HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 261
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 452/03, Urteil v. 28.01.2004, HRRS 2004 Nr. 261
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Mai 2003 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Nebenkläger A. und M. K. wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen, ausgenommen die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision der Nebenkläger, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision der Nebenkläger wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Dagegen hat die Revision der Nebenkläger mit der Sachrüge Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Das Opfer der Straftat, die Ehefrau des Angeklagten, B. T. geborene K., ist in der Bundesrepublik geboren worden und hier nach hiesigen Wert- und Moralvorstellungen aufgewachsen. Die Ehe kam auf Betreiben der Eltern - die Mutter der B. und der Vater des Angeklagten sind Geschwister - zustande. Der Angeklagte, der in einem kleinen Dorf in Anatolien geboren worden und aufgewachsen ist, kam im Februar 2002 nach Deutschland. Die Ehe war anfangs harmonisch; bereits nach etwa sechs Wochen kam es immer öfter zu Streit zwischen den Eheleuten, wobei der Angeklagte seine Ehefrau auch immer wieder schlug. Der Angeklagte war eifersüchtig und den Moral- und Wertvorstellungen seiner Heimat verhaftet. Er erwartete von seiner Ehefrau Gehorsam und daß sie ihn ständig um Erlaubnis fragte, selbst wenn sie nur einkaufen ging. Er untersagte ihr, sich allein mit einer Freundin oder ihren Schwestern zu treffen, schrieb ihr vor, wie sie sich zu kleiden hatte, kontrollierte und beaufsichtigte sie bei jeder Gelegenheit. Er behandelte sie wie seinen Besitz, mit dem er umgehen könne, wie er es für richtig halte. Die Auseinandersetzungen nahmen im Laufe der Monate zu, Versuche der Familienmitglieder, auf den Angeklagten einzuwirken, sein Verhalten zu ändern, blieben erfolglos. B. T. war deshalb fest entschlossen, sich vom Angeklagten zu trennen und sich scheiden zu lassen. Der Angeklagte, dessen Aufenthaltserlaubnis am 14. November 2002 ablief, sollte in die Türkei zurückkehren. Der Angeklagte empfand dies als demütigend und drohte mehrfach, wenn er in die Türkei zurück müsse, werde er "eine Leiche mitnehmen".
Am Abend des 16. Oktober 2002 kam es zu einem erneuten Streit zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau. B. T. weigerte sich, zwecks Aufenthaltsverlängerung mit ihm zum Konsulat zu fahren, er sollte in die Türkei zurückkehren. Aus Verärgerung und Wut begann der Angeklagte, heftig auf seine Frau einzuschlagen. Spätestens jetzt entschloß er sich, seine Ehefrau zu töten. Er zog ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8 cm aus der Hosentasche, klappte es auf und stach mit direktem Tötungsvorsatz mit großer Wucht gezielt vielfach auf den Oberkörper seiner Ehefrau ein. B.T. stürzte zu Boden, wo der Angeklagte weiter auf sie einstach, bis sie sich nicht mehr rührte. Insgesamt versetzte der Angeklagte seiner Ehefrau 48 Messerstiche, davon 12 in die Brust und 34 in den Rücken. B. T. verstarb innerhalb kürzester Zeit nach maximal ein bis drei Minuten an innerem und äußerem Verbluten.
Nach der Tat nahm der Angeklagte 250 € aus dem Portemonnaie seiner Ehefrau und versuchte zu fliehen. Er wurde gegen 23.25 Uhr vor einer Gaststätte festgenommen, wo er auf ein Taxi wartete.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
1. Die Rüge der Verletzung der §§ 52, 252 StPO greift nicht durch. Die Zeugin A. K., Schwiegermutter und Tante des Angeklagten, wurde in der Hauptverhandlung ordnungsgemäß belehrt und sagte zur Sache aus. Während ihrer Aussage brach sie zusammen und machte anschließend von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Die zuvor von der Zeugin in der Hauptverhandlung gemachten Angaben durften entgegen der Auffassung der Revision im Urteil verwertet werden (BGHSt 2, 99, 107; BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 2 Widerruf 1; Dahs in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 52 Rdn. 36; Senge in KK-StPO 5. Aufl. § 52 Rdn. 42; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 52 Rdn. 22; Grünwald, Das Beweisrecht der Strafprozeßordnung S. 23 f.).
2. Auch die gegen die Ablehnung des Befangenheitsantrags gegen den ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. Ba. gerichtete Rüge ist jedenfalls unbegründet. Der Beschluß des Landgerichts läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
Das Aufgreifen der von der Staatsanwaltschaft in einem Aktenvermerk angesprochenen Frage einer Maßnahme nach § 63 StGB im vorläufigen Gutachten ist nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
3. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Die Revision der Nebenkläger, die geltend macht, das Landgericht habe das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu Unrecht verneint, ist begründet.
1. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß die Tat objektiv als auf niedrigster moralischer Stufe bewertet werden muß, weil der Angeklagte seiner Ehefrau nur deshalb, weil sie sich von ihm wegen seines unerträglich gewordenen Verhaltens, insbesondere seiner Mißhandlungen trennen wollte, das Lebensrecht abgesprochen hat (UA S. 29). Zu Recht hat das Landgericht bei dieser Prüfung nicht auf die Herkunft des Angeklagten aus einem anderen Kulturkreis abgestellt; darauf kommt es bei der Gesamtwürdigung, ob ein Tötungsmotiv als niedrig einzuschätzen ist, nicht an. Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung die besonderen Anschauungen und Wertvorstellungen, denen ein Täter wegen seiner Bindung an eine fremde Kultur verhaftet ist, bereits bei der Gesamtwürdigung, ob ein Beweggrund objektiv niedrig ist, berücksichtigt (BGH NJW 1980, 537 = JZ 1980, 238 mit Anm. Köhler und Anm. Sonnen JA 1980, 747; StV 1981, 399; NJW 1983, 55; StV 1997, 565; Urteil des 1. Strafsenats vom 28. August 1979 - 1 StR 282/79 -; so auch Neumann in NK-StGB § 211 Rdn. 30; Maurach/Schroeder/Maiwald Strafrecht BT Teilbd. 1 9. Aufl. § 2 Rdn. 37 a. E.). Diese Gesamtwürdigung umfaßt zwar neben den Umständen der Tat auch die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit. Nach der schon früher vertretenen Auffassung des Senats ist jedoch der Maßstab für die objektive Bewertung eines Beweggrunds den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu entnehmen, in der der Angeklagte lebt und vor deren Gericht er sich zu verantworten hat, und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die sich den sittlichen und rechtlichen Werten dieser Rechtsgemeinschaft nicht in vollem Umfang verbunden fühlt (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 29 = NJW 1995, 602). Dieser Auffassung haben sich der 1. Strafsenat (Beschlüsse vom 28. Juni 2000 - 1 StR 199/00 - und vom 24. April 2001 - 1 StR 122/01 -) und der 5. Strafsenat (BGHR aaO Niedrige Beweggründe 41 mit Anm. Saliger StV 2003, 22; zustimmend Otto Jura 2003, 617; Jähnke in LK-StGB 11. Aufl. § 211 Rdn. 37; Schneider in MünchKomm-StGB § 211 Rdn. 93) angeschlossen.
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen der subjektiven Erfordernisse des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe verneint hat, halten der rechtlichen Nachprüfung jedoch nicht stand. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt: "Es ist anzunehmen, daß er in einer auf seinen fremden soziokulturellen Wertvorstellungen beruhenden maßlosen Wut und Empörung gegenüber seiner Ehefrau handelte, die sich ihm - wie er es als türkischer Mann zu beanspruchen können glaubte - bis dahin letztlich immer gefügt hatte, nunmehr aber davor stand, seine `ruhmlose` Rückkehr in die Türkei zu bewirken, die nach seinen anatolischen Wertvorstellungen seine Familien- und Mannesehre verletzte und zu einem Ansehensverlust in der Heimat führen mußte. Die Kammer konnte sich daher nicht hinreichend davon überzeugen, daß der Angeklagte seine gefühlsmäßigen Regungen gedanklich beherrschen konnte, um das absolute Mißverhältnis zwischen Anlaß und Tat in sein Bewußtsein aufzunehmen, ob ihm also bei Tatbegehung die Umstände bewußt waren, die die Beweggründe als niedrig erscheinen lassen…".
Diese Ausführungen lassen besorgen, daß das Landgericht die beiden subjektiven Elemente dieses Mordmerkmals, nämlich die Kenntnis (d. h. das Bewußtsein vom Vorliegen) der tatsächlichen Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, und das weitere Merkmal der Fähigkeit zur gedanklichen Beherrschung der bei der Tat möglicherweise aufgetretenen gefühlsmäßigen Regungen fehlerhaft vermischt hat.
a) Der Täter muß die Mordmerkmale subjektiv in ihren tatsächlichen Voraussetzungen erfassen. Bei der Prüfung der niedrigen Beweggründe gehört dazu, daß er die Umstände kennt und mit seinem Bewußtsein erfaßt, welche die Bewertung seines Handlungsantriebes als niedrig begründen (ständige Rechtsprechung, u. a. BGHR aaO Niedrige Beweggründe 6, 13, 15, 23). Die als niedrig zu bewertenden Handlungsantriebe dürfen nicht lediglich unbewußte Handlungsantriebe gewesen sein (BGH StV 1984, 72), denn das Schuldprinzip setzt voraus, daß die die Tat charakterisierenden Motive und Absichten als Merkmale des subjektiven Tatbestandes nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn sie in das Bewußtsein des Täters getreten sind.
Die - rechtliche - Bewertung der Handlungsantriebe als niedrig braucht der Täter nicht vorzunehmen oder nachzuvollziehen, auf seine eigene Einschätzung oder rechtsethische Wertung kommt es nicht an (BGHR aaO Niedrige Beweggründe 13, 23). Er muß aber zu einer zutreffenden Wertung in der Lage sein; die Fähigkeit dazu kann etwa bei einem Persönlichkeitsmangel oder bei einem ausländischen Täter, der den in seiner Heimat gelebten Anschauungen derart intensiv verhaftet ist, daß er deswegen die in Deutschland gültigen abweichenden sozialethischen Bewertungen seines Motivs nicht in sich aufnehmen und daher auch nicht nachvollziehen kann, fehlen (BGH GA 1967, 244; BGH bei Dallinger MDR 69, 723; BGH bei Holtz MDR 77, 809; BGH NStZ 1981, 258; BGHR aaO Niedrige Beweggründe 24; Jähnke in LK-StGB aaO Rdn. 33, 37). Soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen (wie Wut, Haß oder Zorn) als Handlungsantrieb in Betracht kommen, muß der Täter diese - über die Erkenntnis ihrer handlungsleitenden Wirkung hinaus - auch gedanklich beherrschen und mit seinem Willen steuern können (so schon Urteil des 1. Strafsenats vom 3. Juli 1951 - 1 StR 267/51 -; BGHSt 28, 210, 212; BGHR aaO 2, 6, 15, 22, 23).
b) Die vorstehend mitgeteilten Ausführungen des Landgerichts lassen schon nicht erkennen, ob der Angeklagte nach Auffassung der Schwurgerichtskammer bereits die tatsächlichen Umstände, die die Bewertung seines Handlungsantriebs nach mitteleuropäischen Maßstäben als niedrig begründen, nicht erkannt hat, ob er aufgrund seiner "anatolischen Wertvorstellungen" außerstande gewesen ist, die Bewertung seiner Beweggründe als niedrig zu vollziehen, oder ob er seine - erkannten - gefühlsmäßigen Regungen nicht gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern konnte. Hinsichtlich dieser getrennt zu beurteilenden Voraussetzungen der subjektiven Seite des Mordmerkmals lassen die Urteilsgründe darüber hinaus besorgen, daß das Landgericht nicht alle Umstände des Falles bedacht hat.
Auslöser der Handgreiflichkeiten war Verärgerung und Wut des Angeklagten, weil ihm das ungewohnt obstinate und eindeutige Verhalten seiner Frau bewußt machte, daß sie ihre Meinung nicht ändern würde, daß die Ehe gescheitert war und daß er, was er als demütigend und seine männliche Ehre verletzend empfand, in die Türkei zurückgeschickt werden würde (UA S. 11). Spätestens jetzt entschloß sich der Angeklagte, seine mehrfach angekündigte Drohung, er werde in die Türkei "eine Leiche mitnehmen", wahr zu machen und B. T. zu töten. Dies spricht dafür, daß er seinen Handlungsantrieb zutreffend erfaßt hat.
Daß der Angeklagte so fest mit seinen anatolischen Überzeugungen verhaftet war, daß er außerstande war, die (deutsche) Bewertung dieses Handlungsantriebes als niedrig nachzuvollziehen, ist in den Urteilsgründen nicht hinreichend belegt. Zum einen sind dem Angeklagten von den Familienmitgliedern deutsche Bräuche und Überzeugungen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Mann und Frau erklärt worden (UA S. 7), die Schwester drohte ihm sogar an, sie werde sich an die Polizei wenden, was der Angeklagte seinerseits mit einer Drohung gegen deren Kinder und Ehemann verhinderte (UA S. 8). Zum anderen enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen dazu, daß sich der Angeklagte nach anatolischen Wertvorstellungen für berechtigt halten durfte, seine Ehefrau ständig zu mißhandeln und schlußendlich zu töten. Hiergegen könnte sprechen, daß er sie gefesselt, ihr ein Kissen auf den Mund gedrückt und die Musikanlage lauter gestellt hat, damit man die Schreie bei den Mißhandlungen nicht hörte (UA S. 18) und daß er gegenüber seinen eigenen Eltern die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritt (UA S. 8).
Auch die Annahme, daß der Angeklagte seine gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen bei der Tat nicht gedanklich beherrschen und mit seinem Willen steuern konnte, liegt nach den Urteilsfeststellungen nicht nahe. Der Angeklagte ist sich seiner Antriebskräfte bewußt gewesen (UA S. 11/12). Anhaltspunkte dafür, daß er zu einer Beherrschung seiner Motive nicht in der Lage gewesen sein könnte, teilt das Urteil nicht mit, zumal auch ein hochgradiger Affekt ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Selbst wenn der Angeklagte bei der Tat in immer größere Erregung geraten sein sollte, könnte ihn dies nicht entlasten, wenn er sich bewußt von beherrschbaren Gefühlen zur Tat hätte treiben lassen (vgl. BGHR aaO Niedrige Beweggründe 8; BGH, Urteil vom 3. Juli 1951 - 1 StR 267/51 -).
HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 261
Externe Fundstellen: NJW 2004, 1466; NStZ 2004, 332
Bearbeiter: Ulf Buermeyer