtlichen Präsidiums zur Geschäftsverteilung seien regelmäßig bindend, so dass die Spruchkörper des Gerichts nicht befugt seien, im fachgerichtlichen Verfahren die Gesetzmäßigkeit ihrer Besetzung zu prüfen und darüber zu entscheiden, würde dem der Senat nicht folgen. Diese - möglicherweise aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 1975 - VII C 47.73 (BVerwGE 50, 11) abgeleitete - Ansicht stünde - worauf der Senat in seinem Beschluss vom 18. Januar 2012 bereits tragend hingewiesen hat - in deutlichem Widerspruch zum Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1997 - 1 PBvU 1/95, wonach jeder Spruchkörper bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung von Amts wegen zu prüfen und darüber zu entscheiden hat (BVerfGE 95, 322, 330; vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 7. April 1981 - 7 B 80/81, NJW 1982, 900). Wenn man gleichwohl annähme, die Spruchkörper des Gerichts seien nicht befugt, die Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit ihrer Besetzung im Rahmen des fachgerichtlichen Verfahrens auch mit Blick auf den Geschäftsverteilungsplan zu prüfen, wäre für das Präsidium auch eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen unbeachtlich.

Andere eigene Möglichkeiten, den Verfahrensbeteiligten entsprechend der Rechtsansicht des Senats Rechtsschutz durch ein ordnungsgemäß besetztes Gericht zu verschaffen, hat der Senat nicht gesehen.

Bei dieser Sachlage, die sich dem Senat in allen bei ihm anhängigen Verfahren gleichermaßen stellt, hält er es für geboten, über sämtliche bei ihm eingelegte Revisionen in der Sache zu entscheiden, auch wenn er sich weiterhin nicht für ordnungsgemäß besetzt hält. Maßgebend für diese Entscheidung, die ungeachtet des Ausgangs der Rechtsmittel zu treffen war, war namentlich die Erwägung, dem rechtsstaatlichen Beschleunigungsgebot Rechnung zu tragen und in angemessener Zeit zu einer - gegebenenfalls mit der Verfassungsbeschwerde überprüfbaren - Entscheidung zu gelangen. Die Alternative, die Sache bis zu einer weiteren Klärung, etwa durch erneute Vorlage an das Präsidium oder bis zum vorläufigen Ende der Doppelbesetzung Ende Juni 2012, ruhen zu lassen, würde nicht nur zu einem nicht hinnehmbaren zeitweiligen, partiellen Stillstand der Strafrechtspflege führen. Sie bedeutete zudem eine nicht in den Verantwortungsbereich der Betroffenen fallende Rechtsschutzverweigerung, die mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsschutzgewährung nicht in Einklang stünde. Dass das Präsidium Rechtsprechung des Senats nicht umgesetzt hat, darf nicht zu Lasten der Rechtsmittelführer gehen.

Aus diesem Grund hatte bei dieser besonderen Fallkonstellation die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG partiell zurückzustehen. Danach ist zwar gewährleistet, dass die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Im Bereich richterlicher Tätigkeit sind Richter demnach an keine Weisungen und nur an das Gesetz gebunden. Dies bedeutet Freiheit und Pflicht jeden Richters zu eigenverantwortlicher Entscheidung im Rahmen von Gesetz und Recht. Diese Freiheit sieht der Senat im konkreten Fall eingeschränkt, weil er nach der Entscheidung des Präsidiums gehalten ist, in seiner Meinung nach verfassungswidriger Besetzung zu entscheiden. Er nimmt es nach umfassender Abwägung hin, weil er zum einen ausdrücklich auf den Fortbestand seiner Rechtsansicht hinweisen kann und den Angeklagten zum anderen mit der Verfassungsbeschwerde eine weitere Rechtsschutzmöglichkeit offen steht.

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.

1. Soweit sie sich gegen den Strafausspruch richtet, bleibt sie schon aus dem vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen ohne Erfolg. Die insoweit von der Revision vorgebrachten Einwendungen zeigen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten nicht auf. Die Höhe der Strafen selbst ist unter Berücksichtigung des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums nicht zu beanstanden.

2. Die Revision hat aber auch keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet. Dabei kann dahin stehen, ob die Begründung, mit der die Kammer von der Anordnung abgesehen hat, an sich rechtlicher Überprüfung standhielte. Denn der Senat schließt unter Beachtung der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung der verfassungswidrigen Vorschrift des § 66 StGB aus, dass das Urteil auf einem möglichen Rechtsfehler beruht.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ist die Vorschrift des § 66 StGB verfassungswidrig und gilt nur vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrechtsgrundrecht handelt. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darf die Regelung der Sicherungsverwahrung nur nach Maßgabe einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Ãœbergangszeit ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab (Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11; Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11; BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11; Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11).

Unter Beachtung dieses besonderen Maßstabs ist für die Annahme eines Hangs zur Begehung ausreichend schwerer Straftaten und einer daran anknüpfenden Gefährlichkeit des Angeklagten kein Raum.

a) Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten hat das Landgericht in Ãœbereinstimmung mit dem Sachverständigen nur hinsichtlich solcher Straftaten angenommen, die im vorliegenden Verfahren abgeurteilt worden sind (UA S. 46). Die Verbreitung und der Erwerb kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 und 4 StGB (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2011 - 2 StR 328/11) stellen aber keine ausreichend schwere Sexualstraftat im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts dar. Dies gilt unter Berücksichtigung der Strafdrohungen auch für den sexuellen Missbrauch eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB, mag er auch wiederholt begangen sein (§ 176a Abs. 1 StGB), jedenfalls dann, wenn die Missbrauchshandlungen, wie hier, in ihrer konkreten Gestalt ein eher geringfügiges Maß nicht überschritten haben (vgl. UA S. 42).

b) Eine konkrete Gefahr, der Angeklagte könne künftige pädophile Delikte unter Einsatz von Gewalt verwirklichen, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Dass es sich darüber hinaus nicht ausdrücklich mit der Frage befasst hat, ob es bei dem Angeklagten zu einer relevanten Steigerung der Sexualdelinquenz kommen könnte, ist vorliegend auch angesichts der Fragen des Angeklagten an das Opfer zu möglichem Oralverkehr jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden (vgl. UA S. 32). Zwar stellen Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 StGB regelmäßig "schwere Sexualstraftaten" im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts dar (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11; BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11 und vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11), doch liegt hier die Annahme, der Angeklagte werde gerade solche Delikte begehen, unter Beachtung des nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geltenden strengeren Maßstabs bei der Gefahrenprognose (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11) nicht hinreichend nahe. Sämtliche Taten des Angeklagten, auch diejenigen aus der Vorverurteilung, beschränkten sich trotz des Umstands, dass sie sich über einen längeren Zeitraum hinzogen, stets wiederkehrend auf Manipulationen mit der Hand am Geschlechtsteil des Tatopfers. Demgegenüber geben allein die Fragen des Angeklagten nach der Möglichkeit von Oralverkehr keinen konkreten Aufschluss darüber, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen mit solchen sexuellen Ãœbergriffen gerechnet werden könnte. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte einen entgegenstehenden Willen des Opfers jederzeit respektiert hat (UA S. 46) und es zudem an greifbaren Anhaltspunkten dafür fehlt, der Angeklagte könne Anreizen zu Straftaten nach § 176a Abs. 2 StGB nicht wiederstehen. Eine in den Fragen des Angeklagten an das Tatopfer zum Ausdruck kommende gewisse Tatgeneigtheit begründet deshalb nach Maßgabe der verfassungsgerichtlichen Anforderungen an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit der Begehung zukünftiger Straftaten keine hinreichende Gefährlichkeit des Angeklagten.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 266

Externe Fundstellen: StV 2012, 273

Bearbeiter: Karsten Gaede