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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 247/96, Urteil v. 31.07.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 247/96 - Urteil vom 31. Juli 1996 (LG Stuttgart)

Unzureichende Beweiswürdigung; Vermutung; Sachverständigengutachten (widersprüchliche Gutachten; Bemühung um Aufklärung der Widersprüche); Begriff der Heimtücke (Mitleidstötung; objektiv nachvollziehbare Wertung; Beendigung schwersten Leidens); "Pistazieneis-Fall I".

§ 211 Abs. 2 StGB; § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB; § 261 StPO; § 354 Abs. 2 S. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn der Richter, dem zwei widersprüchliche Gutachten vorliegen und er hinsichtlich der zu beurteilenden Frage nicht selbst über Sachkunde verfügt, der dem Angeklagten günstigeren Meinung folgt. Vorrangig muß der Richter sich aber bemühen, die Widersprüche aufzuklären, zumal wenn die in Rede stehende Frage von zentraler Bedeutung für Erweislichkeit oder Nichterweislichkeit eines sehr schwerwiegenden Vorwurfs sein kann.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann trotz der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit die Annahme von Heimtücke i.S.d. § 211 StGB entfallen, wenn die Tat nicht aus einer feindseligen Haltung gegenüber dem Opfer begangen wurde, weil der Täter glaubte, zu dessen Bestem zu handeln.

3. Allein die Sorge des Täters, das Opfer könne "in Siechtum ... verfallen", als Mitleidsmotivation, ist nicht ausreichen, um eine die Heimtücke prägende feindselige Haltung des Täters aus Rechtsgründen auszuschließen. Vielmehr ist in Fällen dieser Art die Annahme von Heimtücke nur dann auszuschließen, wenn die Motivation des Täters sich aus einer objektiv nachvollziehbaren Wertung ableitet, die der Beendigung schwersten Leidens den Vorrang gibt. Heimtücke wäre dagegen dann zu bejahen, wenn der Täter das Leben seines Opfers (unter Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit) nach eigenen Wertmaßstäben selbstherrlich gezielt verkürzt hätte, wobei allein er bestimmt, daß er es "durch eine von niemandem erbetene Tötung" zur Vermeidung künftigen Siechtums beendet (BGH StV 1991, 347).

4. Gesichtspunkte, ohne deren Vorliegen der Tatbestand des § 211 StGB nicht erfüllt wäre, sind für sich genommen nicht geeignet, eine besondere Schwere der Schuld i.S.d. § 57a StGB zu begründen.

Entscheidungtenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 3. November 1995 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine als Schwurgerichtskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Heilbronn zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und ausgesprochen, daß ihre Schuld besonders schwer wiegt.

Dem Urteil liegt die Feststellung zugrunde, daß die Angeklagte am 20. Januar 1993 zwischen 20.00 und 21.00 Uhr ihrer sieben Jahre alten Nichte Anna B. eine Portion Pistazieneis mit Schokoladensauce zu essen gab, der sie eine hochtoxische Dosis einer Arsenverbindung beigefügt hatte. Trotz intensiver medizinischer Rettungsmaßnahmen verstarb Anna B. am nächsten Vormittag um 11.32 Uhr im Krankenhaus.

1. Die Revision der die Tat bestreitenden Angeklagten, hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht standhält.

Das Landgericht geht im Anschluß an die von ihm gehörte Sachverständige Prof. Dr. Dr. G. davon aus, daß die am Tatabend ab etwa 22.00 Uhr bei Anna B. aufgetretenen Krankheitserscheinungen (Übelkeit, Durchfall, Erbrechen) keinen Rückschluß darauf ermöglichen, daß das Gift der Geschädigten, die seit etwa 18.30 Uhr keine weiteren Nahrungsmittel zu sich genommen hatte, nur mit der ihr von der Angeklagten verabreichten Portion Eis mit Schokoladensauce zugeführt worden sein kann. Es sei lediglich festzustellen, daß die Giftbeibringung längstens 24 Stunden vor dem Todeseintritt erfolgte.

a) Die Möglichkeit, daß Anna B. (zufälliges) Opfer einer gegen Hersteller oder Vertreiber der von ihr (sämtlich in der selben Filiale einer Lebensmittelmarktkette gekaufter) zum Mittagessen und Abendessen gegessener Lebensmittel geworden sein kann, schließt die Strafkammer dabei ebenso aus wie die Möglichkeit, daß sie - z. B. auf dem Schulweg oder im Zusammenhang mit dem von ihr am Nachmittag besuchten Ballettunterricht - von einem Unbekannten etwas Vergiftetes zu essen erhalten hat oder daß sie etwas derartiges gefunden und gegessen hat.

b) Hinsichtlich der Eltern erwägt das Landgericht, daß diese die Tat nicht gerade während eines Besuchs der Angeklagten begangen haben würden. Es führt dazu aus: "Sie hätten damit zwar einen weiteren Verdächtigen gewonnen. Sie hätten aber während dessen Anwesenheit nach dem Auftreten der ersten Krankheitszeichen alles tun müssen, um das Leben des Kindes zu retten, weil ein Untätigbleiben sie als Täter überführt hätte. Sie hätten sofort nach Auftreten der ersten Beschwerden ärztliche Hilfe holen müssen, um sich nicht verdächtig zu machen. Wären sie aber allein mit dem sterbenden Kind gewesen, hätten sie dessen Tod abwarten und dann für die Todesfeststellung den Arzt rufen können". Diese Erwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, als sie gegen die Möglichkeit eines Zusammenwirkens der Eltern spricht. Sie ist aber nicht geeignet, die Täterschaft allein eines Elternteils auszuschließen. Für ihn bestünde bei Anwesenheit des anderen Elternteils die Möglichkeit des Zuwartens nicht, dagegen hätte er bei Anwesenheit der Angeklagten einen zusätzlichen Tatverdächtigen gewonnen. Insoweit greift das Argument des Landgerichts, die Eltern hätten sich nicht den Zeitpunkt des Besuchs ausgewählt, gerade nicht.

Angesichts der gesamten Beweislage hätte sich das Landgericht aber auch mit diesem Gesichtspunkt auseinandersetzen müssen.

c) Darüber hinaus schließt das Landgericht die Eltern letztlich wegen ihrer engen emotionalen Bindung zu ihrer Tochter als Täter aus. Bei der Angeklagten sei zwar auch kein Motiv festzustellen, jedoch bleibe nur sie nach Ausschluß aller anderen Personen als Täterin übrig. Das Landgericht hat es jedoch zu Unrecht unterlassen, bei der Angeklagten in gleicher Weise wie bei anderen als Täter in Betracht kommenden Personen Gründe zu prüfen, die gegen die mögliche Täterschaft der Angeklagten sprechen könnten. Dies wäre geboten gewesen, weil weder ein Tatmotiv festgestellt werden konnte, noch andere Beweisanzeichen unmittelbar auf sie als Täterin hinweisen. Das Landgericht hat zur Motivlage festgestellt, daß Anna B. der Angeklagten "in herzlicher Anhänglichkeit zugetan war". Zur Frage, ob dies auch umgekehrt der Fall war, äußert sich das Urteil nicht. Es ist aber als wahr unterstellt, daß die (kinderlose) Angeklagte gegenüber der Notarin E. erklärt habe, daß sie "Anna aus tiefstem Herzen liebe" und beabsichtige, "Anna als Nacherben nach ihrem und ihres Mannes Tod einzusetzen". Trotzdem, so führt das Landgericht aus, könne die Angeklagte "dem Kind nach dem Leben getrachtet und sich für die fernere Zukunft, nämlich wenn die ansonsten kinderlosen Eheleute B. auch nicht mehr am Leben gewesen wären, als alleinige überlebende Angehörige des Mannes dessen beträchtliches Vermögen versprochen haben". Ein derartiges Motiv, das zu dieser Äußerung im Widerspruch stünde, hält das Landgericht also einerseits für möglich, von seinem Vorliegen ist es aber auch nicht überzeugt, da es auch eine Reihe anderer Motive für möglich hält, ohne jedoch ein Motiv sicher feststellen zu können.

Allerdings kann der Tatrichter die Überzeugung von der Täterschaft eines Angeklagten auch dann rechtsfehlerfrei gewinnen, wenn die Tat als solche kaum verständlich und ein Motiv des Täters nicht feststellbar ist. Jedoch kann bei einer solchen Beweislage der Umstand, daß weitere als Täter jedenfalls nicht sicher ausschließbare Personen kein Motiv für die Tat hätten, kein wesentliches Gewicht zum Nachteil des Angeklagten gewinnen, bei dem ein Motiv auch nicht festzustellen ist. Hatten aber mehrere Personen ohne (feststellbares) Motiv die Möglichkeit zur Vergiftung, so sind an jede die gleichen Prüfungsanforderungen zu stellen.

d) Daß der vom Landgericht in diesem Zusammenhang angelegte Maßstab unzulänglich ist, wird auch daran deutlich, daß es die Möglichkeit einer Täterschaft der Reinemachefrau der Familie - ohne genaue Prüfung, ob diese die Möglichkeit gehabt hätte, gerade am Tattag Gift in die im Eisschrank befindliche Schokoladensauce zu tun - mit dem Hinweis darauf ausschließt, daß deren Verhältnis zu Anna B. "ungetrübt" war. Soweit festgestellt, war auch das Verhältnis der Angeklagten zu Anna bis zur Tat "ungetrübt".

Insgesamt ist der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung zwar frei (§ 261 StPO); die von ihm gezogene Schlußfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein. Seine Feststellungen dürfen sich aber nicht so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, daß sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen, sei es auch schwerwiegenden Verdacht begründen (st. Rspr., vgl. zuletzt Senatsbeschluß vom 9. Juli 1996 - 1 StR 728/95; w. Nachw. b. Hürxthal in KK 3. Aufl. § 261 Rdn. 41). Das ist hier der Fall. Die Täterschaft der Angeklagten, bei der ein Motiv nicht festzustellen ist, kann nicht damit bewiesen werden, daß andere mögliche Täter eben deswegen auszuschließen seien, weil diese kein Tatmotiv haben.

Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

Der Senat hält es für angezeigt, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. StPO).

2. Der Senat sieht Anlaß zu folgenden Hinweisen:

a) Wie dargelegt, geht das Landgericht davon aus, daß das Gift Anna B. seit etwa 11.30 Uhr des Tattages verabreicht worden sein kann. Demgegenüber hatte der vom Landgericht ebenfalls als "sehr kompetent und erfahren" eingeschätzte Sachverständige Prof. Dr. M. hierzu ausgeführt, er sei "durch umfängliches Studium im einschlägigen Schrifttum" zum Ergebnis gekommen, es "müsse davon ausgegangen werden", daß erste Erscheinungen der Vergiftung "etwa 30 bis 60, allenfalls 90 Minuten nach der Giftaufnahme aufzutreten pflegen, dann aber das eigentlich akute Vergiftungsbild... etwa zwei bis drei Stunden nach der Aufnahme des Giftes beginne". "Insbesondere aufgrund des klinischen Verlaufs der Vergiftung" sei die Giftaufnahme bereits um oder gar vor 19.30 Uhr in höchstem Maße unwahrscheinlich.

Demgegenüber hat die Sachverständige Prof. Dr. Dr. G., welche die Strafkammer zusätzlich herangezogen hat, weil sie anders als Prof. Dr. M. "sieben oder acht Fälle von Arsenvergiftungen klinisch beobachtet und untersucht hat", ausgeführt, "daß in der ihr zugänglichen umfangreichen toxikologischen Literatur als Zeitintervall von der Giftaufnahme bis zum Auftreten erster Symptome eine Dauer von 15 Minuten bis 12 Stunden angegeben werde". Selbst diese Angaben seien jedoch unzuverlässig, zuverlässige Angaben über die Latenzzeit seien nicht möglich, "allein das Intervall zwischen Giftaufnahme und Todeseintritt" könne sicher bestimmt werden, hierfür sei der Zeitraum "von höchstens 24 Stunden anzusetzen".

Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn der Richter, dem zwei widersprüchliche Gutachten vorliegen und er hinsichtlich der zu beurteilenden Frage nicht selbst über Sachkunde verfügt, der dem Angeklagten günstigeren Meinung folgt (vgl. Herdegen in KK 3. Aufl. § 244 Rdn. 33; Peters, Strafprozeß 4. Aufl. S. 365; Eisenberg, Beweisrecht der StPO 2. Aufl. Rdn. 1610). Vorrangig muß der Richter sich aber bemühen, die Widersprüche aufzuklären (vgl. Eisenberg aaO), zumal wenn die in Rede stehende Frage - wie hier - von zentraler Bedeutung für Erweislichkeit oder Nichterweislichkeit eines sehr schwerwiegenden Vorwurfs sein kann. Es liegt schon ohne nähere Darlegungen nicht auf der Hand, daß die Erkenntnisse, die Frau Prof. Dr. Dr. G. in eigener Tätigkeit gewonnen hat, ohne daß diese Erkenntnisse selbst Eingang in die Fachliteratur gefunden hätten, geeignet sind, die in der Fachliteratur niedergelegten Erkenntnisse insgesamt als unzuverlässig erscheinen zu lassen. Darüber hinaus läßt sich aber ein derartiges widersprüchliches Ergebnis hinsichtlich der Auswertung des Inhalts der Fachliteratur (Prof. Dr. M.: Latenzzeit bis zu 90 Minuten, Giftaufnahme vor 19.30 Uhr höchst unwahrscheinlich, Prof. Dr. Dr. G.: Latenzzeit bis zu 12 Stunden, zuverlässige Angaben nicht möglich) nur schwerlich mit größerer oder geringerer Sachkunde erklären. Es erscheint angezeigt, daß sich die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zur Klärung dieser Fragen zusätzlicher sachverständiger Beratung bedient.

b) Darüber hinaus wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer gegebenenfalls Gelegenheit haben, den physikalischen Grundlagen der von der Revision aufgezeigten Möglichkeit einer nur partiellen Vergiftung des Eises nachzugehen und erforderlichenfalls zu prüfen haben, ob die von der Revision aufgezeigte (theoretisch nicht undenkbare) Möglichkeit, daß ein unbekannter Erpresser zunächst Angst und Schrecken verbreiten will, sich später aber doch nicht meldet, geeignet ist, ihre Überzeugungsbildung zu beeinflussen.

Für den Senat bestand auf der Grundlage seiner Entscheidung keine Veranlassung, diesen Fragen sowie dem in diesem Zusammenhang in der Revisionshauptverhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag der Verteidigung nachzugehen.

c) Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer die Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten gewinnen und auch nicht ausschließen können, daß die Angeklagte "eingedenk der in der Familie des Vaters und der Angeklagten vorhandenen, der Angeklagten, wie sie bei der Polizei angegeben hat, geläufigen gravierenden gesundheitlichen Vorbelastungen, der kleinen Anna noch im kindlichen Alter ersparen wollte, in Siechtum zu verfallen", würde dies die Annahme von Heimtücke i. S. d. § 211 StGB nicht gefährden:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann trotz der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit die Annahme von Heimtücke i.S.d. § 211 StGB entfallen, wenn die Tat nicht aus einer feindseligen Haltung gegenüber dem Opfer begangen wurde, weil der Täter glaubte, zu dessen Bestem zu handeln (vgl. BGHSt 9, 385; 11, 139, 143; 30, 105, 119; BGH NJW 1978, 709; BGH bei Holtz MDR 1981, 267; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 10; BGH StV 1991, 347; vgl. auch BVerfGE 45, 187, 264; Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 48 m.w.Nachw. in Fußn. 62). Allerdings würde schon nicht bei der Tötung eines objektiven Schwerkranken, erst recht nicht bei der Tötung eines bisher gesunden Kindes, bei dem der Täter nur die Sorge hat, es könne "in Siechtum ... verfallen", eine Mitleidsmotivation ausreichen, um eine die Heimtücke prägende feindselige Haltung des Täters aus Rechtsgründen auszuschließen. Wie der Bundesgerichtshof ausgesprochen hat, ist vielmehr in Fällen dieser Art die Annahme von Heimtücke nur dann auszuschließen, wenn die Motivation des Täters sich aus einer objektiv nachvollziehbaren Wertung ableitet, die der Beendigung schwersten Leidens den Vorrang gibt. Heimtücke wäre dagegen dann zu bejahen, wenn - wie hier - der Täter das Leben seines Opfers (unter Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit) nach eigenen Wertmaßstäben selbstherrlich gezielt verkürzt hätte, wobei allein er bestimmt, daß er es "durch eine von niemandem erbetene Tötung" zur Vermeidung künftigen Siechtums beendet (BGH StV 1991, 347).

Dies wäre hier der Fall. Das Kind war trotz erblicher Belastung gesund. Die Tötung eines solchen Kindes zur Vermeidung künftigen Siechtums würde nicht auf einem objektiv nachvollziehbaren Wertmaßstab beruhen.

Rechtliche Bedenken bestehen allerdings insoweit, als im angefochtenen Urteil hinsichtlich der Bejahung der besonderen Schuldschwere (§ 57 a StGB) in diesem Zusammenhang folgendes ausgeführt ist:

"Da keinerlei Anzeichen einer solchen gesundheitlichen Beeinträchtigung bestanden, vielmehr es sich um ein blühendes junges Leben handelte, kann von einer 'Mitleidstötung' auch nicht entfernt die Rede sein. Die Angeklagte hätte sich bei dieser Motivlage vielmehr zur Herrin über Leben und Tod aufgespielt."

Die genannten Ausführungen treffen, wie dargelegt, zwar insoweit zu, als sie gegebenenfalls den Schuldspruch rechtfertigen könnten. Läge demgegenüber eine "Mitleidstötung" vor, hätte die Angeklagte nicht heimtückisch i.S.d. § 211 StGB gehandelt. Gesichtspunkte, ohne deren Vorliegen der Tatbestand des § 211 StGB nicht erfüllt wäre, sind für sich genommen nicht geeignet, eine besondere Schwere der Schuld i.S.d. § 57a StGB zu begründen (vgl. Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 57a Rdn. 9c).

Externe Fundstellen: NStZ-RR 1997, 42; StV 1997, 62

Bearbeiter: Karsten Gaede