Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 273/97, Urteil v. 04.11.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 3. Dezember 1996 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Untreue verwarnt und ihre Verurteilung zu Geldstrafen von jeweils 150 Tagessätzen zu 240 DM vorbehalten. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten und die zu ihren Ungunsten eingelegte, nach dem Antrag auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Die Rechtsmittel sind begründet.
1. Gegenstand der Verurteilung ist die Überschreitung des Haushalts der württembergischen Staatstheater in Stuttgart für das Jahr 1990, für die der Angeklagte Prof. G. als Generalintendant, der Angeklagte Q. als Verwaltungsdirektor und Beauftragter für den Haushalt verantwortlich waren.
Die württembergischen Staatstheater in Stuttgart sind Teil der Verwaltung des Landes Baden-Württemberg. Für ihre Finanzierung erhalten sie Gelder des Landes und Zuschüsse der Stadt Stuttgart; hinzu kommen eigene Einnahmen, Sponsorengelder und Spenden. Die Mittel werden im Staatshaushaltsplan festgelegt. Für das Haushaltsjahr 1990 waren dies 104.846.300 DM. Dieser Haushalt wurde - nach den Feststellungen ausschließlich durch zweckentsprechende Aufwendungen - um rund 5,1 Millionen DM überschritten, die das Land Baden-Württemberg im Jahre 1991 durch einen Nachtragshaushalt (ohne Kreditaufnahme) aufbrachte. Den Angeklagten hat das Landgericht die Haushaltsüberschreitung um zwei Millionen DM strafrechtlich zugerechnet.
Der Angeklagte Prof. G. war seit dem Jahre 1985 Generalintendant und aufgrund seines Dienstvertrages "verpflichtet, die Haushaltsansätze einzuhalten". Er war "berufen worden mit dem Auftrag, das nationale Renommee der Staatstheater zu heben." Nach der politischen Zielsetzung sollten durch verstärkte Engagements bekannter Künstler Standortvorteile gesichert werden. Dazu war der Etat der Staatstheater in den Jahren 1985 bis 1990 kontinuierlich erhöht worden. Trotzdem kam es jeweils zu Überschreitungen.
Die Angeklagten erkannten im November 1989 die Möglichkeit, daß der Haushalt für das Jahr 1990 um mindestens zwei Millionen DM überzogen werden könnte. Aber erst im März 1990 wurden erste Einsparungsvorschläge erarbeitet. Die Angeklagten bezogen auch die neue Spielstätte "Theater im Depot" in den Theaterbetrieb ein, für die im Haushaltsplan - von einem Ansatz für Technikerstellen abgesehen - keine Mittel vorgesehen waren. Am 6. November 1990 veranlaßte ein Mitarbeiter einen Kassenstopp, weil die Mittel für Sachausgaben verbraucht seien. Nachdem der Angeklagte Prof. G. eine feste Zusage eines Sponsorenbetrags erhalten hatte, wies er den Mitarbeiter an, "die zur Aufrechterhaltung des Proben- und Spielbetriebs erforderlichen Zahlungen sowie die sonstigen unabweisbaren Zahlungen zu leisten. In Zweifelsfällen sei die Entscheidung von Verwaltungsdirektor Q. einzuholen". Am 24. November 1990 unterrichtete der Angeklagte Prof. G. die Landesregierung darüber, daß ein Haushaltsdefizit in Millionenhöhe entstanden sei.
Für die von ihm vorgenommene interne Aufteilung der verfügbaren Mittel hatte der Angeklagte Prof. G. sich auf wenig aussagekräftige Hochrechnungen der Ausgaben gestützt. Seine Haushaltsplanung enthielt auch keine Veranschlagung von nachträglich anfallenden, haushaltsrechtlich verwendbaren Einnahmen, Spenden und Sponsorengeldern. Wegen der bisher nur vagen Planungsgrundlagen veranlaßte er eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, die von März 1989 bis Januar 1990 durchgeführt wurde und deren Ergebnisse im April 1990 vorlagen. Durch Beachtung der darin gemachten Vorschläge wurde der Haushalt ab 1991 nicht mehr überschritten.
2. Das Landgericht sieht eine Untreue der Angeklagten darin, daß sie "den Spielbetrieb für das Jahr 1990 planten und realisierten", obwohl sie eine Überschreitung des Jahreshaushalts für möglich hielten. Der Angeklagte Prof. G. habe nicht alles "ihm Mögliche und Zumutbare zur Einhaltung des Haushalts" getan. Da er "keine Initiative" zur Durchführung von Sparmaßnahmen ergriffen habe, könne die Frage offenbleiben, "welche Schritte möglich, zumutbar und daher abzuverlangen gewesen wären". Beide Angeklagten müßten sich aufgrund ihrer jeweiligen Leitungsfunktion Handlungen von Mitarbeitern zurechnen lassen. "Sie haften für Überschreitungen des Haushalts unter dem Gesichtspunkt des Begehungsdelikts." Dem Haushaltsgeber sei ein Vermögensnachteil dadurch zugefügt worden, daß ohne zwingende Notwendigkeit Gelder unter Verstoß gegen Haushaltsgrundsätze seiner Disposition entzogen worden seien.
II. Die Revisionen der Angeklagten
Die Rechtsmittel beider Angeklagten sind mit der Sachrüge begründet, so daß es auf die für den Angeklagten Prof. G. erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.
1. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
Das Landgericht hat wegen der Überschreitung des Jahreshaushalts für das Haushaltsjahr 1990 Untreue durch aktives Tun bei beiden Angeklagten angenommen; es hat aber keine konkreten Einzelhandlungen festgestellt, die einen Mißbrauch der Verpflichtungs- oder Verfügungsbefugnis der Angeklagten beziehungsweise einen Pflichtverstoß im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB dargestellt haben und für einen bestimmten Vermögensnachteil ursächlich geworden sein könnten (vgl. BGHR StGB § 266 Abs. 1 Mindestfeststellungen 1 und Nachteil 13). Den für die Erfüllung des Tatbestands der Untreue erforderlichen Vermögensnachteil hat es im wesentlichen darin gesehen, daß Haushaltsmittel unter Überschreitung des Haushaltsplans verbraucht wurden.
Beides begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Tathandlung der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB ist die im Außenverhältnis wirksame, aber im Verhältnis zum Geschäftsherrn bestimmungswidrige Ausübung der Befugnis zur Vermögensverfügung oder Verpflichtung (Mißbrauchstatbestand) oder die Verletzung der sich aus einem Treueverhältnis ergebenden Vermögensbetreuungspflicht (Treuebruchstatbestand); Taterfolg ist die Verursachung eines Vermögensnachteils.
a) Untreue im Sinne des § 266 StGB kann auch bei Verstößen gegen haushaltsrechtliche Vorgaben oder Prinzipien gegeben sein (vgl. BGHSt 40, 287, 294; BGH NStZ 1984, 549 f. = wistra 1985, 69 ff.; NStZ 1986, 455 f. = wistra 1986, 260 ff.; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 266 Rdn. 44; Schünemann in LK 11. Aufl. StGB § 266 Rdn. 132). Als Tathandlung kommt aber auch hier nur die einzelne vermögensmindernde Verfügung in Betracht. Deshalb kommt es grundsätzlich nicht auf das Gesamtergebnis der Wirtschaftsperiode an; vielmehr muß die einzelne Untreuehandlung darauf untersucht werden, ob der Mitteleinsatz pflichtwidrig war und deshalb zu einem Vermögensnachteil geführt hat, weil er zweckwidrig oder sonst dem betreuten Vermögen nachteilig war (vgl. Kohlmann/Brauns, Zur strafrechtlichen Erfassung der Fehlleitung öffentlicher Mittel, 1979 S. 67).
Bei einer wie hier notwendigerweise vor Verabschiedung des Haushaltsplans erfolgenden Spielplangestaltung mit entsprechenden Vertragsschlüssen muß festgestellt werden, welche Steuerungsmöglichkeiten die Angeklagten hatten, um sich haushaltsplangerecht zu verhalten und welche Vor- und Nachteile durch die einzelnen Steuerungsmaßnahmen eingetreten sind.
b) § 266 Abs. 1 StGB schützt als ein Vermögensdelikt ebenso wie der Betrug nur das Vermögen des Geschäftsherrn oder Treugebers als Ganzes (vgl. BGHSt 8, 254, 255 ff.; Lenckner in Schönke/Schröder aaO § 266 Rdn. 1, Schünemann in LK aaO § 266 Rdn. 28 m.w.Nachw.), nicht seine Dispositionsbefugnis (a. M. Volk in Krekeler/Tiedemann/Ulsenheimer/Weinmann, Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 1985 Stichwort "Haushaltsuntreue" S. 3).
aa) Die Pflichtwidrigkeit der Verfügung über das zu betreuende Vermögen allein ist ebensowenig ein Vergehen der Untreue wie die irrtumsbedingte Verfügung des Getäuschten schon zur Bejahung des Betrugs führt. Erforderlich ist in beiden Fällen, daß das Vermögen des Berechtigten im ganzen, also auch unter Berücksichtigung der durch die Verfügung möglicherweise erlangten Vermögensmehrungen, vermindert ist. Dies kann auch für Fälle der vorliegenden Art nicht anders gesehen werden. Daß gegen haushaltsrechtliche Vorschriften verstoßen wurde, genügt nach der systematischen Stellung im Gesetz und vor allem nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht, um einen sich bereits aus der Verausgabung öffentlicher Mittel ergebenden Vermögensnachteil zu begründen. Es gibt keinen Tatbestand der Haushaltsuntreue, der allein die Pflichtwidrigkeit haushaltswidriger Verfügungen mit Strafe bedroht.
Liegt ein zweckwidriger Einsatz öffentlicher Mittel vor, so kann darin bereits eine Nachteilszufügung liegen, weil die zweckgebundenen Mittel verringert wurden, ohne daß der Zweck erreicht wurde (vgl. BGHSt 19, 37, 45; BGH NStZ 1991, 143 f.). Entspricht der Mitteleinsatz dagegen grundsätzlich den vorgegebenen Zwecken - nur darum geht es hier nach den bisherigen Feststellungen - und ist die durch Einsatz öffentlicher Mittel erzielte Gegenleistung gleichwertig, so ist eine Haushaltsüberschreitung nicht ohne weiteres Untreue. Ob ein Vermögensnachteil eingetreten ist, muß grundsätzlich durch einen Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach der beanstandeten Verfügung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft werden (vgl. BGH NStZ 1997, 543).
bb) Im Bereich staatlicher Subventionen oder im Bereich staatlicher Kunstförderung bereitet freilich die Frage Schwierigkeiten, wann eine Gegenleistung gleichwertig ist. Die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung kann in diesen Fällen nicht allein durch einen Vermögensvergleich in Form einer Saldierung zweier Rechenwerte bestimmt werden. Maßgeblich ist, ob die durch die beanstandete Verfügung erlangte Gegenleistung ihren Preis wert ist. Von einem solchen Nachteilsbegriff geht auch der Bundesgerichtshof aus, wenn er in der Entscheidung BGH NStZ 1986, 455 f. den Vermögensnachteil nicht bereits deshalb bejaht, weil Geld für eine kulturelle Leistung ausgegeben wurde. Im vorliegenden Fall müssen die durch einzelne pflichtwidrige Handlungen entstandenen Haushaltsüberschreitungen den unmittelbar damit verknüpften Einnahmeausfällen, Ausfällen an Sponsorenleistungen, Vertragsstrafen und dergleichen mehr gegenübergestellt werden.
cc) Trotz Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung kommt indes ein Vermögensnachteil und damit strafbare Untreue nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht:
Für die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit eines privaten Vermögensinhabers durch pflichtwidrige Verfügungen bei Untreue oder täuschungsbedingte Verfügungen bei Betrug hat der Bundesgerichtshof bereits in BGHSt 16, 321, 325 ff. unter Bezugnahme auf frühere Rechtsprechung die maßgeblichen Gesichtspunkte dafür herausgearbeitet, wann trotz objektiver Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ein Vermögensschaden oder ein Vermögensnachteil anzunehmen ist (vgl. dazu auch Kohlmann/Brauns aaO S. 69). Ein solcher Nachteil wird insbesondere dann bejaht, wenn der Betroffene mangels ausreichender Liquidität in Zahlungsschwierigkeiten gerät, er die erforderlichen Mittel durch eine hoch zu verzinsende Kreditaufnahme erlangen muß oder wenn er durch die Verfügung sonst in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit weitgehend beeinträchtigt wird.
Diese für die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit eines privaten Vermögensinhabers entwickelten Grundsätze müssen auf die Fälle der Haushaltsuntreue übertragen werden, soll der Tatbestand der Untreue für diese Fälle nicht seinen Charakter als Vermögensdelikt verlieren und die bloße Kompetenzüberschreitung unter Strafe stellen.
Danach wird folgendes zu gelten haben:
Ungeachtet der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung kommt Haushaltsuntreue in Betracht, wenn durch die Haushaltsüberziehung eine wirtschaftliche gewichtige Kreditaufnahme erforderlich wird, wenn die Dispositionsfähigkeit des Haushaltgesetzgebers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt wird und er durch den Mittelaufwand insbesondere in seiner politischen Gestaltungsbefugnis beschnitten wird.
Daß solche Umstände hier vorliegen könnten, liegt nach den bisherigen Feststellungen nicht nahe, bedarf aber der Prüfung durch den für die Feststellung des Sachverhalts verantwortlichen Tatrichter.
2. Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
Die Anklageschrift umgrenzt den strafbaren Sachverhalt in zulässiger Weise (vgl. zur Untreue BGH wistra 1985, 190 f.; allg. BGHSt 40, 44 ff.). Sie genügt aber nicht ihrer Informationsfunktion, also ihrer Aufgabe, dem Angeklagten im einzelnen zu sagen, wo er sich mit welchen Folgen falsch verhalten hat. Eine solche Information ist erforderlich, um eine angemessene Verteidigung zu ermöglichen. Das Landgericht wird sie durch Hinweis gemäß § 265 StPO nachzutragen haben.
III. Revision der Staatsanwaltschaft
Zwar hat die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf den Strafausspruch beschränkt. Diese Beschränkung ist jedoch nicht wirksam, weil es - wie ausgeführt - an tragfähigen Feststellungen zum Schuldspruch fehlt (vgl. BGH NStZ 1994, 130; BGH, Urt. vom 15. März 1994 - 1 StR 179/93 - insoweit in BGHSt 40, 97 nicht abgedruckt; Pikart in KK, StPO 3. Aufl. § 344 Rdn. 10 a.E.). Art und Umfang der Schuld des Angeklagten lassen sich deshalb nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maß bestimmen. Da eine getrennte Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs mithin ausscheidet, ergreift die Revision der Staatsanwaltschaft auch den Schuldspruch. Sie hat aus denselben Gründen Erfolg wie das Rechtsmittel der Angeklagten. Es läßt sich nicht ausschließen, daß der dargelegte Rechtsfehler sich auch zum Vorteil der Angeklagten ausgewirkt hat.
Wegen der Frage eines Härteausgleichs für die Unmöglichkeit der Bildung einer Gesamtstrafe für den Angeklagten Prof. G. mit der früheren Geldstrafe nimmt der Senat auf die Antragsschrift der Bundesanwaltschaft Bezug.
Externe Fundstellen: BGHSt 43, 293; NStZ 1998, 514; StV 2003, 448
Bearbeiter: Rocco Beck