HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 195
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 501/08, Beschluss v. 28.11.2008, HRRS 2009 Nr. 195
1. Auf die Revision des Nebenbeteiligten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. Juni 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat im selbständigen Einziehungsverfahren nach § 76a StGB die Einziehung von drei im Eigentum des Nebenbeteiligten stehenden Computerfestplatten angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt der Nebenbeteiligte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts waren auf den im Oktober 2003 beim Beschwerdeführer sichergestellten Festplatten u. a. Fotodateien und Videoclips, welche die Darstellung "von Hand-, Mund- und Vaginalverkehr von erkennbar unter 14jährigen" zeigen, gespeichert. Insoweit zutreffend hat das Landgericht diese als pornografische Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB), die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben und deren Besitz nach § 184 Abs. 5 Satz 2 a.F. StGB strafbewehrt ist, behandelt. An einer Verurteilung des Nebenbeteiligten hat sich das Landgericht gleichwohl gehindert gesehen, weil nicht festgestellt werden konnte, "wer für die Speicherung der Bilder und Videoclips" auf dem auch für dritte Personen zugänglichen Rechner des Beschwerdeführers verantwortlich gewesen war; das subjektive Verfahren hat das Landgericht nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Zwar hat die Strafkammer - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - damit fehlerhaft allein auf die Tathandlung des Sichverschaffens im Sinne des § 184 Abs. 5 Satz 1 a.F. StGB abgestellt. Ungeprüft gelassen hat sie die Tathandlung des Besitzes gemäß § 184 Abs. 5 Satz 2 a.F. StGB. Dieser umfasst das Aufrechterhalten eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses aufgrund Besitzwillens ebenso wie das schlichte Unterlassen der Entledigung durch Vernichten oder Abliefern. Jedoch sind die Voraussetzungen einer Einziehung der Festplatten nach § 184 Abs. 7 Satz 2 a.F. StGB i.V.m. §§ 76a Abs. 3, Abs. 1, 74 Abs. 4, Abs. 2 Nr. 2 StGB gegeben, ohne dass es auf die Feststellung einer Täterschaft des Nebenbeteiligten ankommt. Denn es handelt sich bei den Datenträgern um Gegenstände von jedenfalls individueller Gefährlichkeit i.S.d. § 74 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. StGB, deren Einziehung auch als Beziehungsgegenstände der Tat nach § 184 Abs. 7 Satz 2 a.F. StGB zwingend anzuordnen ist. Auf die zusätzlichen Voraussetzungen des § 74a StGB kommt es nicht an.
Nicht beachtet hat das Landgericht allerdings die Vorschrift des § 74b Abs. 2 StGB. Danach hat das Gericht in den Fällen der §§ 74 und 74a StGB anzuordnen, dass die Einziehung (lediglich) vorbehalten bleibt und eine weniger einschneidende Maßnahme zu treffen, wenn der Zweck der Einziehung auch durch sie erreicht werden kann. § 74b Abs. 2 StGB hat - anders als die Absätze 1 und 3 dieser Norm - als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (BVerfG NJW 1996, 246) auch in Fällen obligatorischer Einziehung zwingenden Charakter (BGH NStZ 1981, 104). Soweit die Strafkammer in diesem Zusammenhang ohne nähere Feststellungen ausführt, der Nebenbeteiligte habe keinen Anspruch darauf, dass lediglich die kinderpornografischen Inhalte auf seinen Festplatten unter Bewahrung seiner Dateien im Übrigen gelöscht werden, weil ein solches Verfahren "zwar technisch möglich, aber kostenintensiv" sei, ist dies rechtsfehlerhaft. Steht mit der Löschung der inkriminierten Dateien nämlich ein milderes geeignetes Mittel als die vorbehaltlose Einziehung zur Verfügung, so hat der Tatrichter die Einziehung vorzubehalten und eine entsprechende Anordnung zu treffen; ein Ermessen ist ihm nicht eröffnet.
Den insoweit lückenhaften Feststellungen des Landgerichts kann nicht entnommen werden, ob die Löschung nur der inkriminierten Dateien in einer Weise vorgenommen werden kann, die ihre spätere Wiederherstellung unmöglich macht oder ob. z. B. allein eine vollständige Formatierung der Festplatten ein geeignetes Mittel darstellt, die von den Datenträgern ausgehende Gefahr zu beseitigen. Das Urteil war deshalb mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben. Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben, dass - weil eine Rückgabe der Datenträger an den Nebenbeteiligten zur Löschung der Dateien durch diesen selbst ausgeschlossen ist - die Durchführung entsprechender Maßnahmen durch die Vollstreckungsbehörde anzuordnen sein wird.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 195
Externe Fundstellen: BGHSt 53, 69; NJW 2009, 692; NStZ 2009, 324
Bearbeiter: Karsten Gaede