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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 824

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 296/07, Beschluss v. 18.07.2007, HRRS 2007 Nr. 824


BGH 1 StR 296/07 - Beschluss vom 18. Juli 2007 (LG Stuttgart)

Verzicht auf das Verwertungsverbot nach § 252 StPO (Belehrungspflicht; Erklärung durch Dritte außerhalb der Hauptverhandlung; Aufklärungspflicht); Darlegungsvoraussetzungen für eine Rüge nach § 252 StPO (ergänzender Rückgriff auf die Urteilsgründe); redaktioneller Hinweis.

Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK; § 252 StPO; § 244 Abs. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein Zeuge kann sein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen und zugleich über seinen Rechtsanwalt erklären lassen, er sei mit der Verwertbarkeit seiner früheren nichtrichterlichen Vernehmung einverstanden (BGHSt 45, 203, 205 ff.; StV 2007, 401, 402 m.w.N.). Dieser Verzicht auf das Verwertungsverbot muss nicht notwendig in der Hauptverhandlung erklärt werden. Entscheidend ist, dass er eindeutig erklärt wird und sich der Zeuge zur Überzeugung des Gerichts darüber klar ist, dass ohne seine Zustimmung die in Rede stehende nichtrichterliche Vernehmung nicht verwertet werden könnte.

2. Erklärt ein, zumal anwaltlich vertretener, Zeuge schriftlich oder durch seinen Rechtsanwalt im Zusammenhang mit der Berufung auf sein Aussageverweigerungsrecht, er sei mit der Verwertung seiner früheren, z.B. vor der Polizei gemachten Aussagen einverstanden, folgt hieraus in der Regel die Kenntnis des Zeugen, dass ohne seine Einverständniserklärung auf die früheren Aussagen nicht zurückgegriffen werden könnte (BGH StV 2007, 401, 402). Bleibt dagegen zweifelhaft, dass der Zeuge all dies erfasst hat, muss das Gericht sein Erscheinen in der Hauptverhandlung veranlassen. Der Zeuge ist dann gerichtlich, ebenso wie über sein Aussageverweigerungsrecht auch über die Rechtslage im Übrigen, insbesondere über das mit seiner Aussageverweigerung sonst notwendig verbundene Verwertungsverbot hinsichtlich der nichtrichterlichen Vernehmung zu belehren. All dies ist dann ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung und als solcher auch im Protokoll festzuhalten.

3. Ein Zeuge, dem schon anderweit bekannt ist, dass ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, kann sich auch ohne ausdrückliche Belehrung wirksam auf dieses Recht berufen. Dies kann schriftlich erfolgen (BGHSt 21, 12 f.), aber auch durch Erklärung des anwaltlichen Beistands in der Hauptverhandlung.

4. Beruft sich der Zeuge außerhalb der Hauptverhandlung auf sein Aussageverweigerungsrecht, hat das Gericht regelmäßig keine Veranlassung, gleichwohl auf seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung zu bestehen (BGHSt 21, 12 f.). Allerdings kann sich im Einzelfall anderes aus der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) ergeben, etwa bei konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Zeuge über die Tragweite seiner Erklärung irrt (vgl. BGHSt 21, 12), oder z.B. dafür, dass der Zeuge bei Abwesenheit des Angeklagten (§§ 247, 247a StPO) oder Ausschluss der Öffentlichkeit (§§ 171b, 172 Nr. 4 GVG) doch aussagen werde (BGH NStZ 1999, 94 f.).

5. Eine Verfahrensrüge der Verletzung des § 252 StPO muss den Inhalt der früheren Vernehmung mitteilen. Insoweit kann jedoch nach zulässig erhobener Sachrüge ergänzend auf die Urteilsgründe zurückgegriffen werden (vgl. BGHSt 36, 384, 385; 45, 203, 204 f.; 46, 189, 190 f.).

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2007 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Senat ergänzt die Ausführungen des Generalbundesanwalts wie folgt:

Die Rüge der Verletzung des § 252 StPO ist zulässig, aber unbegründet. Die Vernehmung des Polizeibeamten J. zu den Angaben des Zeugen F. A. bei ihm und deren Verwertung war rechtsfehlerfrei.

Der Rüge liegt Folgendes zugrunde:

Dem Angeklagten wird die Tötung seiner Ehefrau zur Last gelegt. Der Zeuge - und Nebenkläger - ist deren Bruder. Während des Ermittlungsverfahrens machte er bei der Polizei Angaben zur Sache. In der Hauptverhandlung erklärte der ihm gemäß § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO als Beistand bestellte Rechtsanwalt, dass der - geladene, aber nicht erschienene - Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch mache. Der Nebenklägervertreter erklärte weiter, dass der Zeuge mit der Verwertung seiner vor der Polizei gemachten Angaben einverstanden ist. Daraufhin wurde der Vernehmungsbeamte zu den Angaben des Zeugen bei der Polizei gehört.

1. Das Revisionsvorbringen genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zwar werden die der Rüge zugrunde liegenden Verfahrensvorgänge nicht vollständig mitgeteilt. So fehlt - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - die Mitteilung des Inhalts der Vernehmung. Insoweit kann jedoch nach zulässig erhobener Sachrüge ergänzend auf die Urteilsgründe zurückgegriffen werden (vgl. BGHSt 36, 384, 385; 45, 203, 204 f.; 46, 189, 190 f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 344 Rdn. 20; Kuckein in KK-StPO 5. Aufl. § 344 Rdn. 39), die den Kern der Aussage wiedergeben, soweit sie - am Rande - für die Beweiswürdigung mit herangezogen wurde. Danach kann auch ausgeschlossen werden, dass es sich bei der "Vernehmung" um eine unaufgeforderte, spontane und damit von den Beschränkungen des § 252 StPO ausgenommene (vgl. BGHSt 36, 384, 389; BGH NStZ 1992, 247; 1998, 629; StV 2007, 401 f.) Äußerung des Angeklagten gehandelt hat. Ausdrücklicher Revisionsvortrag zu diesem Gesichtspunkt war daher nicht erforderlich.

2. Die Vernehmung des Polizeibeamten zu den Angaben des Zeugen während des Ermittlungsverfahrens war hier zulässig:

a) Dem Zeugen steht als Schwager des Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Über dieses Recht ist er zu belehren, jedoch kann sich ein Zeuge, dem schon anderweit - z.B. infolge anwaltlicher Beratung - bekannt ist, dass ihm dieses Recht zusteht, auch ohne ausdrückliche Belehrung wirksam auf dieses Recht berufen. Dies kann schriftlich erfolgen (BGHSt 21, 12 f.), aber auch, wie hier, durch Erklärung des anwaltlichen Beistands in der Hauptverhandlung (ebenso BGH, Beschl. vom 13. August 2003 - 1 StR 280/03 zum vergleichbaren Fall einer anwaltlichen Mitteilung außerhalb der Hauptverhandlung). Die Auffassung der Revision, eine solche "Mitteilung eines Dritten" reiche in diesem Zusammenhang nicht aus, teilt der Senat nicht. Die von der Revision in Bezug genommene Entscheidung BGH bei Holtz MDR 1979, 989 betrifft keine anwaltliche Erklärung. Beruft sich der Zeuge aber außerhalb der Hauptverhandlung auf sein Aussageverweigerungsrecht, hat das Gericht regelmäßig keine Veranlassung, gleichwohl auf seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung zu bestehen (BGHSt 21, 12 f.; BGH, Beschl. vom 1. Juni 2001 - 1 StR 208/01; in vergleichbarem Sinne BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Unerreichbarkeit 17 zum Fall der Berufung auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO). Allerdings kann sich im Einzelfall anderes aus der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) - deren Verletzung hier nicht ausdrücklich gerügt ist - ergeben, etwa bei konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Zeuge über die Tragweite seiner Erklärung irrt (vgl. BGHSt 21, 12), oder z.B. dafür, dass der Zeuge bei Abwesenheit des Angeklagten (§§ 247, 247a StPO) oder Ausschluss der Öffentlichkeit (§§ 171b, 172 Nr. 4 GVG) doch aussagen werde (BGH NStZ 1999, 94 f.).

b) Anhaltspunkte für derartige Besonderheiten sind jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Zeuge mit der Berufung auf sein Aussageverweigerungsrecht zugleich über seinen Rechtsanwalt erklären ließ, er sei mit der Verwertbarkeit seiner früheren nichtrichterlichen Vernehmung einverstanden. Eine derartige Erklärung ist grundsätzlich möglich (BGHSt 45, 203, 205 ff.; StV 2007, 401, 402 m.w.N.). Der Sache nach handelt es sich dabei um den Verzicht auf das sonst mit der Aussageverweigerung verbundene Verwertungsverbot gemäß § 252 StPO. Für die Abgabe einer solchen Erklärung gelten daher, soweit hier von Interesse, vergleichbare verfahrensrechtliche Regeln wie für die Berufung auf das Aussageverweigerungsrecht.

Das bedeutet, dass sie nicht notwendig in der Hauptverhandlung abgegeben werden muss. Entscheidend ist vielmehr, dass sie eindeutig ist und sich der Zeuge zur Überzeugung des Gerichts darüber klar ist, dass ohne seine Zustimmung die in Rede stehende nichtrichterliche Vernehmung nicht verwertet werden könnte. Erklärt ein, zumal anwaltlich vertretener, Zeuge etwa schriftlich oder durch seinen Rechtsanwalt im Zusammenhang mit der Berufung auf sein Aussageverweigerungsrecht, er sei mit der Verwertung seiner früheren, z.B. vor der Polizei gemachten Aussagen einverstanden, folgt hieraus in der Regel die Kenntnis des Zeugen, dass ohne seine Einverständniserklärung auf die früheren Aussagen nicht zurückgegriffen werden könnte (BGH StV 2007, 401, 402). Bleibt dagegen zweifelhaft, dass der Zeuge all dies erfasst hat, muss das Gericht sein Erscheinen in der Hauptverhandlung veranlassen. Der Zeuge ist dann gerichtlich, ebenso wie über sein Aussageverweigerungsrecht auch über die Rechtslage im Übrigen, insbesondere über das mit seiner Aussageverweigerung sonst notwendig verbundene Verwertungsverbot hinsichtlich der nichtrichterlichen Vernehmung zu belehren. All dies ist dann ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung und als solcher auch im Protokoll festzuhalten.

Insoweit gilt nichts anderes, als dann, wenn das Einverständnis des Zeugen mit der Verwertbarkeit seiner früheren nichtrichterlichen Vernehmung Ergebnis von Erörterungen in der Hauptverhandlung ist (vgl. BGHSt 45, 203, 208; BGH NStZ 2007, 352, 353).

c) Hier sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der anwaltlich beratene Zeuge keine Kenntnis über die Auswirkung seines Zeugnisverweigerungsrechts gehabt hätte oder darüber, dass die Verwertung der sonst unverwertbaren polizeilichen Vernehmung erst durch seine Einverständniserklärung ermöglicht wurde. Mit seiner über seinen Beistand mitgeteilten Zustimmung konnte das Gericht daher durch Vernehmung des Vernehmungsbeamten über die Angaben des Zeugen bei der Polizei Beweis erheben.


[Redaktioneller Hinweis: Vgl. zum Thema auch Fezer HRRS 2007, 284 f.]

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 824

Externe Fundstellen: NStZ 2007, 712; StV 2008, 5

Bearbeiter: Karsten Gaede