HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 522
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 488/07, Beschluss v. 20.03.2008, HRRS 2008 Nr. 522
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 16. März 2007 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Der Verurteilung liegt zugrunde:
- zum einen in den Jahren 1996 bis 1998 die zweckwidrige Verwendung von Geldern, die der WTS-GmbH, deren faktischer Geschäftsführer der Angeklagte war, von Anlegern als Kaufpreis für ihren Anteil an einem geschlossenen Immobilienfonds überwiesen und anvertraut worden waren zur ausschließlichen Verwendung für den jeweiligen Fonds,
- zum anderen die noch nicht fällige - inkongruente - Zahlung von 700.000,-- DM im September 1998 nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der SFV-GmbH, die der Angeklagte ebenfalls faktisch führte, zur teilweisen Rückführung eines der SFV-GmbH von der H. Bank in L. in Höhe von 1 Million DM gewährten Darlehens. Er erreichte so die Freigabe einer von seinen Eltern der Bank gegenüber abgegebenen selbstschuldnerischen Bürgschaft bis zu 700.000,-- DM.
Das Landgericht Mannheim hat den Angeklagten deshalb mit Urteil vom 16. März 2007 wegen Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) in 176 Fällen und wegen Gläubigerbegünstigung (§ 283c StGB) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ohne die von der Strafkammer für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens angenommene konventionswidrige Verfahrensverzögerung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) wäre die Strafe - so das Landgericht - doppelt so hoch ausgefallen.
Die Revision des Angeklagten gegen das oben genannte landgerichtliche Urteil ist unbegründet. Dessen Nachprüfung hat auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 17. Dezember 2007 verwiesen.
Ergänzend hierzu bemerkt der Senat:
1. Aufgrund der rechtsfehlerfrei festgestellten Tatumstände verwirklichte der Angeklagte den Tatbestand der Untreue mit direktem Vorsatz hinsichtlich eines zum Zeitpunkt der Tatbegehung unmittelbar und insoweit endgültig eingetretenen Schadens. Dass die Strafkammer bei der Bewertung der Tat gleichwohl lediglich vom Vorliegen eines Gefährdungsschadens sowie vom Handeln mit bedingtem Vorsatz ausging, belastet den Angeklagten nicht.
Der Angeklagte - Steuerberater und Wirtschaftsprüfer - hatte sich seit Ende der achtziger Jahre gedanklich und schließlich auch tatsächlich mit dem Angebot von Kapitalanlagen in geschlossenen Immobilienfonds befasst, zunächst nur als Steuersparmodell für seine Mandanten. Erste Erfolge bewogen den Angeklagten, sich an ein breiteres Publikum zu wenden. Dazu bediente er sich verschiedener von ihm gegründeter oder übernommener Unternehmen, zunächst auch der Gesellschaft, in der er steuerberatend tätig war. Steuerberatung und gewerbliche Tätigkeit wurden im Jahre 1996 getrennt. Die steuerberatende Tätigkeit betrieb der Angeklagte nunmehr im Rahmen der "K., J. und A. GdbR".
Das für das weitere Geschäftsfeld des Angeklagten entwickelte Firmengeflecht stellte sich von da an wie folgt dar:
Herausgeberin und Gesellschafterin der geschlossenen Immobilienfonds, die jeweils als Gesellschaften bürgerlichen Rechts ausgestaltet waren, war die "S. -F. -V. GmbH" (kurz: SFV-GmbH). Den Vertrieb der Fondsanteile als Kapitalanlage übernahm die "S. F. A. gesellschaft mbH" (kurz: SFA-GmbH). Als Treuhänderin für einbezahlte Anlagegelder (dem Kaufpreis für Fondsanteile) fungierte die "W.-T. S. gesellschaft mbH" (kurz: WTS-GmbH).
Alle diese Gesellschaften wurden vom Angeklagten faktisch beherrscht und geführt. Allerdings vermied es der Angeklagte, selbst eine formelle Funktion, insbesondere als Geschäftsführer, auszuüben. Er bediente sich seiner Strohleute, insbesondere der Mitangeklagten, des Steuerberaters A. und des Steuerfachgehilfen Kl.
Die Kapitalanleger bezahlten den Kaufpreis für ihren Anteil an der jeweiligen Grundstücksgesellschaft (geschlossener Immobilienfonds in Form einer GdbR) auf ein Treuhandkonto der WTS-GmbH. Entsprechend dem zwischen den Anlegern und der WTS-GmbH geschlossenen Treuhandvertrag durfte die WTS-GmbH die einbezahlten Beträge nur für den jeweiligen Fonds verwenden. Die Verantwortlichen der WTS-GmbH waren nach dem Inhalt des Treuhandvertrags verpflichtet, die auf das Treuhandkonto einbezahlten Anlagegelder dort zu sammeln und erst dann auf das Konto der jeweiligen Fondsgesellschaft zu überweisen, sobald das gesamte Gesellschaftskapital gezeichnet war. Vom Konto der Fondsgesellschaft aus sollten dann unter Mittelverwendungskontrolle durch einen neutralen Treuhänder ausschließlich die diese Gesellschaft betreffenden Forderungen bedient werden, weitgehend Forderungen der SF-Gruppe, deren Gesellschaften den Zwischenerwerb und die Entwicklung der jeweiligen Objekte der geschlossenen Immobilienfonds getätigt hatten. So geschah das auch bis Mitte des Jahres 1996 (Fonds Nr. 8).
Im Jahre 1996 war der Angeklagte mit seiner Unternehmensgruppe in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Das Interesse an den Fonds hatte abgenommen. Die Vorfinanzierungsfristen wurden deshalb länger. Zudem waren die Kosten der Sanierung alter Objekte unterschätzt worden. Die Einplanung unrealistisch hoher Mieten, die den Anlegern garantiert wurden, aber nicht immer erzielbar waren, führte ebenfalls zu Finanzierungslücken. Dies hatte Verzögerungen bei der Fertigstellung der Bauvorhaben zur Folge, was die Finanzsituation zusätzlich belastete. Im Frühjahr 1996 waren - voran in der SF-Gruppe, die das operative Geschäft durchführte - erste ernsthafte Liquiditätsschwierigkeiten aufgetreten, die sich zunehmend verschärften. Spätestens im Juli 1998 waren die Unternehmen des Angeklagten nicht mehr in der Lage, die sofort zu erfüllenden Verbindlichkeiten im Wesentlichen zu befriedigen; sie waren zahlungsunfähig. Am 12. Oktober 1998 stellten die formellen Geschäftsführer A. und Kl. für die WTS-GmbH, die SF AG und die SFV-GmbH Konkursanträge.
Um trotz der zunehmenden Finanzprobleme handlungsfähig zu bleiben, hatte sich der Angeklagte Mitte des Jahres 1996 entschlossen, die Treuhandvereinbarung mit den Anlegern, den Zeichnern der Fondsanteile, nicht mehr einzuhalten. Statt die auf dem Treuhandkonto bei der WTS-GmbH eingegangenen Gelder dort zu sammeln und nach Zeichnung aller Anteile auf das Konto der jeweiligen Fondsgesellschaft zu überweisen - um dann von dort aus über diese Beträge ausschließlich im Interesse des jeweiligen Fonds zu verfügen -, wies der Angeklagte das Personal der WTS-GmbH an, die auf dem Treuhandkonto eingegangenen Beträge sofort bzw. entsprechend dem aktuellen Finanzbedarf unmittelbar auf Konten der SF-Gruppe zu überweisen, um sie dort zur Abdeckung der jeweils dringendsten Forderungen der gesamten Unternehmensgruppe zu verwenden. Dazu listete der Angeklagte die akuten Verbindlichkeiten nach Dringlichkeit in einer Excel-Tabelle auf, die er täglich aktualisierte. Mit diesem Management, das sich letztlich als Schneeballsystem darstellte, gelang es dem Angeklagten, den Zusammenbruch seiner Unternehmensgruppe hinauszuzögern.
Bei diesem Sachverhalt erlitten die Zeichner der Immobilienfonds schon mit der treuepflichtwidrigen Entnahme der Gelder vom Treuhandkonto zur allgemeinen Tilgung von Schulden der Unternehmensgruppe einen endgültigen Vermögensnachteil im Sinne von § 266 StGB in voller Höhe des zweckwidrigen verwendeten Betrags. Ein im Ausnahmefall den Nachteil kompensierender deliktischer oder vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen einen zahlungswilligen und mit ausreichenden liquiden Mitteln versehenen Täter - oder gegen eine seiner Gesellschaften - lag ersichtlich nicht vor. Da der Schaden mit der zweckwidrigen Verfügung endgültig eingetreten ist, gefährdete der Angeklagte die der WTS-GmbH anvertrauten Vermögenswerte der Anleger nicht nur.
Der Angeklagte handelte mit direktem Vorsatz. Er kannte und wollte die treuwidrige Verwendung der Anlagebeträge. Er setze sie gegen die Bedenken des formellen Geschäftsführers durch. Er wusste um seine Verpflichtung als faktischer Geschäftsführer der WTS-GmbH, die vertraglich übernommenen Treuepflichten gegenüber den Anlegern zu wahren.
Auf die vom Beschwerdeführer zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 51, 100 (= NJW 2007, 1760) kommt es hier in mehrfacher Hinsicht nicht an. Nach dieser Entscheidung "ist der Tatbestand der Untreue in Fällen der vorliegenden Art im subjektiven Bereich dahingehend zu begrenzen, dass der bedingte Vorsatz eines Gefährdungsschadens nicht nur Kenntnis des Täters von der konkreten Möglichkeit eines Schadenseintritts und das Inkaufnehmen dieser konkreten Gefahr voraussetzt, sondern darüber hinaus eine Billigung der Realisierung dieser Gefahr, sei es auch nur in der Form, dass der Täter sich mit dem Eintritt des ihm unerwünschten Erfolges abfindet" (BGHSt 51, 100, 121 Rdn. 63).
Zum einen liegt der vorliegenden Verurteilung nach den getroffenen Feststellungen - anders als die Strafkammer meinte - weder Handeln mit nur bedingtem Vorsatz noch ein bloßer Gefährdungsschaden zugrunde. Vor allem aber liegt hier kein Fall der Bildung "schwarzer Kassen" vor. Darum ging es in der oben genannten Entscheidung (BGHSt 51, 100), die sich in der zitierten Aussage ausdrücklich auf Fälle der - damals - vorliegenden Art beschränkte.
Sofern aus jener Entscheidung (BGHSt aaO) jedoch weitergehend gefolgert werden sollte, dass sich als Voraussetzung für den Tatbestand der Unreue beim vorsätzlichen pflichtwidrigen Eingehen von Vermögensrisiken der Vorsatz immer auch auf die Billigung des endgültigen Vermögensnachteils erstrecken muss, könnte der Senat dem nicht folgen.
Sicherlich könnten bei einer Verurteilung wegen Untreue mit doppelter "Vorverlagung" der Strafbarkeit, also bei Handeln mit nur bedingtem Vorsatz im Hinblick auf eine bloße Vermögensgefährdung Bedenken hinsichtlich einer Überdehnung des Tatbestandes des § 266 StGB aufkommen. Ehe dem jedoch mit der der bisherigen Dogmatik widersprechenden Erstreckung des - bedingten - Vorsatzes auf einen in der Zukunft zu erwartenden endgültigen Vermögensnachteil begegnet wird (bei unklarer Auswirkung auch auf § 263 StGB), ist zunächst zu prüfen, ob sich das Problem bei einer präzisen Begriffsverwendung unter exakter Betrachtung des tatsächlichen wirtschaftlichen Nachteils zum Zeitpunkt einer pflichtwidrigen Handlung bei genauer Feststellung dessen, worauf sich das Wissen und Wollen des Täters insoweit tatsächlich erstreckt, nicht weitgehend erledigt, beziehungsweise sich als Scheinproblematik herausstellt.
Und diese genaue Betrachtung ergibt, dass sich die bei pflichtwidrigen Risikogeschäften so genannte konkrete Vermögensgefährdung in Wirklichkeit als ein bereits unmittelbar mit der Tathandlung eingetretener Vermögensnachteil darstellt. So ist beispielsweise der mit der Vergabe (Auszahlung) eines ungesicherten Kredits an ein zahlungsunfähiges Unternehmen - etwa um den drohenden Ausfall des Gesamtengagements intern oder gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht weiterhin zu verschleiern - erlangte Rückzahlungsanspruch sofort weit über das bei jeder Kreditvergabe mögliche und zulässige Maß (zur Pflichtwidrigkeit vgl. BGHSt 46, 30; 47, 148, 149 ff.) hinaus minderwertig. Aus der Saldierung der ausbezahlten Darlehenssumme mit dem verbleibenden Wert der Rückzahlungsforderung folgt der unmittelbar und realiter eingetretene Vermögensnachteil (so ist auch BGHSt 47, 148, 156 f. zu verstehen). Der Wert des Rückzahlungsanspruchs muss dabei bewertet, letztlich geschätzt werden. Insoweit stellt sich die Situation nicht anders dar als beim Verkauf dieser Forderung an ein Inkassounternehmen oder bei der an sich sofort gebotenen Wertberichtigung, wenn auch im strafrechtlichen Bereich verbleibende Unwägbarkeiten zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden müssen.
Der Tatbestand der Untreue entfällt auch nicht wieder, wenn die Darlehensrückzahlungsforderung später tatsächlich doch bedient wird, sei es freiwillig oder mit dem Nachdruck eines Inkassounternehmens. Die fehlende Werthaltigkeit zum Zeitpunkt der Valutierung des Darlehens wird dadurch nicht beeinflusst (dies wäre bei der Feststellung einer "Billigung" des endgültigen Schadens im Sinne eines bedingten Vorsatzes zum Zeitpunkt der Tathandlung im Übrigen nicht anders). Bei der Eingehung von pflichtwidrigen Serienrisikogeschäften, etwa der fortlaufenden Belieferung eines erkannt zahlungsunfähigen Unternehmens auf Kredit, ist die Begleichung einzelner der so erlangten minderwertigen Forderungen geradezu typisch. Dass die dann doch noch - meist mit schon betrügerisch erlangten Mitteln (Schneeballsystem) - bezahlten Lieferungen regelmäßig sinnvoller Weise von der strafrechtlichen Verfolgung ausgenommen werden (§§ 153, 154, 154a StPO), ändert nichts an der Tatbestandsmäßigkeit zum Zeitpunkt der Verfügung.
Bezogen auf diesen tatbestandlichen Vermögensnachteil handelt ein Täter, der die die Pflichtwidrigkeit und den Minderwert des Rückzahlungsanspruchs begründenden Umstände kennt, bei der Tathandlung dann auch mit direktem Vorsatz. Bei abweichenden Formulierungen in tatrichterlichen Urteilen handelt es sich in Fällen dieser Art in aller Regel um eine zu Gunsten des Angeklagten wohlwollende, aber unzutreffende Umschreibung des tatsächlich Festgestellten, wie auch der vorliegende Fall zeigt. Dies sollte vermieden werden. Das tatsächlich nicht gegebene Problem der Überdehnung des Untreuetatbestands stellt sich dann auch nicht scheinbar.
2. Zur konventionswidrigen Verfahrensverzögerung:
Die Strafkammer ging "zugunsten der Angeklagten" von einer konventionswidrigen Verfahrensverzögerung von zwei Jahren während des gerichtlichen Verfahrens aus, und zwar vom Eingang der Anklage beim Landgericht im Januar 2005 bis zum Beginn der Hauptverhandlung im Januar 2007. Eine konventionswidrige Verzögerung während des Ermittlungsverfahrens sah die Strafkammer dagegen nicht. Das Maß der Kompensation für die Verzögerung bei Gericht hat die Strafkammer auf 50 % festgesetzt.
a) Der Beschwerdeführer beanstandet mit einer Verfahrensrüge die fehlende Feststellung einer "mehr als dreijährigen" konventionswidrigen Verfahrensverzögerung während des Ermittlungsverfahrens. Die Revisionsbegründung genügt, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 17. Dezember 2007 im Einzelnen dargelegt hat, nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Rüge ist damit unzulässig.
Die Anforderungen an den Umfang der Darstellung der den Mangel enthaltenden Tatsachen dürfen bei der Beanstandung einer konventionswidrigen Verzögerung während eines jahrelang währenden Verfahrens sicher nicht überzogen werden. Die Mitteilung jedes Ermittlungsschrittes ist weder möglich noch erforderlich. Die Darstellung darf den tatsächlichen Ablauf aber nicht - etwa durch wesentliche Auslassungen - verzerrt darstellen. Einen realistischen Überblick entsprechend der Darstellung in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft vom 17. August 2007 hätte - ohne auf Einzelheiten abzustellen - im vorliegenden Fall auch vom Beschwerdeführer erwartet werden dürfen.
Beispielhaft sei auf seine Behauptung verwiesen, im Jahre 1999 habe als einzige verfahrensfördernde Maßnahme am 11. November 1999 die Vernehmung von zwei Zeuginnen stattgefunden. Elf Monate seit Einleitung des Verfahrens gegen den Angeklagten J. habe es keine Ermittlungen gegeben. Dies ist unzutreffend, wie den chronologisch geordneten Ermittlungsakten, einem Aktenvermerk des Ermittlungsbeamten Hu. und dem polizeilichen Ermittlungsbericht zu den strafprozessualen Maßnahmen zu entnehmen ist. Die umfangreichen Ermittlungshandlungen der Polizeibeamten unter Heranziehung des Buchprüfers Li. im Jahre 1999 hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung - noch nicht einmal erschöpfend - auf etwa eineinhalb Seiten dargestellt. In seiner Gegenerklärung vom 16. Januar 2008 räumte der Beschwerdeführer inzident auch ein, dass das ursprüngliche Beschwerdevorbringen - nunmehr selbst aus seiner Sicht - jedenfalls unvollständig war, wenn er zu dem Schluss kommt, dass "sich dann insgesamt immer noch eine Verfahrensverzögerung im Ermittlungsverfahren von zweieinhalb Jahren" ergäbe.
b) Die Strafkammer hat im Hinblick auf Verzögerungen während des gerichtlichen Verfahrens die gesamte Zeit vom Eingang der Anklageschrift bis zum Beginn der Hauptverhandlung als konventionswidrige Verfahrensverzögerung bewertet. Dies belastet den Angeklagten zwar nicht. Dennoch sei der - dem Beschwerdeführer bekannte - Verfahrensgang, soweit er den Angeklagten J. betrifft, skizziert:
Die gegen drei Angeschuldigte gerichtete und 164 Seiten umfassende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 25. Januar 2005 ging am 27. Januar 2005 beim Landgericht Mannheim ein. Am 28. Januar 2005 verfügte der Vorsitzende der Strafkammer die Zustellung der Anklage unter Bestimmung einer Erklärungsfrist von einem Monat.
Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2005 erbat die Verteidigerin des Angeschuldigten J. "wegen der Komplexität der Angelegenheit" eine Verlängerung der Schriftsatzfrist um drei Wochen. Mit 78-seitigem Schriftsatz vom 31. März 2005 - Eingang 4. April 2005 - beantragte sie, die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, insbesondere da die Taten verjährt seien und die Anklage teilweise nicht ausreichend substantiiert sei, sowie mangels hinreichenden Tatverdachts, da - hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue - kein den Angeschuldigten J. betreffendes Treueverhältnis bestanden habe und er - hinsichtlich des Vorwurfs der Gläubigerbegünstigung - keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit gehabt habe. Mit Beschluss vom 9. November 2006 entschied die Strafkammer in einem mehrseitigen Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens, die sie teilweise ablehnte. Mit Verfügung vom 6. Dezember 2006 bestimmte der Vorsitzende Termin zur Hauptverhandlung auf acht Verhandlungstage vom 12. Januar 2007 bis zum 23. März 2007 unter Ladung der drei Angeklagten, von fünf Verteidigern und zahlreichen Zeugen. Die Hauptverhandlung endete dann nach nur sieben Verhandlungstagen bereits am 16. März 2007.
Der Zeitraum zwischen Eingang der Einlassungsschrift Anfang April 2005 und dem Eröffnungsbeschluss vom 9. November 2006 - etwa 19 Monate - war objektiv sicher zu lange und stellt sich teilweise als konventionswidrige Verzögerung dar, zumal im Hinblick auf das lange Ermittlungsverfahren eine beschleunigte Bearbeitung geboten gewesen wäre. Wenn die Strafkammer nach angemessener Zeit zur Vorbereitung des Verfahrens (vgl. dazu unten) wegen genereller Überlastung nicht alsbald verhandeln konnte, ist dies der Justiz zuzurechen (vgl. BVerfG - KammerBeschlüsse vom 8. August 2007 - 2 BvR 1609/07 - und vom 19. September 2007 - 2 BvR 1847/07 -).
Zum Ablauf des gerichtlichen Verfahrens sei im Hinblick auf Wirtschaftsstrafsachen in diesem Zusammenhang Folgendes bemerkt:
Der Eingang einer Anklageschrift ist auch bei Wirtschaftstrafkammern nicht vorhersehbar. Denn die Zuteilung an die einzelnen Strafkammern muss so erfolgen, dass auch nur der Eindruck der Möglichkeit einer Manipulation des gesetzlichen Richters ausgeschlossen ist. Jede Strafkammer ist dann - und sollte dies auch sein - zunächst mit anderen Sachen ausgelastet. Bei komplexen und umfangreichen Strafsachen ist es unter diesen Umständen nicht möglich, dass sich der Vorsitzende und der Berichterstatter sofort mit der neu eingegangenen Anklageschrift intensiv befassen. Dies kann erst - ohne schuldhafte Verzögerung (unverzüglich) - zu gegebener Zeit erfolgen. In aller Regel ist das dann nur parallel zu bereits laufenden - oder anstehenden - Verhandlungen möglich, die im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot bei vorausschauender, auch größere Zeiträume umfassender Hauptverhandlungsplanung (vgl. BVerfG - Kammer-Beschlüsse vom 19. September 2007 - 2 BvR 1847/07 32 - und vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07) langfristig im Voraus zu terminieren waren. In diesem frühen Stadium des gerichtlichen Verfahrens ist ein Ausblenden anderweitiger Belastungen der Strafkammer bei der Prüfung, ob der Pflicht zur Erledigung des Verfahrens in angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) genügt wurde, nicht möglich und deshalb auch nicht geboten.
Dem Zwischenverfahren kommt im Hinblick auf den Schutz des Angeklagten große Bedeutung zu (vgl. G. Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 768). Zur Vorbereitung der Eröffnungsberatung bedarf es schon deshalb einer intensiven Einarbeitung des Vorsitzenden und des Berichterstatters in die Sache - parallel zur Förderung und Verhandlung laufender anderer Verfahren.
Diese Vorarbeit schlägt sich hinsichtlich des Umfangs naturgemäß nicht als verfahrensfördernd in den Akten nieder, wie auch andere Vorgänge der meist gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Verfahrensstoff in der Regel nicht, wie z.B. Überlegungen und Beratungen über den weiteren Gang der Ermittlungen, Vor- und Nacharbeit hinsichtlich einzelner Ermittlungshandlungen, Vorbereitung von Anträgen an den Ermittlungsrichter, von Zwischenberichten, des Schlussberichts und der Anklageschrift. Am Ende einer intensiven Vorbereitung und der Eröffnungsberatung steht häufig nur ein Eröffnungsbeschluss, der aus einem Satz besteht.
Eine intensive und dann auch zeitaufwändige Vorbereitung der Sache seitens des Gerichts ist gerade in großen Wirtschaftsstrafsachen zudem Voraussetzung für eine konzentrierte Hauptverhandlung, aber - auch für Gespräche über Möglichkeiten zur Verfahrensabkürzung. Das wird allerdings erschwert durch die Personalausstattung von Wirtschaftsstrafkammern mit nur zwei Beisitzern neben dem Vorsitzenden allein mit Blick auf die Möglichkeit, eine Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern durchführen zu können (§ 76 Abs. 2 GVG). Dies kann eine ausreichende Vorbereitung von Hauptverhandlungen in angemessener Zeit in Frage stellen und damit dazu beitragen, dass dem Beschleunigungsgebot (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 ERMK) in Wirtschaftsstrafsachen, zumal in Nichthaftsachen, nicht immer genügt wird. Dies führt dann auch - nicht zuletzt in Steuerstrafsachen - nicht selten zu unangemessen niedrigen Strafen. In komplexen Verfahren kann eine sinnvolle Terminierung, bei der etwa die Zeugen nicht anhand der Beweismittelliste der Anklageschrift ins Blaue hinein geladen werden, erst nach der Eröffnungsberatung angegangen werden. Dies bedingt insbesondere bei mehreren Angeklagten einen weiteren Vorlauf bis zum Beginn der Hauptverhandlung. Denn verschiedene Aspekte sind in Einklang zu bringen. Zwar steht die Verfahrenserledigung in angemessener Zeit im Vordergrund. Was angemessen ist, bestimmt sich aber auch nach den jeweiligen Rahmenbedingungen.
Dem Recht des Angeklagten, sich durch den Verteidiger seiner - ersten - Wahl vertreten zu lassen, ist trotz des ebenso hochrangigen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 81; NStZ-RR 2007, 149; BVerfG - Kammer - NStZ-RR 2007, 311) Beschleunigungsgebots bei der Terminierung möglichst Rechnung zu tragen. Dies dient meist auch der Effektivität der Hauptverhandlung. Denn in Wirtschaftsstrafsachen war dieser Verteidiger in der Regel mit der Sache schon während des Ermittlungsverfahrens befasst und ist mit ihr vertraut. Entsprechendes gilt für den Vertreter der Staatsanwaltschaft. Auch hier liegt es im Interesse einer effektiven und dadurch beschleunigten Durchführung der Hauptverhandlung, dass in komplexen Wirtschaftsstrafsachen derjenige Staatsanwalt daran teilnimmt, der auch die Ermittlungen führte. Zwar wird er dann häufig auch in anderen Hauptverhandlungen gebunden sein, ohne dass dies vorausschauend hätte vermieden werden können. Dann darauf zu verweisen, dass auch jeder andere Staatsanwalt die Sitzungsvertretung übernehmen könne, mindert die Effizienz der Strafverfolgung in Wirtschaftstrafsachen nicht nur in der jeweiligen Sache, sondern darüber hinaus. Der neue Staatsanwalt muss sich zeitaufwändig einarbeiten, ohne dennoch je den Wissensstand desjenigen zu erreichen, der die Ermittlungen führte. Wenn der Staatsanwalt, der die Ermittlungen geleitet hat, grundsätzlich für die Hauptverhandlung noch zur Verfügung steht, sollte er in die Terminplanung mit einbezogen werden.
Insbesondere bei mehreren Angeklagten kann dies dazu führen, dass die an sich insbesondere in Haftsachen wünschenswerte Verhandlungsdichte (vgl. BVerfG - Kammer - StV 2006, 645) nicht zu erreichen ist. Wie lange mit dem Beginn der Hauptverhandlung zugewartet werden darf und an wie vielen Tagen in der Woche oder im Monat zu verhandeln ist, hängt immer vom Einzelfall ab (vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2003, 2225). Verhinderungen müssen substantiiert dargetan und belegt werden, damit der Vorsitzende der Strafkammer darüber befinden kann, ob diesen trotz des Beschleunigungsgebots bei der Terminierung Rechnung getragen werden kann. Den Termin der Hauptverhandlung bestimmt am Ende allein der Vorsitzende (§ 213 StPO).
c) Die Strafkammer hat den Strafabschlag im Hinblick auf die von ihr angenommene konventionswidrige Verfahrensverzögerung mit 50 % konkret bemessen. Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass dabei auch allgemeine Strafzumessungserwägungen eingeflossen sind. Allein dies erklärt den selbst bei der von der Strafkammer auf das gesamte gerichtliche Verfahren bezogenen konventionswidrigen Verfahrensverzögerung unangemessen hohen Strafabschlag. Dies beschwert den Angeklagten jedoch nicht.
d) Einer Aufhebung des Strafausspruchs und insoweit der Zurückverweisung der Sache an das Landgericht bedarf es im Hinblick auf die neue Rechtsprechung zur Kompensation von konventionswidrigen Verfahrenverzögerungen, dem Übergang von der Strafzumessungszur Vollstreckungslösung (BGH - GSSt - NJW 2008, 860), nicht. Dies folgt für dieses Verfahren auch nicht aus der einen Einzelfall betreffenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Februar 2008 (3 StR 563/07). Dem Ausspruch einer höheren Strafe nach Zurückverweisung allein aufgrund der Revision des Angeklagten steht das Verschlechterungsverbot nach Meinung des Senats auch dann entgegen, wenn der den bisherigen Strafausspruch überschießende Teil der neu erkannten Strafe für verbüßt erklärt wird. Allein der höhere Strafausspruch stellt einen gesteigerten Makel dar. Hinzu kommen mögliche Folgewirkungen, etwa bei der Strafzumessung bei weiteren Verurteilungen wegen nachfolgender Straftaten oder bei späteren anstehenden Entscheidungen, wie z.B. zur Sicherungsverwahrung. Bei Übergangsfällen stellt es sich daher grundsätzlich als die mildere Lösung dar, es bei der von der Strafkammer vorgenommenen Milderung schon bei der Strafzumessung zu belassen.
Sollten sich beim Ablauf der Vollstreckung, die sich ohnehin nicht mit der - erforderlichen Sicherheit zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs prognostizieren lässt, nicht hinnehmbare Härten beim Vergleich mit einer hypothetischen Kompensation nach der Strafvollstreckungslösung herausstellen, muss dem im Strafvollstreckungsverfahren, notfalls im Gnadenweg begegnet werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 522
Externe Fundstellen: NJW 2008, 2451; NStZ 2008, 457; StV 2008, 414
Bearbeiter: Karsten Gaede