HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 273
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 561/07, Urteil v. 06.02.2008, HRRS 2008 Nr. 273
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. Juni 2007 im Strafausspruch hinsichtlich Fall II. 1 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision gegen den Strafausspruch im Fall II. 1 der Urteilsgründe und gegen den Gesamtstrafenausspruch. Das wirksam beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfiel der Angeklagte am 15. Juli 2006 gegen 6.00 Uhr morgens eine Joggerin in der Absicht, dieser ihren Walkman gewaltsam abzunehmen. Als er sie von hinten um den Hals fasste, fragte die Geschädigte in Todesangst, ob er sie vergewaltigen wolle. Erst jetzt entschloss sich der Angeklagte, die Frau zu vergewaltigen. Den Arm immer noch um ihren Hals gelegt, drückte er sie in einen Waldweg und forderte sie in aggressivem Ton auf, sich vor ihm hinzuknien. In ihrer Todesangst versuchte die psychologisch geschulte Frau den Angeklagten in ein Gespräch zu verwickeln und ihn mit den Worten "Du bist ganz schön geil" zu beruhigen. Nach dem 1-2 Minuten dauernden ungeschützten Geschlechtsverkehr ohne Samenerguss, bei dem die Geschädigte keinen Widerstand leistete, fragte sie den Angeklagten, ob er noch einmal wolle, was dieser verneinte.
Am 24. September 2006 gegen 19.50 Uhr ergriff der Angeklagte an gleicher Stelle eine andere Joggerin, lediglich in der Absicht diese zu erschrecken, von hinten am Hals, nahm sie in den Würgegriff und versuchte sie in einen Waldweg zu schleifen, was am heftigen Widerstand der Frau scheiterte. Die Geschädigte erlitt dabei Schmerzen und Rötungen im Hals- und Kehlkopfbereich.
2. Das Landgericht hat den umfassend geständigen Angeklagten im ersten Fall wegen Vergewaltigung verurteilt, die Einsatzstrafe von drei Jahren dem nach §§ 46a, 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB gemilderten Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB entnommen und zum Täter-Opfer-Ausgleich Folgendes festgestellt:
"Der Angeklagte hat der geschädigten Zeugin E. einen Täter-Opfer-Ausgleich in Form einer Geldzahlung als Schadensersatz in Höhe von 3.000 Euro angeboten und sich über seinen Verteidiger schriftlich bei der Zeugin entschuldigt. Die Zeugin erklärte sich einverstanden, woraufhin dieser Geldbetrag, der dem Angeklagten von seinen Eltern und seinen Brüdern zur Verfügung gestellt wurde, an die Zeugin E. überwiesen worden ist."
Hinsichtlich der zweiten Tat hat das Landgericht, das sich von einer Vergewaltigungsabsicht nicht überzeugen konnte, den Angeklagten wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die von der Revision mit der Sachrüge beanstandete Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs und die deshalb erfolgte Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 46 a Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Der Tatrichter hat in wertender Betrachtung und schließlich nach Ermessensgesichtspunkten zu entscheiden, ob er die Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs annimmt und danach von der so eröffneten Milderungsmöglichkeit Gebrauch macht. Hier hat das Landgericht, das nicht einmal erkennen lässt, welche Alternative des § 46a StGB es anwenden will, die Voraussetzungen eines stattgefundenen Täter-Opfer-Ausgleichs nicht in einem die Nachprüfung durch den Senat ermöglichenden Umfang dargelegt:
Zwar hat der Angeklagte nach den Urteilsgründen ein umfassendes Geständnis abgelegt. Damit hat er die unabdingbare Voraussetzung geschaffen, um die friedensstiftende Wirkung der Schadenswiedergutmachung zu entfalten (BGHSt 48, 134 ff.; NStZ-RR 2006, 373; Fischer StGB 55. Aufl. § 46a Rdn. 10b). Ob er der Geschädigten damit eine weitere psychische Belastung erspart hat oder ob diese - was nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden kann - zur Verarbeitung des Erlebten in der Hauptverhandlung hätte aussagen wollen, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Auch die von dem zuletzt arbeitslosen, nunmehr inhaftierten Angeklagten geleistete Zahlung von lediglich 3.000 Euro, die er sich von Verwandten hat besorgen müssen, hindert die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht von vornherein, da die vollständige Erfüllung von Ersatzansprüchen nicht zwingende Voraussetzung ist. Strafrechtliche Wiedergutmachung darf dem zivilrechtlichen Anspruch nicht gleichgesetzt werden (BGHR StGB § 46a Wiedergutmachung 5). So lässt § 46a Nr. 1 StGB in Ausnahmefällen sogar schon das ernsthafte Bemühen um umfassenden Ausgleich ausreichen.
Allerdings setzt ein Täter-Opfer-Ausgleich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Wenngleich ein "Wiedergutmachungserfolg" nicht zwingende Voraussetzung ist, so muss sich doch das Opfer auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereit finden und sich auf ihn einlassen (BGH NStZ 2006, 275). Bei einem schwerwiegenden Sexualdelikt, wie es hier vorliegt, wird eine entsprechende, zumindest annähernd gelungene Konfliktlösung in der Regel aus tatsächlichen Gründen nur schwer erreichbar sein (BGH NStZ 2002, 646).
Darauf bezogene Feststellungen lässt das angefochtene Urteil vermissen. Insbesondere fehlen Ausführungen dazu, wie sich das Opfer zu den ebenfalls nicht näher geschilderten Bemühungen des Täters gestellt hat und wann und aus welchen Gründen es die ihm durch den Verteidiger angebotene Zahlung angenommen hat. So setzt sich das Landgericht nicht mit den nahe liegenden Möglichkeiten auseinander, dass die anwaltlich nicht vertretene, durch die Tat schwer traumatisierte Geschädigte das ihr unterbreitete Angebot nur deshalb akzeptiert hat, um in der Hauptverhandlung nicht aussagen zu müssen oder weil sie etwa befürchtete, ansonsten keinerlei Ersatzleistungen von dem Angeklagten zu erhalten. Bei einer solchen Motivlage würde es aber an dem erforderlichen Willen des Opfers zur Versöhnung und an einer erzielten Genugtuung fehlen (BGH NStZ 2003, 365).
2. Die Anwendung des § 46a StGB bedarf danach erneuter, intensiverer Prüfung. Die Aufhebung der für den Fall II. 1 verhängten Strafe bedingt auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die erforderliche Aufklärung der Motivlage der Geschädigten nicht zwingend deren zeugenschaftliche Vernehmung voraussetzt. In Betracht kommt zum einen, den stattgefundenen Schriftwechsel näher mitzuteilen und bezogen auf die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB zu bewerten; zum anderen bietet sich - wie bereits in der ersten Hauptverhandlung geschehen - eine Vernehmung des Ehemanns der Geschädigten an.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 273
Externe Fundstellen: NStZ 2008, 452; StV 2008, 463
Bearbeiter: Ulf Buermeyer