HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 270
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 531/04, Beschluss v. 13.01.2005, HRRS 2005 Nr. 270
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 4. August 2004 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Dem Angeklagten, einem Richter am Amtsgericht, liegt zur Last, in der Absicht, seine Versetzung an ein anderes Amtsgericht zu erreichen, einen durch einen Dritten auf ihn verübten Mordanschlag vorgetäuscht zu haben. Er habe am Freitag, den 7. November 2003, von der Tür seines Dienstzimmers zwei Schüsse auf die gegenüberliegende Wand abgegeben. Am Montag, den 10. November 2003, habe der Angeklagte zunächst die Mittagszeit abgewartet.
Um 12.13 Uhr habe er von seinem Dienstzimmer aus die Polizei angerufen und bewußt wahrheitswidrig mitgeteilt, auf ihn sei soeben geschossen worden. Der Täter habe angeklopft, die Tür geöffnet, geschossen und anschließend die Tür wieder geschlossen. Er, der Angeklagte, habe den Täter nicht gesehen, habe aber einen riesigen Knall gehört und habe gedacht, jemand habe mit vollem Schwung die Tür zugeschlagen. Die Alarmierung der Polizei durch den Angeklagten habe eine sofortige Ringfahndung zur Folge gehabt. Seine Hinweise hätten zu intensiven Ermittlungen nach Tatverdächtigen wegen Verdachts des versuchten Mordes geführt. Es seien 66 Spuren mit Personenüberprüfungen verfolgt worden. Das Landgericht hat deshalb den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes und Führens einer halbautomatischen Selbstladewaffe und wegen falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf vier Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei; auch bestehen keine Bedenken gegen die Annahme des Tatbestandes der falschen Verdächtigung nach § 164 Abs. 1 StGB.
Die Verfahrensbeschwerden sind nicht begründet. Der Erörterung bedürfen allein die Rügen, mit denen das Bestehen von Beweisverwertungsverboten geltend gemacht wird.
1. Die Revision rügt erfolglos, die Vernehmung des Angeklagten am 23. November 2003 habe nicht verwertet werden dürfen.
a) Dazu trägt die Revision folgenden Verfahrensgang vor: Nachdem die Polizei am Samstag, den 15. November 2003, im Amtsgericht eine Tatrekonstruktion und Schußversuche durchgeführt habe, sei sie zu dem Ergebnis gekommen, die behaupteten Schüsse seien nicht am Montag, den 10. November 2003 abgegeben worden, weil die Beschäftigten des Amtsgerichts sie hätten hören müssen. Seit diesem Zeitpunkt habe sich der Verdacht der Vortäuschung einer Straftat gegen den Angeklagten gerichtet. Am 20. November 2003 habe eine Besprechung zwischen zwei Staatsanwälten und den Mitgliedern der Sonderkommission Amtsgericht stattgefunden, in denen die Polizeibeamten die bisherigen Ermittelungsergebnisse bekanntgegeben und gemeinsam der Schluß gezogen worden sei, der Angeklagte habe die Schußabgabe schon am Freitag, den 7. November 2003, vorgetäuscht. Es sei beschlossen worden, am Sonntag, den 23. November 2003 zum "großen Schlag" auszuholen. Dazu sei von den Staatsanwälten die zeitgleiche Vernehmung des Angeklagten, dessen Frau, dessen Eltern und eines Freundes angeordnet worden.
Die Revision macht geltend, der Angeklagte habe nach dem Ergebnis der Schußversuche nicht mehr als Zeuge vernommen werden dürfen. Er sei zwar in der am Sonntag, den 23. November 2003, um 10.00 Uhr begonnenen Vernehmung nach § 55 StPO belehrt worden, sei aber weiterhin als Zeuge vernommen und erst ab 13.47 Uhr als Beschuldigter belehrt worden. Damit hätten die Strafverfolgungsbehörden die Grenzen des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums eindeutig überschritten. Damit dringt die Revision nicht durch.
b) Ein Verwertungsverbot scheidet schon deshalb aus, weil der Angeklagte - unbeschadet der Frage, ob er bei seiner Vernehmung am 23. November 2003 Beschuldigter war und schon zu Beginn seiner Vernehmung über sein Schweigerecht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu belehren gewesen wäre - sein Schweigerecht kannte. Dieses Recht war ihm aufgrund seiner mehr als siebenjährigen Berufserfahrung als Richter und früherer Staatsanwalt in Kapitalsachen - wie das Vernehmungsprotokoll belegt - schon zu Beginn der Vernehmung aktuell bewußt (vgl. BGHSt 38, 214). Dies hat das Landgericht aufgrund seiner Überprüfung rechtsfehlerfrei angenommen.
2. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, die Ergebnisse der gleichzeitig durchgeführten Durchsuchungen hätten nicht verwertet werden dürfen.
a) Hierzu trägt die Revision vor: Vor Beginn der Durchsuchung bei den Eltern habe die Polizei vom Vater des Angeklagten erfahren, der Angeklagte sei noch am Donnerstag, den 6. November 2003, bei den Eltern zu Besuch gewesen. Nachdem die Staatsanwälte um 13.25 Uhr davon in Kenntnis gesetzt worden seien, hätten sie die Durchsuchung der Personen, der Fahrzeuge, der Sachen und der Wohnungen des Angeklagten sowie der Wohnung der Eltern des Angeklagten angeordnet. Die Revision rügt, es komme hier nicht darauf an, ob die Durchsuchung tatsächlich vom Staatsanwalt wegen Gefahr im Verzug oder durch den Ermittlungsrichter angeordnet worden sei. Habe der Staatsanwalt im Wege der Eilkompetenz die Durchsuchung angeordnet, so fehle es an der Voraussetzung der Gefahr im Verzug. Habe der Richter die Durchsuchung angeordnet, so sei dessen Entscheidung unwirksam, denn die telefonische richterliche Durchsuchungsanordnung sei nicht dokumentiert worden. Zwar könne eine richterliche Durchsuchungsanordnung in Eilfällen mündlich ergehen, die gewissenhafte Dokumentation sei aber entscheidend für die spätere gerichtliche Nachprüfung. Die Folgen dieser Rechtsverletzung könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 103, 142 nur in einem Beweisverwertungsverbot bestehen. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
b) Ein Beweisverwertungsverbot besteht nicht. Die Prüfung durch den Senat hat ergeben, daß die Durchsuchung auf der Grundlage einer richterlichen Gestattung erfolgt ist. Die freibeweisliche Klärung durch die Strafkammer durch Anhören des zuständigen Staatsanwalts hat ergeben: Nachdem sich der Tatverdacht wegen Vortäuschung einer Straftat durch ein vom Angeklagten inszeniertes Schußattentat verstärkt hatte, informierte der Staatsanwalt den zuständigen Ermittlungsrichter gegen Mittag telefonisch über den Tatverdacht.
Der Angeklagte sei danach verdächtig, den Anschlag auf sich vorgetäuscht zu haben, indem er die Schüsse auf sich selbst gesetzt und die Pistole zuvor aus dem Haus seiner Eltern geholt habe. Die bislang nicht gefundene Tatwaffe könne sich bei ihm oder seinen Eltern befinden. Der Staatsanwalt beantragte daher fernmündlich die Gestattung der Durchsuchung beim Angeklagten und dessen Eltern. Der Ermittlungsrichter hat aufgrund dieser Informationen dem Antrag entsprochen und die Durchsuchung telefonisch gestattet. Der Staatsanwalt hat danach die Polizeibeamten angewiesen, die richterlich gestattete Durchsuchung zu vollziehen, die dann am Nachmittag erfolgte. Die Einzelheiten über die Anordnung habe die Polizei in einem Vermerk vom 23. November 2003 festgehalten.
c) Das Landgericht ist zu Recht dem weiteren Antrag des Angeklagten, zusätzlich den Ermittlungsrichter zu diesem Telefonat zu vernehmen, nicht nachgekommen. Es ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß der Sachverhalt schon durch die freibeweisliche Vernehmung des Staatsanwalts ausreichend aufgeklärt und damit erwiesen war. Der Verteidiger, dem es zudem noch Gelegenheit gab, zu erläutern, weshalb der Ermittlungsrichter etwas anderes bekunden würde als der Staatsanwalt, erwiderte darauf lediglich, er habe seine Erkenntnisse aus der Aussage des Staatsanwalts, er habe diesen so verstanden.
d) Ein fernmündlicher Antrag des Staatsanwalts auf Gestattung der Durchsuchung und eine fernmündliche Gestattung der Durchsuchung durch den Ermittlungsrichter genügen in Eilfällen - ein solcher lag hier vor - den formellen Anforderungen an einen richterlichen Durchsuchungsbeschluß im Sinne des § 105 Abs. 1 StPO (Nack in KK 5. Aufl. § 105 Rdn. 3). Die fernmündliche Einholung der richterlichen Gestattung ermöglicht eine vorbeugende richterliche Kontrolle und ist daher ein effektiverer Rechtsschutz als die Wahrnehmung der Eilkompetenz mit nachträglicher richterlicher Bestätigung.
Hier liegt schon nahe, daß die richterliche Gestattung bereits durch den von der Polizei erstellten Vermerk ausreichend in den Ermittlungsakten dokumentiert war. Aber selbst eine unzureichende Dokumentation der richterlichen Entscheidung, die im Beschwerdeverfahren - hierauf bezieht sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 103, 142 - eine andere Bedeutung als im Hauptverfahren haben kann, macht eine richterlich angeordnete Gestattung nicht unwirksam und führt in keinem Fall zu einem Verwertungsverbot.
Ein substantiierter Widerspruch eines Verfahrensbeteiligten - der bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt erfolgen muß -, mit dem geltend gemacht wird, die unzureichend dokumentierte richterliche Entscheidung sei rechtsfehlerhaft, hat allerdings zur Folge, daß das Tatgericht einen insoweit unklaren Sachverhalt freibeweislich aufklären muß. Dies hat der Tatrichter hier getan, ohne daß er nach § 267 StPO verpflichtet gewesen wäre, die Verfahrensvorgänge in den Urteilsgründen zu dokumentieren (vgl. BGH StV 2000, 604; Engelhardt in KK 5. Aufl. § 267 Rdn. 2; Gollwitzer in Löwe/ Rosenberg, StPO, 25. Aufl. § 267 Rdn. 3).
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 270
Externe Fundstellen: NJW 2005, 1060; NStZ 2005, 392; StV 2006, 174
Bearbeiter: Karsten Gaede