HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 330
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 151/11, Urteil v. 18.01.2012, HRRS 2012 Nr. 330
1. Der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 10. März 2011, mit dem die Revision des Angeklagten N. gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 25. November 2010 als unzulässig verworfen worden ist, wird aufgehoben.
2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht Darmstadt hat u.a. den Angeklagten N. des bandenmäßigen "Verbreitens" kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen sowie des bandenmäßigen Unternehmens des Drittbesitzverschaffens kinderpornographischer Schriften in 13 Fällen und den Angeklagten P. des bandenmäßigen "Verbreitens" kinderpornographischer Schriften sowie des bandenmäßigen Unternehmens des Drittbesitzverschaffens kinderpornographischer Schriften in vier Fällen schuldig gesprochen. Gegen beide Angeklagte hat es jeweils eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt.
Der Angeklagte N. rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts; der Angeklagte P. erhebt die allgemeine Sachrüge. Die Revisionen beider Angeklagter haben keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten in eine bandenmäßige Gruppierung von "Pädophilen" eingebunden, die sich zusammengeschlossen hatte, um eine Internetplattform für Gleichgesinnte zu betreiben. Diese Gruppe unterhielt von Frühjahr 2007 bis September 2008 das Internetboard "Z." nebst dazugehörigen Chat-Räumen. Das Board fungierte als "schwarzes Brett", auf dem Mitglieder Nachrichten oder Anfragen (sog. Postings) hinterließen und insbesondere dauerhaft und ungestört kinderpornographische Bild- und Videodateien austauschten. Von den Nutzern wurden Links eingestellt, die anderen "Usern" durch bloßes Anklicken ohne weitere Zwischenschritte unmittelbaren Zugriff auf die Dateien ermöglichten. Bei Videos wurden in der Regel zusätzlich zu dem Link Vorschaubilder (previews) mitgepostet, denen der wesentliche Inhalt der Zieldatei zu entnehmen war. Später wurden die Nutzer des "Z."-Boards dazu angehalten, die Zieladresse durch Weglassen, Hinzufügen oder Verändern von Buchstaben dergestalt zu modifizieren, dass ein unmittelbarer Zugriff auf die kinderpornographische Datei durch Anklicken der Zieladresse nicht möglich war (etwa durch Angabe von hxxp:// anstelle von http://). Stattdessen sollten die Besucher des Boards die Zieladresse in die Adressleiste ihres Webbrowsers kopieren und dort entsprechend ändern, um eine Rückverfolgbarkeit zu dem Board zu verhindern.
Das Board war in verschiedene Bereiche unterteilt. Ein Teil hiervon war jedermann zugänglich, im Übrigen war das Board nur Mitgliedern vorbehalten, die - graduell abgestuft - durch verschiedene Aktivitäten, insbesondere das eigene Posten von kinderpornographischen Dateien innerhalb des Boards, eine entsprechende Zugangsberechtigung erhalten hatten. Der Angeklagte N. war hierbei als "Moderator" tätig, um für "Ruhe und Ordnung" unter den Besuchern des Boards zu sorgen. Zudem brachte er in dieser Funktion zahlreiche eigene Ideen ein, um den Erhalt des "Z."-Boards zu sichern und zu fördern. Im Herbst 2008 kam es nach der Festnahme eines Boardmitglieds zur Schließung des Boards.
2. Danach richtete die Gruppe eine neue Internetplattform ein und betrieb von März 2009 bis zum 29. September 2009 mit den dazugehörigen Chat-Räumen das nunmehr nur Mitgliedern zugängliche "S."-Board. Der Angeklagte N. übernahm wiederum die Rolle eines "Moderators", während sich der Angeklagte P. um die technische Einrichtung und Betreuung des Boards und der dazu gehörigen Chats kümmerte. So schrieb er das Skript für den "S."-Chat und erhöhte durch technische Installierungen die Sicherheit des Chats. Beide Angeklagte nahmen zudem die Rollen von Administratoren ein, die für die Aktivierung, Deaktivierung und Höherstufung von Mitgliedern, die Auswahl von weiteren Moderatoren und die inhaltliche Entwicklung des Boards verantwortlich waren. Mitglied in dem "S."-Board konnte jedermann werden, der in einem der zugehörigen Chat-Räume einen Link auf eine kinderpornographische "Hardcore"-Datei postete. Um dies sicherzustellen, erhielt der Angeklagte P. durch eine virtuelle Türklingel Meldung von der Anwesenheit neuer Gäste im Gästebereich des Chats. Diese fragte er über ihre Absichten und Interessen aus und forderte das Aufnahmeritual ein. Wenn die Administratoren die gepostete kinderpornographische Datei hinsichtlich des Alters des Kindes und der gezeigten sexuellen Handlungen als geeignet befanden, kam es zur Aufnahme als (einfaches) Mitglied. Um höhere Mitgliederränge mit Zugangsberechtigung zu weiteren Bereichen des Boards zu erreichen, mussten die Mitglieder entsprechend mehr kinderpornographische Bild- und Videodateien posten. Obwohl die Angeklagten dies aus Sicherheitsgründen für nicht unbedenklich hielten, wurden von Mitgliedern auch sog. "Eigenproduktionen", also selbst gefertigtes Bild- und Filmmaterial, gepostet, die den sexuellen Missbrauch nahestehender Personen zeigten. Sofern die Mitglieder innerhalb eines bestimmten Zeitraums keine Aktivitäten entfalteten, wurde ihr Zugang automatisch deaktiviert, um passive Teilnehmer von dem Board fernzuhalten. So unterlag die Szene einem ständigen Wechsel. Am 29. September 2009 hatte das "S."-Board aktuell 476 Mitglieder zu verzeichnen.
3. Über diese Tätigkeiten hinaus posteten die Angeklagten in den zugehörigen Chats des "S."-Boards selbst Links auf kinderpornographisches Bild- und Videomaterial. Der Angeklagte N. stellte in der Zeit vom 8. April bis 20. September 2009 an dreizehn verschiedenen Tagen insgesamt 20 solcher Links auf kinderpornographische Dateien ein; der Angeklagte P. postete in der Zeit vom 15. April bis 10. Juni 2009 an vier verschiedenen Tagen insgesamt sieben Links auf entsprechende Dateien.
1. Die Revision des Angeklagten N. ist zulässig. Mit Beschluss vom 10. März 2011 hat das Landgericht Darmstadt die Revision des Angeklagten N. unter Hinweis auf die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig verworfen, hierbei jedoch verkannt, dass dieser Angeklagte seine Revision rechtzeitig per Telefax begründet hatte. Auf dessen gemäß § 346 Abs. 2 StPO angebrachten Antrag war deshalb der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts aufzuheben.
2. Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet. Wegen der von dem Angeklagten N. geltend gemachten Verfahrensrügen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift Bezug genommen. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrügen hat keinen die Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
a) Zutreffend hat das Landgericht das Betreiben des "Z."- Boards durch den Angeklagten N. und des "S."-Boards durch beide Angeklagte - jeweils nebst den dazugehörigen Chats - als bandenmäßige Verbreitung kinderpornographischer Schriften in der Variante des öffentlichen Zugänglichmachens (§ 184b Abs. 1 Nr. 2 Var. 4, Abs. 3 Alt. 2 StGB) gewertet.
Ein solches Zugänglichmachen liegt in der Zurverfügungstellung einer Plattform, die dem Einstellen von Dateien im Internet dient, wobei die Möglichkeit des Lesezugriffs genügt (vgl. Gercke, Rechtswidrige Inhalte im Internet S. 42; König, Kinderpornographie im Internet Rn. 227; Kudlich JZ 2002, 310, 311 f.; Lindemann/Wachsmuth JR 2002, 206, 208 f.; Hörnle MünchKomm-StGB 2. Aufl. § 184b Rn. 23; Perron/Eisele in Schönke/Schröder 28. Aufl. § 184b Rn. 6). Nichts anderes gilt für das Bereitstellen entsprechender Links, wobei es nach Auffassung des Senats ohne Belang ist, ob das Zugänglichmachen durch das Posten eines Links auf eine kinderpornografische Datei erfolgt (so auch Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht Rn. 399) oder ob - wie hier in Einzelfällen - die Zieladresse durch Verändern von Buchstaben aus Sicherheitsgründen geringfügig verändert und von den Nutzern nach Weisung manuell eingegeben wird.
aa) Der Angeklagte N. hat durch seine Funktion als Moderator und Ideengeber im "Z."-Board an dem Betrieb der Internetplattform mitgewirkt und auf diese Weise dazu beigetragen, dass den Nutzern das Einstellen von und der Zugriff auf kinderpornographische Dateien ermöglicht wurden. Bei dem "S."-Board haben beide Angeklagte dies durch ihre Tätigkeit als Administratoren bewirkt.
bb) Das Zugänglichmachen erfolgte bei beiden Boards öffentlich, da einem größeren, in seiner Zahl und Zusammensetzung unbestimmten Personenkreis die Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet wurde. Bei dem "Z."- Board war zunächst jedermann die Möglichkeit der Kenntnisnahme der Dateien eröffnet, die im uneingeschränkt zugänglichen Bereich des "Z."- Boards gepostet wurden.
Darüber hinaus wurden der übrige Bereich des "Z."-Boards sowie der gesamte Bereich des "S."-Boards, der nur Mitgliedern zugänglich war, die - graduell abgestuft - durch das eigene Posten bestimmter kinderpornographischer Dateien eine besondere Zugangsberechtigung zu diesen Bereichen erlangt hatten, i.S.v. § 184b Abs. 1 Nr. 2 Var. 4 StGB öffentlich zugänglich gemacht.
Der Gesetzgeber ist bei der Neufassung des § 184b StGB durch das Sexualdelikteänderungsgesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I 3007) davon ausgegangen, dass ein öffentliches Zugänglichmachen im Rahmen geschlossener Benutzergruppen mit bestimmten Zugangssicherungen bei zwei oder wenig mehr Personen nicht vorliege (BT-Drs. 15/350 S. 20 f.). Von dieser Einschränkung ersichtlich nicht erfasst werden Fälle, in denen - wie hier - ein professionell organisierter Kinderpornoring im Internet eine Tauschbörse mit mehreren tausenden Zugriffen pro Tag und vielen hundert anonymen pädophilen Mitgliedern unterhält, wobei das einzige Zugangshindernis das eigene Posten kinderpornografischer Dateien ist. Ein öffentliches Zugänglichmachen von kinderpornografischem Material liegt deshalb vor, wenn der Zugang nicht auf einen dem Anbieter überschaubaren kleinen Personenkreis beschränkt werden kann, es sich vielmehr um einen anonymen, nicht überschaubaren Benutzerkreis handelt (so auch Fischer 59. Aufl. § 184b Rn. 10). Sowohl bei dem "Z."-Board als auch bei dem "S."-Board war der Kreis der Mitglieder für die Angeklagten und ihre Mittäter nicht überschaubar und nicht mehr kontrollierbar.
Das "Z."-Board hatte bis zu 4.000 Zugriffe pro Tag zu verzeichnen (UA S. 32), was auf eine entsprechend große Mitgliederzahl schließen lässt. Das "S."-Board umfasste zuletzt 476 anonyme Mitglieder.
Zu keinem anderen Ergebnis gelangt eine in der Literatur vertretene, einschränkende Auffassung, geschlossene Benutzergruppen seien nur dann öffentlich, wenn jeder ohne größere Schwierigkeiten beitreten könne bzw. nur Scheinhindernisse, wie etwa das Erfordernis eines Passwortes, das automatisch an die angegebene Mailadresse versandt werde, bestünden (Gercke, Rechtswidrige Inhalte im Internet S. 69; Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht Rn. 408; Lindemann/Wachsmuth JR 2002, 206, 208; Hörnle in MünchKomm-StGB 2. Aufl. § 184b Rn. 23; Perron/Eisele in Schönke/Schröder 28. Aufl. § 184b Rn. 6). Das Posten einer kinderpornografischen Datei als Zugangsvoraussetzung stellt letztlich nur ein bloßes Scheinhindernis für pädophile Nutzer dar, die regelmäßig bereits im Besitz entsprechender Dateien sind oder sich diese beschaffen können.
b) Zutreffend hat das Landgericht weiter angenommen, dass das eigene Posten von Links auf kinderpornographische Dateien in den zu dem "S."-Board gehörenden Chats den Tatbestand des bandenmäßigen Unternehmens des Drittbesitzverschaffens kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 2, Abs. 3 Alt. 2 StGB) erfüllt.
aa) Das Unternehmen des Drittbesitzverschaffens an einer kinderpornographischen Datei erfasst alle mit der Besitzübertragung und -begründung verbundenen Aktivitäten, auch wenn diese sich noch im Versuchsstadium befinden (§ 11 Nr. 6 StGB). Soweit im Übersenden von Links auf kinderpornographische Dateien noch kein Unternehmen des Besitzverschaffens i.S.v. § 184b Abs. 2 StGB gesehen wird (vgl. Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht Rn. 421; Hörnle in MünchKomm-StGB 2. Aufl. § 184b Rn. 30; Perron/Eisele in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 184b Rn. 10; Schreibauer, Pornographieverbot S. 310; a.A. Matzky ZRP 2003, 167, 168), folgt dem der Senat nicht.
bb) Das Übersenden eines Links zielt darauf, dem Nutzer Besitz an dem kinderpornografischen Material zu verschaffen. Besitz an einer kinderpornographischen Datei erlangt, wer die Verfügungsgewalt über das Speichermedium hat, auf dem diese sich befindet (vgl. König, Kinderpornografie im Internet Rn. 250; Schreibauer, Pornographieverbot S. 309). Dateien werden bei ihrem Aufruf im Internet regelmäßig im Cache-Speicher der Festplatte gespeichert.
Mit diesem Speichern einer Datei im Cache-Speicher erlangt der Nutzer hieran Besitz - sofern er sich des Vorhandenseins dieser Daten bewusst ist - da es ihm möglich ist, diese jederzeit wieder aufzurufen, solange sie nicht manuell oder systembedingt automatisch gelöscht werden (BGH NStZ 2007, 95; vgl. auch Gercke, Praxishandbuch Internetstrafrecht Rn. 332; Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht Rn. 419; König, Kinderpornografie im Internet Rn. 250; Hörnle in MünchKomm-StGB 2. Aufl. § 184b Rn. 38 f.; Schreibauer, Pornographieverbot S. 309).
Drittbesitzverschaffen setzt zwar grundsätzlich - in Abgrenzung zum eigenen Sichverschaffen des Nutzers - voraus, dass die Handlung des Täters direkt und unmittelbar auf die Besitzverschaffung des Dritten gerichtet ist. Bedarf es aber - wie hier - nur noch einer geringfügigen Mitwirkungshandlung des Empfängers selbst, der lediglich den Link anklicken muss, um die tatsächliche Herrschaft über die kinderpornografischen Dateien zu erlangen, und ist aufgrund der gerade auf den Austausch und die Übermittlung solcher Daten gerichtete Kommunikation in einem Chat mit einer alsbaldigen Inanspruchnahme des Downloadangebots zu rechnen, ist es ohne Bedeutung, dass der letzte Schritt zur eigentlichen Besitzerlangung in der Hand des Nutzers liegt. Ob dies auch so zu sehen wäre, wenn statt eines Links die selbst in den Browser einzugebende Adresse für kinderpornografische Dateien in den Chat eingestellt wird, braucht der Senat an dieser Stelle nicht zu entscheiden.
Danach bedeutet es für das Unternehmen des Drittbesitzverschaffens keinen Unterschied, ob der Täter dem Nutzer die Daten etwa per E-Mail mit entsprechendem Anhang (dazu vgl. Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht Rn. 421; Fischer StGB 59. Aufl. § 184b Rn. 15; Hörnle in MünchKomm-StGB 2. Aufl. § 184b Rn. 30) übermittelt oder ob er diesem die Möglichkeit des Zugriffs auf diese - wie vorliegend - durch Übermitteln eines anzuklickenden Links verschafft hat. Auch für die Tathandlung des Verbreitens i.S.v. § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB macht es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 47, 55, 59 f.) keinen rechtlich relevanten Unterschied, ob der Anbieter dem Nutzer die Dateien explizit zusendet (Upload) oder der Nutzer diese durch Aktivieren eines Links anfordert (Download). Die Angeklagten, denen angesichts ihrer speziellen Computerkenntnisse und ihrer mehrjährigen Erfahrung im Aufbau kinderpornographischer Seiten im Internet die Speichervorgänge in den Cache-Speichern bekannt waren, haben nach alledem mit der Übermittlung der Links nach ihrer Vorstellung alles Erforderliche getan und es damit unternommen, den Nutzern Besitz hieran zu verschaffen.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 330
Externe Fundstellen: StV 2012, 539
Bearbeiter: Karsten Gaede